Tour d'Energie Göttingen 2013:
  Zwischen Radrennen und Genussradeln

Ein Erlebnisbericht zum Jedermann-Radrennen in Göttingen
  April 2013, mit 19 Bildern



Tour d'Energie Göttingen 2013, an der Weser

Eine Radtour an der Weser? Ja, irgendwie auch. Aber eigentlich ein Teil der Strecke des Göttinger Jedermannradrennens "Tour d'Energie 2013". Die kleinen Punkte da vorne auf der Straße sind andere Fahrer, die mich weit abgehängt haben - für mich also die Möglichkeit, bei Tempo 35 km/h ein Foto von der schönen Landschaft an der Weser zu machen.

Wo war denn nur mein Ehrgeiz verloren gegangen? Ich weiß es nicht...

Es konnte jedenfalls nicht viel anders ausgehen bei diesem Rennen: Irgendwo unter den allerletzten trudelte ich in das Ziel in der Bürgerstraße in Göttingen... Die 100 km lange Strecke hatte ich an diesem 28. April 2013 bei dem Jedermann-Rennen angegangen, habe mich die Steigungen hinauf gequält, habe die Fahrt in der wunderschönen Landschaft genossen, habe die tolle Stimmung der vielen Zuschauer aufgesogen - und trudelte dann als einer der hinteren Finisher ins Ziel. Allerdings: Frohgelaunt.

Das sportliche Abschneiden war nicht anders zu erwarten. Gerade mal zwei längere Ausfahrten hatte ich 2013 bislang auf dem Rennrad unternommen, beide im norddeutschen Flachland um Hamburg herum. Der ewig lange Winter mit nicht enden wollendem Eis und Schnee bis weit in den März/April hinein hatte jegliches größeres Training mit dem Rennrad unterbunden. Und als Schönwetterfahrer und somit im Winter in einen sportlichen Tiefschlaf fallender Radler (Ausnahme: mein täglicher, 11 km langer Arbeitsweg auf dem Rad) kam ich ungewohnt unfit zu dem Rennen nach Göttingen.

 

Einige Eindrücke aus Göttingen

 

 

 

Wie es sich für mich jedoch gehört, mache ich aus einem solchen Ausflug wann immer es möglich ist, eine größere Aktion. Also haben meine Liebste (sie diesmal nicht als Teilnehmerin an einem Rennen) und ich uns drei Tage in Göttingen in einer schönen, zentralen Ferienwohnung einquartiert, haben uns die (sehr schöne) Innenstadt von Göttingen ausgiebig angeschaut. Nach unserem Aufenthalt in Göttingen sollte es dann für uns noch weiter gehen nach Frankfurt, um Freunde zu besuchen und auch, für mich, um auch dort an einem Jedermann-Rennen ("Rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt" - welch selten dämlicher Titel für ein Radrennen! - das ehemalige Rennen "Rund um den Henninger Turm") teil zu nehmen.

Göttingen, Turmbesteigung St. Jacobi

Irgendwo mitten im Kirchturm der Göttinger St. Jacobi-Kirche. Der Aufstieg über die teilweise freistehenden Leitern ist ein kleines Abenteuer für sich. Und die Holzkonstruktion ist faszinierend.


 

 

 

Also erstmal Tourismus-Programm in Göttingen! Die Erkundung der Innenstadt bringt uns viel Spaß, wir fühlen uns spontan sehr wohl in der Stadt. Ein besonderes Erlebnis unserer Stadt-besichtigung findet bei uns noch lange einen Nachhall, fast so, wie das Rennen tags darauf: Die Turmbesteigung der St. Jacobi-Kirche ist für uns sehr beeindruckend! Auf uralten, z.T. frei stehenden Leitern geht es 260 Stufen hinauf in den Glockenturm. Man hat einen eindrucksvollen Blick auf das Gewölbe der Kirche, die kleine Kletterei ist großartig und der Blick in den Turm und auf die Stadt spektakulär! Ein tolles Erlebnis, mit viel Nachklang - nicht nur wegen der Stundenglocke! Weil die Besteigung des Turm schon etwas speziell ist, ist man dort wohl in aller Regel allein unterwegs, berichtet man uns am Eingang. Aber für das volle und originale Erlebnis sollte man sich beeilen - es finden große Renovierungsarbeiten statt und die obersten beiden Etagen waren nach unserem Geschmack schon fast etwas zu komfortabel zu besteigen.

Göttingen, Fahrräder am Bahnhof

Dass man in Göttingen in einer Radfahrer-Stadt angekommen ist, merkt man sofort am Hauptbahnhof: Hier stehen Fahrräder, fast bis zum Horizont. Gefühlt hat Göttingen allein hier am Bahnhof viel mehr Fahrrad-Parkplätze, als meine Heimatstadt Hamburg im gesamten Stadtgebiet.


