Reisebericht São Miguel -
  Eine Azoren-Insel mit viel Herz

Reisebericht über einen Aufenthalt auf den Azoren / Portugal im Januar 2014
   mit insgesamt 32 Bildern



Sao Miguel Ausblick Mosteiros

Was für ein Ausblick!

Vom Ausblickspunkt "Miradouro Escalvado" bei der Ortschaft Várzea geht der Blick über einen Felsvorsprung zum Ort Mosteiros am Atlantik. Dass ich diese Aussicht völlig in Ruhe und allein genießen kann, ist wohl meiner Reisezeit im Januar zu verdanken.

 

 

DIE HERZEN DES YVES DECOSTER

Zugegeben, es mutet sicherlich ein wenig absurd an, einen Reisebericht über die Azoren-Insel São Miguel mit einem Künstler zu beginnen. Eigentlich sollte zu Beginn eines solchen Berichtes die großartige Schönheit der Natur gepriesen werden, die tollen Wanderwege gelobt, die netten Ortschaften erwähnt, die angenehme Witterung im Januar, die exotische Lage weitab mitten im Atlantik. Ja, eigentlich sollte man alles das voranstellen in einem solchen Reisebericht! Aber bei mir kommt das eben später...

 

 

 

Für mich sind das kleine "Tüpfelchen auf dem i" in diesem großartigen Urlaub jedoch die liebenswerten Bilder des Belgiers Yves Decoster. Schon in dem Azoren-Reiseführer, den ich mit auf die Insel genommen habe, fand ich einen kleinen Hinweis auf die "Herzen von Yves". Man würde ihnen auf der Insel begegnen, es seien schon 175 Herzen (der Reiseführer, den ich auf die Insel mitnehme, ist ein Jahr alt), die er gemalt habe, auf Häuserwände, auf Mauern, auf Garagentore - wo auch immer. Aber alle nur auf dieser Insel São Miguel, nirgendwo sonst.

In den ersten Tagen meines Urlaubs sehe ich aber kein Herz, war viel in der Natur unterwegs - und fast habe ich die "Herzen des Yves" schon vergessen. Dann ergibt sich eine viertägige Phase, in denen die Wolken so tief hängen, dass eine Wanderung in höher gelegene Gebiete sinnlos ist. Also treibt man sich dann an der Küste herum, kommt durch diverse Ortschaften - und irgendwann nimmt man das erste Herz von "YVES" wahr.

Dem Charme dieses Bildes - ein Herz als Blüte einer Blume, also eine "Herzblume" - auf einer Hauswand bin ich gleich erlegen. Und in der Folgezeit ändert sich meine Sichtweise bei Fahrten auf der Insel (die ich mit Linienbussen unternehme): Immer weniger lasse ich meinen Blick über die meist großartige Gegend schweifen, sondern ich schaue immer mehr auf die Häuserwände. In Porta Delgada gehe ich immer wieder mal durch wechselnde Straßen, die Häuserwände immer im Blick. Neugierig wie ein Kind, auf der Suche nach den gemalten Herzen von Yves. Am vierten wolkenverhangenen Tag mache ich dann einen ausschweifenden Spaziergang von der Ortschaft Porta Delgada über Livramento bis nach Lagoa, nicht nur, aber auch um nach Herz-Bildern Ausschau zu halten. Fast schon absurd - aber, doch, das hat mir richtig Freude bereitet. Und der Zufall will, dass ich sogar an dem Anwesen des Künstlers entlang komme. Und in dessen Umgebung wird man mit besonders zahlreichen Herzen belohnt.

Aber, ach, ist es bitter und schwer zu ertragen für mich, wenn ein Auto den freien Blick und damit das freie Foto auf ein Bild zugeparkt hat! Wie schade, dass vor dem Bild auf einer ganzen Häuserwand in Livramento nun gerade mal ein Trecker parken muss - mit Anhänger auch noch, versteht sich! Immer wieder mal sehe ich aus dem Bus heraus ein Bild von Yves - und weiß dann nicht recht, ob ich mich über die Entdeckung freuen soll, oder doch eher ärgern, dass ich es nicht fotografieren kann? Gerade dieser schöne Wal, ich glaube, es war in São Roque, wäre einen Stopp eigentlich wert gewesen. Merke: Mittlerweile gibt es nicht nur Blumen mit Herzen - auch Tiere zeigen mittlerweile in den Bildern von Yves Herz.

Beinahe hätte ich als Titelbild dieses Reiseberichts das Bild eines der (insgesamt sehr variantenreichen) Herzen ausgewählt: Die Herzen von Yves, das irgendwie liebenswerteste auf dieser liebenswerten Insel. Doch ich habe mich umentschieden - statt des Titelbildes hier, habe ich alle meine "Fundstücke" mit Fotos von Yves Decoster's Herzen in einer kleinen, gesonderten Extra-Bilderserie zusammengestellt.

 

EIN PAAR KLEINE BEGEGNUNGEN AUF SÃO MIGUEL

Eine kleine Szene von der Azoren-Insel São Miguel: Schwer stampfend, hörbar schnaufend und geradezu panisch wirkend kommt der etwas füllige Mann auf dem Wanderweg angerannt. In Gummistiefeln. Auf dem schmalen Pfad, direkt auf mich zu. Er rennt den steilen Weg nach Rocha da Relva hinab, ich gehe ihn hinauf, ähnlich mühsam, wie er - nur eben steil bergauf. Sofort begreife ich die Situation und hebe schon aus 50 Metern Entfernung von dem Läufer meine linke Hand hoch. In ihr halte ich ein Portemonnaie. Dies hatte ich rund 200 Meter zuvor auf dem Weg liegen sehen und aufgelesen. 130 Euro sind darin, ein paar Zettel, nichts wirklich persönliches. Was macht man mit einem solchen Fund in einem fremden Land - wie hier, auf den zu Portugal gehörenden Azoren? Liegen lassen? Mitnehmen und abgeben? Aber wo? Mein Entschluss war schnell gefasst: Ab zur Polizei damit! Ob es in dem Örtchen Relva aber überhaupt eine Polizeiwache gibt? Keine Ahnung! Den Mann, der jetzt in seinen Gummistiefeln auf mich zu rennt, habe ich schon kurz zuvor gesehen. Zeitgleich sind wir in dem kleinen Dorf Rocha da Relva, direkt unten am Atlantik, aufgebrochen, um den Weg die Steilküste 200 Meter nach oben anzutreten. Er ist auf einem Pferd dahergeritten, womit er voraussichtlich schneller als ich sein würde. Also lasse ich ihn voran gehen. Er ist mir allerdings vor allem deshalb aufgefallen, weil er, als einziger auf dem gesamten Weg heute, zum Gruß nicht freundlich gewunken hat oder es einen netten längeren wohlgesonnenen Augenkontakt mit dahingesagten Worten gab, sondern von ihm nur ein sehr knappes, sehr abweisendes Kopfnicken. Fast verächtlich schaut er den Januar-Touristen von oben herab an. Nun steht der gut zehn Jahre jüngere Mann völlig aus der Puste und verschwitzt vor mir, ist irritiert, dass ich offenbar genau den Grund für seine Panik erraten habe. Er ist aber sichtbar erleichtert, seine Geldbörse zurück zu erhalten. Gespannt beobachtete ich, ob er nachschauen wird, ob das nicht unerhebliche Geld noch in dem Portemonnaie stecken würde - aber nein, er tut es nach einem kurzen Zögern nicht. Offenbar ist es ihm unangenehm, den ehrlichen Finder mit Misstrauen zu begegnen. Seine brummelige Art von vorhin ist jetzt allerdings völlig dahingeschmolzen. Statt dessen gehen wir jetzt die restlichen ca. hundert Höhenmeter gemeinsam hinauf. Er betätigt sich dabei als Fremdenführer, zeigt mir kleine Abweichungen vom Weg und dabei einige Dinge und besondere Aussichten, die mir vorhin beim Abstieg auf dem gleichen Weg einfach entgangen sind. Er hat schnell seine Ruhe wiedergefunden, gibt sich Mühe, seine offenbar ganz wenigen Brocken Englisch zusammen zu kramen - die Situation ist einfach irgendwie nett. Oben an der Steilküste wieder angekommen, treffen wir sein Pferd wieder - das völlig nass geschwitzt geduldig auf seinen Besitzer gewartet hat. Als Dank bedrängt mich der Mann, dass ich doch jetzt auf seinem Pferd den weiteren Weg reiten soll. Da dies aber nicht mal einen Sattel trägt, sondern nur mit einer Decke belegt ist, erscheint mir als total ungeübtem Reiter dies aber völlig abwegig und ich lehne so höflich wie nur möglich ab - und wolle doch sowieso gerade in die andere Richtung, gebe ich vor. Der Abschied wird danach etwas knapp und kühl, er ist etwas gekränkt - und ich gehe tatsächlich in die andere Richtung und werde dafür mit neuen, wunderschönen Ausblicken über die Steilküste am Rocha da Relva und den Atlantik belohnt. Außerdem mit T-Shirt-Wetter und einem leichten Sonnenbrand im Gesicht. Im Januar. Azoren eben!

 

Sao Miguel Maia Sonnenuntergang

Traumhafter Blick im Abendlicht auf die Ortschaft Maia! Der Busfahrer stoppte extra, damit die Touristen dieses Foto machen können.

