Meine Empfehlungen
im Internet:
Eine Sitzgelegenheit mit grandioser Aussicht - auch bei grauem Himmel: Am UNESCO-Weltnaturerbe Kangia, dem "Ilulissat-Icefjord".
Ilulissat - wir haben noch eine Rechnung offen!
Ja, wir haben wirklich noch eine Rechnung offen behalten...
Bilder, viele Bilder und Vorstellungen habe ich im Kopf gehabt, als ich hierhin gekommen bin. Große, eindrucksvolle Bilder, von Eisbergen und phantastischer grönländischer Landschaft!
Doch so wie jetzt, habe ich mir das nicht vorgestellt, denn was ich nun hier in Ilulissat an Bildern sehe, ist etwas völlig anderes. Und das auch noch im halbstündigem Rhythmus:
Werbung - für einen Friseursalon. Der ist allerdings nicht mal hier in Ilulissat, sondern im 700 km entfernten Nuuk:
Werbung - für ein grönländisches Umzugunternehmen (wobei ich mir dann immer wieder die Frage stelle: Wie zieht man in Grönland eigentlich in eine andere Stadt um - wo es doch gar keine Straßen im Land gibt?):
Werbung - für Außenbordmotoren:
Werbung - für eine Schifffahrt mit der Sarfaq Ittuk, dem grönländischen Küstenschiff, mit dem ich von Nuuk aus ja hierhin gefahren bin:
Kurz: Ich bin an meinem Traumziel Ilulissat angekommen - und liege im Bett. Fast zwei komplette, lange Tage lang bin ich nahezu durchgängig bettlägerig und auch danach noch kränklich und ziemlich geschwächt. Offenbar hat ein Virus mich übel erwischt, sehr schnell lässt da die Energie und Kraft nach. Und dann liegt man im Bett - und starrt eine Weile auf den Fernseher. Vier Programme stehen hier zur Auswahl: KNR, das grönländische Fernsehen. Und zusätzlich drei dänische Programme: DR1, DR2 und der Kinderkanal DR Ultra.
Die (dänische) Hotelleiterin klagt, dass schon seit zwei Monaten der städtische Satelliten-Empfänger gestört sei. Mit dem gäbe es mehr empfangbare Sender. Bei jedem Hubschrauber-Geräusch schreckt sie hoch - in der Hoffnung, dass dieser zur Reparatur des Satelliten-Empfängers komme. Schließlich würde bei der gerade laufenden Tour de France in diesem Jahr zum ersten Mal ein im Haus persönlich bestens bekannter, junger dänischer Fahrer dabei sein - und das könne man mit den derzeitigen Kanälen nicht richtig verfolgen. Soso, denke ich: Die Tour de France will in Grönland verfolgt werden! Über die zeitgleich stattfindende Fußball-WM erfährt man hier überhaupt nichts. Aber das macht auch nichts, schließlich ist mein Lieblingsteam aus Island ja schon ausgeschieden (was ich mir direkt in Reykjavik angeschaut habe)...
Es wäre vermessen, zu glauben, auch nur ein einziges Wort Kalaallisut verstehen zu können, wenn man den Sender KNR schaut - eine für mitteleuropäische Ohren völlig fremde Sprache. Immerhin gibt es neben der regelmäßigen, immer gleichen Werbung ab und an Nachrichten. Zuweilen begreife ich in einer kompletten Nachrichten-Sendung nicht ein einziges Thema, über das berichtet wird. Lediglich bei einer einzigen, dramatischen Nachricht begreife ich allein aufgrund der eindringlichen Bilder, um was es geht: Das Dorf Innaarsuit, ca. 450 km nördlich von Ilulissat, ist in höchster Gefahr - durch einen riesigen Eisberg, der direkt vor den Hafen der Siedlung getrieben ist. Würde er jetzt zerbrechen oder sich umdrehen - die Siedlung wäre verwüstet. Die Nachricht hiervon geht selbst durch deutsche Medien - wie mir später daheim einige Bekannte erzählen.
Hin und wieder allerdings gibt es als Pausenfüller grönländische Landschaftsaufnahmen. Lust auf grönländische Landschaft habe ich ja, aber die will ich eigentlich viel lieber "in echt" haben, und nicht per TV sehen. Nun bin ich in Grönland - und schaue grönländische Landschaft im TV an! Wie dämlich ist das denn eigentlich??
