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Na, das wird eine schöne Mittagspause: Anfahrt auf den Kalterer See.
Es ist Freitag, der 20. Juli 2012, 9:15 Uhr, Meran.
Unsere Alpenüberquerung "auf die leichte Tour" geht weiter mit der dritten Etappe. Hatten die vorangegangenen Tage jeweils Etappen von über 100 km, wird es heute kürzer. Eigentlich freuen sich alle darüber. Man wird also auch mal Zeit haben, die tolle Landschaft nicht nur vom Sattel aus zu erleben, sondern man kann sich auch mal am kleinen Zielort etwas zu umschauen.
Morgens an der Etsch in Meran.
Erstmal allerdings müssen wir aus der 40.000-Einwohner-Stadt Meran heraus! Ganz lustig jedenfalls: Es wird in Meran ziemlich genau zur Hälfte italienisch und deutsch gesprochen - interessant.
Eine Stadtdurchfahrt ist mit einer Rennrad-Gruppe immer etwas kompliziert, hier und da müssen immer mal einige abreißen lassen, wegen Vorfahrtsregelungen oder Ampeln. Und die vorderen Fahrer müssen das dann schon im Blick haben. Das kann sich mit unseren insgesamt 15 Leuten schon mal etwas schwierig gestalten. Zu zweit geht sowas leichter - mal wieder ein Punkt für Individualtouren!
Zu allererst aber muss noch ein Fahrradproblem bei einem Teilnehmer behoben werden. Unser Tour-Guide kennt sich aus, leitet die Gruppe direkt zu einer Werkstatt, wo nach 15 Minuten alles erledigt ist. Wow! Und das einfach so und ohne Termin. Da hätte man sich individuell doch sehr schwer getan, das zu finden und so geregelt zu bekommen. Das bringt ja wieder einen glatten Punkt für die Gruppentour.
Ein paar Kilometer hinter Meran geht es endlich wieder auf einen Anstieg. Wir fahren den bekannten Gampenpass. Obwohl - nein, wir fahren nicht wirklich den Gampenpass, leider! Aber wir fahren die Gampenstraße, sozusagen den halben Gampenpass. Etwa nach der Hälfte der Steigung trifft sich die Gruppe wieder an dem Begleitfahrzeug, dann geht es auf eine Nebenstrecke. Das ist eigentlich richtig schade - wo ich doch erst so richtig Blut geleckt hatte mit dem Fahren von Anstiegen!
Ein Stück hinter Meran, bei der Ortschaft Tscherms, geht es auf der Gampenstraße aufwärts in Richtung Gampenpass. Für uns allerdings nur bis zur halben Höhe.
390 Höhenmeter legen wir bis zu der Zwischenstation zurück, fahren auf bis auf 750 m Höhe. Mit durchschnittlich sechs Steigungs-prozenten - nicht eben viel. Zwei kurze Tunnel mit 100-200 Meter Länge liegen auf der Strecke. Und, wie wir gehört haben, kennt die Polizei in Italien hier kein Pardon mehr: Man ist in Tunnels verpflichtet, eine Beleuchtung am Rad zu haben und zudem eine Warnweste zu tragen.
Eigentlich habe ich nach dem vielen Radfahren in den Bergen überhaupt gar keine Probleme mehr, solche Steigungen zu fahren. Und hätte richtig gerne mehr davon. Einigen anderen aus der Gruppe fällt dies aber nach wie vor viel schwerer. Insbesondere die Mitfahrerin mit den Kniebeschwerden quält sich doch sehr.
Als besonders praktisch erweist sich für mich im Übrigen meine Entscheidung, mein Rennrad mit drei Blättern ausstatten zu lassen. Damit habe ich eine weitaus breitere Auswahl an leichten "Berg-Gängen", um bei der Fahrt am Berg prima variieren zu können. So finde ich immer einen passenden Gang zu meinen konditionellen Möglichkeiten. Nun ja, fast immer. An extremen Steigungen (wie dem Retterschwanger Tal bei unserem Urlaubsort Hinterstein oder auch am Falkensteiner Weg in Hamburg-Blankenese) muss ich trotzdem mal runter vom Rad. Da rettet die die Dreifachkurbel dann auch nicht vor meiner mangelnden Kraft.