Szenenwechsel: Der Busfahrer des Kleinbusses kriegt die Begeisterung von meiner Begleiterin und mir über die grandiosen Ausblicke während der Fahrt an der Nordküste der Insel São Miguel mit. Schaut uns immer wieder im Rückspiegel an, leicht amüsiert. Als wir dann bei Sonnenunter-gangsstimmung auf den Ort Maia hinabschauen, ist unser "Ah" und "Oh" so groß, dass er uns per Zeichensprache fragt, ob wir vielleicht Fotos machen wollen? Was für eine Frage - na klar wollen wir! 50 Meter weiter steht der Bus dann, wir zwei Touristen springen heraus und machen ein paar Fotos. Flott sind wir aber auch wieder im Bus und weiter geht's. Die paar anderen Insassen - Einheimische - grinsen breit und freundlich. Und freuen sich sichtlich über UNSERE Begeisterung für IHRE Heimat. Ob die hinter dem Bus zum Stehen gekommenen PKW-Insassen sich auch freuen, kann nicht überliefert werden - aber jedenfalls nehmen auch diese die Unterbrechung der Fahrt stoisch gelassen hin, kein Hupen, nix! So ist es auf den Azoren: gelassen, geduldig, freundlich. Bloß keine Hektik! Azoren eben! Ach ja, und überhaupt: Wir sitzen in einem Linienbus - nicht etwa auf einer Touristentour. Zehn Minuten später schlägt der Busfahrer dann auch ohne unser "Ah" und "Oh" von sich aus wieder einen Fotostopp vor, diesmal bei der Ortschaft Porto Formoso. Auch diesen Stopp nutzten wir kurz - aber die anderen Fahrgäste schauten nicht mehr ganz so fröhlich.

 

Szenenwechsel: Der Tag nach meiner Ankunft auf der Insel São Miguel, die Touristen-information im Hauptort Ponta Delgada, wo ich in einem kleinen, unfassbar hellhörigen Altstadt-Hotel untergekommen bin. Mit drei Personen scheint mir die kleine Touri-Info nicht gerade überbesetzt, auch, wenn derzeit im Januar offenbar nicht überquellend viele Touristen auf den Azoren sind. Meine Frage nach Wanderwegen auf der Insel São Miguel scheint jedoch den Nerv des männlichen Beraters getroffen zu haben. Freundlich bietet er mir einen Platz an, fragt nach meinen Hauptinteressen und Fähigkeiten. Er zeigt mir auf einer Karte einige Highlights der Insel-Wanderwege, verschwindet dann an einem Schrank, kommt nach einiger Zeit mit einigen Faltblättern wieder. Aber, nein, meine Erwartungen werden jetzt nicht erfüllt - sondern weit, weit übertroffen: Weder werden mir diese Faltblätter freundlich in die Hand gedrückt, noch eine Karte oder sonst was verkauft. Eine Karte dürfe man mir als staatliche Beratungsstelle nicht verkaufen, die würde ich aber direkt nebenan in dem kleinen Souvenirshop für ein paar Euro bekommen. Die insgesamt sieben Faltblätter erklärt er mir dann, jedes einzelne Stück für Stück, geradezu mit Hingabe. Ach, und diesen Weg sei er auch schon mit seiner Frau und den Kindern gegangen, er sei also sehr leicht zu gehen, trotzdem hätte man vielseitige, tolle Ausblicke und käme hin und wieder durch ein kleines Dorf - und es hätte allen richtig gut gefallen! Bestimmt auch etwas für mich! Schwierig sei jedoch der Startpunkt der Wanderung zu erreichen. Am besten nimmt man den Bus Nr. soundso bis dorthin, nehme dann ein Taxi, das dürfe aber bis zum Startpunkt der Wanderung nicht mehr als acht bis zehn Euro kosten! Insgesamt nimmt seine sehr zugewandte Beratung mehr als eine halbe Stunde in Anspruch. So eine Beratung geht dann doch weit über die daheim gewohnte, freundliche Professionalität hinaus! Ich bedanke mich freundlich und überschwänglich. Tags darauf gehe ich auf dem Weg von der Bushaltestelle zu meinem Hotel bestimmt sichtlich erschöpft nach einer ebenso langen, wie grandiosen Wanderung zum Kratersee "Lagoa do Fogo" (Feuersee - siehe unten) an der Touristeninformation vorbei. Der Zufall will, dass er gerade hinausschaut, als ich hineinluge. Er erkennt mich tatsächlich wieder und winkt fröhlich. Azoren eben!

 

Sao Miguel Lomba da Maia

Mitten in den tief hängenden Wolken zeichnet sich unweit von Lomba da Maia, da vorne bei dem Regenschirm, die nächste nette Begegnung auf einer meiner Wanderungen ab.

Szenenwechsel: Der Start meiner Wanderung vom Dorf Lomba de Maia an den Strand "Praia di Viola" und dann weiter in den Ort Maia missrät etwas. Bei der Busfahrt zum Ort stelle ich fest, dass die Wolken wieder auf ca. 200 m Höhe hängen, der Ort in rund 250 m Höhe verschwindet total in dichtem Nebel, also - in den Wolken. 50 m Sicht ist nicht gerade das, was man sich für eine Wanderung wünscht, aber so ist es hier eben. Zudem nieselt es beständig. Dann steige ich etwas irritiert auch noch eine Bushaltestelle zu früh aus, finde nach etwas Suchen allerdings den Startpunkt der ausgeschilderten Wanderung PR27SMI "Praia da Viola" (die offiziellen Wanderruten der Azoren sind nach einem solchen System markiert - eine kurze Schilderung der Wanderung siehe weiter unten). Dort finde ich dann allerdings keinen Hinweis darauf, in welche Richtung ich denn jetzt eigentlich loslaufen soll - nach ein wenig Hin und Her stelle ich jedoch fest, dass ich genau dahin gehen muss, woher ich durch das zu frühe Aussteigen aus dem Bus gekommen bin. Dann allerdings nach einiger Zeit auf einen Feldweg abbiegen muss. In dem Nebel - bzw. in den Wolken - sehe ich außer ein paar Kühen und der direkten Umgebung nichts weiter. Nach einiger Zeit tauchen vor mir aus dem Nichts im Nebel zwei Männer auf, sie stehen mit Regenschirmen auf dem Weg und unterhalten sich. Als ich näherkomme, werde ich von dem älteren der beiden wie selbstverständlich angesprochen - das bleibt in den abgelegenen Ortschaften eigentlich nie aus. Das exzellente Englisch des Herrn fällt mir auf (das ist bei jüngeren Leuten auf den Azoren durchaus üblich, bei den älteren jedoch nicht unbedingt). Er erklärt ungefragt, dass er früher in Kanada und auf den Bermudas gelebt habe, jetzt aber seit 45 Jahren schon wieder hier sei. Ein launiges Gespräch ergibt sich - einfach mal wieder eine nette Begegnung, wie man sie viele auf den Azoren erleben kann. Selten in dieser Ausführlichkeit, weil oft doch eine gewisse Sprachbarriere da ist. Grundregel jedoch: Je weiter entfernt vom Insel-Hauptort Ponta Delgada entfernt, desto neugieriger und zugewandter werden die Menschen. Wenn man mal in einem abgelegenen Dorf herumsitzt und sich umschaut, dann grüßt einen wirklich jeder Passant, von Kindern bis zu Alten, Fußgänger wie Autofahrer. Und das ist schön, das gefällt mir! Azoren eben!

Die Schilderungen dieser Begegnungen zeigt vor allem eines: Es ist leicht, auf den Azoren mit den Einheimischen in Kontakt zu kommen. Und diese Kontakte sind dann oft schlicht nette kurze Begegnungen - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Aber diese freundlichen Begegnungen machen durchaus ganz viel von dem enormen Charme der Azoreninsel São Miguel aus!

 

ZEHN TAGE AUF SÃO MIGUEL AUF DEN AZOREN - IM JANUAR

Die vorangegangene Zeit war hart und anstrengend gewesen für mich, sowohl beruflich, als auch privat. Im beruflichen Umfeld war Urlaub seit einem halben Jahr nicht erwünscht gewesen - da wird es kurz nach der Jahreswende Zeit, zumindest mal einen Teil meines üppigen Resturlaubs zu verbrauchen.

Mit einer Reise auf die Azoren hatte ich mich allerdings nie beschäftigt. Alles, was ich wusste, war - neben dem legendären, sommerlichen "Azoren-Hoch" - dass es ein Archipel mitten im Atlantik ist und zu Portugal gehört. Aber sonst...?

Da flattert mir im Dezember ein Pauschal-Angebot für die Azoren auf den Tisch: Eine Woche Azoren für 630 Euro als Alleinreisender mit Flug ab Frankfurt. Mein erster Gedanke: Soviel Exotik für so wenig Geld? Das klingt ja spannend! Aber: Sind die Azoren eigentlich exotisch?

Ich beginne also, mich ein wenig über die Azoren zu informieren - und was ich sehe und lese, klingt so interessant, dass ich drei Tage später ein selbst zusammengestelltes Paket aus Linienflug ab dem heimatlichen Hamburg und neun Nächten in einem kleinen Hotel mitten in der Altstadt von Ponta Delgada auf der größten Azoreninsel São Miguel buche, für insgesamt nicht mal hundert Euro mehr. Mitte Januar 2014 geht es dann los.

