Uranbergbau in der DDR:
  SDAG Wismut - Fußball, Uran und Kumpeltod

Ein Erlebnisbericht von 1989 - nach einer Reise im März des Jahres
   Darstellung der Folgen und Fakten



 

 

Es ist Samstagnachmittag. Viele Fußballfreunde hören im Radio die mehr oder minder interessanten Reportagen aus der Fußball-Bundesliga. Nachdem man über die Begegnungen vom VfB Stuttgart, Eintracht Braunschweig oder dem FC St. Pauli ausführlich informiert wurde, kommt wie immer der unvermeidliche Bericht über die DDR-Oberliga.

Ebenso wie Resultate von Dynamo Dresden, 1. FC Magdeburg, Energie Cottbus, Lokomotive Leipzig zumeist am Ohr vorbeirauschen, nehmen wir die sonore Stimme der Sprecherin auch kaum wahr: "Stahl Eisenhüttenstadt besiegt Fortschritt Bischofswerda mit zwei zu null, Wismut Aue gegen Chemie Halle eins zu eins..." usw.

Aber halt! Kaum jemand stutzt und bemerkt, dass wir Samstag für Samstag einem Schwindel, ja einer dreisten Lüge auflaufen: BSG (für Betriebssportgemeinschaft) "Wismut" Aue ist eigentlich ein Tarnname, ein Falschname! Der hinter dem Fußballverein stehende Betrieb hat nicht das Geringste mit dem Metall Wismut zu tun! Richtig wäre: BSG Uran Aue. Bei den Sportlern handelt es sich um Betriebsangehörige eines Uranbergbaubetriebes mit Namen "Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut".

Hätten Sie es gewusst? Ähnlich wie im Südschwarzwald wird auch in der DDR Uranbergbau betrieben. Das in der Region um Karl-Marx-Stadt (in der Nähe der Städte Gera, Aue, Zwickau) abgebaute Uran diente unter den Nazis dazu, die Entwicklung einer deutschen Atombombe voranzutreiben. Hieran war übrigens die Firma Degussa federführend beteiligt - sie gibt es auch heute noch und erst im Januar 1988 übernahm Degussa die Atomskandalfirma NUKEM.

1945 übernahm die sowjetische Besatzungsmacht die absolute Kontrolle über die Uranbergbaubetriebe. Die UdSSR benötigte das Uran dringend für ein eigenes Atombombenprogramm. Der sich abzeichnende atomare Rüstungswettlauf fand in großem Maße mit Uran aus der DDR statt, denn zur damaligen Zeit gab es in der UdSSR noch keine erschlossenen Uranvorkommen.

Der Abbau von Uran ist mit erheblichen Risiken sowohl für die im Uranbergbau beschäftigten Arbeiter als auch für die Umwelt behaftet. Die Herstellung von Uran aus Erz ist ein komplexer Vorgang, denn das Uranerz der DDR hat durchschnittlich einen Uranoxidgehalt von nur 0,05 bis 0,2 % (anderswo 0,04 bis 1%). Nach der geologischen Erkundung wird das Uranerz abgebaut, vor Ort vorbehandelt (also zerbrochen und zermahlen) und durch Laugung aufbereitet. Die hierbei entstehende uranhaltige Lösung wird gereinigt, konzentriert und schließlich durch einen chemischen Vorgang ausgefällt. Das hierbei entstehende Endprodukt (wegen seiner Farbe "yellow cake" genannt) wird in Fässer abgefüllt und per Eisenbahn verschickt. Eine weitergehende Verarbeitung des Uran findet in der DDR nicht statt.

Wie man sich leicht denken kann, entstehen beim Uranabbau zahlreiche schwerwiegende Umweltprobleme. Dies fängt schon beim Abbau untertage an: die Arbeiter dort atmen ständig radioaktive Stäube und Gase ein, die sämtliche Zerfallsprodukte des Urans enthalten. Obwohl die radioaktive Belastung durch Einführung des Naßbohrverfahrens und eine bessere Grubenbelüftung reduziert wurde, ist sie noch erheblich. Über die Grubenbelüftung wird nicht nur das radioaktive Radon-222 in die Umwelt gebracht, sondern oft werden auch Stäube abgeleitet. Die Abluftschächte des Belüftungssystems liegen oft mitten auf landwirtschaftlichen Nutzflächen.