Aber - als ich später wieder daheim bin, finde ich nach ziemlich viel Suche im Internet tatsächlich meinen "Lieblings-Pausen-Spot" von diesen bettlägerigen TV-Tagen in Ilulissat, auf Youtube. Er wurde gedreht per Drohnenflug in Qeqertarsuaq, dem Hauptort der Disko-Insel - die ich von meinem Hotelzimmer aus gut sehen kann, wenn es nicht gerade neblig ist. Immerhin: Der Clip ist gewaltig! Und drückt vielleicht mehr über die "Faszination Grönland" aus, als meine ganzen Worte es jemals können.
Und dieser Clip ist für mich, den Umständen geschuldet, ja auch ein zwar sonderbares, aber auch außergewöhnliches Souvenir von meiner Reise nach Grönland - erinnert es mich doch an meine bettlägerige Zeit in Ilulissat (man beachte auch in dem Clip auch die schöne Musik - die nicht aus Grönland, sondern aus Portugal stammt):
Das Internet ist in Ilulissat keine besonders gute Freizeit-Alternative. Für einen stolzen Preis von umgerechnet über 30 Euro habe ich mir im Hotel drei Stunden WLAN-Nutzung gekauft. Nach einigen eMails mit ein paar Bildern sind die drei Stunden plötzlich schon weg. Irgendwas ist da schief gegangen - aber das lässt sich nicht nachvollziehen. Ja, Grönland ist ein teures Pflaster! Ungefragt erklärt mir die Hotelleiterin auch dieses Problem: Auch das Internet geht über Satellit - Seekabel funktionieren in Ilulissat nicht dauerhaft. Die Seekabel werden von den riesigen Eisbergen am Boden zuverlässig zerschnitten, zersägt, zerfleddert geradezu. Also lässt man das mit den Kabeln - und ist auch hierbei auf Satelliten angewiesen.
Schließlich heißt Ilulissat übersetzt "Eisberge" (ja - im Plural). Der dänische Name der Stadt ist Jakobshavn.
Immerhin - ich habe ein ausgesprochen gemütliche Unterkunft in Ilulissat:
Das ist doch genau das, was man sich daheim von einer Unterkunft in Grönland landläufig so vorstellt! Oder?
Nein, nein, pardon - ein blöder Scherz! Das Bild stammt aus dem kleinen Freiluft-Museum und zeigt, wie in früheren Zeiten in Grönland gelebt wurde. Heutzutage hat man, jedenfalls in den Städten, einen modernen, in Mitteleuropa gewohnten Standard.
Und dieses schöne Zimmer bietet mir etwas Besonderes: Grönländische Landschaft habe ich nämlich nicht nur als Pausenfüller im TV, sondern auch, wenn ich aus dem Fenster schaue. Wenn ich mich in dem Bett umdrehe und mit dem Kopf auf dem Fußende liege - dann habe ich grönländische Landschaft, vor dem Hotelfenster.
Und die ist: Schlicht atemberaubend! Der Blick geht über den Balkon auf die Disko-Bucht und auf die Disko-Insel - und auf eine unzählbare Masse von mehr oder minder großen Eisbergen. Eine ebenso schöne, wie unwirkliche Welt. Direkt aus dem Bett sichtbar. Spektakulär!
Und damit sind wir ja im wirklichen Ilulissat angekommen.
Mein Blick fällt zuweilen auf die Disko-Insel, das oben eingebettete Youtube-Video stammt ja von dort, aus dem Hauptort der Insel Qeqertarsuaq - und genau dort wollte ich hin. Eigentlich. Dieses Vorhaben ist allerdings schon vor meiner Reise nach Ilulissat geplatzt: Als ich etwa drei Monate vor der Reise einen Platz im täglich verkehrenden Linienschiff der Disko Line buchen will, ist dieses bereits komplett ausgebucht. An sämtlichen Tagen, an denen ich Zeit hierfür gehabt hätte: Da bin ich schlicht zu spät dran gewesen. Meine Hoffnung, dies vor Ort noch irgendwie organisieren zu können, ist hier dann kein Thema mehr.
Die Bootsfahrt zum Eqi-Gletscher, ein teures Unternehmen - ausgefallen, wegen meiner Erkrankung. Eine komplette Tagestour ist in meinem Zustand schlicht nicht möglich. Der Eqi-Gletscher - das ist DAS Bild, das man aus Grönland so kennt: Eine riesige, rund zwei Kilometer breite, häufig kalbende Abbruchkante einer Gletscherzunge, bis zu 200 m hoch.