Sao Miguel Portugal

Rund 1500 Kilometer vom Festland entfernt - und doch ein Teil von Portugal: Die neun Inseln der Azoren. Immerhin sind die Inseln, mit seinen insgesamt ca. 250.000 Einwohnern, eine autonome Region.

 

 

 

Meine Erwartung: Zehn Tage "einen anderen Wind um die Nase", etwas angenehmere Temperaturen, als daheim. Aber: Mitten im Atlantik durchaus auch ruppiges Wetter mit Wolken, Wind, Sturm und Wellen. Und auch Regen, viel Regen. Im Atlantik zu baden ist zu dieser Jahreszeit nicht wirklich ein Thema. Für mich fängt badefähiges Wasser erst bei 20 Grad an - da reichen die 16 Grad des Atlantiks im Januar (immerhin!) nicht aus. Und die Wellen mitten im Atlantik sind wohl auch respekteinflößend. Also kein Baden! Wärme, wie auf den Kanarischen Inseln, darf man auch keinesfalls erwarten: Die Azoren liegen rund 1000 km nördlich und 1000 km weiter im Atlantik. Viel mehr an Erwartungen habe ich aber nicht mitgebracht auf die Insel.

Aber meinen Wunsch auf Wandern werde ich wohl erfüllen können. Auch habe ich die Idee, mir ein Fahrrad zu mieten und für den einen oder anderen Tag die Insel radelnd zu erkunden - aber soviel gleich vorweg: daraus wird nichts! Das hat verschiedene Gründe. So war es nicht so einfach, ein vernünftiges Fahrrad für eine längere Tour zu organisieren. Die Fahrräder der im Winter einzigen offenen Fahrradvermietung erscheinen mir nicht so vertrauenswürdig, um damit eine Tour außerhalb der Stadt zu machen.

Ebenso verworfen habe ich ziemlich schnell meine Idee, noch auf eine andere Insel überzusetzen. Das wäre zwar sicherlich auch interessant gewesen, aber São Miguel reicht einfach ganz locker mal für die Zeit und es wären mit einem Inselwechsel zumindest zwei Tage recht straff verplant worden - was ich vermeiden wollte. Fähren fahren im Winter im übrigen gar nicht, man ist auf die regelmäßig fliegenden Propellermaschinen angewiesen.

Die Azoren bestehen aus insgesamt neun besiedelten Inseln, die allerdings recht weit voneinander entfernt verstreut liegen. Von Osten nach Westen erstrecken sich diese Inseln auf einer Entfernung von immerhin rund 700 km. Da ist man dann mit den im Sommer verkehrenden Fähren schon eine ganze Weile unterwegs. Meinem Reiseführer zufolge ist es also auf den Azoren etwa so normal, sich ins Flugzeug zu setzen, wie hierzulande eine Zugfahrt.

Die Insel São Miguel, auf der ich dann also die gesamten zehn Tage meines Aufenthalts bin, ist die größte Insel der Azoren (Ost-West-Ausdehnung: ca. 65 km, Nord-Süd-Ausdehnung: ca. 16 km) und mit 138.000 Einwohnern auch die bevölkerungsreichste. Zudem ist der Ort Ponta Delgada, in dem ich mein Hotel habe, wiederum die größte Stadt (ca. 70.000 Einwohner) und insgesamt die Hauptstadt der Azoren.

 

 

 

In Ponta Delgada zu sein, hat einige Vor- und auch Nachteile: Man hat hier eine Menge Infrastruktur. Man findet eine große Anzahl an guten Einkaufs-möglichkeiten. Es gibt viele Hotels, Restaurants und Cafés - trotzdem denke ich, dass sich selbst zur touristischen Spitzenzeit im Sommer keine richtige "Partyzone" in Ponta Delgada findet.

Richtig großartig gefällt mir, dass man von Ponta Delgada sehr gut und ohne Probleme mit öffentlichen Verkehrsmitteln über die gesamte Insel kommt. Es fahren zuverlässig Busse zu sehr günstigen Tarifen sternförmig von Ponta Delgada über die ganze Insel. Wenn man in anderen, eher abgelegenen Urlaubsorten ist, wird es schnell schwieriger, sich mit Bussen über die Insel zu bewegen - da sind dann Mietwagen gefragt. Und als Fahrer eines Autos entgeht einem einfach so, so viel - man kann den Blick einfach nicht genügend schweifen lassen.

Sao Miguel Ponta Delgada Stadttor

1783 errichtet, das Wahrzeichen der Stadt und heutzutage effektvoll beleuchtet: Das dreibögige Stadttor "Portas da Cidade" zwischen Hafen und Kathedrale.

 

 

 

Nachteile der Stadt Ponta Delgada sind sicherlich, dass man dort völlig falsch ist, wenn man Ruhe und Abgeschie-denheit sucht. Man muss doch ein ganzes Stück fahren, um in die Natur zu gelangen. Und der Straßenverkehr in Ponta Delgada ist nicht zu unterschätzen. Besonders in den kleinen, schmalen Straßen der Altstadt mit seinen oft nur knapp 50 cm schmalen Fußwegen (zuweilen fehlen diese auch ganz) finde ich es bis zum Schluss enorm stressig, mich mit dem flott laufenden Autoverkehr zu arrangieren! Die Struktur der Orte ist übrigens in den kleineren Ortschaften auch nicht anders - nur ist dort nicht so ein starker Autoverkehr. Die Orte auf São Miguel sind ganz offensichtlich niemals für so viel Autoverkehr gebaut worden, oft ist es extrem eng und ich bewundere besonders die Fahrer der großen Busse mehr als einmal.

Insgesamt jedoch bin ich mit der Wahl meines Aufenthaltsortes sehr zufrieden - aber das ist eine sicherlich sehr individuelle Entscheidung. Man sollte die Wahl seines Urlaubsortes auf den Azoren wohl bedenken - es gibt dort eine große Spanne unterschiedlicher Möglichkeiten.

 

ABER - WARUM ÜBERHAUPT AUF DIE AZOREN?

In der Tat - eine berechtigte Frage! Denn: Es gibt auf den Azoren nichts, was es anderswo, in gar nicht allzu großer Entfernung, nicht besser, größer, schöner, gewaltiger gäbe!

Sie wollen im Winter vor allem Wärme erhaschen? Dann sind die Kanaren oder die Kapverden eine bessere Wahl!

Sie wollen eine üppige, exotische Pflanzenwelt entdecken oder/und eine wilde, schroffe Bergwelt erleben? Dann ist Madeira großartiger!

Sie möchten eine aufregende Tierwelt? Dann fahren Sie irgendwo anders hin (wobei die Azoren dann doch speziell für Taucher und auch für Ornithologen einiges zu bieten haben).

Sie wollen Strandleben und schöne Badestrände? Dann fahren Sie ans Mittelmeer oder an die Ostsee oder in die Karibik oder oder oder...

Sie wollen vor allem Vulkanismus erleben und vulkanische Umgebung kennen lernen? Dann ab nach Island!

Sie wollen mit vielen Menschen im Urlaub Partys feiern, "was erleben" und ein tolles Nachtleben? Dann ist Ibiza oder Mallorca sicherlich toller - oder bleiben Sie am Besten daheim in Deutschland.

Mit anderen Worten: Es ist auf den Azoren nichts so richtig wahnsinnig herausragend, spektakulär! Aber: Von all dem genannten haben die Azoren (und da auch schon allein "meine Insel" São Miguel) etwas zu bieten, zumindest jeweils ein wenig. Die Insel São Miguel ist enorm vielseitig - und ist dabei mit allem, was sie zu bieten hat, auf eine bestimmte Weise zurückhaltend, dezent. Friedlich liegt die Insel da - und drängt sich einem nicht besonders auf. Man muss sie sich erobern. Und dann wird einem wirklich viel geboten.

Als sehr exotisch empfinde ich allein schon die Lage der Azoren: Mitten im Atlantik. Wie schon weiter oben erwähnt, gibt es während meines Aufenthaltes eine Phase von vier Tagen, an denen es bedeckt ist und die Wolken tief hängen. Diese Tage nutze ich dann dazu, die Küste der Insel "abzuklappern".

Am ersten Tag stehe ich an der Südküste von São Miguel, schaue aufs Meer - und denke mir: wenn Du hier jetzt mit einem Schiff startest und immer geradeaus fährst, dann fährst Du knapp an den Kapverdischen Inseln und an Brasilien vorbei und erst die Antarktis ist die nächste "Station". Tags darauf, an der Westküste: Rund 3.000 km bis nach Nordamerika. Der Tag danach, die Nordküste: Nächster "Halt" Grönland. An der Ostküste der Insel bin ich gar nicht gewesen - von dort wären es ja auch "nur" knapp 1500 km bis ans europäische Festland. Die Azoren - ein wirklich richtig einsames Insel-Archipel!

Ach, übrigens: São Miguel liegt ziemlich genau auf der Höhe von Lissabon. Damit also in der Tat erheblich nördlicher als die kanarischen Inseln oder Madeira!

Insgesamt kann man also mit Fug und Recht behaupten, dass die Azoren wirklich sehr, sehr abgelegen vom ganzen Rest der Welt sind! Und schon allein das empfinde ich als sehr exotisch und faszinierend.