 

 

 

Aber die Tour d'Energie rückt unaufhaltsam näher. Einige Plakate weisen auf das kommende Radrennen hin, ansonsten merkt man tags zuvor jedoch nichts von dem bevorstehenden Ereignis. Von unserer mitten in der Innenstadt gelegenen Wohnung ist es nur ein guter Fußmarsch zu der Sparkassen-Arena, in der es die Startunterlagen abzuholen gilt. Während wir bei strömenden Regen dorthin laufen, beunruhigt mich das Regenwetter wegen des bevorstehenden Rennens. Aber die Wettervorhersage sagt für den folgenden Renntag besseres, zumindest trockenes, Wetter voraus.

 

Die Tour d'Energie - vor dem Rennen

Die Abholung der Startunterlagen verläuft völlig unkompliziert, es ist gar nicht sonderlich viel los in der großen Sporthalle und alles ist gut organisiert. Gerade weil so wenig los ist und fast alle mit dem Auto von der Rückseite zur Halle kommen, haben wir noch vor dem Gelände sogar Zweifel und Probleme, den richtigen Weg zu finden - aber am Ende ist alles doch ganz einfach zu finden. Zusätzlich zu dem Starterbeutel erhalte ich bei der Übergabe noch ein paar Tipps mit auf den Weg, auf was für Gefahrstellen ich bei den Abfahrten achten solle. Insgesamt eine sehr nette Umgebung!

Tour d'Energie Göttingen 2013, Startunterlagen

Entspannt und zügig geht es zu bei der Abholung der Startunterlagen in der "Sparkassen-Arena", einer Sporthalle.

 

 

 

Es gibt die Startunterlagen in einem einfachen Stoffbeutel überreicht, man testet den Transponder und schon ist alles gut. Eigentlich hatte meine Liebste ja auch an dem Rennen teilnehmen wollen, bevor sie sich jedoch wirklich dazu durchringen konnte, war die von Ihr angestrebte Kurzstrecke über 46 km mit rund 1000 Teilnehmern schon ausgebucht. Auch wegen des langen Winters und dem bei ihr mangelnden Training war sie bisher ganz froh darüber gewesen, sich nicht gemeldet zu haben. In dem Moment jedoch, als ich meinen Starterbeutel auspacke, sehe ich, dass sie dies doch bereut: Es liegt dem Beutel ein Teilnehmer T-Shirt bei, das genau "Ihre Farbe" hat. Leicht geknickt sitzt sie da und beneidet mich um das T-Shirt, das nicht unbedingt meine Farbe hat.

In Windeseile entschließt sie sich, zu der Ausgabestelle für vorbestellte Rennkleidung zu gehen um zu fragen, ob sie für fünf Euro ein solches Shirt erstehen könne. Die Schüler, die die Ausgabe betreuen, schauen etwas ratlos - auf eine solche Frage sind sie offenkundig nicht vorbereitet. Der Chef wird befragt. Er beharrt darauf, dass meine Liebste die Fahrer auch wirklich vehement anfeuern wird - dann wird ihr das T-Shirt geschenkt. So etwas darf man öffentlich ja eigentlich gar nicht schreiben (sonst stehen im kommenden Jahr gleich viele Leute dort) - aber es einfach eine so freundliche und nette Geste, dass man es auf der anderen Seite auch erwähnen sollte. Strahlende Augen bei meiner Liebsten, bei mir, bei den Schülern an der Ausgabe - und ein fetter Punkt für den Veranstalter, der ganz offenkundig nicht nur den Profit im Blick hat...

Etwas verblüfft nehme ich zur Kenntnis, dass es im Starterbeutel ansonsten keinerlei Hinweise auf besondere Merkmale und Gefahrenstellen auf der Strecke gibt - das finde ich allerdings nicht so schön, eigentlich sollte so etwas doch zu den allgemeinen Informationen vor einem Rennen gehören, denke ich mir. Oder?

Dann ist es auch schon Sonntagmorgen, und tatsächlich hat sich das Wetter deutlich gebessert. Selbst die Straßen in der Stadt sind weitgehend abgetrocknet. Auf das im Preis enthaltene Frühstück verzichte ich, wir wollen es gemütlich angehen und "daheim" noch gemeinsam frühstücken. Zu meiner Verblüffung jedoch scheitere ich bei dem Versuch, in der Innenstadt am Sonntagmorgen eine offene Bäckerei zu finden. So viel Kleinstadt ist Göttingen dann eben doch.

