Radfahren...!
Oder-Neiße-Radweg - Extratour auf dem
Radweg Zielona Odrą ("Grüne Oder") in Polen
Kostrzyn - Gozdowice - Küstrin Kietz (101 km)

Ein Fahrrad-Reisebericht über eine Radtour im Juli 2011
   mit 34 Bildern




Landschaft in der Neumark

Ein Sommertag wie ein Traum. Für die Radstrecke in Polen galt dieses "traumhafte" allerdings meist leider nicht. Aber es gab auch sehr schöne Stücke, so wie hier die Strecke zwischen Kłosów und Kurzycko in der früheren "Neumark".

Hier geht es zurück zum vorangegangenen Teil 10 des Fahrrad-Reiseberichtes auf dem Oder-Neiße-Radweg, dem zehnten Tag der gesamten Tour im Oktober 2010 mit einigen Bildern eines Rundgangs in Ueckermünde.

 

Dienstag, 19. Juli 2011, 8:45 Uhr, Küstrin-Kietz.
Temperatur: 14 Grad, blauer Himmel mit ein paar Schönwetterwolken.

 

Nachdem wir im Herbst 2010 beinahe den kompletten Oder-Neiße-Radweg abgeradelt sind (zur Startseite des mehrteiligen Touren-Berichts geht es hier) und auch im Sommer 2011 wieder mal in der Gegend waren, ergab es sich fast von alleine, mal wieder an der Oder radeln zu wollen. Schon auf unserer Streckentour im Herbst waren wir - also meine Herzallerliebste und ich - bei entsprechenden Gelegenheit schon hin und wieder mal über Neiße und Oder nach Polen hinüber gewechselt. Und da ich das Land sehr mag, lag es nahe, mal eine längere Tour auf der polnischen Seite zu fahren.

Ich erfuhr noch ein wenig Suche: Dort gibt es einen ausgewiesenen Radweg entlang der Oder mit Namen "Zielona Odrą" (Grüne Oder). Insgesamt hat dieser eine Länge von 155 km, geht von der Nähe der polnischen Stadt Kostrzyn nad Odrą (früher die deutsche Stadt Küstrin) bis nach Szczecin (Stettin). Diesen wollen wir allerdings nur mal ein Stück lang ausprobieren, als Tagestour. Unser Plan: Wir fahren aus Richtung Berlin mit dem Zug nach Küstrin-Kietz, radeln von dort über die polnische Grenze nach Kostrzyn und fahren dann gen Norden auf dem Radweg "Grüne Oder". Man kann auch mit der Oderlandbahn direkt bis nach Kostrzyn fahren, allerdings wollen wir gerne mit dem Rad über die Grenze radeln. Das empfinden wir immer noch als etwas Besonderes, dieses radeln erst über die riesige Oderbrücke und dann durch die gewaltige, aber fast völlig leer stehende Grenzanlage auf polnischer Seite.

 

 

 

Unser Plan wird vom Wettergott üppig unterstützt: Er uns schenkt Mitte Juli einen prachtvollen, traumhaften Sommertag. Also setzen wir unseren Plan um, kommen an diesem Dienstag um 8:45 Uhr in Küstrin-Kietz an (den Bahnhof kennen wir noch gut von früheren Unternehmun-gen, wie z.B. dem schaurigen fünften Tag unserer Oder-Neiße-Radtour) und begeben uns gleich auf den Weg nach Polen. Als Kartenmaterial haben wir diverse Karten des Oderbruchs bei uns, die bis nach Polen hinein reichen. Auch der "gute alte" bikeline-Radführer unserer Oder-Neiße-Radtour vom Herbst des Vorjahres ist dabei. In diesem ist der Radweg "Grüne Oder" auf den Karten zwar markiert als Alternativroute zu der Routenführung des Oder-Neiße-Radwegs auf der deutschen Seite, allerdings nicht weiter beschrieben.

Kostrzyn, Infotafel Altstadt

In Kostrzyn nad Odrą (dem früheren deutschen Küstrin) soll unser erster Weg in die als Denkmal hergerichtete, im Zweiten Weltkrieg total zerstörte Altstadt führen. Eine Infotafel zeigt, wie die Altstadt früher aussah.

