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Zum Abschluss eines langen Wandertags in Bodø: Ein Sonnenuntergang vom Allerfeinsten.
Die Anreise nach Bodø am Tag zuvor ist eindrucksvoll gewesen, ebenso der erste Abend in der nach deutschen Maßstäben kleinen Stadt in Nordnorwegen - geschildert hier in meinem allgemeinen Reisebericht über Bodø. Insgesamt vier Tage bin ich hier in dieser 50.000-Einwohner-Stadt nördlich des Polarkreises.
An dieser Stelle geht es nur um zwei Wanderungen in Bodø, plus einem Extra-Spaziergang. Und - ich schreibe es gleich vorab: Diese beiden von mir geschilderten "Wanderungen" sind eigentlich eher längere Spaziergänge am Stadtrand von Bodø. Die in der Umgebung ohne jeden Zweifel in großer Zahl möglichen Wanderungen in spektakulärer Natur habe ich nicht weiter kennengelernt, leider. Es bleibt während meines Aufenthalts eher bei einer zaghaften Erkundung der leicht zugänglichen Umgebung. Aber dieses Erkunden macht Lust auf mehr!
Es ist nach meiner Ankunft in Bodø der zweite Tag in der Stadt. Am vorangegangenen Abend im Hotel habe ich im Internet die Information gefunden, dass es am heutigen Tag in Bodø eine Art Jedermannrennen für Hobbyradsportler gibt - und wer sich auf meinen Internetseiten mal ein wenig umgeschaut hat, weiß, dass dies etwas ist, was mich geradezu elektrisiert. Das viertägige Profi-Radrennen "Arctic Race of Norway (ARN)" macht dann einen Tag später, am Sonntag, Station in Bodø und da gehört zum Gesamtprogrmm am Samstag die "ARN Challenge" dazu: Eben dieses Jedermannrennen. Rund 60 km Strecke sind dort angekündigt - das wäre für mich ein Klacks, selbst, wenn die Strecke über Berge gehen würde (was ich nicht weiß).
Wer möchte, kann bei dieser "ARN Challenge" mitfahren, gegen eine nicht gerade geringe Gebühr - und das würde ich schon gerne wollen. Das wär's doch gewesen: Hier, nördlich des Polarkreises, in wirklich spektakulärer Umgebung, ein Jedermannrennen mitfahren! Aber ich kann ja nicht alles haben... Denn ich habe hier oben gerade kein Fahrrad zur Hand, und es gelingt mir auch nicht, bis zum frühen Startzeitpunkt eines zu organisieren (Mietfahrräder gibt es in Bodø offenbar nur in der Touristeninformation - die noch lange nicht geöffnet hat, wenn das Rennen startet). Und doch treibt mich die Neugierde: Geh' doch mal gucken, was sich da so tut - denke ich mir, nachdem es mir nicht weiter schwer gefallen ist, das ebenso teure, wie auch kümmerliche, ungemütliche Zimmer im Hotel zu verlassen.
Es folgt ein Tag, der absolut typisch für mich ist - wenn ich alleine reise. Andere würden wohl supergenervt sagen, ich sei total planlos, hätte mich völlig verzettelt - ich jedoch sage, dass ich einfach den ganzen Tag lang so gestaltet habe, wie es mir gerade gefallen hat. Das dabei am Ende etwas völlig anderes herauskommt, als ich zunächst gedacht habe - was soll's?
Wenn man das Jedermann-Radrennen Cyclassics vor der Haustür in Hamburg kennt und seit vielen Jahren gewöhnt ist (hier eine kleine Bilderserie als Zuschauer), dann ist dieser Zielbereich der "ARN Challenge" hier doch ein wenig, nun ja: enttäuschend.
Als ich, nach einigem Orientieren, in eine Art "Start-Ziel-Bereich" des Radrennens komme, bin ich dann doch ziemlich ernüchtert: Die "ARN Challenge" ist hier doch etwas ganz anderes, als das, was ich in den letzten Jahren so als Jedermann-rennen, wie z.B. die "Cyclassics" im heimischen Hamburg oder auch das "Skoda Velotour" in Frankfurt, kennengelernt habe. Hier stehen verlassen am Straßenrand zwei Markierungen herum, ein Pavillon, ein Autoanhänger mit Material - kein Mensch weit und breit. Das ist alles. Ganz und gar keine große Aktion, eher ein Miniformat. Etwas ernüchternd, das Ganze.
