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Die Isländische Flagge vor den Bergen im Hochland von Landmannalaugar.
Es ist bereits der fünfte Tag, den ich jetzt in diesem Sommer in Island verbringe. Zwei Tage davon habe ich in der Hauptstadt Reykjavík verbracht, die anderen beiden Tage auf Ausflügen. Nun, eben am fünften Tag, steht wieder ein Ausflug an. Mein Ziel heute: Die "bunten Berge" in Landmannalaugar (gesprochen inetwa "Lantmannalöichar"). Eines der bekanntesten Wandergebiete in Island, mitten im südlichen, unbewohnten Hochland der Vulkaninsel gelegen ist Landmannalaugar durchaus eines der bekannten touristischen Highlights von Island.
Gebucht habe ich diese Tour bereits lange im Voraus, daheim, bei meinen Planungen der Island-Reise. Über das Internet kann man sich dabei noch daheim bequem einen der verschiedenen Anbieter solcher Touren aussuchen und das ganze schon fix buchen (und bezahlen - wofür man einen dreistelligen Betrag einplanen sollte, also in Euro, nicht in isländischen Kronen...). Geplant habe ich den Ausflug als Tagestour - was nicht unbedingt eine richtig tolle Idee ist, wie ich vor Ort dann bemerken werde. Dazu später noch ein wenig mehr. Die meisten jedenfalls, die an diesem Freitagmorgen in Reykjavík starten, planen jedenfalls eine mehrtägige Tour in die Top-Wanderregion von Island. Darüber hatte ich mir zuvor gar keine Gedanken gemacht und ich hätte auch nicht die notwendige Ausrüstung für einen mehrtägigen Aufenthalt in Landmannalaugar auf dieser Reise dabei gehabt - aber eigentlich ist Landmannalaugar eine klassisches Mehrtages- oder auch Streckenwandergebiet.
Früh geht es los, es ist nicht so "meine Zeit", schon gar nicht im Urlaub: Um fünfzehn Minuten vor sieben Uhr verlasse ich meine Unterkunft, um pünktlich um zehn Minuten nach sieben Uhr in den Reisebus zu steigen - unten am Nordmeer, direkt neben der neuen, großartigen Konzerthalle "Harpa".
An einem Freitagmorgen um Viertel vor sieben Uhr ruht die isländische Hauptstadt Reykjavík noch sehr in sich! Auch in der Þórsgata, einer der zentralen Straßen der Stadt (im Hintergrund versinkt die Hallgrimskirkja im Nebel). Immerhin: Es ist Ende Juni, Hochsommer auf Island - bei heute morgen neun Grad Celsius in der Hauptstadt. Immerhin!
Beim Warten auf den Bus in das Hochland schweift der Blick über die Küste auf das Nordmeer. Welch ein trüber, trüber Tag auf Island - wieder mal.
Es ist schon wieder so unbegreiflich trübe und grau an diesem Morgen in Reykjavík - wie fast die gesamte Zeit meines Aufenthalts in der isländischen Hauptstadt. Das offenbar typische Island-Grau. Vom Wetter her wirkt Island in diesem Sommer wirklich ziemlich tragisch. Aber, zugegeben: Es fährt ja auch niemand wegen des Wetters nach Island...
Sondern eher wegen der spektakulären Landschaft der Insel. Und genau davon will ich heute wieder etwas mehr kennenlernen.
Dem geht jedoch eine Busfahrt voraus. Zunächst geht es noch eine ganze Weile durch die mir immer noch riesig erscheinende, 230.000 Einwohner (in der gesamten Metropolregion) zählende isländische Hauptstadt Reykjavík (in der ich im Januar 2011 schon einmal ein paar Tage verbracht hatte, hier ist der Reisebericht dazu) - nach dem Start bei "Harpa" werden am Campingplatz in Reykjavík noch eine Menge Leute eingesammelt. Dass es dabei einen Zusammenhang gibt - man fährt nach Landmannalaugar, um dort auch zu zelten - das ist mir zunächst gar nicht so richtig klar und geht mir erst später auf.
Entgegen meiner sonstige Reiseschilderungen gebe ich hier auch einige Eindrücke der Fahrt selber wieder - allein von der Zeit her macht diese ja den größeren Teil des heutigen Tages aus. Und hat dabei immerhin auch ein paar interessante Momente.
Island - Lupinenland! Rund um das kaum bewachsene Hochland herum ist ganz Island im Sommer eine lila Wolke: Die Alaska-Lupine breitet sich explosionsartig auf der Insel aus.
Die Fahrt durch die isländische Landschaft, die im diesem trüben, diesigen Morgennebel versinkt, ist zunächst wenig inspirierend. Ab und zu gibt es kurze Momente, in denen es ein wenig aufklart und sich der Blick etwas in die gewaltige isländische Landschaft weitet. Aber meist sieht man nur diese typische moos-grüne Landschaft, gerne auch mal quadratkilometerweit die gerade blühenden, lilafarbenen Alaska-Lupinen, die man mal in Island eingeführt hat, um den kargen Boden per Gründüngung zu verbessern. Mittlerweile fühlt sich die genügsame Pflanze auf Island so wohl, dass sie sich in Windeseile immer weiter ausbreitet.
Einigen Bussen auf der Raststätte in Hella sieht man an, dass sie nicht nur auf Asphalt unterwegs sein werden.
Es gibt einen Stopp in Selfoss, wo noch einzelne Mitfahrer eingesammelt werden. Mit gut 8.000 Einwohnern ist Selfoss immerhin die größte Stadt Südislands. Bis es nach rund zwei Stunden Fahrt eine Pause an einer Raststätte in der Ortschaft Hella gibt, sind damit die Eindrücke bis dahin schon weitgehend beschrieben: Besonders spannend ist die Fahrt bisher nicht.
Eine Weile später dann wird es dann allerdings interessant auf der Busfahrt: Es geht in das Hochland. In die Wildnis, sozusagen. Völlig unberührt ist diese Wildnis zwar nicht gerade, denn es gibt immerhin eingefahrene Wege. Schotterpisten - durch vulkanischen Schotter. Nicht asphaltiert, aber eingefahrene Wege. Ein wenig grün ist die Landschaft auch hier noch, aber es sind nur noch Moose, die hier als Pionierpflanzen auf dem Lavaboden wachsen. Aber der größte Teil der Landschaft ist grau bis schwarz. Vulkanasche eben. Fremdartig! Aber genau so etwas mag ich.
Unterwegs auf der Hochlandstraße "Sprengisandsleið": Auf einer Brück geht es über den Fluss "Tungnaá".
Überall gibt es in dem ansonsten weithin unwegsamen Gelände Wasser. Ja - unheimlich viel Wasser! Riesige Seen säumen immer wieder den Weg: Die Schnee- und Eisschmelze ist jetzt im Hochsommer in vollem Gange. Über allem dieser stahlgraue Himmel, dessen Wolken seit Tagen so fest hängen, als seien sie tatsächlich aus Stahl und am Himmel festgeschraubt.