Schlimm sind die Verhältnisse für die Bergarbeiter. Wurden sie zunächst mit äußerst hohen Löhnen und zahlreichen anderen Vergünstigungen zur SDAG Wismut gelockt (z.B. eigene, gut bestückte und nur für Wismutarbeiter zugängliche Geschäfte, besondere Prämien, längerer Urlaub, kürzere Wartezeiten auf Autos und Wohnungen, eigene gute Krankenversorgung etc.), so sind sie härtester Arbeit in unmenschlicher Umgebung ausgesetzt. Über die Strahlengefährdung werden sie nur unzureichend aufgeklärt. Zumeist sind es nur Gerüchte, die bis zu ihnen vordringen - so werden neue Arbeiter von Kollegen darauf hingewiesen, dass, falls sie einen Kinderwunsch haben, sie sich in den "nächsten paar Jahren darum kümmern" sollten. Untersuchungen von anderen Orten zeigen, dass 45 % der Uranbergarbeiter "eingeschränkt fruchtbar" sind. Der Rest, 55 %, ist "unfruchtbar".

Die meisten dieser Arbeiter können die verlockende hohe Rente nicht in Anspruch nehmen, sie sterben vorher. Besonders häufig werden Lungenkrebs, Kehlkopfkrebs, Leukämie (Blutkrebs), Hodenkrebs und Impotenz festgestellt. Kinder von Uranbergarbeitern haben besonders häufig angeborene geistige und körperliche Behinderungen. Ständige Müdigkeit, vorzeitige Alterung und Haarausfall sind weitere Folgen für diese mit Radioaktivität hoch belasteten Personen, die über die Ursachen im Ungewissen gelassen werden (s. Extrakasten weiter unten).

Auch eine ganz besondere "Bevorzugung" macht den Bergarbeitern arg zu schaffen: ihre harte Arbeit wird traditionell mit billigem, unversteuertem Schnaps "belohnt". Von der SDAG Wismut sogar noch gefördert, bekommen die Bergleute zum Spottpreis von 1,12 Mark monatlich bis zu zehn Flaschen Trinkbranntwein. Die Bergleute nennen den 32prozentigen Schnaps schlicht "Kumpeltod". Der Alkoholismus wird von Wismut gezielt gefördert, man belügt die Arbeiter sogar und behauptet, der Schnaps würde gegen ihre "Staublunge" wirken.

Aber nicht nur die Kumpel sind extrem gefährdet. Auch die gesamte Umwelt leidet unter dem Uranbergbau. Bei der Auslaugung des Urans aus dem Erz mittels Schwefelsäure versickern uranhaltige Lösungen im Erdreich und landen früher oder später im Grundwasser. Es ist technisch nicht möglich, alles Uran aus dem Erz zu lösen. Vor allen Dingen in den 50er und 60er Jahren wurden außerdem große Mengen Erz auf Halde geschüttet, die nach damaliger Ansicht "minderwertig" waren, weil sie einen zu geringen Anteil an Uranoxid enthielten. Diese Halden, wie auch der heute hinzukommende uranhaltige Abraum, sind also schwachradioaktive Abfälle. Die überall in der Region anzutreffenden, 80 bis 100 Meter hohen Halden sind für jeden zugänglich. Kein Zaun, der vor Zutritt schützt, kein Warnschild weist auf die Radioaktivität hin. Zum Teil stehen Wohnhäuser direkt an den Halden, Kleingärten werden betrieben, Obstbäume locken mit Früchten, Kinder spielen auf der Erde.

Die Halden sind kaum mit Erdreich bedeckt worden, so dass an trockenen und windigen Tagen der Strahlenstaub frei umherweht. Die Umgebung der Halden ist mit grauem Staub bedeckt.

Mittlerweile geht man dazu über, den vorhandenen geringen Urangehalt dieser Halden zu nutzen. Zum Teil werden sie abgetragen um dann gelaugt zu werden. Teilweise wird dies jedoch auch so gemacht, dass verdünnte Schwefelsäure in freier Umwelt auf die Haldenberge "verregnet" wird. Am Fuß der Halden fängt man in mit Plastikfolien ausgelegten Gräben die saure Uranlösung auf. Sicher nur zum Teil, der Rest versickert in der Erde.

Bis zum Jahre 1980 wurde das Haldenmaterial auch als Baumaterial für Straßen und Plätze sowie für Fundamente und Fußböden von Häusern verwendet.

Zufällig wurde entdeckt, dass auf den kleinen erdbedeckten Zonen der Halden besonders gut Pilze wachsen. Diese dort gezogenen Pilze werden dann auch schon mal im Restaurant nebenan verwendet.

Es wird geschätzt, dass, zudem durch Grubenabwässer, täglich mehrere Kilogramm Uran durch das Flüsschen Wispe abfließen und über Weiße Elster und Saale schließlich in der Elbe landen.