Blick von der Ortschaft Prissian aus in das Etschtal. Für unsere Radgruppe geht es jetzt dorthin hinab.
Aber wir wollten ja nicht weiter hinauf auf den Gampenpass, sondern biegen ab in Richtung der Ortschaften Tisens und Prissian. Ein paar Kilometer fahren wir weiter auf diesem Hochplateau, auf einer ruhigen Nebenstrasse. An einem Aussichtspunkt machen wir nochmal einen kurzen Stopp, um den Blick in das Etschtal zu genießen.
Und dann - geht's hinab in das Etschtal. 300 Höhenmeter rasen wir runter, und, oh Wunder: Zum ersten Mal bringt mir die Abfahrt mehr Spaß als Stress! Langsam beherrsche ich diese Abfahrten, habe gelernt, wann, wie und wo ich bremsen muss.
Und dann sind wir, hier in der Nähe der Ortschaft Andrian, schon wieder im Etschtal unterwegs.
Die Südtiroler Weinstraße, üppiges Land unweit von Bozen: Obst, Wein - umgeben von eindrucksvollen Bergen. Hier im Hintergrund der Mendelkamm.
Mit unserer Gruppe läuft es mittlerweile sehr harmonisch, alles hat sich ganz gut eingespielt. Es gibt aber doch tatsächlich Fahrer, die nach der Abfahrt die Felgen ihrer Räder im Brunnen des Ortes Nals kühlen müssen, damit es nicht zu Reifenproblemen kommt...
Es ist kein sonniger Tag in Südtirol, aber es sieht auch nicht nach Regen aus uns ist angenehm warm. Gutes Fahrrad-Wetter also. Nach einem erneuten kleinen Anstieg (180 Höhenmeter mit 6,5 %) steht eine kleine Pause an.
Trotz meiner derzeitigen Fahrrad-Euphorie, kann ich mir als kleine alberne Einlage bei der Einfahrt in unseren Pausen-Ort ein paar Anfeuerungsrufe für meinen seit Jahrzehnten bevorzugten Fußballverein nicht verkneifen - wir kommen nämlich nach St. Pauls (ital. San Paolo). Okay, ein Buchstabe stimmt da nicht, aber egal. Obwohl: Der Ort ist berühmt für seine Pfarrkirche "Dom auf dem Lande", oder auch "St. Pauli Bekehrung" genannt. Na also!
Italienisches Flair per Rennrad: Einfahrt in die historische Ortschaft St. Pauls (ital.: San Paolo).
Der berühmte "Dom auf dem Lande" in St. Pauls. Im Hintergrund wieder der Mendelkamm.
Eigentlich bin ich wieder verblüfft, wie sehr sich der sehr historisch wirkende Ort unterscheidet von dem in Österreich gesehenen. Die Orte hier haben einen ganz eigenen, markanten Stil. Manche wirken auf mich dicht und eng zusammen-gebaut, fast wehrhaft, wie Trutzburgen. Und doch haben sie schöne, beeindruckend Ortszentren. Ich finde das interessant und es gefällt mir hier.
Wie die Süchtigen stürzen wir uns bei Gelegenheiten, wie hier, mittlerweile auf den Brunnen im Ortszentrum - die ganze Gruppe zelebriert es inzwischen geradezu, diese verlockende Trinkmöglichkeiten zu nutzen, die eigenen Reserven und die der Trinkflaschen aufzufüllen. Überall kostenlos frisches, sauberes Alpenwasser - das ist doch toll! Die Umgebung von dem Ort ist mit den schroffen Bergen für mich als Norddeutschen fast schon unfassbar - manchmal muss ich mich fast kneifen, um die Schönheit der sich langsam verändernden Umgebung auch wirklich glauben zu können. Ich kann's nur immer wieder betonen.