Das Wasserkraftwerk "Hrauneyjafoss" erzeugt seit 1981 210 MW an einem Zufluss zum See "Sporðöldulón". Anders, als landläufig vermutet, wird die Hauptmenge des elektrischen Stroms auf Island nicht mit Geothermalen Kraftwerken erzeugt (dies sind rund 25 %), sondern zu 75 % durch Wasserkraft. Die elektrische Energie auf Island wird somit zu 100 % aus regenerativen Energien erzeugt. Zudem sorgt geothermale Energie zu 90 % für Heizung und Warmwasser auf Island.
Zwei Flussarme mit völlig unterschiedlicher Farben fließen in den Stausee "Hrauneyjalón".
Aber trotzdem: Man sieht eine Landschaft an sich vorbeiziehen, wie es sie daheim natürlich nirgendwo auch nur andeutungsweise zu sehen ist. Kahle, weite, karge Landschaft von einer ganz eigenen Schönheit zieht an dem gemächlich mit um die 20-35 km/h über die Piste rumpelnden Bus vorbei. Leider ist das Licht viel zu schwach, um aus dem fahrenden Bus heraus sinnvolle Fotos machen zu können. Wie schade!
Bald tauchen die ersten Berge auf, von denen fast die Hälfte noch von Schnee bedeckt ist - willkommen im Hochsommer auf Island. Sozusagen Schwarz-weiße Berge. Bei dem fahlen, grauen Licht sind Farbfotos ein fast schon überflüssiger Luxus. Eine ebenso unwirkliche, wie unwirtliche Gegend. Aber ich mag ja solche ursprünglichen Welten sehr! Eine Welt, bei der man das Gefühl hat, dass sie ganz jung ist (was sie, geologisch gesehen, auf Island in der Tat ja auch ist) und dass sie eigentlich noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat (was natürlich Blödsinn ist, da es hier ja Verkehrswege gibt).
Die Fahrt selber wird allerdings immer spektakulärer, die Landschaft vor den Busfenstern immer irrealer. Und immerhin gibt es auf der Fahrt noch zweimal eine kurze Pause, zum Beine vertreten - und für den, nun ja, "Tourenmanager" für jeweils eine Doppel-Zigarettenpause.
Hierfür sind immerhin eindrucksvolle Landschaften ausgesucht wurden: Die erste Pause ist nach insgesamt vier Stunden Fahrt im Naturpark Fjallabak, direkt neben einem reißenden Fluss, umgeben von wilden Vulkanbergen. Hier ist fast alles grün: Von Moos überwachsenes Lava-Gestein. Zwar nur ein kurzer Stopp, aber: Wow! Das ist Island - wie aus dem Bilderbuch. Das ist großartig - sowas will ich doch sehen, dafür bin ich hierher gekommen. Die Pause ist eigentlich zu kurz.
Zehn Minuten Pause bei der Busfahrt am Rande des Naturparks "Fjallabak". Die moosbewachsene, zart-grüne Umgebung ist ebenso wildromantisch, wie eindrucksvoll.
Da ist sie wieder, die "Tungnaá" - der Fluss, dem wir schon früher am Tag wiederholt begegnet sind. Hier aber ist wasserreicher, reißender Fluss zwischen vulkanischen Bergen.
Ebenfalls wie aus dem Island-Bilderbuch: Zwanzig Minuten später stehen wir am nächsten Punkt für eine Pause. Allerdings nur eine sehr kurze Pause: Am Rand des riesigen Vulkankraters mit dem See "Hnausapollur" pfeift überraschenderweise ein dermaßen brutaler, eisiger Wind, dass nur schnell ein paar Fotos gemacht werden, dann verschwinden alle wieder in den Bus. Hochsommer auf Island... Bei Sonnenschein muss der Blick in den Krater umwerfend sein: Das selbst bei dem trüben Licht strahlende türkise Wasser, graue, schwarze, leuchtend rote Asche mit teilweise grünem Moos, hier und da ein Schneefeld. Was für ein Anblick! Viel mehr, als ein schneller Fotostopp ist das heute hier leider nicht - aber ein lohnender. Blöde nur, dass der stürmische Wind mir dann auch noch unbedingt ein paar Regentropfen auf mein Objektiv wehen muss!
Selbst bei stahlgrauem Licht ein unfassbar türkis schimmernder See: Der "Hnausapollur" in einem Vulkankrater.
Man stemmt sich gegen den eisigen Sturm am Kraterrand des "Hnausapollur": Die Mitfahrenden des Busses nach Landmannalaugar lassen sich den Anblick aber nicht entgehen.
Der Blick in die Umgebung des "Hnausapollur" zeigt die karge, lebensfeindliche Umgebung auf dem isländischen Hochland hier in ca. 600 m Höhe. Und doch hat diese Ursprünglichkeit eine ganz eigenen Schönheit.
Die letzten Kilometer auf dem Weg nach Landmannalaugar lassen mich ahnen: Hier bin ich richtig! Die Umgebung ist spektakuläre, wilde, ursprüngliche Natur. Toll! Es kribbelt in den Beinen.
Wenige Kilometer vor Landmannalaugar passieren wir den See "Frostastaðavatn".
Kurz vor Landmannalaugar: Das Moos hat die Vulkane in diesem Gebiet schon weitestgehend begrünt.
Direkt nach der Ankunft zeigt ein Blick auf mein GPS-Gerät: Nach exakt fünf Stunden Fahrt, um zehn Minuten nach 12 Uhr sind wir angekommen. 220 Kilometer Strecke hat der Bus in dieser Zeit zurück gelegt. Gar nicht soo weit entfernt von der Mitternachtssonne ist man hier, ich bin ganz schön weit um Norden dieser Erde. Doch leider ist es hier derzeit so duster, als würde die Sonne gleich untergehen.
Das ist Camping für robuste Naturen: Der nasse, matschige und steinige Campingground in Landmannalaugar - bei sechs Grad Celsius. Immerhin: Das Abendlicht bei diesem Foto ist vergleichsweise freundlich-hell.
Der Campingplatz in Landmannalaugar hat in einigen Gebäuden und LKW alles an Infrastruktur zu bieten, was der Wanderer so braucht.
Mein erster Blick in die Runde erstaunt mich. Mit einer unwirklichen Landschaft habe ich ja gerechnet. Und die bekomme ich auch reichlich geliefert: Wir sind hier auf rund 600 m Höhe, rundherum sind jedoch noch höhere, meist rundgeschliffene, ocker-braun-schwarz-bunte Berge, oft mit enormen Schnee- und Firnfeldern versehen. Und überall rauscht das Wasser, auch hier.