Aber - da vorne, hinter der nächsten Kurve des Streckenverlaufs, da sieht es doch irgendwie nach interessanter, felsiger Umgebung aus! Geh doch mal gucken, was da, hinter der nächsten Ecke, so zu finden ist, denke ich mir. Und das geht dann so weiter...
Das ist kurz hinter dem Start-/Zielbereich die erste "Ecke", hinter die ich mal schauen möchte.
Der Blick zurück auf dem "Nordstrandveien" in Richtung Bodø zeigt vor allen Dingen die beeindruckende Umgebung.
Eigentlich finde ich hinter jeder Kurve, hinter jeder "Ecke", etwas Schönes, etwas Interessantes, etwas, was mich weiter neugierig macht. Und immer, immer wieder komme ich an eine Ecke, hinter die ich lugen möchte.
Unvermittelt gerate ich an einen schönen Strand am Stadtteil "Kvalvika", an der "Walbucht". Schade, dass es so gar kein Strandwetter ist.
Als ich "meiner Nase nach" einfach an der Straße weiter bergauf gehe, kommen mir die ersten Rückkehrer der "ARN Challenge" entgegen. Die Autofahrer fahren mangels Überholmöglichkeit brav hinterher.
Dass ich dabei auf dem Weg weitergehe, den die Hobby-Rennradler auch auf ihrer Hin- und Rückfahrt zu und von ihrem Umkehrpunkt in Festvåg nehmen, ist mir zunächst gar nicht so richtig klar, wird mir dann aber nach einiger Zeit bewusst, als mir immer wieder Gruppen von Rennradfahrern mit nummerierten Trikots entgegenkommen. Während sie dem Ziel entgegenstreben, gehe ich recht ziellos immer weiter. Es wird mir auch klar, dass dieses "Jedermannrennen" gar nicht wirklich eines ist, sondern eher das, was man daheim eine RTF nennt: Eine "Radtouren-Fahrt", ohne Zeitnahme, im normal fließenden Straßenverkehr (der hier allerdings eher tröpfelnd daher kommt), in zumeist entspannter Atmosphäre. Aber auch das wäre ja attraktiv für mich gewesen.
So aber habe ich mein eigenes Erlebnis. Gehe zunächst meist auf dem Radweg an der Küstenstraße entlang, der nach einiger Zeit den Namen wechselt: Zunächst heißt die Straße noch "Nordstrandveien", hinter der Stadtgrenze und in den Vororten dann "Midnattssolveien" ("Mitternachtssonnenweg"). Der Radweg bietet sich zunächst an, denn der Autoverkehr ist nicht aufdringlich und andere Wege kann ich eher nicht ausfindig machen, da es auf der küstenabgewandten Seite extrem steil und offenbar weglos bergauf geht.
Auf Höhe von dem Vergnügungspark "Bratten Aktivitetspark" hat man eine sensationelle Aussicht auf die Küste der Umgebung.
Nach einiger Zeit geht es durch den Vorort Skivika.
Auch, wenn es dusteres, graues Wetter ist und die Gegend sich also ein wenig trübe darstellt: Schnell finde ich trotzdem die Landschaft weitaus interessanter, als die Radler, die mir entgegen kommen. Denn wenn man, wie ich, von der Nordseeküste stammt und man das Flache, das "platte Land" an der Küste, quasi mit der Muttermilch aufgesogen hat, dann wirkt dieser Küstenverlauf hier schon erstaunlich!
Dem Fotografen winkt man schon mal freundlich zu, wenn man mit Sohn entspannt an der "ARN Challenge" teilnimmt. Im Hintergrund die 30 Quadratkilometer große Insel Landegode.