Diese Lage mitten im Atlantik bewirkt aber auch, dass das Klima auf den Inseln sehr gemäßigt ist. Ganz einfach: Milde Winter, warme aber gemäßigte Sommer - und immer sehr viel Luftfeuchtigkeit.

Wenige Tage, bevor ich also Mitte Januar 2014 auf die Azoren reise, gibt es dort eine ganz außergewöhnliche Kältewelle: Ein paar Tage mit Temperaturen von 6 bis 7 Grad. Zur gleichen Zeit gab es im heimatlichen Hamburg eine verblüffende Wärme mit bis zu 10 bis 12 Grad - im Januar! Dies schien ein großes Thema in den Medien auf den Azoren gewesen zu sein, denn es gibt während meines Aufenthaltes mindestens fünf Personen, die mir genau dies ausführlich erzählen: Es war doch ein paar Tage lang auf den Azoren deutlich kühler als in Deutschland! Warum ich denn nicht daheim geblieben sei?

 

 

 

Dies hatte sich bis zu meiner Ankunft allerdings schon wieder normalisiert. Kaum gibt es auf den Azoren einen Unterschied zwischen der Nacht- und der Tagestem-peratur. "Üblich" an den bedeckten Tagen sind 13 oder 14 Grad nachts, 15 oder 16 Grad tagsüber. Die kälteste Temperatur während meines gesamten Aufenthaltes auf São Miguel ist 13 Grad, die höchste Temperatur an sonnigen Tagen liegt sogar bei über 20 Grad, im Schatten. Nur am Rande sei erwähnt, dass es bei meiner Rückkehr ins heimatliche Hamburg dort eine Temperatur von minus neun Grad gibt - es wirkt auf mich wie ein Schock, als ich bei der heimfahrt in dieser Kälte draußen auf meine U-Bahn warten muss.

Es ist das erste Mal in meinem ganzen, über 50jährigen Leben, dass ich im Winter in wärmeren Gefilden bin. Dies ist zwar nicht die Hauptabsicht auf meiner Reise gewesen - aber genau das finde ich dann vor Ort ungeheuer angenehm und bin immer wieder geradezu fasziniert davon. Eigentlich wollte ich doch nur "raus" von zuhause, etwas wandern, andere Luft schnappen - und dann habe ich es in einem solchen Maße genossen, im Januar frühlingshafte Temperaturen zu haben, dass es mich selbst verblüffte. Welch ein grandioser Luxus: Frühlingstemperatur im Januar!

Die Natur auf den Azoren ruht im Januar zwar auch zu großen Teilen, viele Bäume tragen keine Blätter. Aber doch findet man viel Grün und sogar blühende Pflanzen. Die ersten Blüten habe ich noch wie ein Weltwunder bestaunt. Und Schmetterlinge, die im Januar herumflattern. Ich fühle mich wie in einer Wunderwelt!

Nun ist es aber keinesfalls so, dass man auf den Azoren konstant schönes Wetter erwarten kann. Und schon gar nicht im Winter. Nichts ist dort offenbar konstanter, als der Wechsel. Es gibt Tage, an denen mein Hamburger Gemüt mich ob des dunkelgrauen Himmels beinahe verzagen lässt und mir mindestens drei Tage Schietwetter signalisiert, 20 Minuten später laufe ich dann plötzlich durch bratzeligen Sonnenschein, nochmal 20 Minuten später regnet es diesen offenbar typischen, ultrafeinen Nieselregen. Der Wetterwechsel kommt zuweilen einem Naturereignis gleich. Aber es gibt eben, wie erwähnt, auch einige Tage, an denen der graue Himmel wie festgeklebt über der Insel hängt. Gerne kann man dann über dem Meer auch mal den blauen Himmel sehen, wie zum Greifen nah - doch die Insel bleibt konstant mit Wolken verhangen. Es ist zwar meistens windig, aber von besonderen Stürmen bleibe ich verschont - obwohl diese wohl vor allen Dingen für die Wintermonate eigentlich charakteristisch sind.

 

WANDERN AUF SÃO MIGUEL - EINFACH TRAUMHAFT

Der Begeisterung des Herrn von der Tourismus-Info in Ponta Delgada folgend (aber auch meiner eigenen), bin ich vor allem also viel gewandert auf São Miguel. Und dafür ist die Insel perfekt geeignet! Man wird immer wieder mit schönen, manchmal grandiosen Aussichten für die eigenen Mühen belohnt. Die Insel ist ein Wander-Traum!

Insgesamt bin ich schon recht bald nach meiner Ankunft überrascht darüber, wie "anders" vieles hier auf mich wirkt. Die Gebäude, die Straßen der Stadt, sie sehen für mich einfach "anders" und unbekannt aus. Bei den Wanderungen steigerte sich dieses Gefühl: Die Natur, vor allem die Pflanzen, erscheinen mir nicht nur "anders", oft sogar in der Tat richtig "exotisch". Das habe ich so ausgeprägt nun auch wieder nicht erwartet.

Paradiesvogelblume

Nahezu mannshohe Paradiesvogelblumen findet man an vielen Stellen auf São Miguel - blühend auch im Januar, natürlich.

 

 

 

Okay, zugegeben: Ich bin weitgehend ahnungslos, was Botanik angeht. Und ich habe mich hier auch nie besonders um ein breites Wissen bemüht. Aber auf der ersten richtig großen Wanderung am zweiten kompletten Tag auf der Insel, zum "Lagoa do Fogo" (Feuersee) muss ich feststellen, dass ich auf dem insgesamt fünf Stunden langem Weg nur zwei Pflanzen sicher erkennen kann: Efeu und Farn (letzterer aber gerne auch als mir bis dahin unbekannter "Riesenfarn" mit mehreren Metern Höhe). Ich meine auch, Bambus zu erkennen - aber, nein, als ich bei einer späteren Wanderung tatsächlich durch einen Bambuswald komme, merke ich, dass es sich hier nur um eine stabile Form von Schilf gehandelt hat. Ansonsten: Stundenlang bewundere ich Pflanzen, die ich nie zuvor gesehen habe. Zuweilen ist der Wanderweg richtig zugewuchert und man muss sich durch die Pflanzen schlagen - da habe ich schon fast das Gefühl, durch einen beinahe tropischen Regenwald zu laufen.

Die Tierwelt der Azoren hält da nicht im Geringsten mit. Sie scheint offenbar vor allem aus Kühen, Hunden und Katzen zu bestehen. Und aus Vögeln - die dann doch einen Hauch von Vielfalt aufkommen lassen.

Auf eine der angebotenen Touren zum "Whale-Watching" (Preis ab ca. 50 Euro) habe ich verzichtet. Die Wahrscheinlichkeit, im Winter Wale sehen zu können, ist wohl sehr gering. Alle, mit denen ich sprach, mussten sich jetzt mit Delphinen "zufrieden geben" und haben keine Wale gesehen - alle mit leichter Enttäuschung in der Stimme, bei dem Preis...

Also wandere ich. Nun macht es sicherlich nicht viel Sinn, hier alle Wanderwege im Detail wiederzugeben - ein paar aber doch anzudeuten. Es gibt auf São Miguel eine Anzahl an offiziell als Wanderwegen ausgeschilderten Wegen, die offenbar auch recht gut gepflegt werden und meist gut und eindeutig markiert sind. Immerhin aber habe ich einiger meiner Wege in die (zoombare) Karte ganz unten auf dieser Seite eingepflegt.

Häufig jedoch sind Start- und Endpunkt dieser Wanderungen an deutlich unterschiedlichen Orten - das kann ein echtes Problem sein, wenn man mit Mietwagen unterwegs ist. Auch bei Busfahrten ist dies nicht unbedingt unproblematisch, aber da finde ich meistens, nein: immer, eine Lösung.

 

KLEINER EINSTIEGSWEG: NACH ROCHA DA RELVA

Rocha da Relva

Nach 200 m Abstieg: Angekommen im Dorf Rocha da Relva. Der Fußweg ist die einzige Anbindung des Dorfes an die Umwelt, per Auto oder Boot kommt man hier nicht hin - dafür braucht man schon Füße oder Hufe.

Einige Wege sind mir als besonders schön in Erinnerung geblieben - was nicht unbedingt immer mit der Länge der Wege zusammenhängt. Viele der von mir gegangenen Wege sind offiziell ausgeschilderte Wanderwege. Hier ist man sehr sorgfältig vorgegangen auf den Azoren, alle diese Wege sind mit einer eindeutigen Nummer versehen.

Die kurze Busfahrt von Ponta Delgada nach Relva und dort die kurze Wanderung mit der Nr. PRC20SMI zum "Rocha da Relva" ist ein wundervoller Einstieg. Ein kurzer Weg aus dem Ort Relva hinaus. 200 Höhenmeter die Steilküste hinab und dann wieder zurück, also hinauf. Es gibt nur diesen einen Weg zu diesem Dorf. Für Autos keine Chance!

Faszinierend und wunderschön, dieser Weg, zumal ich die Wanderung danach noch um eine tolle, selbsterdachte Strecke oberhalb des Dorfes auf einem der vielen landwirtschaftlichen Wege erweitert habe.

