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Für den heutigen Tag eine typische Strecke: Auf einer guten Asphalt-Strecke geht es durch den Wald, hier in der Nähe von Beelitz-Heilstätten.
Samstag 12. Oktober 2012, Bad Belzig
Wetter: Wolkenlos blauer Himmel, kalt, wenig Wind.
Wir sind in Bad Belzig - tja... Da man in unserer Unterkunft in der Nähe des Bahnhofs, wie schon tags zuvor angekündigt, ja keine Lust darauf hat, uns (also meiner radelnden Liebsten und mir) ein Frühstück anzubieten, müssen wir uns in der 11.000-Einwohner-Stadt erstmal selber auf die Suche nach einem Frühstück begeben. Man könne ja schließlich irgendwo in der Stadt bei einem Bäcker günstig frühstücken, teilt man uns immerhin noch mit beim Auschecken in unserer Unterkunft. Und Tatsache: Im Zentrum finden wir einen Bäcker, der uns, recht lustlos zwar, aber doch, ein sehr günstiges Frühstück bereitstellt. Über alles betrachtet fühlen wir uns in Bad Belzig allerdings eher als lästige Bittsteller.
Samstag morgens ruht Bad Belzig noch sehr in sich, als wir auf diesem Radweg auf dem Europa-Radweg R1 die Stadt verlassen.
Wenn man auf diese Weise, also mit ausgedehnten Strecken-radtouren, immer wieder durch Deutschland reist, dann lernt man ziemlich schnell, Städte einzuschätzen. Unser Gesamturteil über Bad Belzig: Ein Kaff, unfreundlich. Um genau 9:00 Uhr flüchten wir dann auch, sind wieder auf unserer Strecke, der Europa-Radroute R1. Unser heutiges Ziel ist ganz klar, und auch von der Entfernung her gar kein Problem: Potsdam.
Aber erstmal können wir es kaum glauben: Nachdem es am Abend zuvor bei unserer Ankunft in Bad Belzig noch wie aus Kübeln geschüttet hatte, hat jetzt wieder eine Hochdruck-Wetterlage Einzug gehalten: Es empfängt uns heute ein makelloser, wolkenfreier, tiefblauer Himmel. Ebenso ist es wieder knacke-kalt an diesem Morgen. Aber gegen Kälte kann man sich gut wappnen auf dem Fahrrad, man tritt sich mit der Zeit ja auch warm. Es sind also perfekte Bedingungen zu radeln, an diesem Samstagmorgen im Oktober, eine wahre Freude! Auch die Wegbeschaffenheit tut dieser Freude zunächst kaum einmal Abbruch - nur in einigen Ortschaften treffen wir wieder auf das uns bekannte und mittlerweile ungeliebte grobe Kopfsteinpflaster. Da muss man sich dann mit seinem Gepäck auf den Rädern halt etwas durchlavieren.
Der Radweg R1 in der Nähe der Ortschaft Baitz.
Aber insgesamt ist die Strecke gut. Zügig lassen wir Schwanebeck mit seinem groben Kopfsteinpflaster und danach den Ort Baitz hinter uns. Immer wieder kommt man in den Genuss, auf einer Fahrradstraße zu fahren. Als Hamburger Radfahrer kennt man so etwas ja eher nicht - es gibt in Hamburg nur zwei Straßen mit insgesamt ca. 300 Meter Länge als Fahrradstraße. Kleine Anekdote am Rande: Vor ein paar Jahren hatte ich auf einer Messe mal eine gute Gelegenheit zum Anlass genommen, einen Polizisten der Hamburger Fahrradstaffel (!) zu fragen, was an einer Fahrradstraße eigentlich besonders und anders sei. Es war ihm unangenehm, aber er hatte überhaupt keine Ahnung, wovon ich überhaupt rede - Fahrradstraßen? Wie jetzt - "Fahrradstraßen"? Also musste er seinen Vorgesetzten nebenan befragen - der es auch nicht besser wusste und nur meinte, dort sei alles ganz genauso, wie auf allen anderen Straßen auch. Darum hier Aufklärung für die beiden, und auch alle andere: Auf einer Fahrradstraße haben Fahrradfahrer Vorrang (nicht Vorfahrt), dürfen z.B. gemütlich nebeneinander fahren und nicht durch Autos behindert werden. Autofahrer sind GÄSTE auf einer Fahrradstraße - auch, wenn das den deutschen Platzhirschen noch ungewöhnlich und unvorstellbar erscheint.