 

 

 

Auch im polnischen Kostrzyn sind wir schon ein paarmal gewesen - aber wir hatten noch nie die Gelegenheit genutzt, uns die Altstadt anzuschauen. Diese "Altstadt von Küstrin" ist schon etwas sehr Besonderes: Sie lag direkt an der Oder, war als Festung angelegt und wurde in den Kriegs-handlungen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges komplett und total zerstört, bis auf die Grundmauern. Nun sind die Polen ja unbestreitbar die Weltmeister im Wiederaufbauen von Altstädten - aber die Altstadt von Kostrzyn haben sie in dem Zustand sich selbst überlassen, wie sie nach dem zweiten Weltkrieg war. In Polen nennt man die Küstriner Altstadt darum gerne mal "das Pompeji von Polen" oder auch das "Pompeji an der Oder". Nun, vor einigen Jahren war ich einmal in Pompeji gewesen und die Eindrücke, die ich davon mitgebracht habe, lassen mich glauben, dass die Namensgeber von "Pompeji an der Oder" noch nie in Pompeji waren... Denn dieser Vergleich hinkt schon sehr stark.

Ruinen in der Altstadt von Kostrzyn

In der Altstadt von Kostrzyn: Die Ruine der Kirche, gleich neben den Resten des Schlosses.

 

 

 

Aber doch: die Altstadt von Kostrzyn ist sehr beeindruckend! Man bekommt eine ungefähre Ahnung, wie diese Stadt früher einmal struturiert war. Man wandelt auf dem Pflaster der alten Straßen, sieht die Grundmauern der alten Häuser, erkennt, mit welcher ungeheuren Gewalt hier Zerstörungen passierten und kann sehen, mit welcher Macht die Natur sich das Gebiet zurückzuholen versucht (was offenkundig nur in Ansätzen zugelassen wird). Man findet die Reste der Grundmauern des Schlosses und der Kirche. Es sind neue Straßenschilder aufgestellt worden - also läuft man dort durch ordentlich beschilderte Straßen, die aus Straßenpflaster, Grundmauern und Sträuchern und Bäumen bestehen. Ein sonderbares Gefühl!

Nie wieder Krieg! Wir empfinden das gesamte Gelände mit den vielen erhaltenen Zerstörungen als ein einziges großes Mahnmal gegen den Krieg - schon allein das ist ja ein großer Kontrast zu Pompeji. Insgesamt sind wir sehr beeindruckt und möchten jedem einen Besuch dort empfehlen! Zumal man, quasi nebenbei, von dem erhöhten Gebiet auch ein wunderschönen Blick über die Oder hat.

 

 

 

Apropos Oder... Das war ja das eigentlich Ziel unserer Tour: die "grüne Oder". Drum reißen wir uns doch recht bald von der Altstadt los, die auf einer Insel gelegen ist. Also müssen wir noch einmal über eine Brücke, diesmal über einen Arm der Warte. Und schon sind wir mitten drin in der 18.000-Einwohner-Stadt Kostrzyn - und suchen den "Grüne Oder-Radweg". Das gestaltet sich nicht unbedingt einfach! Eine umfassende Fahrrad-Beschilderung, wie man sie in Deutschland oft sieht (auch, wenn sie oft noch lückenhaft ist), scheint hier weithin unbekannt. Wir müssen ein wenig nach Gefühl fahren, suchen nach Hinweisschildern für die nächsten Ortschaften Szumiłowo und Kaleńsko, durch die der Radweg Grüne Oder verläuft. Hätten wir den bikeline-Radführer des Oder-Neiße-Radweges nicht dabei, dann hätten wir wohl schon hier enorme Probleme gehabt, den rechten Weg zu finden. So aber wissen wir immerhin, nach welchen Weg wir suchen müssen - und werden nach einiger Zeit auch fündig mit einem Hinweis für den Ort Szumiłowo. Auch, wenn das jetzt ein wenig plump nach Werbung für diesen Rad-Reiseführers klingt... Er hilft einfach immer wieder weiter.

Immerhin wissen wir jetzt schon mal die Richtung! Müssen uns aber ziemlich schnell eingestehen, dass wir beide hier in der Ortschaft am liebsten auf dem Fußweg fahren. Denn umgehend stellen sich die polnischen Autofahrer als recht robuste Zeitgenossen heraus. Offenbar wissen sie nicht recht, wie man mit Radfahrern im fließenden Verkehr umzugehen hat. Wir werden mehrfach so extrem knapp überholt, dass uns schon nach wenigen Kilometern Angst und Bange wird - zumindest hier in der geschlossenen Ortschaft.