Womit ich allerdings irgendwie nicht gerechnet habe, ist die Infrastruktur: Eigentlich steht hier alles, was man so braucht. Einige Häuser stehen hier, ein Laden, sanitäre Anlagen, diverse LKW mit Infrastruktur-Funktionen, ein Recyclingcontainer, und einige Autos parken hier. Auf dem Campingplatz stehen auf steinig-matschigem Grund verblüffend viele Zelte. Relativ viele Leute sind hier an diesem Ort, irgendwo im totalen Nirgendwo - der zwar super-interessant, aber nicht gerade einladend wirkt.
In der sensiblen Natur ist auch für Ordnung gesorgt: Ein Recyclingcontainer irgendwo im Nirgendwo im isländischen Hochland.
Bei sechs Grad Celsius Baden im Freien im Wasser der Schneeschmelze? Klar - in Island geht so etwas: Einer heißen Quelle sei Dank.
Ein Stück rechts neben den Gebäuden dampft es beständig: Einer der Bäche wird offenbar von einer heißen Quelle gespeist. Dort baden einige Leute ganz wohlig im warmen Wasser - ich werfe nur einen kurzen Blick darauf, freue mich ansonsten über die vier Lagen Kleidung, die ich trage. Denn es ist nicht gerade warm hier, sechs, sieben Grad - Hochsommer in Landmannalaugar. Nichts für Camper, die nicht hartgesotten sind. Die weitaus meisten der im Bus mitgefahrenen nehmen schweres Gepäck auf: Sie haben ganz offenkundig viel Größeres vor, als ich.
Aber ich will hier ja nicht zelten, ich will ja nur ein paar Stunden wandern, hole mir dafür von dem Busbegleiter noch einen direkten Tipp ab. Sein Tipp: Dort vorne auf den Berg, das würde eine halbe Stunde dauern. Was ich mit den restlichen fünf Stunden Zeit während des Aufenthalts machen könne, ist mir gerade nicht so richtig klar - aber das wird sich ja zeigen. Immerhin: Der Tipp erweist sich letztlich als guter Hinweis und bringt mich in die richtige Richtung. Fünf Stunden und 45 Minuten Zeit habe ich hier jetzt, dann fährt der Bus ab - wieder fünf Stunden Fahrt zurück.
Ich weiß also sofort, wohin ich jetzt muss. Nachdem ich mich gut zwanzig Minuten lang hier im "Wander-Zentrum" umgeschaut habe, kribbelt es doch in den Beinen - ich mache mich auf den beschriebenen Weg. Um nicht durch einen reißenden Bach zu müssen, beginnt dieser mit einer kleinen Kletteraktion. Unkompliziert - kein Problem. Glücklicherweise trägt mich auch das schon sehr unterspülte Firnfeld, über das ich rüber muss (was ich erst nach dessen Überquerung sehe).
Wer will, kann ja auch durch den Bach laufen, ich bevorzuge den kleinen Trampelpfad über die Steine mit dem matschigen Moos darauf. Der Blick geht hier zurück in Richtung Campingplatz.
Waren in dem touristischen Zentrum von Landmannalaugar noch etliche Menschen, so ist man hier auf dem Weg ziemlich schnell für sich allein. Nicht so völlig allein, man trifft hin und wieder mal andere Wanderer. Das ist ja nicht unbedingt schlecht, gerade für mich als Alleinwanderer, denn wenn ich mir hier irgendwo den Fuß brechen (oder auch nur verstauchen) würde oder in einem Schneefeld einbreche, dann liege ich hier nicht tagelang unentdeckt herum, sondern es würde sicherlich Hilfe möglich sein. Trotzdem: Man hat hier erstmal so seine Ruhe, um sich nach ganz eigenem Ermessen auf diese bizarre Landschaft einlassen zu können. Großartig!
Sehr schnell erobert diese wilde, von menschlichen Eingriffen größtenteils unbezwingbare Landschaft mein Herz. An einem ziemlich flott dahinrauschenden Bach geht es entlang. Dort ist auch gleich die Brücke zu sehen, die über den wirklich reißenden Bach zu dem empfohlenen Berg führt, naja: ... führte. Es ist nicht viel von ihr übrig, sie hat den Winter (erst seit zwei Wochen ist die Strecke nach Landmannalaugar offiziell wieder freigegeben) nicht gut überstanden. Eine Überquerung des Baches ist hier schlicht unmöglich. Eine andere Möglichkeit hierfür sehe ich auch nirgends. Also: Offenbar gibt es keine Chance, dem Tipp des Tourenbetreuers zu folgen und auf den Berg "Bláhnúkur" zu steigen. Da folge ich doch einfach dem dem Schild mit der Beschriftung "Grænagil". Eine sehr gute Entscheidung - wie sich im Verlauf des Tages zeigen wird.
Auf einem Pfad, der über Kieselsteinschichten auf weichem, matschigem Untergrund verläuft - man spürt und weiß, dass dieser weiche Untergrund ganz offenkundig vor nicht allzu langer Zeit noch von Wasser überspült worden ist. Also eigentlich die öfter mal überspülte Uferzone, über die ich hier laufe. Aber alles ist gut, es lässt sich prima gehen hier.
No Way! Nur kleine Überreste der Brücke sind zu sehen: Keine Chance, den Bach zu überqueren - ich bleibe für meine Wanderung diesseits des Baches.
Blick auf den "Bláhnúkur", den "Blauer Gipfel". Mir erscheint er ja eher aus grünlichem Gestein zu bestehen - aber die ungewöhnliche Erdenfarbe schlägt mich umgehend in ihren Bann.
Der reißende Bach schlägt so seine Bögen, auf der linken Seite erhebt sich ein Berg in einer Farbe, die ich als Farbe der Erde auch noch nicht oft gesehen habe: Dunkelgrün-bläulich schimmert der "Bláhnúkur" ("Blauer Gipfel") direkt neben mir, trotz des fahlen Lichts. Eine wahrlich magische Farbe! Sie erinnert mich von der Farbe her ein wenig an oxidierte Kupferdächer. Womöglich kupferhaltiges Gestein? Was für ein sonderbarer Gedanke mir da umgehend kommt: Gerne würde ich diese Farbe mitnehmen!
Die Gelegenheit hierzu bietet sich in der Tat umgehend - als ich zu meinen Füßen einen größeren Brocken dieses Gesteins sehe. Eher sanft trete ich drauf, und er zerfällt sofort in viele Einzelteile. Dieses türkise Etwas des Berge nebenan auf der anderen Seite des Bachs ist gar nicht felsig, sondern eher tonartiger Boden. Immerhin bietet das die Möglichkeit, die Farbe tatsächlich mitzunehmen, ein kleines Stückchen von dieser Farbe stecke ich in die Hosentasche. Was sich im Verlauf des Tages allerdings nicht als richtig gute Idee erweist, da das Ganze eher bröselig-schmierig wird und ich später ziemliche Mühe habe, das Geschmiere aus der Tasche wieder zu entfernen...