Unvorstellbar für mich bis dahin das Gestein, an dem ich auf dem Ab- und Aufstieg entlang gehe: Es sind keine Steinfelsen, sondern Lava-Gestein. Zuweilen kann man einfach mit der Hand "abrubbeln", zuweilen ist es fast sandig. An einzelnen Stellen habe ich das Gefühl, direkt in einen erkalteten, kleinen Vulkankegel zu schauen. Sehr beeindruckend!

 

VON LOMBA DE MAIA ÜBER DEN PRAIA DA VIOLA NACH PORTA FORMOSA

Sao Miguel Wasserfall

Ein kleiner Wasserfall an der Praia da Viola rauscht herab. Was mich beeindruckt: Das durchaus viele Wasser verschwindet einfach sofort in dem grobkörnigen Sand, es entsteht nicht mal ein Pfütze

Der Wanderweg PR27SMI von "Lomba de Maia" zum kleinen Strand "Praia di Viola" und weiter zum Ort "Maia" ist sehr vielseitig, hat landschaftlich schöne und abwechslungsreiche Seiten mit immer wieder tollen Blicken auf die Steilküste. Dramatische Meer-Eindrücke, wenn sich neben einem in vielleicht 60-70 m Entfernung gewaltige, doppelt mannshohe Wellen erst aufbauen, während man selber über einige Felsbrocken zum Strand kraxelt.

Der Ort Maia besticht durch seine schöne Lage und ist angenehm ruhig. Bei meiner Ankunft in "Maia" fühle mich aber noch nicht so richtig "ausgewandert". Und bis der nächste Bus nach Ponta Delgada fährt, habe ich noch zwei Stunden Zeit, also gehe ich einfach noch weiter in der gleichen Richtung den landwirtschaftlichen Küstenweg entlang bis zur ebenfalls netten Ortschaft "Porto Formoso". Auch das eher ein friedlicher, kleiner Wohlfühl-Ort, in dem die Wartezeit auf den Bus leicht vergeht. Die in der Nähe liegende Tee-Fabrik muss ich jedoch unbeachtet lassen.

 

WANDERUNG ZUM LAGOA DO FOGO

Sao Miguel Lagoa do Fogo

Blick hinab auf den Lagoa do Fogo ("Feuersee"). Fast habe ich an dieser Stelle das Gefühl, mich ducken zu müssen, um unter den Wolken hindurch zu fotografieren.

Die Wanderung PRC2SMI zum Lagoa do Fogo (dem Feuersee in einem der vielen erloschenen Vulkane) erscheint mir als ein "Muss" für Wanderfreunde auf São Miguel. Am besten startet man direkt an dem großen Strand Praia Agua d'Alto zu dem Wanderweg hin, der Lagoa do Fogo ist schon recht bald ausgeschildert. Einer ausführlichen Beschreibung meines Reiseführers folgend bin ich auf dem Weg zum See hin allerdings nicht den offiziellen Wanderweg, sondern auf einem anderen Weg gegangen - so wurde es eine schöne Rundwanderung.

Diese führte direkt vom Meer bis auf rund 700 m Höhe hinauf, dann hinab zum See in 575 m Höhe. Sehr verblüffend: Es ist den gesamten Weg über wunderbares Wetter, erst direkt am Kraterrand mit dem Blick hinab auf den See wird es urplötzlich neblig (also wolkig) - und auch extrem windig. Zeitweilig habe ich das Gefühl, mit dem Kopf in den Wolken zu sein, mit den Füßen auf dem Boden aber noch nicht. Irgendwie ja auch ein Naturerlebnis.

Viele Möwen (eine besondere Art von "Mittelmeermöwen" - ja!) bewachen hier lautstark ihr Revier. Aufgrund des eisigen Windes halte ich es am See leider nur kurz aus, dann geht es prompt auf den Rückweg, jetzt allerdings die offiziell beschilderte Route entlang. Man bekommt auf diesem Weg völlig andere Eindrücke, beeindruckend der künstlich in Beton angelegte Wasserkanal ("Levada"), an dem der Weg eine ganze Zeitlang entlang verläuft - wie hat man diesen bzw. das Material dafür nur hierher, in das ansonsten eher unwegsame Gelände bekommen?

Sao Miguel Levada

Offizieller Wanderweg vom Lagoa do Fogo entlang der Levada. Alles ist zugewuchert - obwohl es doch Mitte Januar ist. Wie sieht es hier denn wohl im Sommer aus?

 

 

 

An einigen Stellen ist es hier feucht und etwas rutschig. Die ganze Gegend, die Natur hat man auf diesem Weg im Januar fast ganz für sich. Lediglich ganz zu Beginn der Wanderung treffe ich ein paar Arbeiter und später stoße ich zweimal auf ein nettes deutsches Paar, das ebenfalls wandert. Ansonsten: keine Menschenseele weit und breit!

 

 

 

Sehr schön auch die Rückkehr an den großen Strand - den ich trotz des hier wieder prallen, wärmenden Sonnenscheins komplett für mich allein habe. Schnell sind die Schuhe ausgezogen, die Hose hochgekrempelt - und rein mit den Füßen in die Atlantikwellen! Was für ein tolles Ende einer großartigen Wanderung! Wie leicht man sich beim Atlantik jedoch verschätzen kann und wie tückisch er sein kann, merkte ich auch sehr schnell: Anstatt nur die Füße etwas abzukühlen sorgen einige dann doch überraschend große Wellen aller Vorsicht zum Trotz dafür, dass ich ruckzuck nass bis zum Hintern bin. Aber die Hose trocknet bei der prallen Sonne schnell wieder.

 

MOSTEIROS - DIE MAGIE DES MEERES, UNTER GRAUEN WOLKEN

Was für ein trüber Tag! Die Wettervorhersage hat es schon so in Aussicht gestellt - und sie hat recht: Die Wolken hängen heute fest über "meiner" Insel São Miguel, die ich mehr und mehr ins Herz schließe. Es ist Sonntag, aber trotz des Wetters kein Grund, zu verzagen. Einfache Faustregel für São Miguel: Bei gutem Wetter ab auf die Berge, bei schlechtem Wetter die Küste erkunden! Mit diesen Gedanken verschlägt es mich heute nach Mosteiros, ein Dorf am nordwestlichen Ende der Insel. Eine verdammt gute Entscheidung!

Sao Miguel Mosteiros

Irgendwie ein typischer Ausblick an der Küste von São Miguel: Felsen, Brandung, Wolken. Aber durch die außergewöhnlich schroffe Küste ist das Meer bei Mosteiros besonders beeindruckend.

 

 

 

Auch am Sonntag ist es kein Problem, sich per Linienbus über São Miguel zu bewegen. Es fahren aber weniger Busse, man muss die Zeiten schon exakt planen, dann geht's aber ohne Probleme. Um 10 Uhr bin ich dort. Ein hübscher Ort! Aber: An einem Sonntag im Januar um zehn Uhr morgens kann man wohl nicht erwarten, hier noch andere Menschen zu treffen. Na gut: Ein paar wenige Gestalten sehe ich - natürlich keine Touristen, i wo! Ein paar Einheimische sind unterwegs, vielleicht zwei Hände voll. Angler, vor allem. Und ein verwegener Wellenreiter. Und diese Leute zeigen mir ganz unverhohlen: Hier in Mosteiros gibt es nur einen Star - und das ist das Meer! Der Atlantik, der hier mit wuchtigen Wellen auf das pechschwarze Lava-Gestein prallt - wunderschön!

Und doch brauche ich eine Weile, bis ich die volle Magie dieses Ortes richtig begreife. Ein wenig gehe ich durch den Ort, an der Küste entlang. Den Blick mal aufs Meer, mal auf malerisch farbenfrohe Häuser. Vor dem gelben Haus steht ein altes Pärchen, bemerkt den Fremden, nickt ihm freundlich zu. Und schaut dann wieder - aufs Meer. Ein paar hundert Meter weiter, schon etwas außerhalb des Ortes: Ein großes Haus, ein Wintergarten, ein Paar in den 30ern sitzt dort. Trinken die nur Kaffee - oder frühstücken die etwa immer noch? Egal, beide winken dem wandernden Fremden fröhlich lachend und gelöst zu. Dann schauen sie wieder - auf's rauschende Meer, das bestimmt schon viel, viel mehr getobt hat, als jetzt.

Und plötzlich, wie aus dem Nichts, könnte ich platzen! Platzen - vor Neid! Plötzlich wird mir bewusst, dass diese Menschen hier an einem grandiosen Ort leben: Was für eine Natur, was für eine Umgebung, was für eine Sicht! Plötzlich begreife ich die ganze Magie des Meeres, des Atlantiks an diesem Ort. Und das haben diese Leute direkt vor der Haustür. Traumhaft, zauberhaft, beneidenswert!

 

 

 

Lange laufe ich an der Küste entlang, tapse und kraxele auf dem Lavagestein herum, um dem Meer und dem Gestein und dem aufprallenden Wasser etwas näher zu kommen. An einer Stelle leuchten die Wellen in ca. 30 Meter vor mir immer kräftig türkis auf, wenn sie sich überschlagen. Wo kommt bloß dieses unwirkliche türkise Leuchten her, hier, unter diesem grau-trüben Himmel? Ich habe keine Ahnung, mache um die hundert Fotos hiervon - in dem Wissen, dass meine Kamera bei diesen Lichtverhältnissen nicht imstande sein wird, dies auch nur halbwegs adäquat einzufangen. Trotzdem: Ich will es versuchen... Und vergesse in dem zeitweilig einsetzende Nieselregen fast mich selber. Es gelingt mir nicht, natürlich, diese Farbe einzufangen. Schade - und doch: Magisches Meer!