Die Einheimischen nennen die tausende Kilometer langgezogene Küste Norwegens in der Werbung gerne mal völlig unbescheiden die "schönste Künste der Welt". Nun ja - niemand kennt alle Küsten der Welt. Und die Geschmäcker sind diesbezüglich sicherlich völlig unterschiedlich. Ich finde Küsten ja eigentlich immer toll. Aber dass es sich hier um eine der schönsten Küsten der Welt handelt, das würde ich hier nicht bestreiten. Die vor der Küste liegende Insel Landegode ist ein absoluter Blickfang: Bergig, felsig und kahl, es ist kaum zu glauben, dass dort noch ein paar Dutzend Menschen leben.
In der Nähe des 2.300-Einwohner-Vororts Løpsmarka ist der Yacht-Hafen Løpshavn ins das Meer gebaut worden.
An der Küste nördlich von Løpsmarka.
Irgendwann bin ich schon weit außerhalb von Bodø, komme durch ein paar Vororte, laufe immer weiter an der Küste lang - bin begeistert und finde alles nur wunderschön und interessant. Trotz des trüben Himmels und des tröpfeligen Regens hin und wieder. Aber was wohl hinter der nächsten kleinen Anhöhe oder der Kurve kommt?
Nun - jedenfalls treibt es mich förmlich immer wieder ein Stückchen weiter. Unterwegs entere ich zwei kleine Inseln, die einen kleinen Damm zur Küste haben - und erkläre die kurzerhand zu meinem Eigentum und beanspruche die jetzt einfach mal für mich, denn es ist ja sonst eh niemand da und es braucht sie auch sonst keiner. Es hindert mich auch gerade niemand daran. Also, finde ich, dass das mal meine Inseln sind. Dann habe ich auch mal ein Stück Norwegen. Allerdings verzichte ich einstweilen darauf, dort Wachposten aufzustellen und Einreisevisa zu verlangen. Aber gefühlt sind das jetzt beides "meine" Inseln in dieser großartigen Umgebung, und wenn sich der Rest der Welt einfach gar nicht weiter dafür interessiert - selber Schuld! Zugegeben: Besonders groß und einladend sind die beiden Eilande nicht, es wächst nichts auf ihnen und sie bergen sicherlich auch keine Bodenschätze, sie reichen von der Größe her nicht mal zur Einrichtung eines Fußballfeldes. Und was soll ich, der ich nebenberuflich ja auch noch Fußballromantiker bin, bloß mit einer Insel ohne Fußball? Na - ich werd's nochmal überdenken...
Die Aussicht von einer "meiner" Inseln gefällt mir durchaus.
Das Meer hat in all den Jahrtausenden auf meiner Insel markante Strukturen auf den Felsen hinterlassen.
Irgendwann, als eine der "Ecken" doch sehr langgezogen ist, drehe ich doch mal um, gehe mit mehreren Stopps wieder zurück nach Bodø. Eine Abwandlung des Rückweges ist wegen der steilen Hänge neben dem Weg kaum möglich, allerdings finde ich einen netten, kleinen Wanderweg ("Tursti") etwas abseits der Straße als Variante zu meinem Hinweg. Immerhin habe ich hier am Umkehrpunkt meines Weges mit 67,33 Grad nördlicher Breite den bisher nördlichsten Ort in meinem Leben erreicht.
Hin und wieder finde ich ein Wegstück durch den Wald, der hier dann aus diesen merkwürdigen, krüppelig aussehenden kleinen Birken besteht.
Aber eine Variante mache ich dann doch: Auf dem Hinweg bin ich noch ohne weitere Beachtung daran vorbei gelaufen, jetzt schaue ich mich ein wenig auf dem "Bremnes Fort" um. Wieder mal eine Hinter-lassenschaft der Naziherrschaft in Norwegen, später allerdings auch noch eine Zeitland von den norwegischen Streitkräften genutzt. Auf einer kleinen Halbinsel stößt man recht unvermittelt auf eine ganze Anzahl militärischer Hinterlassenschaften: Diverse Bunker, Kanonen, Geschützsockel, Lagerhallen - und was weiß ich, was sonst noch. Von der gesamten Konstellation her fühle ich mich sehr an die militärischen Hinterlassenschaften auf der polnischen Halbinsel Hel erinnert. Hier gibt es zwar einige Informationsschilder, aber man überlässt die meisten der Anlagen auch sich selbst - und die Natur bemächtigt sich ihrer nach und nach dankbar.