Blick entlang des "Bláhnúkur", den "Blauer Gipfel". Mir erscheint er ja eher aus grünlichem Gestein zu bestehen - aber die ungewöhnliche Erdenfarbe schlägt mich sofort in ihren Bann. Surreal!
Aber, nicht zum ersten Mal in meinem Leben denke ich: Warum nur habe ich so unglaublich wenig Ahnung von Geologie? Ich habe keine Ahnung, was dieses grün-blaue Etwas, das ja auch links neben mir rund dreihundert Meter in die Höhe ragt, hier ist. Aber vielleicht macht ja gerade diese Ahnungslosigkeit viel von der Faszination aus, die mich beim Betrachten gerade so richtig packt? Und die wird in den nächsten Stunden auch noch anhalten - ich ahne es bereits.
Diese kleine Schilderung zeigt: Die Gegend nimmt mich in null-komma-nichts ein und fasziniert mich sofort. Es kommt das Gefühl auf, hier auf dem Weg "Grænagil" durch eine Art Schlucht zu wandern - auch, wenn die Abhänge nicht so wahnsinnig steil sind, links und rechts begleiten mich beständig Berge. Ich bin hier in meiner persönlichen isländischen Wander-Wunderwelt.
Und so schlängele ich mich den Weg entlang, der Bach mäandert die ganze Zeit ein wenig zwischen den diversen Bergen, und ich verbringe sicherlich genauso viel Zeit damit, zu gucken und zu fotografieren, wie zu wandern. Eigentlich brächte ich dafür hier jetzt deutlich besseres Licht! Aber man kann ja nicht alles haben, denn andererseits ist es hier gerade ziemlich ruhiges Wetter, kein Regen, kaum Wind - auch, wenn kühl ist: Es ist sehr angenehm, hier heute zu wandern.
Also auch in diesem fahlen Licht ist die Umgebung, durch die ich mich hier bewege, magisch für mich. Manchmal habe ich das Gefühl, für die Entdeckung genau solcher Momente reise ich überhaupt. Per Foto lässt es sich kaum richtig einfangen, aber die feinen Nuancen der Farben der Berge sind einfach fantastisch. Gerade hat sich ein vulkanischer Berge ins Sichtfeld geschoben, dessen Farbe irgendwo bei dunkellila-grau ist. Wenn das hier "die bunten Berge" genannt wird, dann nicht, weil die Berge hier mit grellen Farben leuchten, man muss schon ein wenig genauer hinschauen. Dann findet man rundherum traumhaft schöne erdige Farben. Gerade schiebt sich ein etwas höherer, teilweise braun-schattiert, teilweise leuchtend rot, teilweise grau marmorierter Berg in das Sichtfeld - die Brennisteinsalda ("Schwefelwelle"), Gipfel 855 m. Was für ein grandioser Anblick! Atemberaubend!
Was für eine günstige Gelegenheit, sich einmal die Hose so richtig mit Matsche vollzuschmieren! Zumindest, wenn man nicht so richtig auf den Weg, sondern eher staunend in die Gegend schaut.
Ein faszinierend bunter Berg kündig sich an: Der Vulkan "Brennisteinsalda" mit kunterbuntem Gestein.
Zwischendurch passiert man immer wieder mal schmelzende oder angeschmolzene Firnfelder. Teilweise bieten diese die tolle Gelegenheit, sich die Hose kräftig mit irgendwelchen Matschrückständen vollzuschmieren. Warum nur nehme ich diese Einladungen immer wieder an? Aber, egal, das tut dem Spaß an der Wanderung nicht den geringsten Abbruch.
Um die höchst empfindliche Vegetation zu schützen, hat man hin und wieder mal eindeutige Wegmarkierungen oder auch Verbotsschilder aufgestellt. Ja - ich kann mir gut vorstellen, dass die wenigen Pflanzen und Moose, die hier in der unwirtlichen Umgebung die mühsame Pionierarbeit auf der Asche leisten, streng geschützt werden müssen. Umso mehr ärgert es mich, wenn es offenbar nicht wenige Leute gibt, die sich lässig darüber hinweg setzen. Wenn trotz eines Verbotsschildes richtige Trampelpfade entstehen, dann können es nicht echte Naturfreunde sein, die so etwas anrichten.
Ein Pfad in der isländischen Wildnis: Der Wanderweg in der Grænagil-Schlucht ist leicht zu finden und auch leicht zu gehen.
Blick in die Umgebung an der Grænagil-Schlucht.
Nicht wanderbar: Ein kleiner Canyon, ein Seitenarm der Grænagil-Schlucht.
Hochsommer im isländischen Hochland: Grün breitet sich aus und ein paar verwegene Blumen wagen sich hinaus.
Der Weg verläuft mittlerweile nicht mehr direkt auf dem Ufersaum des reißenden Bachs, er führt jetzt durch die direkt angrenzende Landschaft. Immer wieder geht es etwas auf und ab - das verändert die Perspektiven und Blickwinkel auf die höchst dramatische Umgebung immer wieder. Alles ist gut zu wandern, keine Probleme.
Was für eine erstaunliche Gegend! Jeder Mensch hat ja ganz eigene Vorstellung, aber die karge Schönheit dieser wilden, urtümlichen Gegend hier - sie ist für mich geradezu erbarmungslos!
Hin und wieder tauchen am Wegesrand ein paar kleine, fast winzige Blumen auf. Obwohl ich hier noch eher ein winterliches Gefühl habe, haben diese Blümchen offenkundig ein etwas anderes Empfinden: Sie blühen. Es ist ja auch Hochsommer. Mich erinnern die kleinen, zarten Blumen sehr an Blumen, die man z.B. im Hochgebirge der Alpen so sieht. Hier sind es nur noch deutlich weniger und noch etwas zartere Pflanzen, wenn auch auf deutlich niedrigerer Höhe (ich bin hier gerade mal auf rund 650 m Höhe).
Gerade geht es durch ein Feld mit großen, oft moosbewachsenen Gesteinsbrocken. Auf den ersten Blick scheint es fast undurchquerbar, wenn man nicht auf größere Kletterein eingestellt ist. Aber doch: Man hat in bestimmt mühseliger Kleinarbeit einen Weg erkundet und so ausreichend markiert, dass man gut und recht komfortabel durch dieses Gebiet durchkommt.
Über ein wildes Lavafeld geht es in Richtung des Berges "Brennisteinsalda".
Zusehends nähere ich mich dem Berg "Brennistein-salda" mit den hundert Farben braun-rot-grau. Ein faszinierender Anblick. Vor dem Berg dampft es gewaltig, was meine Neugierde eher steigert. Kocht dort etwa gerade jemand sein Mittagessen? Also... ein Troll, meine ich natürlich. Für die winzigen Menschlein, die ich vor der Kochstelle mittlerweile hin und wieder ausmachen kann, ist die Kochstelle ja viel, viel zu groß! Von der Zeit her könnte es jedenfalls bestens zum Mittagessen passen. Und irgendwie ist es bei solchen Naturwundern gar nicht so erstaunlich, dass sich der feste Glaube an Trolle und auch Elfen in Island seit Jahrhunderten bis heute hält. Fast meine ich selber ja auch, gerade jetzt die Troll-Küche dort vorne wahrnehmen zu können.