Wohnblocks in Kostrzyn

Nachdem wir uns in der 18.000 Einwohner-Stadt Kostrzyn etwas schwierig orientiert hatten, geht es vorbei an vielen Plattenbauten in Richtung Nord-Westen, dem Flusslauf der Oder folgend. Unser Glück: Die Straße war eine große Baustelle, darum brauchten wir nicht in dem rauen Autoverkehr von Kostrzyn die Stadt verlassen, sondern nutzten die einigermaßen sicheren Fußwege.

 

 

 

Es ist nicht das erste mal, dass wir in Polen Fahrrad fahren (siehe z.B. den Bericht über die Tour durch Teile des Nationalparks Wartemündung von 2007). Eigentlich hatten wir nicht damit gerechnet, so schnell genervt zu sein. Also weichen wir auf den Fußweg aus und verhalten uns insgesamt betont defensiv - das erscheint uns schlicht sicherer. Fast sind wir erleichtert, als auf der Ausfallstraße in Richtung Szumiłowo eine große Baustelle auftaucht: der Straßenbelag wird komplett erneuert. Der Autoverkehr ist weg, und uns bleibt nichts anderes, als ein längeres Stück auf dem Fußweg und später dann auf der gesperrten Straße zu fahren.

Es begleiten uns eine eine Menge der auch für polnische Städte typischen Plattenbauten links wie rechts eine Zeitlang, bis wir Kostrzyn dann verlassen. Es wird ruhig auf der gut asphaltierten Straße. Wir passieren das Dorf Cmertarz, hier ist es völlig still, fast verschlafen. Ein paar Minuten Fahrt außerhalb von Kostrzyn. Ein Straßenschild nach Szumiłowo weist uns an der einzigen Abzweigung wieder den richtigen Weg. Obwohl wir die Augen offen halten, haben wir von irgendwelche Fahrradbeschilderungen übrigens noch keine Spur gesehen.

Es geht in den Wald. Meine Liebste jubiliert - sie liebt es, durch den Wald zu radeln, findet es wunderbar entspannend. Ich hingegen grummle etwas, finde Radfahren im Wald eher langweilig. Meine Augen wollen suchen, schauen, etwas sehen, neues entdecken. Immer nur Bäume bieten da einfach nicht genug Nahrung.

 

 

 

Mitten im Wald taucht, wie aus dem Nichts, ein straßen-begleitender, gepflasterter Radweg auf - mit Ausmaßen, wie man sie sonst wohl nur in den Niederlanden kennt. Auch gut! Leider ist der offenbar recht neue Weg recht hoppelig geraten, eigentlich fuhr es sich auf dem glatten Asphalt viel besser. Aber wenn man schon mal einen Radweg anlegt, muss das ja auch gewürdigt werden. Ruck-zuck sind wir in der Ortschaft Os. Szumiłowo. Ein großes Schild am Ortseingang weist darauf hin, dass der Radweg ein Förderungsprojet der EU ist. Vielen Dank, EU! Hoffentlich gibt es noch mehr davon!

Gebäude in Szumilowo

Einigen Bewohnern des westlichen Randgebietes von Polen geht es sichtbar gut, so wie hier in Szumiłowo.

 

 

 

Os. Szumiłowo zeigt sich als Dorf mit normalen, einfachen kleinen Wohnhäusern - ergänzt durch ein paar palastähnliche Wohnbauten. Das habe ich in Polen so schon einige Male gesehen. Entweder sind die Banken in Polen einfach sehr großzügig mit Krediten, oder aber es gibt einige Leute im Grenzgebiet, die es zu enormen Wohlstand gebracht haben. Eigentlich vermute ich ja Letzteres, aber ob es für eine dörfliche Struktur so förderlich ist, wenn man sich dort kleine Paläste hinein baut? Aber vielleicht funktionieren die Polen da ja einfach ganz anders, unkomplizierter, mit weniger Neid vielleicht?

 

 

 

Es ist mittlerweile bereits zehn Uhr, als wir in ein großartiges Stück Weg kommen. Die Straße führt durch ein Gebiet, das ich als typische Oderaue, empfinde. Sehr schöne Landschaft!