Dann eben nicht, wir haben ja noch Brot. Der Start für meine 100 km-Runde ist erst um 10:45 Uhr - ungewöhnlich spät für ein Jedermannrennen! Aber mir ist das ganz recht. Ziemlich früh stehe ich dann schon in meinem Startblock. Der Morgen ist ganz schön frisch, aber da meine Liebste mich zum Start begleitet, habe ich eine wärmende Jacke übergeworfen und drücke ihr diese direkt vor dem Start in die Hand. Sehr praktisch! Sie wird in der Folgezeit dann zum Ort Dransfeld radeln, durch den die Rennstrecke nach ca. 73 km hindurch führt, kurz bevor es hinauf auf den Höhepunkt des Rennens, den Berg Hoher Hagen (480 m) hinauf geht. Bei ihr in Dransfeld plane ich dann einen kurzen Stopp ein und dann hoffe ich, dass wir uns im Ziel wieder treffen.

 

 

 

Vor Rennbeginn erklärt der Sprecher des Veranstalters in aller Ausführlichkeit dann einige markante Punkte auf der Strecke: besondere Steigungen (von denen es eine große Anzahl zu geben scheint), gefährliche Abfahrten, folgende "Gegen-steigungen", gefährliche Kurven. Es fällt eine Masse an Ortsnamen, die ich noch nie gehört habe und die ich mir bis auf drei oder vier Stück auch nicht alle merken kann. Eigentlich redet der Herr die ganze Zeit nur von den "Selektionen" an den Steigungen und den darauf unweigerlich folgenden "Gefahrstellen" bei den Abfahrten. Ein wenig schwirrt mir der Kopf. Bei meinem eher desolaten Formzustand gibt es bei den vielen bergigen Abschnitten auf dieser Strecke allerdings nur ein Ziel bei diesem Rennen: Das Ziel! Ich werde froh sein, wenn ich heil und gesund auf zwei Rädern in das Ziel rolle!

Tour d'Energie Göttingen 2013, Startblock G

In meinem hinteren Startblock G sortiere ich mich fast ganz hinten ein. Merke: Wer hinten startet wird weniger überholt!

 

 

 

Obwohl als einer der ersten vor Ort stelle ich mich fast ganz hinten in den Startblock G, denn schließlich: Wer von hinten startet, wird weniger überholt! Mein Startblock ist der zweitletzte, dahinter gibt es nur noch einen ziemlich kleinen Block. Offensichtlich haben bei dem Sauwetter am Nachmittag zuvor nicht mehr viele Fahrer nachgemeldet.

 

Die Tour d'Energie - ein grossartiges Jedermannrennen!

Gemächlich fängt das Rennen an, zunächst ist es auf den ersten Kilometern in der Innenstadt von Göttingen neutralisiert. Am "Rosdorfer Kreisel" dann ist das Rennen freigegeben. Allein: Ich kenne die Verhältnisse vor Ort nicht und merke gar nicht, dass wir den Rosdorfer Kreisel passieren. So etwas, wie einen Startbogen, kann ich auch nicht ausfindig machen. Also bemerke ich die tatsächliche Freigabe des Rennens erst daran, dass ich von einem größeren Trupp aus dem hintersten Startblock H heraus gestarteten Fahrer rasant überholt werde. Unversehens befinde ich mich also unter den hintersten Fahrern des gesamten Rennens.

Macht ja nichts, ich muss sowieso erstmal in das Rennen hinein kommen und mich wieder in die Rennsituation hineinfinden. Schnell merke ich: Zwar will ich es ins Ziel schaffen, aber der rechte Biss fehlt mir heute doch, irgendwie. Wo ist bloß mein Ehrgeiz geblieben? Der ist wohl um die Weihnachtszeit herum in die Körpermitte gerutscht. Mental bin ich heute also eher auf flottes Genussfahren eingestellt, als darauf, die fünf Radler da vorne ein- und überholen zu wollen. Eine angenehme Seite der Konstellation um mich herum: schon nach wenigen Kilometern wird sehr vernünftig, umsichtig und rücksichtsvoll um mich herum gefahren. Großartig!

Sehr schnell merke ich auch, dass meine Gedanken um die fehlenden, schriftlichen Hinweise auf die Gefahrenstellen völlig unnötig waren: Man hat auf der Strecke an jeder nur erdenklichen Stelle ein extra Schild aufgestellt mit dem entsprechenden Hinweis. Man braucht sich hier also gar nichts besonderes einzuprägen - es ist einfach an der Strecke für die wichtigen Hinweise gesorgt. Und das ist doch eigentlich viel besser, als lange Auflistungen in einer Tabelle, die man sich einzuprägen versucht. Großartig!