Militärische Hinterlassenschaften am "Bremnes Fort".
Als ich nach den paar Vororten hier auf dem Weg wieder an den Stadtrand von Bodø komme, entschließe ich mich, obwohl mir als völlig untrainiertem Wanderer die knapp 22 km bis hierhin doch schon ziemlich in den Knochen stecken, noch einen Schlenker zu machen. Mein Ziel: Das historische Kastell "Nyholmen skandse" auf der von der Stadt abgewandten Seite des Hafens. Man läuft auf dem Weg dorthin eine Weile durch ein ziemlich doofes Industriegebiet. Und das Kastell selber begeistert mich auch nicht sonderlich, aber die Blick auf die Stadt Bodø, auf die Gewässer davor sowie die umgebenden Bergketten ist doch schön und den Abstecher allemal wert - selbst bei diesem schmuddeligen Wetter.
Blick vom historischen Kastell von Bodø in Richtung Meer.
Hier geht der Blick vom Kastell über den Hafen zum modern gestalteten Stadtzentrum von Bodø (mit dem auffällig kleinen Zollhaus, einem der wenigen historisch erhaltenen Gebäuden) und der dahinter liegenden Bergkette.
Als ich dann so gegen Viertel vor Sieben, nach einem kleinen Einkauf noch, wieder zurück zum Hotel komme, bin ich richtig platt und geschafft. Mein GPS meint, ich habe 28,9 km mit 381 m aufsteigende Höhenmetern durch ein wenig Auf und Ab gelaufen, mir dabei auch eine Blase unter dem Fuß erlaufen. Ungeübter Wanderer eben! Dabei wollte ich doch heute Morgen in Bodø nur mal gucken, was bei diesem Jedermannrennen so los ist, und danach mal um eine Ecke gucken... Die Touristinfo hat natürlich jetzt schon lange zu - eigentlich wollte ich mir heute dort doch mal ein paar Infos holen. Egal! Ich finde mich ja offenbar auch so zurecht.
Auch, wenn mein Hotelzimmer nicht sehr einladend ist: Es zieht mich mit meinen müden Gliedern jetzt nicht mehr raus. Jetzt noch die Fotos auf mein Notebook übertragen und diese schon mal ein wenig sichten, vielleicht noch die eine oder andere Mail schreiben. Beine und Füße tun mir weh und ich fühle mich richtig erschöpft. Aktivitäten sind da heute nicht mehr gefragt, auf keinen Fall...
... denke ich. Aber dann, als ich dann nach einiger Zeit und einem kurzen Nickerchen so ein besonderes, strahlendes Licht durch das Fenster des Hotels wahrnehme, ändert sich dieser Gedanke sehr plötzlich. Oh, Abendstimmung! Was für ein Licht! Was für ein tolles Abendlicht kommt denn da ins Zimmer hinein?! Also - jetzt doch noch mal auf die Beine und raus!
Das kurze Stück zum Hafen ist schnell runtergegangen. Und schon habe ich mein müden Beine vergessen. Denn der Hafenkai ist sozusagen die erste Zuschauerreihe für den Sonnenuntergang. Nein - das stimmt nicht ganz. Die allererste Reihe wäre jetzt wohl auf dem Kastell, wo ich heute Abend gewesen bin. Aber die rund 3,4 Kilometer bis dorthin sind mir jetzt echt zu weit, die Beine zu schwer und die Sorge zu groß, in der Zeit auf dem Weg durch das ausgedehnte Gewerbe- und Industriegebiet etwas von der schönen Sicht zu verpassen. Denn auch hier, in der dann doch zweiten Reihe, wird mir ein Natur-Schauspiel geboten, das mir fast den Atem verschlägt. Der trübe Himmel des Tages hat sich verzogen, es gibt einen Sonnenuntergang vom allerfeinsten.
Die Sonne ist schon gar nicht mehr zu sehen, als ich am Hafen ankomme - aber das Licht und die Färbungen in den Wolken sind grandios. So, wie hier hinter dem aufgeklappten Bug der Fähre.