Hier, ein Stück vor Trebitz, wird sogar der asphaltierte Radweg durch einen Zaun geschützt vor motorisierten Fahrzeugen und Landmaschinen.
Wie schon am Abend zuvor, genießen wir auch heute wieder die branden-burgische Radweg-Baukunst. So gibt es wieder auf einem längeren Waldstück einen schönen, völlig ebenen asphaltierten Radweg, der sogar durch einen Zaun zu dem begleitenden, breiteren Feldweg abgetrennt ist. Keine Frage: In Sachsen-Anhalt (wo wir ja bis gestern Abend unterwegs waren) wären wir auf dieser Strecke auf den zum Teil sandigen, zum Teil steinigen, in jedem Falle hoppeligen Waldweg geschickt worden.
Eine Säule, die in verschiedenen Sprachen das Wort "Frieden" zeigt, steht neben einem Rastplatz am Radweg.
Einen ersten Stopp von ein paar Minuten gibt es in der Ortschaft Trebitz, Gemeindeteil von Brück. Liebevoll hat man sich dort darum bemüht, für ein paar Attraktionen zu sorgen. Ein Wanderweg "klein Venedig" in einem Naherholungs-gebiet an dem Flüsschen Plane lädt ein, eine Friedenssäule sorgt für Nach-denklichkeit. Oft merkt man es auch als Durchreisender schnell, wenn es in Ortschaften Personen gibt, die sich für ihre Orte engagieren und sich Mühe geben - was solche Ort liebenswert macht.
Weiter geht es, wieder durch ein Waldgebiet - immer noch nicht gerade mein Liebstes. Aber immerhin sind die Wege selber so, dass es Spaß bringt, sie zu befahren. Wir kommen richtig zügig voran. Wollen wir das heute eigentlich?
Mitten in der 4000-Einwohner-Stadt Brück.
Doch dann, gegen 10:30, ist es wieder soweit: Getreu dem Motto, dass kein Bäcker vor unserem Besuch sicher ist, entern wir eine Bäckerei in der Stadt Brück - schließlich muss man Gelegenheiten ja nutzen, wenn sie sich einem anbieten. Es bleibt einfach dabei: Das aller-allerschönste an einer Radtour sind die Pausen! Also: Zwei Kaffee, ein Stück Kuchen für uns beide, bitte. Die Dame hinter dem Tresen schaut uns etwas missmutig an. Der Kuchen ist etwas dröge. Beim Verlassen der Bäckerei eine Viertelstunde später sehe ich einen möglichen Grund für ihren Missmut: Die Bäckerei schließt am Samstag um 11 Uhr (!) - sie ist also womöglich schon auf Feierabend eingestellt. Wieder mal: Was für ein Unterschied zum heimatlichen Hamburg, dort ist an einem Samstag der Zulauf bei den Bäckereien um 11 Uhr gerade erst so richtig groß - und natürlich schließt man erst um 18 Uhr, nach dem Geschäft mit dem Kuchen.
Da kommt ein wenig DDR-Feeling auf: Charakteristische Plattenbauten - und eine historische Laterne.