Und so sieht es aus, wenn ein Rennradreifen und Asphalt bei einer brenzligen Situation etwas zu lange aufeinander reiben. Immerhin geht bei der Notbremsung an der Abzweigung zum Kalterer See alles gut.
Badestelle an der Ostseite des Kalterer Sees. Der See gilt als der wärmste in den gesamten Alpen. Als wir dort sind, hat der See eine Temperatur von 25° C.
Für die eigentliche Mittagspause hat sich unser Tourenguide allerdings etwas Besonderes einfallen lassen: Einen ausgiebigen Stopp am Kalterer See, dem wärmsten See in den Alpen. Zur Zeit unseres Besuches hat dieser 25 Grad Wasser-temperatur. Fast alle nutzen die Gelegenheit für ein Bad in dem türkisen Wasser des Bergsees.
Vom Kalterer See aus ist es nur noch eine dreiviertel Stunde Fahrt durchs Etschtal bis zu unserem heutigen Tagesziel in Kurtinig an der Weinstraße.
Als wir uns dann um 15 Uhr wieder auf die Räder schwingen - ist mittlerweile doch die Sonne durchgekommen und es wird schnell richtig heiß. Kein Problem: Wir haben nur noch eine Dreiviertel Stunde Fahrt durch das Etschtal vor uns - und schon haben wir unsere Tagesetappe geschafft und kommen in dem 650-Einwohner Ort Kurtinig an der Südtiroler Weinstraße (Cortina sulla strada del vino) an. Die vom Unternehmen organisierte Unterkunft ist wunderbar - ob wir so etwas hier etwas abgelegen auch bei individueller Tour gefunden hätten? Ich habe da Zweifel und gebe da unkompliziert mal wieder einen Punkt für die organisierte Gruppenreise.
Weinbau in Kurtinig an der Südtiroler Weinstraße, umgeben von markanten Bergen.
Rund um Kurtinig: Wein, soweit das Auge reicht...
... abgesehen von einigen Pflanzen auf Privatgelände. So sehe ich zum ersten Mal überhaupt in meinem Leben Kiwi-Früchte an einem Baum.
Um den kleinen Ort zu erkunden, nehmen wir uns noch ein wenig Zeit. Was für eine unfassbar üppige, wetterverwöhnte Gegend! Rund um den Ort sind unzählige Weinreben, die Pflaumen sind reif (wird daheim noch etliche Wochen dauern), vom Baum gefallene Aprikosen werden auf der Straße achtlos überfahren, die Feigen am Baum sind allerdings noch nicht reif und zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich reife Auberginen und sogar einen Baum mit Kiwi-Früchten. Auf einer Infotafel wird stolz darüber informiert, dass man in Südtirol 5000000000 Äpfel jedes Jahr erntet. Ja, auch ich musste erstmal die Nullen genau zählen, um die Dimension einigermaßen zu begreifen. Das ist ja fast ein Apfel für jeden Menschen auf der Erde. Üppig - ist das in der Tat das einzige Wort, das mir bei diesem Reichtum an Früchten einfällt.
61,8 km Wegstrecke mit 700 Höhenmetern am heutigen Tag mit einer Nettofahrzeit von 3 Stunden 5 Minuten (Schnitt 20,0 km/h mit einem Maximum von 53,9 km/h) stecken wir inzwischen ja locker weg - ein Tag zum erholen. Meinen privaten Prolog eingeschlossen habe ich bei unserer Transalp jetzt nach vier Tagen 418,4 km mit 3760 Höhenmetern zurückgelegt. Und trotz der vergleichsweise kurzen Strecke am heutigen Tag ist es wieder ein großartiger Fahrrad-Tag in den Alpen! Und am Folgetag soll es dann allerdings tatsächlich schon an den Gardasee gehen...
Der Tourenverlauf wird in der (zoombaren) Karte unten der blauen Linie angezeigt.
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