Das Licht- und Farbenspiel beim Sonnenuntergang scheint kaum ein Ende nehmen zu wollen. Und es ist vom Hafen aus perfekt zu beobachten.
Es spielt sich ein gewaltiges, langgezogenes Sonnenunter-gangs-Schauspiel vor mir ab. Traumhaft, wunderschön - magisch. Und ich bin der einzige weit und breit, der hier ist, ein wenig unruhig am Hafenkai hin und her läuft, sich das anschaut und nach Fotomotiven Ausschau hält - kein Mensch ansonsten weit und breit. Wie komisch! Wie ja zumeist auch schon auf meinem Weg tagsüber: Kaum mal ein Mensch zu sehen.
Da die Sonne hier oben auch zu dieser Jahreszeit ja nur ein Stückchen unter den Horizont sinkt, zieht sich der Sonnenuntergang natürlich in für mich ungeahnte Längen. Ein echtes Wunder dieser Welt - nur für mich allein? Wo sind denn die anderen Touristen, die es hier durchaus gibt? Nicht umsonst hat Bodø ja einige große Hotels.
Irgendwann kommt dann doch ziemlich hektisch noch jemand angelaufen, macht mit seiner Spiegelreflex schnell einige Fotos. Ich gehe zu ihm und meine, dass das doch wirklich wunderschön sei und mir gut gefalle. Ja, meint er, das sei wirklich schön! Und das haben wir hier beinahe JEDEN Abend - "and I never, never get tired of it"... Nein, unglaublich: Er ist also kein Tourist - ein Einheimischer. Ich bitte ihn geradezu, hiervon auch nie genug zu bekommen, füge etwas pathetisch an, das sei doch ein Wunder dieser Welt und er sei ein glücklicher Mensch, es immer wieder so gewaltig vor sich zu haben. Er erzählt noch ein wenig, wie sich der Sonnenstand und das Licht hier in Bodø im Laufe des Jahres ändert und wie das so ist im Sommer und in der Polarnacht und wo man dann noch einen kleinen Lichtschimmer sehen könne. Aber jetzt müsse er wieder zurück zur Arbeit - und weg ist er wieder. Aha, er arbeitet also - deswegen wohl seine Hektik zu Beginn. Die wäre eigentlich bei der Länge des Ereignisses völlig unnötig. Ein freundlicher Mensch. So kurze Begegnungen habe ich hier in Bodø immer wieder mal (ein Unterschied zu meinen vorangegangenen Aufenthalten in Norwegens Größeren Städten Oslo und Trondheim).
Noch lange, nachdem die Sonne untergegangen ist, leuchten die hohen Wolken in einem ständig sich ändernden Spektrum aus orange, rosa, rot, violett und dunkelblau bis grau.
Es ist schon gegen 22:30 Uhr, als das Spektakel sich langsam dem Ende zuneigt und die allerletzten, zart rosafarbenen Wolken ihre Farbe in ein dunkelblau bis grau verändern.
Und ich habe das Wunder an diesem Himmel wieder für mich allein und mache wie im Rausch binnen eineinhalb Stunden fast zweihundert Fotos. Bestimmt aber haben auch einige andere Touristen mal von ihrem Essen oder ihrem Bier aufgeschaut, um den Himmel zu sehen. Ich jedoch habe halt das Schicksal, in solchen Momenten fast wie zwanghaft auf Motivsuche zu gehen. Das entwickelt sich in Bodø für mich dann in der Folge zu einem allabendlichen Ritual: Jeden Abend Motive beim Sonnenuntergang, im Zwielicht und in der Blauen Stunde suchen. Mangels Wolken, die im abendlichen Sonnenschein aufleuchten können, sind die Sonnenuntergänge der folgenden Tage aber bei Weitem nicht so spektakulär.
Und der tägliche Besuch des Sonnenuntergang ist hier oben durchaus etwas mühsam, denn: Obwohl schon Mitte August ist, sind die Abende hier noch richtig lang, für mich überraschend lang. Immerhin ist der Höchststand der Sonne schon fast zwei Monate her - und doch: Derzeit ist hier der Sonnenaufgang (angeblich - ich hab's nicht kontrolliert) um 4:20 Uhr herum. Der Sonnenuntergang ist dann gegen 22 Uhr - wobei es aber bis nach 23 Uhr dauert, bis es ernsthaft dunkel wird. An klaren Tagen ist selbst um Mitternacht deutlich noch ein leuchtender Schimmer am Horizont zu sehen.