Weiter geht's - auf einem Radweg neben der Bundesstraße, die derzeit wenig befahren wird. Etwas sonderbar kommt der Ort Brück-Ausbau daher: Eine Ansammlung von vier- und fünfgeschossigen Plattenbauten, irgendwo im nirgendwo. Zwischen den Mietshäusern ein paar Garagen. Sonst gibt es in Brück-Ausbau nichts, naja, fast nichts. Sozusagen eine zum Dorf Brück gehörende, ausgelagerte Schlafsiedlung. Sehr sonderbar!
Gibt es wirklich viele Autofahrer, die der Ansicht sind, ein solches Schild, wie hier in Borkheide, verbietet das Fahrradfahren ausdrücklich?
Um 11:16 Uhr dann kommt es in der Ortschaft Borkheide dann fast zu einer Eskalation. Und es zeigt sich: Nicht nur Hamburger Fahrradpolizisten haben keine Ahnung von Verkehrsregeln - auch Normal-Autofahrern geht es selbst-verständlich so. Immerhin jedoch bleibt dies unsere einzige ernsthafte Konfrontation mit einem Autofahrer auf der gesamten Radtour auf dem Europa-Radweg R1. Und, zugegeben: Zunächst stellen wir uns ungeschickt an einer Abzweigung an, vor allem, weil wir etwas unsicher sind, ob wir vor der geschlossenen Schranke abbiegen müssen, oder nicht. Wir stellen in der Tat einen Moment lang ein Verkehrshindernis dar, trollen uns aber umgehend. Ein Autofahrer muss für einen Moment vom Gas gehen, verliert dadurch ca. 1-1,5 Sekunden auf seiner Fahrt. Er nimmt dies zum Anlass, anzuhalten und uns aus dem Fenster heraus extrem aggressiv anzubrüllen. Bereitwillig verzichtet er auch auf die nächsten 50 Sekunden seines Weges, beschimpft uns herzlich, übel und unflätig. Will uns zudem allen Ernstes erzählen, nein: entgegenschleudern, dass man als Radfahrer auf der gerade beginnenden Fahrradstraße nicht fahren dürfe! Diese Fahrradstraße mit dem Zusatzschild "Anlieger frei" würde bedeuten, dass hier nur Autos fahren dürften und Radfahrer hier nichts zu suchen hätten, Durchfahrt verboten. Das ist ja nun nicht dümmer, als die Polizei (erlaubt). Wir sollten uns hier verpissen. Meine fünfte oder sechste Aufforderung doch endlich weiterzufahren, nimmt er dann endlich wahr. Puuh! Immerhin: Der Ahnungslose hat einmal in seinem Leben Glück gehabt: Bei der offenbar Blind-Verlosung der Brandenburger Führerscheine. Aber das ist eben auch so ein Mensch, der in seinem Auto etwa so gefährlich ist, wie eine geladene Waffe. Es wird spürbar: Wir kommen immer näher an Berlin heran - es wird rotziger um uns herum. Was das Autofahren betrifft, ist Deutschland ganz allgemein schon ein ziemlich verrücktes und abgedrehtes Land!
Und diese Ruine ist dann der fast einzige Eindruck, den der Ortsteil Beelitz-Heilstätten auf uns macht, als wir aus dem Wald kommen und direkt danach wieder in den Wald abknicken.
Mit diesem Adrenalinschub radelt es sich dann allerdings nochmal so gut. Weiter geht es - durch den Wald, links Kiefern, rechts Kiefern - durch den Wald, links Kiefern, rechts Birken, dahinter Bahngleise - durch den Wald, links Kiefern, rechts Kiefern, dahinter Bahngleise. Meine mich begleitende Liebste liebt ja Waldwege, ich aber leide dort immer sehr, will einfach mehr von der Gegend sehen, als nur Bäume. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommen wir in den Ort Beelitz-Heilstätten - eigentlich sehen wir nur ein paar Häuser. Und eine Ruine. Dann biegt der Weg wieder ab in den Wald.