Mosteiros

Ebenfalls magisch sind die bizarren Fels-Formationen vor der Küste des Ortes Mosteiros! Was für eine Umgebung - nicht nur für Angler!

 

 

 

Völlig begeistert nehme ich die bizarren, schroffen Felsen vor der Küste wahr. Wie sind diese wohl entstanden? Vor mir, über dem Meer reißt gegen Mittag der Himmel auf. Die Sonne scheint aufs Meer, es scheint nur noch eine Frage von Minuten zu sein, bis die Sonne auch hier aufs Land trifft. Aber, nein, sonderbar: Es kommt einfach nicht dazu. Über der Insel bleibt es hartnäckig trübe. Trotzdem bin ich optimistisch geworden und beschließe, Mosteiros zu verlassen und zu dem Aussichtspunkt "Miradouro Escalvado" in der Nähe des Dorfes Várzea zu wandern. Zeit habe ich noch genug bis zum letzten Bus - und ich kann den Aussichtspunkt fast die ganze Zeit über von Mosteiros aus sehen. Dann muss das umgekehrt ja auch gehen! Und dieser Blick ist richtig berühmt für diese Insel.

Das Ergebnis dieser Wanderung: Ich stehe im Nebel - bzw. in den Wolken. Der Himmel hat sich über der Insel für mich völlig überraschend immer weiter zu gezogen. Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich mit meinem GPS-Gerät die exakte Untergrenze von Wolken bestimmen: Sie liegt hier und heute bei ziemlich exakt 200 Metern: In dieser Höhe verschwinde ich nämlich im Nebel (an einem anderen Tag mache ich das Titelbild des Artikel von dem Aussichtspunkt). Und der Aussichtspunkt liegt auf knapp 230 m Höhe... Wie schade!

Und doch: Ein schöner Tag in toller Umgebung in Mosteiros!

 

FURNAS - EIN STÜCK VOM PARADIES

Sao Miguel Furnas Thermalbecken

Freiluftbaden im Januar - im 38 Grad warmen Wasser des Thermalbeckens im Terra-Nostra-Park in Furnas.

Großartig auch der Ort Furnas - und die Wanderungen dort. Furnas liegt mitten in einem großen Talkessel eines erloschenen Vulkans. Landschaftlich ausgesprochen schön und in der Kessellage durch ruhiges, mildes und warmes Wetter bevorzugt. Offiziell ausgeschilderte Wanderwege bin ich dort allerdings kaum gegangen - wenn man mal von dem kurzen, aber steilen Aufstieg vom Lagoa das Furnas hinauf zum Aussichtspunkt "Pico do Ferro" (Wanderweg Nr. PR22SMI) absieht. Bei den etwas feuchten und z.T. matschigen Verhältnissen ist dieser hin und wieder rutschige Weg mit etwas Vorsicht zu genießen. Ansonsten führen mich meine Wege eher unkonventionell kreuz und quer durch den lieblichen Vulkankessel.

Von einer Umrundung des Sees "Lagoa das Furnas" habe ich abgesehen, aber die Besichtigungen der geothermalen Felder am See und auch am Ortsrand sollte man auf jeden Fall wahrnehmen. Immer wieder ist es beeindruckend, was für eine Energie an solchen Orten an die Oberfläche der Erde tritt. Auch den beinahe unwirklich schönen Park "Terra Nostra Garden" sollte man in keinem Falle auslassen. Eigentlich ist dieser gar kein Geheimnis - auch, wenn die Einheimischen diesen Park "das bestgehütetste Geheimnis der Welt" nennen. Selbst bei meinem Besuch im Januar, wo vieles in der Natur eben auch auf den Azoren ruht und viele Bäume kahl sind, kommt der Besuch dieses Parks einem kleinen Blick ins Paradies gleich. In dem Park gibt es auch ein traumhaft schönes Thermalbad mit Wassertemperaturen von konstant 38 Grad. Bei meinem Tag in Furnas (schon zuvor ich mal ein paar Stunden hier gewesen) hatte ich Glück mit dem Wetter: Bei Sonne ist es am Nachmittag über 20 Grad warm - T-Shirt-Wetter! Die Zitronen-Ernte steht kurz bevor und durch ein Stück Bambus-Wald bin ich zuvor auch noch niemals gelaufen.

Furnas: Ein Traum im Januar! Und sicherlich nicht nur dann.

 

SETE CIDADES - TRAUMWANDERUNG AN EINEM TRAUMHAFT SCHÖNEN JANUAR-TAG

Der eben kurz erläuterte Ort Furnas wird mir von mehreren Seiten als einer von zwei Orten genannt, die man auf São Miguel einfach auf jeden Fall besuchen müsse - weil er so wunderschön sei. Stimmt genau! Der zweite Ort für einen "Pflichtbesuch": Sete Cidades. Und in der Tat: Auch hier finde ich eine traumhaft schöne Landschaft, es gibt wunderschöne Ausblicke. Glücklicherweise auch wieder bei grandiosem Wetter. Ein Urlaubs-Tag wie ein Traum!

Die Wettervorhersage hat gutes Wetter vorhergesagt - und doch fühle ich mich ein wenig verwegen, als ich zu dem früh um 8:20 Uhr startenden Linienbus nach Sete Cidades gehe. Denn: Es ist bedeckt. Die von Ponta Delgada aus sichtbaren Berge, auch in Richtung Westen, sind allesamt komplett und tief mit Wolken verhangen. Mein Urlaub allerdings neigt sich dem Ende zu, und mir ist klar: Wenn ich Sete Cidades überhaupt noch sehen möchte, dann muss ich jetzt einfach dorthin fahren und hoffen, dass sich das Wetter an die Vorhersage halten wird und sich die Wolken verziehen. Aber das kann natürlich auch schief gehen.

Sao Miguel Sete Cidades

Die Straße in der Ortschaft Sete Cidades führt zwischen dem blauen und dem grünen See hindurch. Bei meiner Ankunft hängen die Wolken über dem Ort so tief, dass eine Wanderung auf der Caldeira des früheren Vulkans noch im wahrsten Sinne "aussichtslos" erscheint.

Ähnlich wie Furnas liegt auch der Ort Sete Cidades im Kessel eines riesigen, erloschenen Vulkans. Wobei hier die Caldeira, also die Wände des Vulkankegels wesentlich geschlossener und kreisförmiger sind, als es in Furnas der Fall ist. Wer will, kann in rund 500-800 m Höhe auf dem Grat des Vulkans fast kreisrund um den Ort (der selber in 260 m Höhe liegt) herum gehen - allein das wäre dann allerdings ein Weg von insgesamt ca. 25 km. Kaum zu glauben: Vor rund 500 Jahren war hier noch ein Berg mit einem Bergkegel bis zu 1200 m Höhe. Nach einer großen Eruption stürzte der Vulkan ein, zurück blieb die heute begehbare Caldeira.

Ich allerdings habe mir etwas anderes vorgenommen: Ein Stück auf der Caldeira möchte ich natürlich schon laufen, dann aber zum Atlantik abbiegen, dort zur Steilküste und noch etwas weiter laufen und die Ausblicke auf die schroffe Küste und den Atlantik genießen.

Und ich habe Glück: Gerade, als ich nach ca. einer Stunde Busfahrt in Sete Cidades ankomme, lösen sich die letzten Wolken der von mir angesteuerten südlichen Flanke des Vulkankraters auf. Auf der "gegenüberliegenden" Nordflanke des erloschenen Vulkankraters hängen allerdings den gesamten Tag über dichte Wolken. Ich steige jedoch auf steilen und teilweise extrem matschigen Waldwegen dem mittlerweile wolkenfreien Teil entgegen. Dieser Weg ist nicht Teil eines ausgeschilderten Wanderweges - mein Reiseführer leistete aber wieder mal gute Hilfestellung bei dem wirklich schweißtreibenden Aufstieg. Einige Waldarbeiter wundern sich über den verschwitzten Wandersmann mit den matschig-verschmierten Wanderstiefeln am Morgen - aber alle grüßen freundlich und leicht amüsiert.

 

 

 

Nach ca. einer Stunde bin ich am Grat des Vulkankraters angekommen, komme direkt am Aussichtspunkt "Vista do Rei" an - und genieße den in der Tat königlichen Blick in den Talkessel hinein. Markant neben dem Ort Sete Cidades sind die beiden Seen, einer eher grünlich, einer eher türkis. Im Moment liegen die Seen noch leicht im Schatten, daher sind ihre Farben nicht sonderlich beeindruckend und kaum unterschiedlich. Zwei junge Frauen sind auch hier - sie sind bequem mit dem Auto hinaufgefahren. Das ist kein Problem auf guter, asphaltierter Straße. Mir geht jedoch eine alte Radfahrer- und Wandererweisheit durch den Sinn: "Eine Aussicht sieht viel, viel besser aus, wenn man sie sich verdient hat!" Die beiden Mädels schauen folgerichtig geschwind in die Runde, machen ein Selfie, steigen wieder ins Auto und brausen davon. Ich allerdings stehe hier nassgeschwitzt, schaue noch lange in die Tiefe, durch den unbegreiflich riesigen Vulkankrater und sauge den Blick lange auf. Und das habe ich mir verdient!