 

 

 

Hin und wieder werde ich von einem Auto überholt. Während ich bei dem ersten Fahrzeug noch einen ärgerlichen Blick hinüber werfe - Auto in einem Radrennen, na sowas! - kapiere ich recht bald: Das sind die mobilen Service-Stationen, die sich um Fahrer mit technischen Problemen kümmern. Offenbar sind die Fahrzeuge in größerer Anzahl vorhanden und somit rasend schnell vor Ort, wenn jemand eine Panne hat. Nicht ein einziges Mal sehe ich einen Fahrer allein am Wegesrand stehen, um einem Platten oder Defekt zu beheben (so wie ich das sonst bei anderen Rennen immer in mehr oder minder großer Zahl erlebte). Immer waren schon professionelle Helfer dort. Ebenso bewegen sich die Fahrer von Sanitäts- und Krankenwagen vorsichtig durch das Feld. Während der gesamten Zeit sehe ich jedoch glücklicherweise kein einziges Sturzopfer. Großartig!

Nach einiger Zeit beginnen die ersten, noch eher seichten Steigungen - und es geht durch die ersten Ortschaften wie Obernjesa, Klein Schneen, Deiderode, Atzenhausen, Balissen und durch den südlichen Ortsrand von Jühnde. In den Orten herrscht meist eine tolle, manchmal fast eine euphorische Stimmung. Die Fahrer, auch wir hinteren, werden zuweilen mit Hingabe angefeuert. Ob es daran liegt, dass bei dem Rennen in Göttingen NUR Jedermänner und -frauen auf die Strecke gehen und es KEIN Profi- oder Elite-Rennen gibt? Das kann schon gut sein! So oder so, es ist: Einfach großartig!

Meine "Reisegeschwindigkeit" hat sich zunächst auf ca. 35 km/h eingependelt, so lange es noch keine Steigungen gibt. Nicht sonderlich schnell! Da es um mich herum keine besonders aufregende Rennsituationen gibt, kann ich den Blick immer mal wieder in die Landschaft werfen. Es ist zwar noch kühl, aber das macht bei dem Rennen nix, immerhin lugt die Sonne immer mal wieder hinaus. Und, was soll ich sagen: Die Landschaft, durch die unsere Strecke geht, sie gefällt mir - großartig!

 

Berg- und Talbahn rund um Göttingen

Schon recht früh bin ich hier mit dem Gefühl unterwegs: Es stimmt einfach alles bei diesem Rennen! Nur meine eigene Form fällt dagegen krass ab! Aber gewinnen wollte ich sowieso nicht, alles ist gut und ich habe Spaß!

An den ersten Steigungen - die ersten echten Steigungen für mich überhaupt in diesem Jahr - schufte ich mich ziemlich ab. Es geht nach ca. 13 km auf der Strecke zunächst von rund 167 Metern über NN auf 333 m, mit einer durchschnittlichen Steigung von rund vier Prozent. Als es hinab geht auf 243 m erhole ich mich recht gut, mit einer leichten Steigung geht es in den Ort Meensen. Hier fällt mir wieder der Tipp des Sprechers ein: Hier solle man trotz der flotten Geschwindigkeit im Ort (mit 35 km/h fahre ich in den Ort) rechtzeitig auf einen kleinen Gang schalten, denn es würde noch im Ort recht unvermittelt rechts ab und dort steil hinauf gehen. Dank des Hinweises bekomme ich auch diese Situation ordentlich gemeistert. Der kurze, knackige Anstieg (elf Prozent Steigung) erinnert mich von der Charakteristik her an die Straße Sand in Bergisch-Gladbach beim Rennen Rund um Köln im Vorjahr.

Es geht danach wieder hinab von 392 m Höhe bis auf 122 m. In rasender Geschwindigkeit kommt man schnell in den hübschen Ort Hannoversch Münden, direkt an der Zusammenfluss von Werra und Fulda. Fährt danach eine Strecke von rund 10 km an der Weser entlang. Zwischendurch gibt es mal einen kurzen, aber knackigen Anstieg von 36 Höhenmetern, an dem ich zur Abwechslung mal ein paar Fahrer überhole.

Vor mir in ca. 300 Metern Entfernung fährt eine kleine Gruppe, mir fehlt einfach der Biss, mich an diese heran zu kämpfen. Irgendwie bin ich heute mehr in der Stimmung eines flotten Genussradlers in fröhlicher Plauderstimmung - der Wille, ein gutes Rennen zu fahren, fehlt mir. Obwohl: Das Ziel will ich ja schon noch sehen! Hinter mir sehe ich nach bereits kurzer Zeit an der Weser auf mindestens 300 m auch niemanden mir folgen: Ganz alleine fahre ich die gesamte, schreiend schöne Strecke an der Weser entlang. Irgendwie eine skurrile Situation! Aus etwas langer Weile heraus zücke ich mal meinen Mini-Fotoapparat aus der Rückentasche, mache ein paar Aufnahmen von der tollen Gegend. Schade, dass ich dabei mit meinen verschwitzten Fingern direkt auf das Objektiv greife und die Fotos dadurch aussehen, als würde dicksten Nebel herrschen.