Seit erst einer Stunde bin ich unterwegs, schon voll mit Eindrücken und nach wie vor sehr viel mit Fotografieren und Knipsen beschäftigt. Denn es ist erstaunlich, wie rasant sich Umgebung und Perspektive immer wieder ändern. Der Weg bietet wirklich eine gewaltige Vielfalt.
Schon stehe ich mittendrin in dem heißen, stinkenden Dampf am Fuße des rot-braun-grauen Berges. Was für eine unwirkliche Welt!
Immerhin stoße ich hier zum ersten Mal seit dem Start auf einen Wegweiser. Der Name des Weges durch die Schlucht Grænagil, den ich ursprünglich eingeschlagen hatte, taucht hier gar nicht mehr auf - dafür wird aber u.a. der Laugavegur angezeigt (DER isländische Streckenwanderweg, er führt über insgesamt 54 km nach Þórsmörk) und auch die richtige Richtung zurück zum "Zentrum" von Landmannalaugar. Die Orientierung ist also kein Problem. Und auf der Strecke bis hierher war ein Verlaufen unmöglich, da es keinerlei Möglichkeit gab, den durch die natürlichen Begebenheiten begrenzten Weg durch die Schlucht zu verlieren.
Am Fuß des Berges "Brennisteinsalda" zischt, dampft und stinkt es an allen Ecken und Ende - der Kochtopf der Trolle?
Der Berg "Brennisteinsalda" - eine Mischung an allen möglichen Farben der Erde.
Den stinkenden, dampfenden Kochtopf des Trolls lasse ich dann ziemlich schnell hinter mir und steige den roten Berg ein Stückchen hinauf. Das wird umgehend doch wesentlich steiler, als ich vermutet habe - und da die Hälfte des Weges auf dem pappigen, alten Schnee verläuft, fühle ich mich darauf gar nicht recht wohl, weiß auch nicht so richtig, wohin ich dort jetzt gerate, weiß ja auch nicht wirklich, wie lange der Weg zurück dauert. Also drehe ich auch in anbetracht der begrenzten Zeit kurzerhand wieder um und laufe einfach wieder hinunter. Ich hätte auch gar nicht wirklich gewusst, wohin der Weg mich führt (erst später wird mir klar, dass ich hier durchaus noch Zeit gehabt hätte, mehr zu erkunden - aber hinterher ist man ja immer schlauer...). Keine Experimente hier irgendwo im Nirgendwo - wo sich allerdings nicht gerade wenige Leute herumtreiben, etwa zwei Dutzend Leute sind hier im Umfeld gerade sichtbar unterwegs. Und zusätzlich ca. acht Franzosen auf dem Grat des Berges, die nicht nur sichtbar, sondern auch weithin hörbar sind. Irgendwie stört deren Lärm die Erhabenheit dieses grandiosen Ortes - finde ich jedenfalls. Also setze ich mich einfach auf einen Stein am Wegesrand und warte, bis diese Wanderskollegen außer Sicht- und vor allem Hörweite sind. Eine kleine Pause ist nach immerhin jetzt schon rund zwei Stunden Wandern ist eh gar nicht so eine schlechte Idee. Selten habe ich an einen so surrealen Ort mein Mittagessen zu mir genommen: Hundert Meter vor mir dampft und zischt es aus vielen Löchern in der Erde. Eine faszinierende Aussicht von meinem Pausenplatz.
Mein heutiger "Mittagstisch" am Rande des Wanderwegs Laugavegur bietet eine erstaunliche Aussicht.
Als die Franzosen außer Hörweite sind, rappele ich mich so langsam wieder auf. Den Rückweg nach Landmannalaugar gehe ich nicht wieder durch die Schlucht Grænagil, sondern schlage einen Bogen auf einem kleinen Stück des Laugavegur. Ich gehe also gewissermaßen einen Rundweg.
Auch jetzt ist der Weg wieder einfach zu finden. Oft ist er breit und ausladend. Zunächst geht es ein wenig auf und ab. Sehr häufig sind Schneefelder zu queren. Und dies erfordert durchaus ein wenig Aufmerksamkeit. Zwar gibt es natürlich nirgendwo eine wirklich gefährliche Stelle, auf der man sonstwohin abstürzen könnte - aber die angeschmolzene obere Schneeschicht ist schon sehr, sehr rutschig, ich schlittere immer wieder mal so vor mich hin. Und auf einen Sturz lege ich so gar keinen Wert. Das klappt auch, aber es ist ein leicht anstrengendes Stück Wegstrecke. Wie schon ständig erwähnt: Hochsommer in Island... Immerhin: Hin und wieder tauchen ganz kurz mal winzige blaue Flecke am Himmel auf, die Wolkendecke ist also gar nicht mehr sooo dick.
Auf dem kurzen Stückchen Laugavegur zurück nach Landmannalaugar sind zunächst etliche Schneefelder zu queren: Der angetaute Schnee ist sehr rutschig. Und, eine Rarität am heutigen Tag: Man beachte die kleinen blauen Fleck am Himmel!
Nach einiger Zeit werden die Schneefelder wieder deutlich weniger - man kann unkompliziert ausschreiten und den Blick wieder mehr der umgebenden Landschaft zuwenden. Die ist hier zwar nicht so extrem spektakulär, wie in der Grænagil-Schlucht, aber trotzdem jeden Blick wert: Die zumeist um die 1000 m hohen Berge um mich herum (ich bewege mich hier derzeit auf ca. 700 m Höhe) sind eindrucksvoll - natürlich. Sie schimmern in allen und noch viel mehr vorstellbaren Erdfarben.
Noch im Wanderzentrum von Landmannalaugar hatte ich gesehen, dass es einen Weg gibt, der zwischen die Berge abzweigt und den ich eigentlich ein Stück lang erkunden will. Das klappt nicht, denn: Aus Gründen des Naturschutzes hat man den Weg mit einem unübersehbaren Schild gesperrt. Eine kurze Erklärung folgt auf dem Schild, dass der Weg überlastet sei und daher bis auf Weiteres gesperrt sei. Es sei strikt verboten, den Weg zu begehen. Und es gibt eine drastische Androhung, auch auf Englisch: "Violators will be punished by fine or prison for up to 2 years!". Potzblitz - hier nimmt man Naturschutz offenbar wirklich wichtig! Die Androhung von bis zu zwei Jahren Gefängnis beim Betreten des geschützten Naturgebietes scheint in der Tat zu wirken: Ich sehe keinen Trampelpfad...
"Area Closed" - kein Stück Weg in Richtung der "Landmannahellir" für mich heute.