Leider jedoch bleibt das Glück dieser schönen Strecke nicht allzu lange erhalten. Es geht auf der recht schmalen Straße in eine Baumallee. Zwei schwere Lastwagen kommen uns entgegen, ziehen große Staubwolken hinter sich her. Sie fahren in der Mitte, nehmen fast die ganze Straße ein. Eigentlich kennen wir es ja so, dass man dann in solchen Situationen ein wenig Acht aufeinander gibt. Erst sehr spät begreifen wir, dass es hier nicht so ist. Die beiden LKW preschen mit völlig unverminderter, deutlich überhöhter Geschwindigkeit (erlaubt waren 40 km/h) auf uns zu, zeigen keinerlei Interesse, das Tempo ein wenig zu reduzieren oder auch ein paar Zentimeterchen auszuweichen. Erst im allerletzten Moment retten wir uns auf den Grünstreifen zwischen zwei Bäumen. Hätten wir das nicht gemacht - die hätten uns einfach über den Haufen gefahren, offenbar ohne mit der Wimper zu zucken. So viel zu polnischer Gastfreundschaft und Achtsamkeit Radfahrern gegenüber. Dziękuję bardzo!

Wir können es beide kaum glauben, sind völlig entsetzt. Die Lektion hat gesessen: als Radfahrer in Polen ist man Freiwild. Sicherlich bremst man dort auch nicht für Tiere. Was ist nur aus meinen geliebten Polen geworden? Hatte ich dort nicht Freundlichkeit und Gastfreundschaft erlebt, wie nie und nirgends zuvor? Na gut, das war lange her, vor Mauerfall, Wende und EU.

Meine Liebste ist vor Schreck den Tränen nah, mir fällt ob der plötzlich erlebten, unmittelbaren Lebensgefahr einstweilen auch nicht viel ein, um sie wieder aufzubauen. Wir müssen ja erstmal weiter, aber ich merke, dass sie eigentlich gar nicht mehr weiterfahren möchte, nach diesen ruppigen Erfahrungen von Kostrzyn und den beiden doofen LKW. Wir beschließen, bei der nächstbesten angenehmen Gelegenheit eine ausgiebige Pause zu machen - zur Erholung.

Kalensko, Strasse im Wald

Hinter dem Dorf Kaleńsko geht es in den Wald - ich mag nicht lange Strecken im Wald fahren...

Im Dorf Kaleńsko finden wir keine nette Gelegenheit zum Rasten, dann geht's erstmal zehn Minuten auf der kleinen Straße durch den Wald. Immerhin mit fast keinem Autoverkehr, und weitere heikle Situationen werden uns heute auch erspart bleiben.

Namyslin / Neumühl, Kirche

Die Kirche von Namyślin ist idyllisch gelegen.

 

 

 

Das Dorf Namyślin hat dann eine schöne, großzügig gestaltete Bushaltestelle, direkt neben der Kirche. Ein prima Rastpunkt, mitten im Ortszentrum. Bereits um 10:20 Uhr machen wir also eine ausgiebige Pause. Vorbei gehende Kinder und Jugendliche grüßen wohlerzogen. Das hat auch was angenehmes!

Wegweiser radweg Zielona Odra

Ebenfalls in Namyślin: Das erste - und, wie sich zeigt: einzige - richtige, auffällige Schild mit eindeutigen Entfernungsangaben.

 

 

 

Und: als ich ein wenig herumspaziere entdecke ich direkt im Kreuzungs-bereich auch zwei Hinweisschilder auf den Radweg "Zielona Odrą". Endlich! Eine große Übersichtstafel mit einem Gesamtüberblick und einer Legende der Fahrrad-beschilderung (deren Bedeutung ich leider zum Teil nicht verstehe, und es gibt auch keine Erklärung, nicht mal auf polnisch). Und es gibt auch ein erstes richtiges Fahrrad-Wegeschild mit Richtungspfeil und Entfernungsangaben. Prima! Leider jedoch wird dieses Schild in dieser Ausführlichkeit auch das einzige seiner Art auf unserem heutigen Weg bleiben. Schade!

Zielona Odra, Radweg im Wald

Ansonsten geht es durch den Wald...