Langsam allerdings wird es ernst: Wir geraten in den Randbereich des Berliner/Potsdamer Ballungsgebietes. Mit der Beschilderung haben wir heute, anders als auf ein paar anderen Etappen bisher, überhaupt kein Problem. Die Beschilderung ist sorgsam und gepflegt. Etwas ratlos stehen wird dann aber doch vor einem Schild, an dem nach links Potsdam 26 km und Ferch 8,4 km ausgeschildert, markiert mit dem aktuellen Symbol für den Euroradweg R1 und der Deutschen Radnetz Route D3. Ein anderes Schild weist ebenfalls nach links: Potsdam 21 km und Ferch 10 km und ist markiert mit dem alten Symbol des Radweges R1. Da fragt man sich dann ja doch schon, was einem diese Beschilderung wohl sagen soll? Aber das ist ja nur ein Beispiel - es gibt noch drastischere Fälle von sonderbarer Beschilderung, wo man nur mit gesundem Menschenverstand und guten Karten weiter kommt. Aber, egal, wir biegen also ab nach links, in den Wald.
Immer weiter geht es durch den Wald, durch einen kleinen Tunnel hindurch, jetzt sind die Bahngleise auf der linken Seite. Super, das bringt ja mal etwas Abwechslung. Immerhin sind alle Wege super asphaltiert. Auf einer großen Brücke geht es über eine riesige Autobahn - die A9. Es ist Samstag Mittag gegen 12 Uhr - und die an dieser Stelle achtspurige Autobahn ist ziemlich voll. Ob das den Fahrern auch nur halb so viel Freude bereitet, wie uns das Radeln heute? Wenn es nach mir ginge, könnten wir noch Wochen und Monate so weiterradeln, bei diesen Bedingungen. Aber leider ruft die Arbeit in der kommenden Woche wieder, so, dass heute definitiv der letzte Tag unserer Tour ist. Mist! Da werde ich richtig melancholisch, eigentlich könnte ich heulen...
Viele, viele Kilometer geht es heute durch den Brandenburger Wald.
Da waren wohl Vandalen am Werk: Das Informationsschild zum Schwielowsee ist in arge Mitleidenschaft gezogen worden: Die Verankerung umgekippt, aus der Halterung entfernt, mit Feuer malträtiert.
Ein kurzer Stopp an einem der schönen Rastplätze in Brandenburg am R1. Mit Bestürzung sehen wir, dass die hier ursprünglich platzierte Infotafel über den Schwielowsee, offenbar von idiotischen Jugendlichen, mitsamt ihrer massiven Verankerung umgekippt worden ist (es muss eine irre Plackerei gewesen sein, sie umzustürzen) und man versucht hat, sie mittels eines Feuers zu zerstören. Letzteres gelang zwar glücklicherweise nicht wirklich - aber doch ist es auf der gesamten Strecke der allererste drastische Fall von Vandalismus, den wir an den tollen Infotafeln des Europa Radwegs R1 wahrnehmen können. Immer mehr Großstadt liegt in der Luft, die Verrohung nimmt zu.
Wieder könnte ich heulen: Die Radtour geht zu Ende, der Urlaub geht zu Ende, bisher war das weitaus meiste auf unserer Tour richtig toll (Ausnahmen bestätigen diese Regel). Aber nun kommt wieder Großstadt. Niemals finde ich Großstadt so entsetzlich, wie direkt nach einem solchen Urlaub auf dem Fahrrad. Ich spüre die Achtlosigkeit und die Verrohung in Großstädten dann immer fast körperlich.
Auf einer Brücke geht es über den an diesem Samstagmittag nicht ganz so stark befahrenen Berliner Ring.