Beeindruckend die Bergwelt am Rande des Weges in Richtung von Landmannalaugar.
Blick in die Landschaft am Laugavegur in der Nähe von Landmannalaugar.
Schade, dass ich dort nicht entlang kann, die markanten Berge wirken anziehend. So aber gehe ich weiter auf dem Weg in Richtung Landmanna-laugar. Der Weg ist hier jetzt eher ein Spazierweg durch ein vermoostes Lavafeld. Nach ein paar hundert Metern gibt es mal wieder eine Überraschung: Ein ganzer Trupp von Arbeitern ist hier intensiv damit beschäftigt, den Weg zu pflegen - viel Aufwand also für die wandernden Touristen, wie mich. Und: Ach ja, es ist ja Freitag - ein ganz normaler Arbeitstag hier in Island.
Insgesamt ist dieses Wegstück allerdings weit weniger spektakulär, als mein Hinweg durch die Schlucht. Und auch an diese urtümlich, mit Moos bewachsene Lavafeld (mit Namen "Laugahraun") gewöhnt man sich mit der Zeit immer mehr. Ich trotte also ein wenig vor mich hin.
Da kommt man zügig voran: Der Wanderweg entlang des Lavafelds "Laugahraun".
Ziemlich abrupt endet das Lavafeld und es geht hinab nach Landmannalaugar. Nachdem ich nun stundenlang durch die kargen Lavagebiete gelaufen bin, wirkt das saftige Grün der Ebene fast unwirklich.
Der Rest ist schnell erzählt. Nach einiger Zeit auf dem Weg, der sich recht unspektakulär durch das Lavafeld schlängelt, kommt man recht unvermittelt an einen recht schroffen Abstieg hinunter zu der grünen Ebene von Landmanna-laugar: Die Wanderung neigt sich dem Ende zu. Es ist aber durchaus lohnend, hier oben, ca. 40 m oberhalb der Ebene, auf der die Gebäude stehen und die Zelte auf dem Campingplatz stehen, noch etwas zu verharren und den Blick etwas schweifen zu lassen über das phantastische Panorama.
Was für eine bizarre Umgebung! Das saftige Grün der Ebene wirkt in dieser grau-ocker-braunen Umgebung der Bergwelt geradezu unwirklich. Was für ein toller Blick.
Der Weg hinab ist dann etwas mühsam. Steil geht es sowieso hinab, aber weil es noch ein großes Schneefeld gibt, bei dem eine gewisse Absturz-Gefahr besteht, hat man den Weg hinab noch etwas verändert. Und damit noch steiler gemacht, damit das rutschige, Schneefeld an steiler Stelle nicht gequert werden muss. Die ersten (und heute einzigen) Momente, bei denen ich mich etwas unwohl fühle. Mit etwas Konzentration ist das alles allerdings kein Problem.
Zurück geht's in Richtung des Campingplatzes Landmannalaugar.
Solche kleinen Gewässerquerung sind auf Wanderungen nicht gerade mein Liebstes - hier habe ich dieses Stückchen schon überstanden.
Ein Bach ist noch zu queren - anhand von Steinen und einem ausgelegten Holzbrett kein sonderliches Problem, aber ich mag solche Stellen bei Wanderungen nicht unbedingt so richtig gerne.
Nach drei Stunden 45 Minuten Weg bin ich wieder zurück in Landmannalaugar. Voll, ja: Randvoll mit Eindrücken von dem zurückgelegten Weg. Und ganz eingenommen von der grandiosen, unvorstellbaren Natur. Eine grandiose Wanderrunde - und soo lang ist sie ja auch gar nicht gewesen. Bis hierhin bin ich jetzt gerade mal 6,4 km Weg gewandert.
Bis der Bus wieder nach Reykjavík zurückfährt, sind es nun noch immerhin noch gut zwei Stunden Zeit. Was also tun? Große Experimente sind nicht wirklich gefragt - den Bus zurück sollte ich nicht unbedingt verpassen.
Erstmal ist aber eine ausgiebige Pause angesagt. Ein wenig trinken, etwas essen. Einfach mal eine Weile sitzen und gucken.
Sitzen und gucken - das ist etwas, was ich gerne mache, vorzugsweise in unbekannten Städten, um das Treiben und den Lauf der Dinge kennenzulernen. Nun - hier ist dieses Sitzen und Gucken auch ganz interessant, auch, wenn man hier wohl keine Einheimischen zu beobachten kann. Aber es herrscht ein reges Treiben bei den Campern. Bei vielen gewinne ich den Eindruck, dass es eine sehr ernsthafte Tätigkeit ist, hier zu campen. Das muss man offenbar sehr gewissenhaft angehen. Richtig hektisch werden Rucksäcke aus- und gleich wieder eingepackt. Geht es hier um Zeit...? Jedenfalls erlebe ich in meiner Entspannung rund um mich herum allerorten konzentriertes Packen und Räumen und Tun und Hin- und Herlaufen. Was für ein absurd anmutender Gegensatz zu dem großen, ruhigen, mächtigen Natur drumherum. Und fast bekomme ich ein schlechtes Gewissen, dass ich hier nur so nutz- und sinnlos herumsitze.
Sitzend und guckend registriere ich erstaunt und voller Bewunderung die beiden Strecken-Radfahrer ganz links, die hier eintreffen und sich ein lauschiges Plätzchen für ihr Zelt suchen. Gerne bin ich ja auch mit dem Rad unterwegs, gerne auch anspruchsvoll - aber das hier, im isländischen Hochland, das wäre mir dann doch zu robust.
Nach einer halben Stunde reicht es dann aber auch mit dem Rumsitzen und Gucken und Nachrichten schreiben (natürlich gibt es hier ein optimales Funknetz). Die Kälte dringt auch so langsam durch. Also - noch mal rauf auf die Beine! Einen Moment überlege ich, ob ich einfach nochmal ein Stück die spektakuläre Schlucht zu laufen, und diese dann einfach wieder zurück. Sicherlich kein schlechter Gedanke, zumal das Licht sich zuletzt etwas wandelt und immer wieder mal etwas hellere Momente auftreten.
Aber ich entscheide mich, einfach ein noch wenig diesen Ort, diese magische Hochebene zu erkunden. Die Chance dazu bekomme ich wohl nicht wieder.
Mittlerweile ist mir nämlich völlig klar, dass das hier nicht nur "Wunderland", sondern auch "Wanderland" ist. Ein Land, wie speziell zum Wandern so geschaffen. Einen Ausflug nach Landmannalaugar als Tagestour zu machen, ist ganz bestimmt keine schlechte Idee - aber es ist auch nicht die beste Idee! Eine großartige Idee ist es ohne Zweifel, sich mit guter Outdoor-Ausstattung zu versorgen, hier ein paar Tage zu verbringen, und die Region mit ausgiebigen Tageswanderungen zu erkunden. Oder gar Islands wohl berühmteste Streckenwanderung auf dem Laugavegur von Landmannalaugar nach þórsmörk zu machen (nach Beschilderung sind dies 55 km).
