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Mitten im Nationalpark Warthemündung ("Park Narodowy Ujście Warty") - per Fahrrad bei prachtvollem Wetter erkundet.
Nun ja, ich gebe zu: ein wenig schreckte mich die Vorstellung doch, Ende Mai/Anfang Juni 2008 ein verlängertes Wochenende in einer Gruppe fleißiger Radfahrer aus Berlin zu verbringen! Eine Gruppe von ca. 20 Leuten, die sich am Freitagmittag in Berlin zunächst per Bahn aufmachen wollten in Richtung polnische Grenze, nach Kostrzyn nad Odrą (ehemals die deutsche Ortschaft Küstrin an der Oder). Von dort sollte es ein gutes Stück über Landstraßen nach Polen landeinwärts gehen, eine Übernachtungspause in Witnica (auf deutsch ehemals Vietz) geben, um dann durch den Nationalpark Warthemündung (auf polnisch: "Park Narodowy Ujście Warty") wieder zurück nach Kostrzyn und per Zug dann nach Berlin zu fahren.
Ein wenig doof fing es dann auch an, unsere Gruppe hatte zunächst Pech: Es gab Bauarbeiten auf der Bahnstrecke, kurz vor dem Ort Seelow war Schluss mit der Zugfahrt - die 20 Kilometer von dort bis zur Grenze von Polen mussten also auch noch auf dem Drahtesel zurückgelegt werden. Sowohl auf der Hin- als auch auf der Rückfahrt ergaben sich auf die Weise Streckenlängen von jeweils rund 60 Kilometern Fahrt, davon das zwischen Seelow und polnischer Grenze rund 20 Kilometer lange Stück direkt auf der Bundesstraße B1.
Nun, einer der Höhepunkt des Radfahrens bei dieser Tour waren hierdurch die ziemlich bald folgenden "Seelower Höhen" - eine rasende Schussfahrt hinab in Richtung Oderbruch. Schon beim Herunterfahren gingen mir zwei Gedanken durch den Kopf: Oh, bitte bitte kein Stein oder Stock auf der Straße - der Sturz wäre halsbrecherisch (letztlich kamen alle heil dort hinunter, klar)! Der zweite Gedanke: Wie sollst Du hier jemals mit dem Fahrrad wieder hinauf kommen? Um letzteres vorauszunehmen: Ich musste schieben. Natürlich! Wohl als einziger der Gruppe. Und das mit der Gewissheit im Hinterkopf, dass einer dieser gedopten Radrennprofis diesen Hügel sicherlich schneller hinauf fahren würde, als ich ihn hinunter fahren konnte... Nun ja...
Aber die Seelower Höhen sind noch einen weiteren, kurzen Gedanken wert, weil es ein historisch bedeutsamer Ort ist, unter militärischen Gesichtspunkten. Im Zweiten Weltkrieg kamen bei der letzten großen Schlacht auf deutschem Boden zwischen der Deutschen Wehrmacht und der sowjetischen Roten Armee um den strategisch wichtigen und massiv geschützten Höhenzug je nach Angabe zwischen 45.000 und über 100.000 Menschen zu Tode. In dem Ort Seelow selber stand kaum noch ein Stein auf dem anderen.
Aber dies nur als kurze Exkursion in die Geschichte - wir saßen ja eigentlich auf dem Rad und fuhren auf der Bundesstraße B1 gen Polen. Da es keinen Radweg und auch nur eine halbe Hüftbreite "Seitenstreifen" gibt, muss man direkt auf der Fahrbahn radeln. Schrecklicheres Radfahren als auf diesem Stück ist kaum vorstellbar, man konnte beinah hautnah die rücksichtslose und brutale Fahrweise zahlreicher brandenburgischer Autofahrer "genießen". Ich habe nicht gezählt, wie viele von ihnen mit wohl 130-150 Sachen und sehr aggressiv ein bis drei Handbreit an uns vorbeigerast sind - es waren in jedem Fall viel zu viele. Wenn es um ein paar Sekunden Wochenende geht, dann nimmt man als Autofahrer gerne mal ein paar tote Radfahrer lässig in Kauf. Nach 20 Kilometern kocht man als Radler dann schon vor Wut über so viel Boshaftigkeit! Was denken sich diese Säcke in den Blechkisten eigentlich??? Tja... Wahrscheinlich wohl gar nichts.
Nach dem Überqueren der Oder, an der Grenze zu Polen. Man wird förmlich von einem Schilderwald empfangen!