Es geht über die nächste Autobahn, diesmal den Berliner Ring, wieder acht Spuren Autobahn, diesmal nicht ganz so viele Autos. Wir sind jetzt im direkten Einzugsgebiet Berlins. Und kommen nach Ferch. Es ist 12:30 Uhr, eigentlich haben wir nur noch ein vergleichsweise kleines Stück Radweg bis zum Potsdamer Bahnhof und wir stehen in Ferch gerade mal wieder ratlos vor sonderbarer und unverständlicher Beschilderung - da kommt mein Vorschlag gerade richtig, dass wir uns doch einfach ein schönes Plätzchen suchen sollten und eine lange, lange Pause am Schwielowsee machen sollten. Endlich mal den Kiefernwald der letzten 18 km hinter uns lassen!
Wegen einer Baustelle ist der Radweg am Ortsrand der 2000-Einwohner Ortschaft Ferch abgesperrt, aber das schert uns wenig. Und wie von einer höheren Macht geführt oder schlicht der Nase nach gelangen wir an einen kleinen, frei zugänglichen und ruhigen Fleck, an dem ein sehr kluger Mensch eine Bank direkt ins heutige Sonnenlicht platziert hat. Der pralle Sonnenschein erlaubt es heute problemlos, sich auf der Bank für eine längere Zeit niederzulassen. Die Schönheit des Ortes direkt am Schwielowsee und die Schönheit des Moments ist geradezu rührend.
Ohne zu suchen, kommen wir zufällig an diesen schönen Platz für eine Pause am Schwielowsee.
Blick über den Schwielowsee von der Ortschaft Ferch aus. Auf dem Bild nicht zu erkennen, aber oberhalb des Bootes kann man in der Ferne einzelne Türme von Potsdam erkennen - unser Ziel der gesamten Radtour ist damit vor Augen.
Auf der anderen Seite des Sees sind über Baumwipfeln die ersten Türme von Potsdam zu sehen. Das Ende unserer gesamten Tour haben wir also vor Augen. Aber allein für diesen einerseits magischen, andererseits wehmütigen Moment hier am Schwielowsee hat sich eigentlich die ganze Radtour über die bis jetzt rund 700 km auf dem R1 gelohnt. Andererseits ist dieser Moment auch nur durch die lange Radtour so wunderbar. Ja - Glück muss man sich zuweilen auch verdienen.
Idyllisch gelegen, aber direkt neben einer stark befahrenen Straße: Der R1-Radweg ein Stückchen hinter Ferch.
Viel Wasser, viele Straßen, viele Autos: Wir kommen Potsdam langsam aber sicher näher.
Wir spüren wieder deutlich, dass wir der Stadt näher kommen: Der Radweg verläuft eine ganze Weile begleitend zu einer Straße - und die wird immer größer und immer stärker befahren. Kurz vor Geltow geht es dann wieder weg von der Straße, man fährt eine Weile direkt am Ufer des Templiner Sees entlang. Die Seenlandschaft rund um Potsdam ist einfach sensationell schön! Der Weg ist durchaus idyllisch, aber auch hier fällt uns auf, dass die Fußgänger mit der Zeit immer zahlreicher werden. Ach je...
Inzwischen begleiten uns ein paar Schönwetterwolken: Blick von Geltow aus über Havel und Schwielowsee.
Hinter Geltow verläuft der Europa-Radweg R1 mitten über einen Campingplatz.
Der R1 verläuft mitten durch einen Campingplatz und als wir am "Bundesstützpunkt Rudern" vorbei kommen, wissen wir: Wir sind in Potsdam! Und wir kennen es schon von anderen Radtouren: Das Ende einer Radtour zögern wir hinaus, unbewusst zwar, aber doch, immer wieder. Hier nochmal kurz stehenbleiben, dort nochmal einen Stopp, nochmal ein Blick auf die Karte (obwohl man das Ziel ja schon sieht), etwas trinken und nochmal eine Birne aus dem (vor drei Tagen vom Weg aufgelesenen) Proviant und dann noch mal ein Päuschen weil der Hintern so zwickt (aber eigentlich vielmehr das Herz schwer wird).