Irgendwann überhole ich vier Herren, die hintereinander mit ihren schwer beladenen Fahrrädern auf dem begleitenden Radweg entlangfahren: Streckenradler. Mal die Möglichkeit, ein wenig zu kommunizieren: Auf meine zugegeben etwas dämliche Frage, ob sie den Weser-Radweg fahren, kommt fröhliche, mehrstimmige Zustimmung. Da bleibt mir nur, den Herren auch viel Spaß zu wünschen.

Den habe ich selber auch schon längst! Nicht so sehr wegen meiner tollen Leistung, aber mir bringt diese flotte Runde einfach Spaß! Meine Laune steigt beständig.

Tour d'Energie Göttingen 2013, Anstieg Bramwald

Die Fahrt auf den Bramwald aus Richtung der Ortschaft Hemeln, von 119 m über NN auf die Höhe von 392 m mit konstant fünf bis sechs Prozent Steigung. Für einen Flachländer wie mich ungewohnt und mühsam. Es ist übrigens nicht neblig dort - ich hatte nur ausgiebig mit verschwitzten Fingern auf des Objektiv gegriffen.

 

 

 

Kurz nach diesem idyllischen Stück wird es allerdings ernst: Der erste "richtige Berg" steht an. Ab der Ortschaft Hemeln geht es den Bramwald hinauf, von 119 Metern an der Weser hinauf auf 392 m. Viereinhalb Kilometer ununterbrochene Steigung mit ziemlich konstant gut sechs Steigungs-prozenten. Wo in der Umgebung von Hamburg hätte ich so etwas üben können? Meiner guten Laune tut das keinen Abbruch, zunächst jedenfalls. Ich bin gut ins Rollen gekommen und am Anstieg habe ich einfach Lust, mit den Leuten, die ich hier nach und nach überhole, ein wenig zu plaudern. Jeder Überholte wird von mir zunächst angequatscht. Sei es, um über den langen Winter und meine desolate Form zu lamentieren oder über den FC St. Pauli zu fachsimpeln - einen Aufhänger finde ich immer.


Tour d'Energie Göttingen 2013, Zuschauer

... wird von anfeuernden Zuschauern begleitet.

 

 

 

Die Steigung zieht und zieht sich jedoch, es geht schon recht bald in den Wald und wird somit für mich langweiliger. Fahren im Wald finde ich einfach öde! Es geht immer weiter bergauf, mein Schwung wird weniger, es gibt immer weniger Überholvorgänge und somit immer weniger Ablenkung - zum Ende des Berges muss ich richtig "beißen", insgesamt brauche ich 23 Minuten für die kontinuierliche Auffahrt.

Oben gibt es erstmal einen ganz kurzen Stopp: es gibt einen Verpflegungspunkt, einen Becher Apfelschorle und ein Stück Banane kommen gerade recht. In einem kurzen Telefonat kündige ich bei meiner Liebsten, die schon in Dransfeld ist, schon mal mein Ankommen in einer runden halben Stunde an, sie berichtet, dass die ersten dort schon längst durch seien - und weiter geht meine Fahrt, flott bergab durch die Orte Ellershausen, Löwenhagen, Imbsen und Güntersen. Dort meistens ein ähnliches Bild: Anwohner haben sich versammelt, feiern ein kleines Dorffest und feuern uns Radler an. Zuweilen betätigt man sich auch als zusätzlicher Streckenposten: Als irgendwo in einem Ort in einer etwas unübersichtlichen S-Kurve ein Auto mit Stern auf die Rennstrecke fahren wollte, sorgen die Zuschauer schnell, beherzt und sehr laut dafür, dass dies nicht geschieht. Vielen Dank dafür - es hätte eine wirklich brenzlige Situation ergeben. Für mich und ein paar andere Radler - nicht für die Fahrerin des Autos.

Mittlerweile fahren wir wieder auf 220 m über NN und zur rechten Hand sieht man einen höheren Hügel mit einem Turm darauf. Da ich gerade in einer etwa zehnköpfigen Gruppe unterwegs bin (man fährt gemeinsam, nicht gegeneinander!), frage ich einen neben mir fahrenden, ob das denn der Hohe Hagen sei. Ja, er bestätigt dies - und wir kommen in ein intensives Gespräch, verstehen uns prima. Er hat bisher jede Tour d'Energie mitgefahren - und kann mir daher jede etwas steilere Rampe des Berges mit seinen insgesamt rund 270 Höhenmetern erklären. Großartig! Eine ganze Weile geht es mittlerweile schon bergauf, sehr seicht allerdings bisher.