Beim nächsten Arbeitsgang der Erzaufbereitung werden die uranhaltigen Lösungen abgetrennt - wobei pro Tonne Erz eine Tonne Rückstandsschlamm verbleibt. Auch dieser ist natürlich noch schwach radioaktiv, denn restlos lässt sich nicht alles Uran heraustrennen. Der Rückstandsschlamm wird in ein großes Absetzbecken geleitet (neun Kilometer Umfang). Bis vor ein paar Jahren war dieses Absetzbecken noch nicht einmal eingezäunt. Im Sommer, wenn es länger trocken war, kann es vorkommen, dass dieses Becken austrocknet. Sobald es windig wird verwirbelt der dort entstehende, extrem feine Staub zu riesigen radioaktiven Staubwolken.

Es ließen sich noch eine riesige Anzahl von einzelnen Umweltskandalen in Zusammenhang mit dem Uranbergbau in der DDR aufführen. Wir sollten uns in Erinnerung zurückrufen: Uran wird benötigt für Atomkraftwerke und Atomwaffen - fürwahr bedrohliche Ausgeburten des menschlichen Geistes. Im Interesse der Welt wird es höchste Zeit, dass das Uran in der Erde bleibt, in der DDR und anderswo. Schon allein das Abbauen von Uran ist in jeder Hinsicht menschenverachtend.

Das Fußballteam von Wismut Aue jedenfalls befindet sich derzeit im Abstiegskampf der obersten DDR-Liga. Sollte es absteigen, wäre es ebenso wie die Mannschaften von "Wismut" Gera und Kernkraftwerk Greifswald in der 2. Liga der DDR. Auch mit der Atomwirtschaft - so bleibt zu wünschen - sollte es abwärts gehen. Je schneller, desto besser!

(Die Angaben basieren auf eigenem Anschauen und, zum größten Teil, der Studie "Pechblende - Der Uranbergbau in der DDR und seine Folgen" des Autors Michael Beleites entnommen. Herausgegeben wurde diese, aufgrund der Geheimhaltungsmaßnahmen der SDAG Wismut unter schwierigsten Bedingungen erstellte, umfassende Studie vom Kirchlichen Forschungsheim Wittenberg und dem Arbeitskreis "Ärzte für den Frieden - Berlin" im März 1988)

 

Der Sohn eines betroffenen Bergarbeiters schreibt 1988:

"Mit 20 hat mein Vater bei der Wismut angefangen. Das war 1950. Damals wurde noch trocken gebohrt. In Schlema ist er eingefahren. Gelockt hat das Geld und die größeren Lebensmittelrationen. Er kam 1945 mit seiner Mutter aus Schlesien. Gewusst hat er nichts von der Strahlengefahr. Woher auch. Die's wussten, haben den Arbeitern nichts gesagt. Von Strahlung hat mein Vater nie etwas erzählt. Peckblendensteinchen standen bei uns auf der Fernsehtruhe. Hat schön geglitzert. 1963 wurde bei meinem Vater 30% Silikose festgestellt. Wäre er noch zwei Jahre länger unter Tage geblieben, hätte er die Bergmannsrente bekommen. Jetzt kamen ihm die Ärzte mit Arbeitsschutz und 150 Mark pro Monat, so 'ne Art Entschädigung. Alle zwei Jahre fuhr er zur Kur. Jedesmal kam er mit höheren Silikosewerten nach Hause. Immer öfter lag er dann im Krankenhaus. Er hat so viele Kumpels, die am Anfang mit eingefahren sind, dort getroffen. Die starben wie die Fliegen. Keiner wurde älter als 55. Mit 54 musste Vater in die Lungenheilstätte eingewiesen werden. Dort haben sie Gewebsproben entnommen, zwei, drei mal. Das muss wahnsinnig schmerzhaft gewesen sein. Von Strahlung und Krebs haben die Ärzte nichts gesagt, auch nicht zu meiner Mutter. Verschwartungen der Silikose hat's geheißen. Dann radiologische Klinik - 50 Kobaltbestrahlungen, Fieber, Massen von Medikamenten. Ich kann nicht vergessen, wie er allein und ratlos und ohne Hoffnung in dem kahlen Krankenzimmer saß. Er hat nur noch mit dem Kopf geschüttelt. Wenigstens das Ende wollte er selbst bestimmen. Er hat zu viele Kumpels verrecken sehen. Mein Vater hat sich aus dem Fenster gestürzt, 10. Stock. Er hat nichts gewusst, nichts von Strahlung. Fast zum Schluss hat dann ein Arzt zu meiner Mutter gesagt, dass es Lungenkrebs war."

(aus einem persönlichen Brief an den Verfasser der Studie "Pechblende", hier zitiert aus eben dieser Studie).