Den "Grenzübertritt" nach Polen empfand ich dann jedoch als kleines Wunder. Im Hinterkopf noch mit Bildern aus den 80er Jahren ausgestattet, mit umfassenden, peniblen Kontrollen, war ich geradezu fassungslos, als ich zu den großen, wuchtigen Grenzanlagen vor Kostrzyn kam, dort weit und breit keine Menschenseele erblickte und einfach so nach Polen hinein fahren konnte - keine Zöllner, keine Grenzer, nichts! Wie angenehm, was für eine schöne Entwicklung! Der EU und dem Schengener Abkommen sei Dank - das Leben ist viel unkomplizierter und freier geworden!
Und mit Erreichen der Grenze war das Kapitel B1 dann glücklicherweise ebenfalls vorbei und wie ein Wunder für alle unbeschadet überstanden. Es gab erst einmal eine erholsame Pause in dem kleinen, idyllisch direkt an der Warthe gelegenen "Café Kanape", mit Kaffee und lecker Kuchen. Großartig!
Ein einfaches Café, sehr idyllisch an der Warthe in Kostrzyn gelegen: das Café Kanape.
Anschließend kam dann der schon jetzt schwer verdiente, aber sehr angenehme Teil der Tour: nicht erwartet hatte ich, dass es in Polen so gut und großzügig ausgebaute Radwege gibt, wie wir sie dann ab Kostrzyn nutzten können. Sehr angenehmes Radeln auf einem breiten Radweg, entlang an wenig befahrenen Straßen in der Abendsonne. Jetzt wurde die Tour schön, richtig schön. Nördlich um den Nationalpark herum ging es durch kleine Ortschaften wie Dąbroszyn, Krześniczka, Kamień Mały oder Mościczki in ruhigem, gelassenem Tempo bis durch die größere Ortschaft Witnica hindurch. Besondere Steigungen gibt es hier im Warthebruch nicht. Das reservierte, Zwei-Sterne-Hotel " Leśne Ustronie" bietet zwar keinen sonderlichen Luxus, es liegt jedoch sehr idyllisch etwas außerhalb des Ortes mitten eines Waldgebietes. Dort gab es dann nicht nur ein einfaches und zweckmäßiges Zimmer und die Möglichkeit, die Räder unterzustellen (auch diejenigen, die darauf verzichteten, hatten keine Probleme mit Diebstahl), sondern auch ausreichend Gelegenheit, sich vom Wohlgeschmack verschiedener polnischer Biersorten zu überzeugen.
Auf dem Weg nach Witnica im Abendlicht.
Der eigentliche Hauptteil der Radtour sollte jedoch erst am nächsten Tag stattfinden: Die Strecke mitten durch den Nationalpark Warthemündung hindurch. Zuvor, auf dem Weg dorthin, gab es jedoch noch eine sehr lohnende, einstündige Pause im "Park der Wegweiser und der Meilensteine der Zivilisation" in Witnica - eine Art kostenloses Freiluftmuseum mitten in dem 7.000-Einwohner-Städtchen mit allerlei sehenswerten und interessanten Installationen von der Industriegeschichte bis zu Darstellungen der polnischen Grenze zur Zeit des kalten Krieges (auch der Grenzverlauf zwischen der DDR und Polen war ja hoch gesichert). Die Internetseite der Stadt Witnica nennt diesen Park ein "eigentümliches Freiluftmuseum" - und trifft damit gut den Punkt (einige Bilder aus dem Park finden sich unten). Ist man in der Stadt Witnica, sollte man sich ein wenig Zeit für die Entdeckung dieses Parks nehmen. Vielleicht ja auch noch für die neugotische Kirche aus dem 19. Jahrhundert, die alte Brauerei "Boss" oder die "Gelbe Villa" mit dem Heimatmuseum, den Dinosaurier-Park oder gar den Safari-Zoo in der Nähe? Die kleine Stadt hat einiges zu bieten!
Ein typischer Wegweiser aus früherer Zeit in der Gegend von Witnica, genannt "Der Türke". Heute findet man noch ein Exemplar im "Park der Wegweiser und der Meilensteine der Zivilisation" in Witnica.
Für uns jedoch ist es von Witnica aus nur noch ein Katzensprung bis in den Nationalpark Warthemündung. Hierüber gibt es eigentlich nicht allzu viel zu beschreiben, das meiste dieses wunderschöne Naturerlebnis sagen sicherlich die Bilder aus.
Nur soviel: Die 8.078 Hektar große Fläche wurde am 1. Juli 2001 zum Nationalpark ernannt. Dieser ist durch den Flussverlauf der Warthe in zwei Teile geteilt, die nördliche Schutzzone "Nordpolder" (unsere Route) sowie die in einem Überschwemmungsgebiet liegende südliche Schutzzone um den Ort Słońsk. Besonders wertvoll ist das Gebiet für die hier lebende Vogelwelt: Über 270 Vogelarten hat man festgestellt, davon 170 Brutvogelarten, darunter zahlreiche seltene und gefährdete. Aber auch Fischotter, Dachs, Biber und viele Fischarten fühlen sich hier heimisch.