 

Der Hohe Hagen - Spitzenstimmung am steilen Berg

Von dem netten Gesprächspartner gibt es einen freundlichen Abschied am Ortseingang von Dransfeld und ich wechsele fliegend in ein kurzes Gespräch mit meiner Liebsten, die aus Göttingen direkt mit dem Rad hierher gefahren war und hier auf mich wartet. Obwohl wir beide die Gegend zuvor überhaupt nicht kannten, treffen wir uns problemlos. Ein kurzer Schnack, beide freuen wir uns über die gegenseitig ausgestrahlte gute Laune, als Treibstoff für den Aufstieg ein paar kräftige Schlucke Cola - und dann geht's für mich hinein ins "Abenteuer Hoher Hagen".

Recht bald nach der Ortsdurchfahrt von Dransfeld wird es spürbar steil, bis zum Campingplatz - dann kommt ein etwas flacheres Stück. Aha - genau, wie mein Gesprächspartner es angekündigt hatte. Obwohl ich ja einer der hintersten bin, haben sich hier noch viele Leute bis jetzt aufgehalten. Wie man es von Bildern der Tour de France kennt, ist die Straße über und über mit Schriftzügen und Anfeuerungen bemalt. Ein ganz besonderes Gefühl, ja, ich finde das richtig rührend.

 

 

 

Meine Mühen sind nicht so gewaltig, wie ich es befürchtet hatte, es zahlt sich aus, dass ich auf den bisherigen rund 69 km meine Kraft nicht gerade vergeudet habe. Es ist schlicht ein großartiges Gefühl, diesen vulkanischen Berg unter diesen Bedingungen hinauf zu fahren - mehr Genuss als Qual. Irgendwo läuft ein junger Mann vorsichtig zwischen den wenigen und langsamen Radlern herum, liest hinten von der Startnummer den aufgedruckten Vornamen ab, ruft diesen laut einer etwa zehnköpfigen Gruppe zu, die daraus dann blitzschnell ganz persönliche Anfeuerungsrufe kreieren. Klasse Idee, begeisternd! Vielen Dank!

Die Zuschauermengen werden spärlicher, je höher ich komme - wohl die Strafe dafür, dass ich sooo spät unterwegs bin... Aber die kunterbunt bekritzelte und bemalte Straße weist nach, dass hier überall viele Radsport-Freunde aktiv waren.

Hoher Hagen Spitze

Meine Zeit wurde komischerweise zwar nicht gemessen, aber hier der Beweis: Ich bin den Hohen Hagen bis ganz oben gefahren. (Foto: © sportograf.com)

 

 

 

Flotter, als ich vermutet hatte, komme ich nach insgesamt 271 Metern Anstieg zum Scheitelpunkt des Hohen Hagen. Schon eine enorme Anstrengung! Allein vom Ortsausgang Dransfeld bis zum Gipfel des Hohen Hagen hat man 155 Höhenmeter zu überwinden - auf rund 1,4 Kilometer Wegstrecke. Das bedeutet: Im Mittel etwas über zehn Prozent Steigung. Meinem GPS zufolge brauche ich für genau dieses 1,4 km lange Stück Strecke 10:44 Minuten. Meinen Vorsatz, beim Anstieg nicht unter die Geschwindigkeit von 10 km/h zu sacken, habe ich allerdings zum Ende hin nicht ganz durchhalten können, aber damit kann ich leben.

Sehr schade ist allerdings, dass die vom Veranstalter extra gemessene Zeit für die Auffahrt zum Hohen Hagen für mich später kein Ergebnis aufweisen wird. Vielleicht liegt dies daran, dass irgendwo vor, neben und hinter mir ein extrem langsam fahrender Krankenwagen mit zum Gipfel kam. Nicht im Einsatz befindlich, sondern eines von den Fahrzeugen, die die Sicherheit im Auge haben. Einige Zeit lang kam ich an ihm nicht vorbei - aber für das gesamte Sicherheitskonzept kann man dies auch in Kauf nehmen, denke ich. Betrübt über die fehlende Zeit am Hohen Hagen bin ich aber doch. Es wäre halt einfach interessant gewesen.