Vulkankrater

Blick von einer Caldeira auf eine andere Caldeira, man schaut von einem Rand eines Vulkankraters auf einen anderen Vulkankrater: Von der etwa 600 Meter hohen Caldeira Sete Cidades geht hier der Blick auf einen anderen, kleineren Vulkankrater. Man schaut auf die 310 m hohe Caldeira Seca.

 

 

 

Ab hier geht es dann auf dem offiziell als Wanderweg PR3SMI ausgeschilderten Teil weiter auf dem Grat des Vulkans - der Caldeira. Wobei: "Grat" klingt viel spektakulärer, als es tatsächlich ist. Letztlich ist dieser Grat so breit, dass dort auf der ganzen Länge, die ich laufe, ein mit Autos befahrbarer Weg besteht. Ca. eineinhalb Stunden laufe ich auf diesem Weg. Weiß nie so recht, ob ich nach rechts in den Krater mit den Seen, dem Ort, dem saftigen Grün und weiteren kleinen Vulkankratern blicken soll - oder nach links, wo ein paar Ortschaften wie an einer Perlenkette an der Atlantikküste entlang gezogen sind. Atemberaubende Ausblicke! Hinzu kommt: Ich habe hier meine Ruhe! Während des gesamten Wegs ist die einzige Begegnung die mit einem Traktor-fahrenden Bauern, der auf einem Anhänger ein paar Rinder transportiert. Ansonsten habe ich Ruhe für mich - auch das sicherlich der touristenschwachen Januar-Saison geschuldet. Aber doch irgendwie unbegreiflich bei der Schönheit des Ortes.

Als ich gegen 12:15 Uhr auf die Straße stoße, die nach rechts in den Ort Sete Cidades führt, nach links ab zum Ort Várzea in Nähe des Atlantiks, entscheide ich mich für den Weg nach links. Auf der Straße lässt es sich erstaunlich gut gehen, es begegnen mir nur sechs oder sieben Autos in der guten halben Stunde Weg hinab - kein Problem und ungefährlich.

In Várzea dann steuere ich direkt den Aussichtpunkt "Miradouro Escalvado" an, 230 m über dem Atlantik an einer Steilküste - mit hinreißendem Blick zu dem wunderbaren Ort Mosteiros. Diesem Aussichtspunkt hatte ich ja schon drei Tage zuvor einen Besuch abgestattet - und war dort ja bei bedecktem Himmel komplett in Wolken versunken. Aber das ist heute anders!

Und, wie verblüffend: Wieder habe ich einen wunderbaren, leicht per Auto erreichbaren Aussichtspunkt für mich ganz allein, fast. Es kommt nach einer Weile ein Auto, wieder zwei junge Mädels steigen aus, sagen, "oh, how nice!", bitten mich, sie vor der schönsten Aussicht zu fotografieren - und brausen wieder davon. Was machen die wenigen anderen Azoren-Touristen denn jetzt gerade bloß, bei diesem fantastischem Wetter? Warum kommen die nicht zu diesen tollen Punkten? Oder kommen alle nur ganz kurz mal her, machen ein Foto und fahren dann wieder weg zur nächsten Attraktion - ohne überhaupt zu sehen, was es alles zu sehen gibt? Wie auch immer - ich bin nicht böse, betrachte es als großes Glück, die Wunderwelt von São Miguel fast ganz für mich zu haben. Denn diese grandiose Aussicht (das Titelbild des Artikels), die habe ich mir nun wirklich verdient - was sie nur um so beeindruckender macht! Schließlich bin ich zum zweiten Mal zu Fuß hierhin gewandert, war ja bei meinem ersten Weg hierhin von Wolken verschluckt worden. Und eine doppelt verdiente Aussicht ist umso großartiger und jede Perspektive will erkundet sein! Mittlerweile bin ich übrigens im T-Shirt unterwegs.

Aber es ist noch immer wirklich viel Zeit an diesem Tag - also mache ich mich ganz gemütlich weiter auf den Weg. Gehe wieder auf den schon bewährten landwirtschaftlichen Hohlwegen langsam in Richtung Ponta Delgada. Es sind noch einige Stunden bis der letzte Bus fährt und der Tag ist einfach viel zu schön, um jetzt schon zurück in die Stadt zu fahren!

Der Leuchtturm "Farol da Ferraria" wird noch aus der Nähe betrachtet - ihn hatte ich schon von "oben" vom Rand des Vulkans in 600 m Höhe gesehen. Immer weiter geht's an der Küste entlang, von Dorf zu Dorf, zeitweilig auf der Straße entlang. Diese ist hier allerdings zuweilen stark befahren und es bringt keinen Spaß, auf ihr zu laufen. Also gibt es auch immer wieder mal eine Rast. Knapp werdender Wasservorrat lässt sich dann im Ort "Candelária" in einem kleinen Supermarkt auffüllen. Erst gegen 17:15 Uhr lasse ich mich in dem schön gelegenen Ort "Feteiras" von dem letzten Bus nach Ponta Delgada einsammeln. Als ich mich während der Fahrt in dem schwach besetzten Bus noch mal umdrehe, sehe ich, dass die Caldeira von Sete Cidades schon wieder komplett in Wolken liegt - da habe ich an dem heutigen Tag wirklich ein ganz großes Glück gehabt!

In Ponta Delgada komme ich gerade pünktlich zum spektakulären Sonnenuntergang an (der dort Mitte Januar um kurz vor 18 Uhr ist). In dem Wissen, einen zwar sehr anstrengenden, aber ungemein schönen Wandertag auf São Miguel erlebt zu haben. Jeder Meter hat sich gelohnt!

Die Insel São Miguel und wahrscheinlich die gesamten Azoren-Inseln sind zum Wandern einfach nahezu perfekt!

 

DAS BILD DER ORTSCHAFTEN AUF SÃO MIGUEL

Alles in allem bin ich jedoch verblüfft, wie dicht die Insel besiedelt ist. Das hatte ich so gar nicht erwartet. Insbesondere am Küstenrand gehen zuweilen der eine Ort in den anderen über. Die Ortsgrenzen zwischen Ponta Delgada und angrenzenden Orten sind kaum auszumachen - das ist ein richtiger Ballungsraum! Im hügeligen Binnenland ist die Besiedlung jedoch erheblich dünner. Dort prägt Landwirtschaft das Bild - was auf São Miguel vor allem Viehwirtschaft bedeutet.

Sao Miguel Maia

Ein ganz typisches Ortsbild auf São Miguel: Hier mitten im Dorf Maia.

 

 

 

Die Ortschaften auf der Insel ähneln sich oftmals sehr. Nicht nur die Kirchen sind von Ort zu Ort kaum zu unter-scheiden: Alle sind ohne Ausnahme in weiße Farbe getüncht, haben von dem verwendeten Vulkangestein aber immer auch schwarze Ränder um Fenster und Eingänge, an den Ecken und sonstigen herausragenden Elementen. Dies sind Dinge, die man auch an vielen privaten Häusern so immer wieder sieht und die charakteristisch für São Miguel sind. Viele private Häuser sind aber auch in stilsicheren Farben gehalten, manchmal eher pastellfarben, zuweilen greift man auch gerne kräftig in den Farbtopf. Mir gefällt das hervorragend!

Erstaunlich viele Häuser stehen allerdings auch zum Verkauf - und manchmal denke ich mir: Warum nicht jetzt hier einfach ein Haus kaufen, es "aufmöbeln" und hierbleiben? Allerdings sieht man vielen der angebotenen Häusern, und nicht nur diesen, an, dass die Eigentümer den Kampf gegen die hohe Luftfeuchtigkeit aufgegeben haben. Einige haben diesen Kampf schon lange aufgegeben: Man findet so einige Häuser, die fast ruinös aussehen. Hin und wieder sind diese trotzdem noch bewohnt.

 

 

 

Offenbar jede noch so kleine Ortschaft hat ein zentrales Café, das auf mich wie eine Art Kommunika-tionszentrum wirkt - aber wohl eher eine deftige Kneipe ist. Allerdings anscheinend nur für die Männer. Zwar habe ich ein solche Café nie betreten - aber man sieht an jedem Wochentag und zu jeder Tageszeit Männer vor diesen Läden stehen. Rauchend stehen sie dort und warten - dass die Zeit vergeht, ihre Frau sie abholt, oder ihnen ein Job angeboten wird? Keine Ahnung, das ist mir nicht bekannt. Jedenfalls ist deutlich ersichtlich, dass es vielen dort auf São Miguel wirklich nicht gut geht. Die Arbeitslosigkeit auf den Azoren ist augenscheinlich hoch. Selbst hier, auf dem allerwestlichsten Zipfelchen der Euro-Zone, scheint es viele Verlierer der Finanzkrise zu geben.

Ohne Ausnahme sind es im Übrigen Männer, die vor diesen Kneipen stehen, nicht eine einzige Frau habe ich dort jemals gesehen. Ganz vereinzelt erspähe ich diese in einem Café - hinter dem Tresen dann allerdings. Insgesamt jedoch wirken diese Cafés mit ihrer scharfen Geschlechter-Trennung auf mich fast so, wie die türkischen Teehäuser.