Die Sommerabende in Bodø können wirklich ein tolles Ereignis sein! Das hat mich heute dann dazu verführt, zu meinem langen Nachmittags-Weg am Abend noch einmal mit einem Schlenker durch die Stadt 3,1 km zusätzlich zu gehen.
Und dann ist es Sonntag in Bodø. Der Tag, nachdem ich bei trübem Wetter auf Schusters Rappen einen langen Weg an der Küste entlang gelaufen bin. An diesem Tag kommt das Feld der Radprofis nach vier Tagen Rennen beim "Arctic Race of Norway" in Bodø Zielpunkt an. Nähere Informationen zu diesem Erlebnis finden sich in meinem allgemeinen Reisebericht über Bodø. Auch über das in dem Rahmen stattfindende Mega-Frühstück mit Guinness-Rekord und dem allgemeinen Entgegenfiebern der Stadt zu diesem Ereignis.
Dem Rennen möchte ich als Radsport-Freund gerne beiwohnen, weiß allerdings nach einigem Orientieren im Stadtzentrum auch, dass ich noch einige Stunden Zeit habe, bis die Profis hier in Bodø ankommen. Was also tun? Am besten eine kleine Wanderung - ist die einfachste Idee. Eine Übersicht über Wanderwege in der Gegend habe ich zwar nach wie vor nicht (die Tourist-Info hatte immer gerade geschlossen, wenn ich denn mal Zeit für habe), sehe ein paar Schilder und entschließe mich aus dem Bauch heraus für einen Weg zum "Keiservarden". Klingt doch irgendwie majestätisch, oder? Offenbar ein Aussichtspunkt. Von der Strecke her sollte es kein Problem sein, dorthin zu laufen (rund sechs Kilometer sind ausgeschildert) und rechtzeitig zum Eintreffen der Rennradler wieder hier zu sein.
Es gibt eine gute Beschilderung. Ohne jegliche Karten und Infos kann ich dem Weg aus dem Stadtzentrum in Richtung Keiservarden gut folgen. Gegen zwölf Uhr mache ich mich im Zentrum auf. Es geht grob in die Richtung meines gestrigen Weges. Ein ganze Weile laufe ich durch gepflegte Wohnbebauung, meist mit hübschen Einzelhäusern. Die Teilnehmer eines Radrennens mit ambitionierten Jugendlichen rauschen rasant an mir vorbei. Und es dauert immerhin rund 40 Minuten, bis ich die Wohnbebauung hinter mir lasse. Seit einigen Minuten geht es an einer Straße entlang, die zügig bergan führt.
Die letzten Häuser am Stadtrand von Bodø, bevor es in die Landschaft und in Richtung Keiservarden geht.
Blick zurück nach Bodø nach einem kurzen Stück auf dem Wanderweg.
Nach dem letzten Wohnhaus endet die Asphaltstraße und es geht auf einem Feldweg weiter bergauf durch ein von ein paar Seen durchzogenes Wald- und Wiesengebiet. Die Umgebung ist schön, es bringt Spaß, sich hier nach und nach in die Höhe zu schrauben. Und je weiter ich in die Höhe komme, um so häufiger mache ich einen kurzen Stopp und lasse den Blick nach hinten, über die Stadt Bodø schweifen. Vor allem die gewaltigen Berge der Umgebung mit einem sich dort spektakulär entwickelnden Wolkenspiel ziehen mich umso mehr in den Bann, je höher ich komme.
Alleine ist man hier nicht unterwegs - immer wieder mal begegnen mir Leute. Auffällig für mich dabei: Ich bin hier offenbar der Einzige, der in Straßenklamotten hier hinauf geht. Eigentlich alle anderen, die mir begegnen, sind in Sportkleidung auf dem Weg. Das hier ist also eine Sportstrecke für den Sonntagmittag. Ich falle da offenbar etwas aus der Rolle.