Ein Wegweiser im Camp: Der Möglichkeiten zum Wandern gibt es zahlreiche in Landmannalaugar.
Aber immerhin bin ich nun diesen einen Tag hier (soo schlecht ist diese Idee nun in der Tat ja auch wieder nicht), also genieße ich es in der Folgezeit, mich hier noch etwas ziellos herumzutreiben. Auf dem Land soweit zu gehen, wie das viele Wasser es gerade zulässt. Ein Stück die Fahrstrecke zurück zu laufen und mal zu schauen, wie es hinter den nächsten scharfen Kurve aussieht - auch noch dahinter. Wieder mal stoße ich dabei auch auf einen mit robusten Drohungen gesperrten Wanderweg, man macht hier Ernst mit dem Naturschutz. Schade, aber: Gut so!
Die Ebene neben dem Campingplatz gleicht einer Wasserlandschaft aus Flüssen und Seen, die sich je nach Niederschlag und Schneeschmelze bilden.
Die Fahrpiste für die Autos laufe ich einfach noch ein Stück an wechselnden Lava-Bergen entlang, als ich bis zur Abfahrt des Busses noch ein wenig Zeit habe.
Und, um es kurz zusammen zu fassen: Alles das ist eine gute Idee und bietet tolle Perspektiven und Ausblicke auf diese vulkanische Umgebung! Alles ist großartig - wenn man denn ein Faible für solche Umgebungen hat. Es ist insgesamt eine traumhafte Gegend zum Wandern. Mehr Natur geht kaum, und rund um den Campingplatz herum ist man sehr schnell in der Wildnis des isländischen Hochlands angekommen. Und - ich weiß dies durchaus zu schätzen: Weglos ist diese Wildnis immerhin nicht, es gibt Wanderwege, an markanten Punkten und Kreuzungen Schilder - recht komfortables Wandern in extrem ursprünglicher Natur. So, wie es hier rund um einen herum aussieht, sahen die Anfänge der Erde irgendwann mal aus. Mich faszinieren solche Regionen, wo man den Ursprüngen der Welt ganz nahe ist, immer sehr! Und genau dafür ist Landmannalaugar ohne jeden Zweifel ein perfektes Ziel.
Aber, noch einmal: Für Menschen, die auch so mögen, lohnt es sich unbedingt, hierfür mehr Zeit einzuplanen. Meine sechs Stunden Schnupperkurs waren da doch eher arg sparsam.
Auch das Stückchen Wanderweg auf dem "Suðurnámur" hat man aus Naturschutzgründen gesperrt. Dann bleibe ich halt auf der Fahrstrecke - Verkehr gibt es hier eh so gut wie gar nicht.
Ein Blick auf Höhenzüge in der Umgebung der Fahrtsrecke nach Landmannalaugar.
Nicht vergessen sollten man bei etwaigen Planungen: Es ist hier überall feucht und nass. Bestimmt gibt es auch mal intensivere Schneeschmel-zen (Klimawandel...), was diesen Effekt sicherlich noch verstärken wird. Möglich aber auch, dass im Spätsommer, wenn das meiste Eis und Schnee schon längere Zeit weggetaut sind, auch weniger Nässe die Umgebung bestimmt, als jetzt. Und noch ein Hinweis: Es ist Ende Juni, als ich hier bin. Hochsommer in Island, das bedeutet: Gerade mal eine gute Handvoll Plusgerade, überall noch Schneefelder, teilweise ausgedehnt. Robuste Charaktere stört dies aber sicherlich nicht so sehr, aber gute Wanderausstattung ist da unumgänglich. Ja ja: Willkommen im Hochsommer auf Island...
Glücklich schätzen kann sich, wer diese Gegend im Sonnenschein erleben darf. Ohne jeden Zweifel ist diese zwar farbenfrohe, aber nie bunte Region dann noch etwas atemberaubender!
Pünktlich um 18 Uhr geht es dann mit dem recht spärlich besetzten Bus wieder gen Reykjavík. Viereinhalb Stunden Fahrt liegen vor uns. Recht schnell merke ich: Die Route, die jetzt über das unbewohnte Hochland genommen wird, ist eine andere, als heute Morgen auf der Hinfahrt. Ist doch prima! Das gibt ja nochmal neue Eindrücke.
Lange sind wir hier wieder in weitestgehend unberührter Natur unterwegs, wenn man mal von der groben und natürlich nicht asphaltierten Fahrpiste absieht. Da geht es dann mit durchschnittlich gut 25 km/h voran. Nach 53 km und einer Fahrzeit von immerhin einer Stunde und 40 Minuten geht es aber auf eine gut asphaltierte Strecke und damit dann erheblich zügiger voran. Eine Dreiviertelstunde später erreichen wir wieder den Rastplatz bei Hella, immerhin die erste Ortschaft auf der Rückfahrt.
Auf der Busfahrt durch das Hochland - die gesamte Zeit hat man beeindruckende und urtümliche Landschaften im Blick.
Ein seltenes Ereignis am heutigen Tag: An einigen Flecken gibt es kurzzeitig mal ein paar Auflockerungen. Die Landschaft präsentiert sich dann in einem schönen Licht.
Zuvor jedoch ist die Umgebung unverändert grandios: Lavalandschaft, manchmal mit Moos bewachsen, drumherum leicht rundgeschliffene Berge, oft mit enormen Schneefeldern in den Furchen, und überall immer wieder Seen. Irgendwo erwischen wir einen kleinen Fetzen blauen Himmels mit ein paar Wolkenfetzen - ich bin so beeindruckt, dass ich bei mir denke, dass man schon allein, um die Chance zu erhöhen, die Landschaft mal in der Sonne zu erleben, einfach länger hier bleiben sollte!
Meine Güte: Um mit dem Rad in dieser Gesteinswüste unterwegs zu sein, muss man schon mutig und verwegen sein! Hier wird gerade geschoben - aber bis zum Camp in Landmannalaugar sind es nur noch rund 15 Kilometer Strecke (ein anderes Fahrtziel gibt es hier wohl nicht). Radlerfreude kann ich in der Gesichtern nicht entdecken.
Irgendwo im Nirgendwo, nach ca. 15 km Fahrt, kommen unserem langsam vor sich hinschaukelnden Reisebus zwei Radfahrer entgegen (auch schon am späten Nachmittag am Campingplatz in Landmanna-laugar hatte ich zwei Radler ankommen sehen). Es geht für beide ganz seicht bergauf, sie schieben dick eingepackt ihre schwer beladenen Räder und halten einen Abstand von rund 200 m zueinander. Als ich beim langsamen Vorbeiruckeln in die Gesichter der beiden schaue, denke ich bei mir: Radfahrerglück sieht aber ganz, ganz anders aus! Das hier ist eher reines Radlerleiden. Wie man mit Radlerglück aussieht, weiß ich ja gut und fahrradaffin bin ich ja auch - sehr! Und ich bin da gerne ja auch mal anspruchsvoll und auch mal robust unterwegs. Aber das hier, mitten im kargen, unbewohnten isländischen Hochland, das übersteigt meine Fähigkeiten und Möglichkeiten bei weitem. Und ich weiß gar nicht so recht, was ich bei diesen beiden Wagemutigen empfinden soll: Bewunderung? Mitleid? Ich entscheide mich für eine Mischung aus beidem...