 

IM BANN DER BESTIEN: HUNDE

Das eben schon erwähnte lässt schon ahnen: Es gibt nicht NUR Schönes auf São Miguel - wenn auch insgesamt viel Positives. Aber Sie fragen: Wo bleibt die Kritik? Nun - insgesamt war ich von der exotischen Umgebung und den landschaftlich vielen tollen Eindrücken eher überwältigt, habe die insgesamt zehn Tage auf der Insel sehr genossen.

Und doch: Es gibt auch ein paar Dinge, die mich genervt haben, die mir einfach nicht gefallen haben. Und mit ein wenig nach-denken kann und muss ich doch immer etwas zum Meckern finden!

Und, in der Tat: So auch auf São Miguel! Ganz oben in der Liste, ganz besonders nervig und blöde:

Die Hunde!

Während es in der Stadt Ponta Delgada kaum einmal irgendwelche Hunde zu sehen gibt, ist dies auf dem Land völlig anders. Wohl nicht ein einziges Haus, das nicht von ein bis fünf wild kläffenden, knurrenden, Zähne fletschenden Bestien bewacht wird. Und wehe, man geht an deren Haus entlang! Schon allein der Lärm durch das Gebelle ist kaum auszuhalten. Und natürlich wird am nächsten Haus in 50 oder 100 m Entfernung der nächste Hund auch gleich wach. Insgesamt finde ich so etwas einfach nur entsetzlich!

Eine Wanderung in der Nähe von Povoação wurde abgebrochen, weil weit oben, an einem schmalen Durchgang eine "Bestie" stand, die durch nichts zu beruhigen war. Als ich in Ponta Delgada einmal direkt an einem LKW mit Ladefläche vorbeigehe, werde ich plötzlich und völlig unvermutet von darauf verweilenden einem Schäferhund in Gesichtshöhe so scharf angebellt, dass ich schon vor Schreck fast umkippe. Ähnliche Beispiele könnte ich hier noch reihenweise aufzählen.

Das sicherlich krasseste Beispiel gibt es auf einer Wanderung, ich weiß gar nicht mehr genau, wo dies war. Eigentlich in freier Natur. Schon von weitem höre ich aufgeregtes, wildes Gekläffe mehrerer Hunde. Nach und nach nähere ich mich einem Bauernhof, und das Gebelle wird immer wilder, irrer, durchgedrehter. Dann komme ich auf Höhe des Hofes, er liegt ca. 200-300 m rechts von meinem Weg entfernt - und da kennen diese Bestien einfach kein Halten mehr. Wie von der Tarantel gestochen rasen die vier Köter wild kläffend über ein freies Feld direkt auf mich zu. Schnell registriere ich, dass es für sie keinerlei Hindernis mehr gibt - kein Zaun, keine Hecke, nichts zwischen meinem Weg und ihnen. Nachdem ich - ziemlich genervt und aufgeregt, aber auch zugleich wütend, anfange, sie anzuschreien, traut sich dann nur einer der vier, sein Revier ganz zu verlassen und auf meinen Weg zu springen und mich - dann aber doch aus sicherer Entfernung von zwei, drei Metern - weiterhin wie irre anzubellen. Was für eine durchgedrehte Situation! Mir zittern ganz schön die Knie, wenn die gewollt hätten, hätten die mich töten können. Im Bann der Bestien!

Nun, ich habe Hunde noch nie verstanden - und sie mich auch noch nie, oder eher selten. Aber ich lasse sie ihn Ruhe, sie mich jedoch oftmals nicht, gerade hier auf dieser Insel nicht. Es ist mir bis heute ein Rätsel, wie man diese Tiere mögen kann. Und diese viele Dutzende Erlebnisse mit Hunden auf São Miguel haben meine Abneigung eher weiter vergrößert. Man weiß bei diesen Bestien nie, ob sie erzogen sind, wie und auf was sie erzogen sind, also wie "scharf" die Hunde sind. Ob sie gar als Waffen dienen. Bezogen auf São Miguel kann ich da nur sagen: Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht - vor diesen Bestien!

Ansonsten muss ich aber schon suchen, um Doofes und Ärgerliches aus dem Aufenthalt zu finden. Der Autoverkehr in Ponta Delgada mag in diese Kategorie gehören - insbesondere in der Altstadt. Die Straßen sind dort sehr schmal - und entsprechend schmal auch die Fußwege (oft 30 bis 50 cm), des Öfteren gibt es überhaupt gar keinen. Das hindert die Einheimischen aber nicht daran, dort flott mit 40 bis 60 km/h durch die schmalen Gassen zu rasen. Man muss auf der Hut und umsichtig sein.

Eine kleine Situation mag dies beschreiben: Es ist schon an meinem letzten Tag in Ponta Delgada - soll sagen, dass ich eigentlich schon ganz gut eingeübt bin auf die Verhältnisse. Und ich gehe gemütlich durch eine dieser Gassen, eine Einbahnstraße. Auf der rechten Fahrtseite parken Autos dicht an dicht. Um dieser Enge etwas auszuweichen, gehe ich auf der linken Seite - und ich höre von hinten ein Auto nahen. Einen Fußweg gibt es auf meiner Straßenseite nicht. Ein Blick nach hinten zeigt mir: Der kommt richtig flott angefahren! Und das wird richtig eng! Ich flüchte mich eilig in einen nur leicht nach hinten versetzten Hauseingang, was nur ein paar Zentimeter Platzgewinn bringt. Der Autofahrer geht ein ganz klein wenig vom Gas - was kaum eine Änderung bringt. Es bleibt einfach extrem eng, ich bekomme es mit der Angst. Zehn Meter bevor er mich erreicht, schnellt dann plötzlich eine Hand aus dem Fenster des Autos und klappt geübt und blitzschnell den Seitenspiegel ein. Wenn man nicht vom Gas gehen will bzw. gar anhalten, dann ist genau das jetzt die einzige Möglichkeit, mich nicht zu verletzen. Puh - das war extrem knapp! Es geht um Zentimeter in den schmalen Gassen. Zwanzig Meter später kommt die Hand wieder aus dem Fenster des Autos und klappt den Seitenspiegel wieder raus - während ich mit Herzklopfen an die Tür gepresst stehe. Mein Fehler ist einfach, auf der falschen Straßenseite zu gehen, weil ich mich nicht an den vielen parkenden Autos vorbeiquetschen will. Der Autoverkehr - schon recht speziell auf São Miguel.

Aber sonst negatives über São Miguel??? In die Kategorie "nervig" fällt: Das ständige Verbrennen und Verkokeln von Massen an Gartenabfällen hat mir manchmal den Wandergenuss etwas verleidet. Manchmal ist der Gestank durch diesen Unfug kilometerweit zu riechen. Eine Unsitte, die ich zumindest zu dieser Jahreszeit verblüffend oft wahrgenommen habe. Nicht schön!

 

EINE ART FAZIT: NOCHMAL AUF DIE AZOREN? ABER IMMER!!

Aber sonst fällt mir nichts mehr ein, was es zu Bemeckern gäbe. Auch ohne die ganz, ganz großen Sensationen ist São Miguel eine fantastische Insel! Verblüfft bin ich darüber, wie dicht die Insel besiedelt ist. Das hatte ich mir irgendwie etwas einsamer vorgestellt. Aber es gibt im Inselinneren auch genügend "Hinterland" und nette kleine Dörfer.

Sehr angenehm fand ich, dass überall das normale Leben war. Nirgendwo beherrschen Touristen das Bild. Als Tourist bin ich im Januar eine absolute und etwas exotische Randerscheinung, die abseits der Stadt gerne auch mal neugierig beäugt oder auch freudig und freundlich begrüßt wird. Nicht unangenehm!

Und - wie habe ich es genossen, im Januar blühende Blumen in freier Natur zu sehen und auch mal nur im T-Shirt unterwegs zu sein - wobei dies auf den Azoren beileibe keine Selbstverständlichkeit ist. Ich hatte wohl zum Teil schlicht etwas Glück und es gab ja auch einige sehr trübe Tage - aber so richtig wildes Atlantik-Wetter blieb mir auch erspart. Das kann es im Winter durchaus öfters mal geben, mit gewaltigen Stürmen und Wellen. Aber auch das wäre ja ein Naturerlebnis.

Ob ich nochmal auf die Azoren reisen würde? Ohne zu zögern: Na klar! Am liebsten sofort! Wohl nicht im Hochsommer, wenn dort wohl auch spürbare Mengen an Touristen unterwegs sind. Aber ich nehme an, dass es außerhalb der Hochsaison nie überlaufen ist auf den Azoren.

Und, wenn ich nochmal dorthin reisen würde, auf jeden Fall für mindestens 14 Tage. Dann allerdings würde ich den Aufenthalt auf zwei Inseln verteilen, wenn nicht gar auf drei Inseln (aber es soll ja nicht unstet und hektisch werden).

Sicherlich, die Azoren sind schon längst kein Geheimtipp mehr. Aber glücklicherweise sind sie noch längst nicht so vom Massentourismus geprägt, wie viele andere Inseln. Einfach schöne, stark vom Vulkanismus geprägte Inseln - abseits vom Rest der Welt mitten im Atlantik.

 

Zu meiner externen Seite mit einer Bilderserie mit 100 großformatigen Bilder von der Insel São Miguel (neues Fenster öffnet).

 

 

 

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Dirk Matzen

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