Auf dem Radweg direkt am Ufer des Templiner Sees erreichen wir die Brandenburger Vorstadt von Potsdam.
Und dann sind wir im Zentrum von Potsdam angekommen - hier, an der Breiten Straße, nicht gerade anheimelnd.
Und doch: Jede Radtour hat ein Ende! Auch diese. Nun ist uns beiden komisch ambivalent zumute. Irgendwie sind wir beide froh uns stolz, diese enorme Strecke zurückgelegt zu haben - und gleichzeitig sind wir beide unendlich traurig, dass die Tour jetzt aufhört. Offenbar ist auch mein GPS-Logger etwas traurig-irritiert: Er stellt seine Tätigkeit am Ortsrand von Potsdam ein. So fehlen mir ein paar Kilometer auf dem Log unserer Radtour - aber das ist ja zu verschmerzen.
Noch ein paar Kilometer geht es durch die Stadt Potsdam, den Weg zum Hauptbahnhof kennen wir noch von einem früheren Aufenthalt. Danach war es das dann mit der Radtour. Es geht jetzt mit der S-Bahn weiter. S-Bahn-Fahren mit voll beladenen Rädern bringt meistens keinen Spaß - schon gar nicht, nachdem man sich seit Tagen fast nur draußen im Grünen (und manchmal ja auch Nassen) aufgehalten hat. Aber Radfahren in einer solch enormen Stadt wir Potsdam/Berlin bringt noch weniger Spaß. Wir wissen das, aber das Wissen schützt nicht vor dem Gefühl der Traurigkeit.
Und genau hier steigen wir dann für unsere diesjährige Herbst-Radtour endgültig von den Rädern: Am Potsdamer Hauptbahnhof. Ganz toll allerdings: Viele Fahrräder stehen uns Spalier auf unserem Weg in den Bahnhof hinein.
Ein wenig traurig fühlt man sich schon, wenn man eine lange Radtour so enden lässt: Eines unserer Räder in der Berliner S-Bahn.
Nach dem Aussteigen aus der Bahn am anderen Ende von Berlin und noch ein paar Kilometern Radfahrt zur heutigen privaten Unterkunft (diese rund fünf Kilometer lustigerweise auch auf dem Radweg R1!), stellt sich uns dann noch einmal ein Bäcker in den Weg, genau die richtige Seelennahrung für den etwas melancholischen Moment - herzlichen Dank dafür.
Heute sind wir dann insgesamt 73,8 km Strecke mit einer Fahrzeit von 4 Stunden 3 Minuten gefahren, also 18,5 km/h im Schnitt, maximal 38 km/h - durchaus flott für eine Streckentour von uns. Das muss an den zumeist großartigen Radwegen liegen. Insgesamt haben wir auf dem Europa-Radweg R1 auf dieser Tour 739,1 km zurück gelegt - plus die 60,9 km beim Münsterland Giro vor dem Beginn der Tour. Sehr lustig: Wenn Sie beides zusammenrechnen, dann haben wir insgesamt 800,0 km Fahrrad gefahren auf der Tour.
Nach all dem ist es an der Zeit, ein kleines Fazit zu ziehen...
In Verbindung mit anderen, schon zurückliegenden Touren haben wir den Europa Radweg R1 jetzt von Dahlheim bis nach Kostrzyn in Polen gefahren. Und in Verbindung mit der im letzten Jahr gefahrenen Vechtetalroute kann ich auch guten Gewissens behaupten, dass ich in mehreren Etappen Deutschland komplett durchquert habe. Auch, wenn das so gar nicht geplant war.