 

 

 

Den Versorgungs-punkt hier oben lasse ich links liegen - und schon geht es bergab. Ein paar nicht ungefährliche Kurven, die Konzentration erfordern. Aber schon kommt man aus dem zuvor geschlossenen Wald hinaus - und hat über die Ebene einen großartigen Blick auf das Ziel der Tour d'Energie - Göttingen! Bis dahin sind es aber immerhin noch rund 25 km Strecke. Diese jedoch, zunächst, rasant bergab. Eine ca. zehn Kilometer lange und oft gut überschaubare Abfahrt folgt. Minutenlang zeigt mein Tacho nur eine 4 oder 5 an erster Stelle (Maximum auf dieser Abfahrt 54 km/h) und der Fahrtwind donnert in der Ohren - es würde ohne Zweifel noch schneller gehen, wenn man sich darum bemühen würde und nicht einfach nur rollen lässt. So, wie ich zumeist.

Wie schon gut zwei Stunden auf dem Weg zur Weser zuvor geht es wieder durch die Ortschaft Jühnde. Diesmal durch den östlichen Ortsteil, vorhin ging es durch den Süden von Jühnde. Immer wieder begeistern mich die Ausblicke auf der Strecke. Ist ja auch kein Problem, in die Landschaft zu schauen, es herrscht ja nicht viel Gedränge auf der Strecke um mich herum.

Es wird flacher, ernsthafte Steigungen gibt es jetzt gar nicht mehr - man fährt so dem Ziel entgegen. In den Ortschaften Volkerode und Sieboldshausen gibt es noch mal ein wenig Unterstützung durch die Zuschauer, die inzwischen aber auch ein wenig schwächeln und rarer werden. Ich kann's ihnen nicht verdenken - schließlich schwächeln die verbleibenden Fahrer ja auch.

Langsam fange ich jetzt doch an, mich in eine Rennstimmung hinein zu steigern und mir vorzunehmen, nun doch mal meine Kraftreserven ernsthaft zu mobilisieren. Wird ja auch Zeit! Ein richtiges Gruppenfahren kommt nicht mehr zustande. Kurz vor dem Göttinger Vorort Rosdorf hole ich den netten Gesprächspartner von der Anfahrt zum Hohen Hagen ein - Gelegenheit, mich für die präzise Beschreibung für die Auffahrt zum Hohen Hagen zu bedanken. Ein wenig plaudern wir noch - und schon sind wir wieder in Göttingen. Schnell ist die Zielgerade erreicht, da wird es Zeit, dass ich wieder nach meiner Liebsten Ausschau halte, die mit dem Rad auf dem direkten Weg von Dransfeld hierher gekommen ist - und tatsächlich: Sie steht am vereinbarten Ort und entdeckt mich etwas früher, als ich sie. Immer wieder ein schöner Moment, so im Ziel begrüßt zu werden!

Tour d'Energie Göttingen 2013, Fotografen Sportograf

Der Zielbereich auf der Bürgerstraße in Göttingen. Die Profi-Zielfotografen von sportograf.com machen sich bereit für den "Schuss"...


 

 

 

Aber auch insgesamt ist die Zieleinfahrt einfach nett! Noch etliche Zuschauer säumen die Banden und es ist einfach eine nette, entspannte Stimmung. Hatte ich vor dem Rennen wegen meines kolossalen Trainings-rückstandes erhebliche Bedenken, ob ich denn das Rennen mit den zahlreichen Anstiegen überhaupt durchstehen werde, so muss ich jetzt feststellen, dass dies besser geklappt hat, als erwartet! Auf jeden Fall war das Rennen heute ein gutes Training für das drei Tage später stattfindende Rennen in Frankfurt, in das ich auch nicht sehr ambitioniert gehen werde.

Das Wetter spielte heute mit, die Sonne hielt sich beharrlich über uns Fahrern, auch wenn es vor allem am Morgen doch sehr frisch war. Einen erwähnenswerten Wind konnte ich nicht feststellen: Beste Fahrrad-Bedingungen!

Tour d'Energie Göttingen 2013, Zielbereich

Auf der Veranstaltungsfläche neben dem Zielbereich geht es entspannt zu - nur vor der Ausgabe von Pasta und (alkoholfreiem) Weizenbier gab es Gedränge.

 

 

 

Die Pasta nach dem Rennen gehören zum Programm - nur: Der Zugang zu dem Gelände der Pasta-Party gestaltet sich schwierig. Dutzende Menschen drängen durch ein winzig kleines Tor, etliche mit Fahrrad, es entsteht ein beachtliches Gedränge. Aber, nun ja, auch damit kann man leben und mit ein wenig Geduld komme auch ich schließlich zu meinen wohlverdienten Pasta.