 

 

 

Nach 20 Minuten Pause dann rappeln wir uns wieder auf und begeben uns wieder auf den Weg. Die Straße ist gut asphaltiert und also gut zu fahren. An Autoverkehr kann ich mich kaum erinnern. Nach zehn Minuten sind wir wieder im Wald. Der Weg wird enger und schlechter: alter, hoppeliger Asphalt. Nach weiteren zehn Minuten sind wir immer noch im Wald, nach weiteren zehn Minuten immer noch. Mich ödet das mittlerweile richtig an, auch wenn die Struktur des Waldes wechselt: Mal etwas lichter, mal eher dunkel. Mal Kiefer, mal reine Birke, mal eine Mischung, mal sogar reiner Eichenwald. Das ist ja mal was außergewöhnliches: Eichenwald! Aber selbst meine Waldliebende Liebste findest das mittlerweile öde... Heißt "Polska" nicht eigentlich "Land der Felder"? Heute habe ich den Eindruck, es müsste eher "Land der Wälder" heißen.

Ort Klosow

Nach einer insgesamt 14 km langen Waldstrecke, nur mit zwei kurzen Unterbrechungen und einige Zeit sandig-unbefestigt, ist es wie eine Erleichterung, in einen Ort zu kommen: nach Kłosów.

 

 

 

Mensch, sind wir erleichtert, als wir nach 11 km und fast 40 Minuten Fahrzeit ausschließlich im Wald in ein Dorf kommen. Ein junges Paar mit Kinderwagen geht spazieren. Endlich ein wenig Abwechslung für uns, endlich mal wieder etwas Neues. Okay, der Straßenbelag besteht zu zwei Dritteln sehr grobem Kopfsteinpflaster und zu einem Drittel losem Sand, aber egal.

Leider finden wir keinerlei Hinweise darauf, wie es jetzt mit dem Radweg weitergeht. Auch sind wir uns gar nicht sicher, wie das Dorf hier eigentlich heißt. Es hatte an dem Waldweg kein Ortseingangsschild gegeben und so haben wir keine rechte Ahnung, ob wir eigentlich noch auf dem richtigen Weg sind. Immerhin wissen wir, dass wir den charakteristischen Kirchturm schon gesehen haben - von der anderen Seite der Oder bei früheren Touren.

Einmal durch das ganze Dorf zu fahren beschert uns irgendwann zwar Asphalt, aber auch kein Ortseingangsschild von der anderen Seite. Das junge Pärchen mit dem Kinderwagen ist nicht mehr zu sehen, aber irgendwo sehe ich einen jungen Mann bei Rasenmähen und unterbreche seine Arbeit kurz. Meine Polnisch-Kenntnisse sind viel geringer als bruchstückhaft, er nun wieder kennt offenbar kein Wort Deutsch oder Englisch. Immerhin kann er mir anhand des Oder-Neiße-Bikelines zeigen wo wir hier sind: im Dorf Klosów. Wie wir weiter in Richtung Czelin (der nächsten Ortschaft auf dem Radweg "Grüne Oder" und direkt an der Oder gelegen) kommen, ist offenbar schwierig zu erzählen. Er erklärt sehr langsam, aber wortreich komplizierte Wege - ich kapiere nichts, weiß jetzt aber immerhin, dass wir als erstes nach links müssen und kann mich immerhin stilvoll auf polnisch bedanken.

 

 

 

Es ist 11:30 Uhr, da wir sehr früh aufgestanden sind, ist es eigentlich Zeit für unsere Mittagspause. Wir verlassen das Dorf gerade eben so und lassen uns auf einem großen Stein für eine Pause nieder. Direkt an einem riesigen Getreidefeld angrenzend (also doch: "Polska"). Irgendjemand baut sich mitten auf dem Feld, 500 Meter außerhalb des Dorfes ein edles Wohnhaus auf, fast schon palastähnlich. Es wirkt auf dem Getreidefeld völlig deplatziert, absurd.

Als es nach einer halben Stunde für uns weiter geht, geraten wir gleich an mehrere Weggabelungen. Für uns Zweifelsfälle. Das war wohl das, was der freundliche junge Mann mir erklären wollte. Da es keine Hinweisschilder gibt, kann man nur nach Gefühl fahren. Schon nach wenigen Minuten kommen wir in das Dorf Kurcycko, wissen gar nicht genau, ob wir da eigentlich noch auf der Strecke der "Grünen Oder" sind. Ein Blick auf eine Karte zeigt: Nein, wir sind in genau die falsche Richtung gefahren.