Noch weiß ich es an dieser Stelle nicht, aber am See "Øvre Vollvatnet" ist der Keiservarden im Hintergrund bereits als felsiger Hügel zu sehen.
Kurze Pause am See "Svartvatnet".
Ein Stück kann man auf Stufen den Keiservarden besteigen. Aber auch ohne Stufen ist der kleine Berg nicht schwierig zu begehen.
Nach eineinviertel Stunden Weg mache ich an einem größeren See, dem "Svartvatnet", mal zehn Minuten Pause. Direkt danach wandelt sich der Weg: Es ist kein Feldweg mehr, sondern es geht meist auf kahlem Felsen weiter, stetig bergauf. Wenn der Felsen mal zu steil wäre (und bei Nässe sicherlich sehr rutschig), hat man aufwändig Stufen angelegt - dies allerdings erst in diesem Jahr, dem 200jährigen Geburtstag von Bodø. Oft allerdings gibt es auf dem Felsen gar keinen klaren Weg mehr und keine Markierungen. Man geht halt über den rundgeschliffenen felsigen Untergrund auf einem selbst gewählten Weg konstant nach oben. Irgendwelche gefährlichen Stellen kann ich nicht ausmachen, es ist kein Problem, hier hinauf zu gehen. Solange es trocken ist, jedenfalls.
Kurz vor zwei Uhr bin ich auf dem Gipfel des Keiservarden. Schon auf dem Weg hinauf hat mich die Aussicht ständig stoppen, die Aussicht genießen und fotografieren lassen. Hier oben jetzt, mit dem vollen Rundumblick, ist es einfach großartig! Die Aussicht ist jeden Schritt wert. Kein Wunder, dass hier etliche Leute unterwegs sind: Bei Kaiserwetter auf den Keiservarden - das ist schon attraktiv. Aber, höflich und distanziert, wie die Menschen in Norwegen ja auch so sind, hält man hier Abstand und stört sich gegenseitig nicht bei diesem Naturgenuss.
Blick nach Bodø ein Stück unter dem Gipfel des Keiservarden.
Dort unten auf der Küstenstraße bin ich am Tag zuvor entlang gelaufen. Der Blick geht über den Vorort Skivika.
Auch auf dem Gipfel des Berges, der eigentlich "Digemulkollen" heißt und dessen Aussichtplateau Keiservarden genannt wird, hat man für eine übersichtliche Wanderbeschilderung gesorgt. Im Hintergrund die Insel Landegode.
Warum aber überhaupt "Keiservarden"? Norwegen hat doch nie einen Kaiser gehabt! Nun, mit Fug und Recht kann ich sagen, dass ich hier auf den Spuren von - ja, tatsächlich: Kaiser Wilhelm II wandele! Der hat mir allerdings etwas voraus: Er ist zweimal hier auf dem Aussichtspunkt gewesen. Immerhin auf 366 m Höhe über dem Meeresspiegel hat sich auch seine Majestät hinaufgeschraubt. Als Keiservarden ist im übrigen nur das Gipfelplateau benannt, erfahre ich hier. Der Berg selber heißt eigentlich "Digemulkollen".
Gut zwanzig Minuten treibe ich mich hier oben rum und genieße die Aussicht - nur 20 Minuten. Die Aussicht ist sensationell schön. Kaiserlich eben. Am Horizont, im Dunst über dem Meer, kann ich, sehr schemenhaft nur, mitten im Meer eine langgezogene Bergkette erkennen: Die Gebirge der Lofoten. Ein phantastischer Eindruck - da will ich hin! Jedenfalls irgendwann einmal...
Eine atemberaubende Aussicht bei Kaiserwetter: Blick vom Keiservarden über die Küste in Richtung Norden.
Blick hinab vom Keiservarden auf "meine" Inseln, die ich tags zuvor besucht habe.
Zugegeben: Das Bild habe ich erheblich nachgedunkelt. Aber die Aussicht auf das Gebirge dort hinten, mitten im Meer, links neben der Insel Landegode, schlägt mich in den Bann: Die Lofoten.
Blick vom Keiservarden zum Gebirgszug "Børvasstindan" mit bis zu 1177 m hohen Bergen.