Die meisten Strecken auf unserem rund 30 Kilometer langen Weg durch den Nationalpark hindurch ließen sich gut und problemlos befahren, aber es gab immer wieder auch hunderte Meter lange Stücke mit losem Sand - wo man sich, nun ja, etwas Mühe geben musste, um das Radfahren noch genießen zu können... In diesen Abschnitten musste man sich zuweilen so auf den Weg konzentrieren, dass man die wirklich großartige Natur um sich herum kaum noch wahrnehmen konnte. Aber auf den weitaus längsten Stücken der Strecke war dies kein Problem. Später jedoch, im Sommer, sollen viele Wege zum großen Teil von Brennnesseln nahezu zugewachsen sein, ließ ich mir erklären. Im Mai, als wir unterwegs waren, war dies jedoch noch kein Problem.
Was auf dem Bild nicht mitzuteilen ist, ist die ungeheure Stille in diesem Gebiet.
Unterwegs gab es immer wieder großzügig ausgebaute Rastplätze, die zum Verweilen einladen. Dort findet man zuweilen auch Informations-tafeln mit Erklärungen, was jeweils besonders beachtenswert ist - in Polnisch und in Englisch. Man hat sich also viel Mühe gegeben, die wunderschöne und friedliche Landschaft angemessen zu präsentieren.
Voll auf ihre Kosten kamen vor allem die Vogelkundler unter den Mitradlern - einige von ihnen hatten sich diese Tour für eine Teilnahme ganz gezielt ausgesucht. Meine eigenen ornithologischen Kenntnisse reichen leider gerade so weit, um zu wissen, dass es in Hamburg keine Spatzen mehr gibt, zumindest im innerstädtischen Gebiet... Aber die zahlreichen Ornithologen in der Gruppe begeisterten sich geradezu an Kormoran, Neuntöter, Sprosser, Rot- und Schwarzmilan und was weiß ich. Mir reichte es derweil völlig, mich an der lieblichen, ruhigen und wunderschönen Umgebung zu erfreuen und die enorme Stille zu genießen, all das glücklicherweise bei prallem Sonnenschein. Keinesfalls sollte man die Gegend auf die Beobachtung der Vögel beschränken! Zuweilen wurde die Stille von in Tümpeln quakenden Fröschen unterbrochen - deren Anzahl ich mir bei dem dann erzeugten Lärm tatsächlich kaum vorstellen kann! Der gestrige "Kampf" mit den Autos auf der B1 erschien hier tatsächlich Lichtjahre entfernt.
Auf dem Weg durch den nördlichen Teil des Nationalparks Warthemündung.
Obwohl: Genau der stand uns auf der Rückfahrt wieder unmittelbar bevor. Die Hinfahrt fand an einem Freitag statt, folglich war es bei der Rücktour ein Samstag - da ist man dann ganz offenbar nicht mehr so boshaft in Ost-brandenburg. Jedenfalls gab es deutlich weniger kritische Situationen auf der Fahrt, auch war auf dieser Seite der Seitenstreifen etwas breiter, so dass man nicht direkt auf der Straße radeln musste. Den geplanten und reservierten Zug ab Seelow (Gruppen müssen in den hier verkehrenden Regionalzügen vorher anmelden) konnte man jedoch nur mit einem durchaus strammen Tempo erreichen, die gut 20 Kilometer fast schnurgerade Strecke musste in einer knappen Stunde bewältigt werden, einschließlich Seelower Höhen und einer langgezogenen aber nicht so steilen Steigung direkt hinter Seelow. Nicht alle erreichten den fest reservierten, allerdings stündlich verkehrenden Zug...
Kurz und knapp ein Fazit der Radtour: Meine Bedenken waren völlig unbegründet! Nicht nur, dass die Gruppe sich als sehr bunte und nette Zusammensetzung von verschiedensten Leuten erwies - nein, auch die Strecke selber war absolut großartig! Wenn man mal von dem ursprünglich nicht eingeplanten Stück auf der B1 ansieht! Die Landschaft der Warthemündung, die bei Kostrzyn in die Oder fließt, also in den Grenzfluss zwischen Deutschland und Polen, ist wahrlich hinreißend schön. Mit seiner wunderbaren Ruhe und seinem Frieden ist die Gegend eigentlich einen noch viel längeren Aufenthalt wert! Bis zu dieser Tour kannte ich die Warthe nur aus einem früheren, zweimonatigen Aufenthalt in Poznań (Posen) - dort hat man sie gebändigt und ihr ein trostloses Betonbett verpasst. Wie sehr Flüsse ihr Gesicht jedoch wandeln können und wie vielseitig sie sind, ist immer wieder überraschend.