Insgesamt ist dieser Engpass aber nur ein verschwindend winziger Fleck auf der ansonsten weißen Weste dieser Veranstaltung. Es passte, von der Organisation her, einfach alles bei der Tour d'Energie. Eine beeindruckend gute Radsport-Veranstaltung. Der Gänsehaut-Faktor am Hohen Hagen ist groß, er wird hervorgerufen vor allem von den begeisterten Zuschauern. Ein tolles Erlebnis.

Großartig auch die Stimmung unterwegs, in den Ortschaften! Teilweise grenzte das schon an Euphorie. Mich rührt so etwas immer wieder an, und es ist Motivation pur.

 

Meine erste Tour d'Energie in Göttingen - ein Fazit

Das Fazit des Wochenendes: Göttingen ist eine schöne, einladende Stadt - wobei wir allerdings nur die Innenstadt näher kennengelernt haben. Die Organisation des Rennens war großartig und grenzte an Perfektion. Die Strecke ist landschaftlich ebenso schön, wie auch konditionell anspruchsvoll mit dem Höhepunkt Hoher Hagen. Verschönert wird die Strecke noch durch die tollen Zuschauer an vielen Orten. Rund um mich herum wurde sehr rücksichtsvoll und diszipliniert gefahren, schon nach wenigen Kilometern hatte sich das Fahrerfeld sehr entzerrt, nicht eine heikle Situation habe ich erlebt. Das ist nicht unbedingt Standard bei solchen Rennen. Als sehr schön empfand ich, dass bei dem Rennen in Göttingen die Jedermänner und
-frauen uneingeschränkt im Mittelpunkt standen und eben nicht nur eine Randerscheinung eines groß präsentierten Profirennens sind. Letztlich stimmte als i-Tüpfelchen auch noch das Wetter.

Was kann man sich von einem Radsport-Wochenende noch mehr wünschen? Vielleicht schlicht eine bessere eigene Form - aber das liegt ja allein in der eigenen Hand...

Im Internet hatte ich zuvor viel Gutes über die Tour d'Energie gelesen und war neugierig auf das Rennen geworden - das war eigentlich auch schon der ganze Grund, nach Göttingen zu fahren. Aus dem geplanten, verlängerten Rennrad-Wochenende wurde hier unversehens ein Radsport-Fest. Momentan kann ich mir keinen Grund vorstellen, warum ich im kommenden Jahr auf dieses Fahrrad-Vergnügen verzichten sollte!

Ach ja, eigentlich wollte ich ja den Mantel des Schweigens darüber decken, aber ein paar Zahlen sind wohl doch noch angesagt: Von insgesamt 1769 der auf der 100 km-Strecke ins Ziel gekommenen Männern (145 Frauen bewältigten zudem die Strecke) belegte ich Platz 1606 mit einer offiziellen Fahrzeit von 3:42:58 Stunden. Das entspricht einem Schnitt von 26,9 km/h. Meine Spitzengeschwindigkeit von 65,0 km/h erreichte ich auf der Abfahrt von Wiershausen nach Hannoversch-Münden - erst einmal in meinem Leben bin ich auf dem Fahrrad schneller gewesen (wobei ich mich bei Geschwindigkeiten ab 60 km/h auf dem Rad grundsätzlich eher etwas unwohl fühle). Mein GPS maß insgesamt 1393 zu bewältigende Höhenmeter (was einiges mehr ist, als vom Veranstalter angegeben).

Drei Tage nach dem Rennen in Göttingen findet in Frankfurt dann für mich bereits das nächste Jedermann-Rennen statt. Eine gute Gelegenheit, von Göttingen aus noch etwas weiter gen Süden zu fahren, sich einmal bei einem alten Freund einzuquartieren und auch das Frankfurter Rennen, die "Škoda Velotour - Rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt", auszuprobieren. Aber das ist dann eine ganz, ganz andere Geschichte...

 

Zu einer Sammlung mit schönen Fotos der 9. Tour d'Energie gelangen Sie hier in der Best Of-Galerie der offiziellen Pertner-Fotografen des Rennens sportograf.com.

Steigungs-Profil Tour d'Energie

Das Profil, also der Höhenverlauf, der Tour d'Energie. Zeitweilig wie eine Berg- und Talbahn.

Natürlich hatte ich auch bei diesem Rennen wieder meinen GPS-Empfänger bei mir. Das bedeutet, dass Sie sich hier die kml-Datei meines Rennens herunterladen können - und damit den exakten Weg direkt z.B. in Google Earth betrachten. Zu sehen ist die Runde auch unten in der (zoombaren) Karte. Bitte beachten Sie: In der Nähe von höheren Gebäuden und in Waldgebieten treten immer wieder kleine Störungen beim Satelliten-Empfang auf, was zu Abweichungen in der Strecken-Darstellung führt.

 

 

 

 

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Dirk Matzen

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