Kurzycko, Rastplatz

Und noch ein Rastplatz, diesmal in Kurzycko. Dieser erinnerte uns allerdings von der Anordnung her eher an ein Klassenzimmer.

 

 

 

Umkehren bringt aber auch nicht viel, wir entschließen uns, dem eingeschlagenen Weg noch weiter zu folgen, dann sollten wir auf eine größere Straße treffen, die Czelin mit Mieszkowice verbindet. Wenn wir dort nach links abbiegen, dann offenbar einige Kilometer durch den Wald fahren, dann sollten wir direkt nach Czelin kommen. Vielleicht schaffen wir dort ja das Kunststück, den offiziellen Radweg wieder zu finden?

Diese Schilderungen sollen in dieser umfangreichen Darstellung zeigen: Auch für nicht unerfahrene Radler ist es nicht gerade einfach, sich auf dieser Seite der Oder zurecht zu finden. Ordentliches Kartenmaterial ist nötig, um sich zurecht finden zu können. Aber da nur allzu oft sämtliche Hinweisschilder fehlen, sollte man auch imstande sein, sich anhand der Himmelrichtungen etwas orientieren zu können - sonst kann man sich hier ziemlich leicht sehr verfransen. Und: Man kann in dieser dünn besiedelten, einsamen Gegend auch nicht unbedingt damit rechnen, jemanden zu treffen, der einem in einer vertrauten Sprache helfen kann.

Strasse vor Czelin

Eine ruhige, gute Straße kurz vor Czelin.

 

 

 

Die Fahrt durch den Wald dauert diesmal nur fünfzehn Minuten, und die Straßen-verhältnisse sind so gut, dass wir an diesem schönen Sommertag endlich wieder richtig Freude am radeln haben. Was für eine Ruhe und Weite über dieser Oderlandschaft liegt! Auf der deutschen Seite ist bei diesen Wetterverhältnissen einfach mehr los, da sind dann doch so einige Touristen unterwegs. Hier ist man für sich! Und das ist schön.

Auch meine Herzallerliebste ist inzwischen wieder einigermaßen besänftigt und hat die stressigen und teilweise auch gefährlichen Vorkommnisse des Vormittags verdaut. Trotzdem beschließen wir, als wir in aller Seelenruhe in Czelin angekommen sind, bei einem Blick auf die Karte, dass wir nur noch ein Stückchen weiter hier auf der polnischen Seite fahren wollen. Bis Gozdowice, da gibt es dann eine Fähre über die Oder nach Güstebieser Loose. Die wollen wir nutzen. Und dann die Oder auf deutscher Seite wieder nach Süden fahren, um in Küstrin-Kietz wieder den Zug Richtung Berlin zu nehmen.

Wegweiser Radweg Zielona Odra

Einer der ganz seltenen Weghinweise: Ausgesprüht auf einen Baum. Das ist eher unauffällig, und auch ungewohnt. Möglich, dass wir so einige Wegweiser übersehen haben. Wir irrten teilweise ja ein wenig schlecht orientiert umher.

 

 

 

Ein paar Schwierigkeiten haben wir dann in Czelin zwar, den richtigen Weg nach Gozdowice zu finden, und fahren erstmal nach Gefühl und auf Verdacht los. Nein, leider geht es nicht an der Oder entlang, aber als wir dann nach einiger Zeit in einen dichten Wald geraten, glauben wir sicher, dass wir auf der richtigen Route sind. Schon bald werden wir von dem Ortsschild Gozdowice überrascht, und danach ebenso von einer der ganz, ganz wenigen Fahrrad-Hinweise - die hier übrigens auf Bäume gemalt sind und leicht übersehen werden können.

Einen Blick widmen wir noch dem Weltkriegs-Denkmal, das unübersehbar und pathetisch hier steht. Am 16.4.1945 wurde an diesem Ort die Oder mithilfe einer polnischen Pioniertruppe überbrückt. Die Kämpfe an der Oder waren lang und hart.

Gozdowice, Fähre über die Oder

Zwischen dem polnischen Gozdowice (auf deutsch: Güstebiese) und dem deutschen Ort Güstebieser Loose fährt seit 2007 eine Fähre über die Oder.