In der Nähe von Tucheband wird ein Treffen von Militärfahrzeugen vorbereitet. Am Samstag bewiesen dann wahre Menschenmassen die große Beliebtheit alter NVA-Geräte in Ostbrandenburg.
Seitdem Polen dem Schengener Abkommen beigetreten ist, ist dieses Schild in Küstrin-Kietz offenbar nicht mehr aktuell.
Da schaudert es einen: Eine verlassene und langsam regelrecht verfaulende Kaserne direkt vor der Brücke nach Polen. 1902/03 als preußische Kaserne auf der Oderinsel von Küstrin-Kietz erbaut, später dann als russische Kaserne genutzt.
Hier Deutschland, da Polen: Die Brücke über die Oder / Odrą zwischen Küstrin-Kietz und Kostrzyn.
Die polnische Grenzanlagen liegen nahezu verwaist da. Kaum noch Arbeit für die Grenzer.
In der früheren Festung von Kostrzyn wird an historische Begebenheiten aus der Schlacht um die Stadt im Zweiten Weltkrieg erinnert.
Bei Kostrzyn an der Warthe, kurz vor der Einmündung der Warthe in die Oder.
Blick vom Wartheufer bei Kostrzyn flussaufwärts in Richtung Nationalpark.
Historische Pumpstation aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts in Warniki (heute ein Stadtteil von Kostrzyn).
Im Café Kanape in Kostrzyn haben Besucher Flaggen ihrer Heimat hinterlassen. Neben Hamburg findet sich auch die Republik Freies Wendland.
Die Kirche in Kostrzyn. Oft haben Kirchen in Polen absolut moderne Bauweisen.
Auf dem Weg von Kostrzyn nach Witnica - hier im Ort Dąbroszyn (ehemals Tamsel).
Unterwegs in einer schönen und ruhigen Landschaft.
Blick von der Straße über den Warthebruch...
... in abendlicher Stimmung.
Die schöne baumbestandene Straße 132 ist nur schwach mit Autos befahren.
Kurz vor Witnica.
Ein paar hundert Meter außerhalb von Witnica und mitten im Wald gelegen: Die Unterkunft Hotel Leśne Ustronie.
Eine große polnische Leidenschaft: Das Angeln - hier am See vor dem Hotel.
Informationstafel der Region Witnica am Ortseingang.
Der Ortskern der 7.000-Einwohner-Stadt Witnica blieb nicht vor grauen, sozialistischen Wohnblocks verschont.
Inzwischen ist man ganz modern: Selbst in einer Kleinstadt gibt es zahlreiche Überwachungskameras.
Auch mitten in Witnica: eine Gedenkstätte für die Gefallenen des Krieges.
Die Stadtverwaltung von Witnica.
Gewaltig: Die neugotische Kirche aus dem 19. Jahrhundert in Witnica.
Der Eingangsbereich der Kirche - mit Statue von
dem im Heimatland noch hochverehrten Pabst Johannes Paul II.
Im "Park der Wegweiser und der Meilensteine der Zivilisation" (Park Drogowskazów) in Witnica.
Nachbildung von Grenzanlagen zur DDR im "Park der Wegweiser und der Meilensteine der Zivilisation".
Auch alte Industrieanlagen findet man in dem kostenfrei öffentlich zugänglichen Park.
Gedenkstätte für Flucht und Vertreibung der Menschen aus dem Ort nach dem Zweiten Weltkrieg - ohne falsches Pathos ist dies um so eindringlicher dargestellt.
Auch noch die Gedenkstätte für Flucht und Vertreibung - auf dem Boden sind Platten eingelassen worden, wohin die Menschen gezogen sind.
Im Eingangsbereich zum "Park der Wegweiser und der Meilensteine der Zivilisation" wird einiger markanter Daten der Stadt gedacht: 1261 erste Erwähnung der Stadt, 1935 Erhalt des Stadtrechts, 1945 Befreiung von den Nazis und Zugehörigkeit zu Polen.
Und dann geht es ab durch den Ort in Richtung Nationalpark.
Hier geht's Richtung Nationalpark.
Eindrücke der Landschaft des Nationalparks Warthemündung...
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Direkt südlich von Witnica gibt es eine Fähre über die Warthe.
Eine der Informationstafeln zum polnischen Nationalpark Warthemündung.
Noch einige Eindrücke aus dem Nationalpark...
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... schon gegen Ende der Tour, wieder in der Nähe von Kostrzyn.
Das tolle an Ornithologen ist: Sie sind Sammler - ohne das Objekt der Begierde besitzen zu wollen...
...und erfreuen sich allein am intensiven Anschauen Ihrer Sammelobjekte.
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