Der R1 schneidet dabei im Vergleich zu anderen Radwegen teilweise nicht besonders gut ab. Es gab unter dem Strich doch zu viele Passagen, die von so minderer Qualität sind, dass sie wirklich genervt haben. Insbesondere Stücke am Teutoburger Wald, fast das gesamte Vorharz-Gebiet in Niedersachsen und auch längere Passagen in Sachsen-Anhalt erscheinen mir für Radfahrer mit Mountainbike oder anderen, gut vollgefederten Räder noch durchaus befahrbar, für Streckenradler mit viel Gepäck jedoch ungeeignet. Z.T. (Vorharz!) dermaßen ungeeignet, dass ich die Streckenführung sowohl vor Ort, als auch beim Schreiben im Nachhinein als Zumutung empfinde.
Allerdings: Es gibt auch die andere Seite auf der Tour, nämlich wunderschöne Strecken und Passagen, bei denen uns förmlich das Herz aufgeht. Das ist zuweilen an Strecken entlang der Flüsse so (Weser, Saale, Bode), aber auch z.B. am Rande des Weserberglands, am östlichen Vorharz, im Biosphärenreservat Mittelelbe bei Dessau und auch am Rande des Teutoburger Waldes gefiel uns die Landschaft so großartig, dass wir immer mal wieder stoppen mussten, um ein wenig von der Schönheit aufsaugen zu können.
Und auch, wenn es auf uns zuweilen wie ein Schock wirkt, nach langen Fahrten in der Landschaft in Städte hinein zu fahren, so haben wir auf dieser Tour doch auch einige Städte kennen- und schätzen gelernt. Nicht immer waren wir uns einig mit unseren Urteilen, welches hin und wieder sicherlich auch etwas voreilig sein mag. Ohne jeden Zweifel und absolut einig jedoch sind wir uns darin, dass uns auf dieser Tour die Städte Münster (kannten wir ja schon aus dem Vorjahr - und es gefiel uns ja so gut, dass wir dieses Jahr unbedingt noch einmal zurückkommen wollten), Warendorf, Einbeck, Bad Gandersheim, Quedlinburg und Lutherstadt Wittenberg besonders gut gefallen haben. Auch Potsdam ist ja eine wahre Perle - aber die Stadt hatten wir schon einmal bei einer früheren Gelegenheit ausführlich erkundet. Diesmal bedeutete sie für uns ja eigentlich nur Stadtverkehr und Abschied vom Urlaub... Nicht zu verachten ist auch die enorme Anzahl an Weltkulturerben auf und an der Strecke, nicht immer haben wir diese ausreichend würdigen können.
Als nächstes würde sich ja eine Fortsetzung unserer R1-Tour anbieten. Nach Westen setzt sich die Route noch fort bis nach Boulogne-sur-Mer in der Nähe von Calais an der französischen Nordseeküste, im Osten geht er weiter bis nach St. Petersburg. Um ehrlich zu sein: Mit einer Fortsetzung der Fahrt gen Osten sind wir skeptisch! In Polen sind wir hin und wieder schon mit dem Rad unterwegs gewesen - und haben gelernt: Das ist "nicht ohne", Autofahrer in Polen können Radfahrer nicht wirklich einschätzen, überholen knapp und schneiden Fahrtwege nach Belieben - oft ziemlich gefährlich. Auch hatten wir in Polen zum Teil mit sehr schlechter und häufig schlicht fehlender Beschilderung zu kämpfen. Ob dies dann noch weiter gen Osten besser wird?
Aber vielleicht führt uns der Weg noch einmal gen Westen. Das erscheint uns durchaus verlockend. Aber: Es gibt ja noch viele, viele andere schöne Möglichkeiten, sich in dem Sattel auszutoben. Nach den grandiosen Erfahrungen auf der Alpenüberquerung in diesem Sommer (s. Bericht hier) würde es uns beide derzeit eher in die hohen Berge ziehen. Es wird sich zeigen, was kommt.
Der exakte Tourenverlauf wird in der (zoombaren) Karte unten der blauen Linie angezeigt. Die letzten paar Kilometer in Potsdam streikte mein GPS-Gerät - es gibt eine Lücke.
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