Und hätte ich an diesem Tag weiter nichts vor, dann wäre ich länger hier oben geblieben, deutlich länger. Und wäre dann auf den vorhandenen Wegen und Pfaden noch weiter gegangen, noch weiter über den Höhenzug, noch weiter von der Stadt entfernt. Aber es zieht mich ja auch das große Ereignis des Radrennens zurück in die Stadt. Das möchte ich nicht verpassen (das wäre auch schade gewesen).
6,2 km Strecke bis zum Torget von Bodø (dem zentralen Platz der Stadt) sind hier oben ausgeschildert - auf dem mir schon vertrautem Weg. In eine andere Richtung ist der Torget mit 7,7 km ausgeschildert. Ich entscheide mich dazu, keine Experimente zu machen und den mir schon bekannten Weg schlicht zurück zu gehen. Das ist dann auch weiter kein Problem - nach einer guten Stunde bin ich wieder im Stadtzentrum. Insgesamt bin ich mit allem Drum und Dran heute Nachmittag 17,9 km zu Fuß in Bodø unterwegs, mit insgesamt 427 Höhenmetern im Aufstieg.
Ein Stück unter dem Gipfelplateau des Keiservarden flattert eine Fahne des lokalen Fußball-Erstliga-Clubs "FK Bodø/Glimt" im Wind. Sie steht Kopf - vielleicht, weil es mit dem Verein gerade so richtig bergab geht?
Ein kleiner Exkurs brennt mir als Fußballromantiker zum zum Abschluss unter den Nägeln: Kurz unter dem Gipfelplateau des Keiservarden begegne ich einer im Wind flatternden Fahne. Sofort erkenne ich: Das ist eine Fahne des örtlichen Fußballklubs, dem "FK Bodø/Glimt" (übersetzt sozusagen der "FC Bodø-Blitz"). Die gut befestigte Fahne hier oben steht allerdings Kopf, ist falsch herum befestigt. Ob das wohl ein Symbol dafür sein soll, dass der Verein gerade völlig chancenlos kopfüber aus der ersten Norwegischen Fußballliga, der "Eliteserien", in die zweite Liga abstürzt? Mag sein... Aber ein kurzer Sprung vier Jahre weiter zeigt ein richtiges Fußballwunder in Bodø, das den Fußballromatiker in mir geradezu begeistert. Und nicht nur mich, auch die deutsche Sportjournaille lernt plötzlich, dass es dort ganz oben im Norden Norwegens eine tolle Stadt gibt, die mit mitreißendem Fußball plötzlich aus dem Nichts Norwegischer Meister wird. Mit einer Mannschaft aus lokalem, eigenen Nachwuchs und aus an anderer Stelle Gescheiterten. Und es beschreiben nicht nur Fußball-Gazetten wie der Kicker ("Wie Bodø/Glimt Norwegen verzaubert") und die 11 Freunde das norwegische Fußballwunder, auch der Spiegel schwärmt plötzlich von Bodø und bemüht dafür gleich die ganze Welt ("Der neue Hipster-Klub im Weltfußball") und auch die New York Times aus den eher Fussball-desinteressierten USA begeistert sich. Geradezu rührend gesittet sind dann die Meisterfeiern in Bodø, wie sie das folgende Video zeigt - da ist norwegische Begeisterung dann doch weit entfernt von der Hysterie, die Fußball hierzulande zuweilen entfacht. Aber die ganze Stadt steht sehr stolz und sehr ordentlich in gelb-schwarz Spalier.
Für sich genommen ist allein das eine Geschichte, die zwar nicht direkt mit meinem Aufenthalt in Bodø zu tun hat, die jetzt aber zu dieser charmanten Stadt gehört. Und eine Geschichte, wie ich sie einfach sehr gerne mag... Die Fußball-Fachwelt ist also plötzlich im Jahr 2020 hingerissen vom FK Bodø/Glimt.
Ich allerdings bin schon sehr bald nach meiner Ankunft hingerissen von der Stadt und vor allem der Umgebung von Bodø. Da lauert noch viel Potential an Wanderwegen in und vor allem um Bodø. Die Stadt hat einen längeren Aufenthalt verdient, als die vier Tage, die ich dort verbringe...
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