Güstebieser Loose, Fähre

Am deutschen Ufer bei Güstebiser Loose: Die private Fähre braucht nur wenige Minuten für den Weg über die Oder.

 

 

 

Ein paar Minuten später sind wir zu der kleinen Fähre hinunter gerollt, die zwanzig Minuten Wartezeit sind an einem Sommertag wie diesem kein Problem. Die Fähre ist übrigens die einzige Personenfähre, die an der Oder noch in Betrieb ist. Nach drei Minuten Fahrt sind wir um 14:15 Uhr wieder auf deutschem Boden.

Gross Neuendorf, Verladeturm

Auf dem Weg zur Bahnstation in Küstrin-Kietz, an der wir am Morgen auf unsere Tour gestartet waren, passieren wir hier auf dem Oder-Neiße-Radweg den Ort Groß Neuendorf mit dem markanten Verladeturm.

 

 

 

Dieser Streckenteil ist uns wohlbekannt, sie führt die ganze Zeit völlig unkompliziert auf oder am Oder-Deich entlang. Und für die gut 35 km zurück bis zur Bahnlinie in Küstrin-Kietz haben wir Zeit genug. Also trödeln wir ein wenig durch die Gegend. Machen immer mal wieder einen kurzen Stopp, kehren in Groß Neuendorf ein, müssen uns insgesamt eingestehen: auf dieser Strecke ist es einfach viel, viel schöner, an der Oder entlang zu fahren!

Sophienthal, Deichblüte

Kurzer Stopp bei Sophienthal: Der Deich blüht. Lila!

 

 

 

Als wir um 17:45 Uhr auf dem uns wohlbekannten Bahnhof in Küstrin-Kietz eintreffen, müssen wir gar nicht allzu lang auf einen der modernen Züge der Oderlandbahn warten. Daheim wieder angekommen, zeigt das Fahrrad-Tacho eine zurückgelegte Strecke von insgesamt 101 km (mit Zu- und Abfahrten der Bahnhöfe). Davon waren 49 km auf polnischem Gebiet, auf dem "Radweg" Zielona Odrą - Grüne Oder. Und um ihn herum. Eine Fahrzeit von 5 Stunden und 57 Minuten zeigt ein für uns eher gesteigertes Touren-Tempo an (Durchschnitt 17,0 km/h).

Unser Gesamturteil für den Weg ein Stück entlang der polnischen Oder: Es ist ein verbessungswürdiger Radweg! So richtig Freude am Radeln hatten wir kaum. "Zielona Odrą", also "Grüne Oder", ja, so war der Radweg in der Tat: "grün"! Dank ewiger Waldpassagen. Aber "Oder"? Die Oder haben wir während der Fahrt auf polnischer Seite allein bei den beiden Überquerungen per Brücke bzw. Fähre gesehen. Wie schade!

Bei aller Sympathie für Polen müssen wir uns eingestehen: zum Fahrradfahren ist es dort, zumindest auf diesem Stückchen Strecke, nicht gut geeignet. Das geht auf der deutschen Seite viel angenehmer. Für die polnische Seite der Oder braucht man zuweilen etwas kriminalistischen Spürsinn. Und das, wo man doch eigentlich nur Fahrradfahren will.

Wir werden uns jedoch nicht ganz entmutigen lassen, werden bestimmt nochmal das Land vor den Toren Berlins beradeln. Bei einem Blick auf die Karte bekommt man den Eindruck, dass nördlich von dem Ort Gozgowice, an dem die Fähre fährt, ein schönes Stück Radweg auf der polnischen Seite beginnt: offenbar führt der Weg dann oftmals doch direkt an der Oder entlang - und deutlich weniger durch dunklen Wald. Vielleicht ist das ja besser für uns geeignet?

 

Der exakte Tourenverlauf wird in der (zoombaren) Karte unten mit der blauen Linie angezeigt, einschließlich unserer Pausen und Fußwege (z.B. in der Altstadt von Kostrzyn). Hin und wieder kommt es zu Störungen bei meinem GPS-Empfänger (vor allem im Wald), aber die Route ist trotzdem bestens nachzuverfolgen.

 

Und, last, but not least, geht es hier zu meiner externen Bilderserie zu dieser Radtour mit 72 großformatigen Bildern auf meiner externen Webseite www.reiseberichte-bilder.de (ein neues Fenster öffnet).

 

 

 

 

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Dirk Matzen

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