Der markanteste Unterschied auf dieser Rückfahrt mit dem Reisebus ist allerdings: Es geht durch Furten. Meist geht es durch kleine Gewässer, Bäche, Flüsse. Das ist immer ein wenig spannend: So richtig weiß ja auch der Busfahrer nie, was unter der Wasseroberfläche verborgen ist. Und es ist immer auch etwas lustig: Man fährt da mit dem Bus und kann beobachten, wie man mit der Busfahrt richtige Wellen schlägt. Und sicherlich sind die Verhältnisse in den Gewässern ständig wechselhaft.
Der Fluss "Rauðfossakvísl": In Zeiten der Schneeschmelze, wie jetzt, ziemlich voller Wasser. Da müssen wir jetzt mit dem Bus durch ...
... Eine richtig große Bugwelle entsteht, als der Busfahrer nach einigem Zögern richtig Gas gibt, um das andere Ufer zu erreichen. Der Geländewagen drüber steht schon länger zögernd dort ...
... Blick zurück: Die Umgebung ist ja eindrucksvoll, aber die Fahrt durch diesen Fluss war durchaus spektakulär.
An einer Furt, nach 50 Minuten Fahrt hört der Spaß aber schlagartig auf, zunächst mal. Ein deutlich breiterer Fluss als bisher, der "Rauðfossakvísl" mit mehreren Armen liegt vor uns, insgesamt ist die zu durchquerende Stelle etwa 200 m breit. Auf dem Gegenufer steht ein Geländewagen - offenbar etwas mutlos. Der Busfahrer geht diesen Fluss durchaus mutig an. Schnell wird das Wasser in dem Hauptarm aber immer tiefer. Der Fluss ist, naja, nicht gerade reißend, aber recht flott strömend unterwegs. Das finde ich jedoch durchaus schon etwas grenzwertig, denke bei mir: Wir stehen ziemlich tief im sicherlich eisigem Wasser - lass jetzt bitte bloß nicht den Motor absaufen! Vorsichtig tastet der Fahrer sich weiter, wie schon erwähnt: Er kann auch nicht wissen, wie es unter dem Wasseroberfläche aussieht. Der Bus steht nach einigen Momenten schief und immer schiefer, das Wasser des Flusses kommt mir auf meiner Fensterseite sozusagen bedrohlich nahe. Richtig mulmig wird mir: Bitte jetzt nicht noch schiefer kippeln lassen, den Bus! Bloß nicht mit dem ganzen Gefährt, seinen Insassen und allem Drum und Dran hier im Nirgendwo in die isländischen Fluten kippen. Ja - richtig ernsthafte Sorgen mache ich mir! Aber irgendwann gibt der Fahrer nach langem Tasten entschieden Gas, und, natürlich: Alles geht gut! Aber, zugegeben: Die Luft habe ich doch eine Weile angehalten. Und, ein anderer Gedanke: Wie sind wohl die beiden Radler von vorhin hier durch gekommen?
Eine halbe Stunde später macht es plötzlich "schwupps" und wir verschwinden im Nichts. Oder genauer gesagt: Wir fahren sehr plötzlich in ein ausgedehntes Nebelfeld - das wie aus dem Nichts auftaucht. Wir sind ja noch ein ein paar hundert Metern Höhe unterwegs, wir sind hier also mitten in den Wolken. Sowas gehört dann eben auch zum Island im Hochsommer.
Ein plötzliches Nebelfeld im Hochland sorgt eine Weile für trübe Aussichten.
Nach 53 km Strecke und einer Fahrtzeit von einer Stunde und 40 Minuten über die Piste auf dem Hochland geht es auch eine asphaltierte Straße - und somit erheblich flotter voran.
Nach insgesamt drei Stunden und 15 Minuten Fahrt wird nach ein paar winzigen Ortschaften eine richtige Stadt durchquert: Es geht durch Selfoss.
Nein, dort hinten brennt es nicht - ein ganz normales geothermisches Feld grenzt an die Ortschaft Hveragerði.
Rundherum Lupinenfelder in Sicht, als es in das Umfeld von Reykjavík geht.
Der Rest der Rückfahrt nach Reykjavík gestaltet sich weitgehend unspektakulär - sofern man sich schon an die "gewöhnlich" isländische Landschaft entlang des Küstenbereichs gewöhnt hat. Ein paar eher unspektakuläre Ortschaften, hier und da dampft mal ein Thermalfeld durch das trübe, graue isländische Abendlicht vor sich hin. Alles ja nichts besonderes!
Als ich dann gegen 22:30 Uhr in Reykjavík am Konzerthaus Harpa wieder aus dem Bus steige, bin ich nach über 15 Stunden Tour zwar geschafft und müde - aber auch randvoll mit großen, gewaltigen Eindrücken. Was kann man von einem einzigen Tag mehr erwarten?
Bei dieser sommerlichen Reise in den Norden (zunächst hier in Island in Reykjavík und und bei einigen Touren auf der Insel, später dann noch in Grönland - in Nuuk, auf dem Küstenschiff Sarfaq Ittuk und dann in Ilullisat) bin ich neugierig auf ein anderes Stück Natur: Wie nahe bin ich hier denn der Mitternachtssonne? Mein GPS-Gerät zeigt mir heute für Landmannalugar an: Sonnenaufgang 2:55 Uhr, Sonnenuntergang 23:44 Uhr. Nur gut drei Stunden sinkt hier die Sonne ein wenig unter den Horizont... Aber bei dem bleigrauen Himmel kann man heute eh nur schwach ahnen, dass darüber irgendwo auch eine Sonne scheinen muss...
Das kurze Fazit des Tages: Ich habe eine alte Lektion wieder mal neu gelernt. Und zwar meine Lieblingslektion, wenn ich auf reisen bin: Es ist einfach eine erstaunliche Welt, auf der wir leben... Ja - was für eine erstaunliche Welt!
Und Landmannalaugar ist hierfür ein tolles Musterbeispiel. Traumhaft!
Was für eine Welt!
Meine Wanderung in Landmannalaugar ist gerade mal 10,2 km lang gewesen, gerade mal 298 Höhenmeter habe ich dabei bezwungen, alle Randwege mit eingerechnet. Die Eindrücke auf diesem ja gar nicht soo langem Weg sind aber gewaltig, grandios, phantastisch!
Zehn Kilometer, die sich gelohnt haben - aber so richtig!
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