 

(Der Text wurde so veröffentlicht im "ROBIN WOOD-Magazin" Nr. 24/1.90)

 

Anmerkungen Sommer 2005: Auch heute noch gebührt mein ganzer Respekt und meine Hochachtung den Menschen, die unter den heute kaum noch vorstellbaren Verhältnissen und massiven Repressionen diese Studie erstellten, namentlich Michael Beleites muss man da wohl nennen!

Mein Respekt und auch mein Mitgefühl gilt den Opfern des Uranabbaus: den Arbeitern und Anwohnern der Region - die systematisch verdummt wurden. Als ich im Frühjahr 1989 einmal in der Region um Ronneburg war, notierte ich mir voller Schaudern nur einen Gedanken: "Hier ist die Apokalypse zu Hause!" Ich konnte mir kaum vorstellen, wie die Menschen es aushielten, hier zu leben... Nur am Rande sei erwähnt, dass ich auf der gleichen Reise einen ähnlichen Eindruck z.B. von der Anlage zur Braunkohleverschwelung in Espenhain mitnahm (siehe gesonderten Erlebnisbericht "Eine Mark für Espenhain" von 1989)

Wie ging - und geht - es weiter mit der SDAG Wismut?

Nach der deutschen Vereinigung wurde der Uranabbau zum 31. Dezember 1990 eingestellt. In den Jahren des Uranbergbaus wurden 231.000 Tonnen Uran abgebaut, die DDR war damit nach den USA und Kanada der drittgrößte Uranproduzent der Welt! 45.000 beschäftigte umfasste die Stammbelegschaft.

In der Folge wurde ein deutsches Staatsunternehmen gegründet, dass sich mit der Sanierung des Gebietes befasst, wie heißt es auf deren Homepage so schön und wahr: "Die Sanierung der großflächig radioaktiv kontaminierten Altlasten in Sachsen und Thüringen stellt eine der größten ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen im wieder vereinten Deutschland dar."

Der Gipfel der Idiotie jedoch: man war sich im vereinigten Deutschland nicht zu blöde, den Namen "Wismut" - ehemals allein aus Täuschungsgründen gewählt - weiterzuführen. Der Sanierungsbetrieb, der über 1000 (!) Einzelprojekte durchführt, trägt heute den Namen Wismut GmbH. Die Homepage der Firma (s. Links) ist durchaus interessant und empfehlenswert! Wobei: Angaben über die Gesamtkosten konnte ich leider nicht finden. Sicherlich sind es zig Milliarden, die die DDR dem gesamten Deutschland hinterlassen hat.

Die 64seitige Studie "Pechblende - Der Uranbergbau in der DDR und seine Folgen" braucht man heute nicht mehr mit feuchten Händen, klopfendem Herzen und in der Unterhose versteckt an Grenzorganen vorbei zu schmuggeln (wie ich bereits im Herbst 1988...) - man kann sie sich komfortabel als pdf-Datei im Internet downloaden (s. Links - höchst empfehlenswert!)...

Den Fußballverein Wismut Aue gibt es nach wie vor - wenn auch unter verändertem Namen: FC Erzgebirge Aue. Sicher sinnvoll - schließlich ist man ja auch keine Betriebssportgemeinschaft mehr. Die Trikotfarbe lila behielt man, auf der Homepage ist noch das alte Wismut-Logo zu bewundern. Bis auf den VfB Stuttgart hat der Verein übrigens alle eingangs erwähnten Vereine hinter sich gelassen, zum Teil gleich um mehrere Klassen! Im Frühjahr 2005 klopfte man erstmals und energisch an das Tor zur Fußball-Bundesliga, scheiterte jedoch letztlich jedoch deutlich. Na dann: Glück auf!

 


Reaktionen auf den Text per eMail:


"Vielen Dank, für diesen nüchternen, bezeichnenden Bericht über den Uranbergbau in meinem Heimatland. Wenn jeder so nüchtern und sachlich darstellen würde, würde aus dem Beitritt vielleicht wirklich noch eine Vereinigung.
Ich erinnere mich an eine „Wandzeitung" im Stahlwerk Hennigsdorf. Auf dieser waren dutzende Etiketten von Spirituosen zu sehen. Unter anderem auch das des „Wismut-Branntweins". Ich staunte über den Preis. Nun kenne ich auch „offiziell" den Grund – Suizidhilfe. Mir ist ein wenig schlecht.
Als ehemaliger „Atomkraftfreund" hatte ich 1999 ein Gespräch mit einem französischen(!) Kampfpiloten, der wörtlich sagte: "Atomkraft ist ein Flugzeug, für das es noch keine Landebahn gibt." Ich glaube, diesen „Umschalter" hatte ich nötig.
Ihnen alles Gute"

(T.G.)
(21.1.2009)


 

 


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