Auch ein Ding der Unmöglichkeit auf dieser Reise, wegen meiner Erkrankung: Die gebuchte und längste bezahlte Linien-Bootsfahrt in die kleine Siedlung Oqaatsut (dänisch Rodebay - mit gerade mal 27 Einwohnern in 2018), gut 20 km nördlich von Ilulissat. Von dort sollte es für mich per Wanderung zurück nach Ilulissat gehen. Kurz nach der Ankunft in Ilulissat habe ich mir die entsprechende Wanderkarte gekauft. Das Wetter an dem gebuchten Fahrt-Tag und somit dem Tag der geplanten Wanderung ist phantastisch und könnte besser nicht sein! 20 km allein durch die arktische Wildnis zu wandern - das stellte ich mir als ganz großes Erlebnis vor. Das Ticket für die Bootsfahrt habe ich seit Januar (für den Fall der Fälle auch noch eine Rückfahrt). Alles ist perfekt vorbereitet. Nur ich, ich muss zumindest den halben Tag im Bett liegen bleiben. An wandern oder auch nur eine Bootstour ist nicht zu denken. Wie schade - da wächst der Frust!
Dass dann auch das "grönländische Buffet" noch meiner Magenverstimmung zum Opfer fällt, ist da schon fast nicht mehr soo wichtig.
Alles zusammen ist es schon bitter! Es soll eine "Once-in-a-lifetime"-Reise nach Grönland sein - und dann das! Noch lange nach der Reise ärgere ich mich darüber, eine ganze Anzahl an sicherlich einmaligen Eindrücken schlicht verpasst zu haben.
Die Ankunft in Ilulissat allerdings ist schlicht grandios! Mit dem Schiff bin ich gekommen. Von der grönländischen Hauptstadt Nuuk dauert die Fahrt mit dem grönländischen Passagierschiff Sarfaq Ittuk ziemlich genau 40 Stunden. Und gerade die letzten Stunden dieser Fahrt sind extrem beeindruckend - ein für mich unvergleichliches Erlebnis. Eine ausführliche Schilderung meiner Schifffahrt mit der Sarfaq Ittuk findet sich auf meiner Seite hier.
Nach dem Ausschiffen werde ich komfortabel von einem Wagen meiner Unterkunft abgeholt. Eine Viertelstunde später bin ich in meinem Zimmer - und klopfe mir selber erstmal ausgiebig auf die Schulter. Meine durchaus teure Entscheidung bei Buchung der Reise, mir ein Zimmer mit Blick zur Diskobucht zu leisten, ist genau richtig gewesen (Grönland für sich genommen ist ja schon sehr teuer, bevorzugte Zimmer sind dann noch einmal besonders extra sehr teuer)! Das ist mir sofort völlig klar, als ich mich umschaue. Gut gemacht!
Anstatt meinen Koffer erstmal ordentlich wegzustellen, wie üblich erstmal einige Dinge zu sortieren, schiebe ich den Koffer nur schnell beiseite, lege den Rucksack ab, öffne die Balkontür, setze mich auf dem Balkon auf einen der bereitstehenden Stühle - und sehe ganz genau das:
Dieser allererste Eindruck beim Blick vom Balkon meines Hotelzimmers in Ilulissat zieht mich sofort in den Bann.
Und dieser Blick ist ganz genau das, was ich mir erhofft habe und was ich gerade will. Mehr brauche ich gerade nicht zum Leben. Das macht mich gerade völlig glücklich. Der Anblick auf die dicht an dicht mit Eisbergen versehene Disko-Bucht ist viel magischer, als jedes Foto es zeigen kann (die Häuser sind zwar auf dem Foto - aber waren sie etwa auch in Wirklichkeit da? Wahrgenommen habe ich sie nicht...). Ich sitze da in der prallen Sonne in Grönland und bin von dem Blick so beeindruckt, dass mir fast der Atem stockt. Lediglich ein gefühltes leichtes Schwanken irritiert mich - da ist auf der Schifffahrt wohl etwas mit meinem Gleichgewichtssystem durcheinander geraten.
Erst als sich eine ebenfalls gerade angekommene Reisende aus dem Nebenzimmer sich zu mir gesellt, werde ich aus meiner atemlosen Faszination wieder ein wenig herausgerissen. Nach etwa einer Dreiviertelstunde merke ich, dass ich etwas unternehmen muss: Die Sonne ist zu grell. Ich brauche Sonnencreme und sonstigen Sonnenschutz.
Was für eine tolle Ankunft!
Wo aber bin ich hier denn eigentlich?
Ilulissat - der dänische Name Jakobshavn ist inzwischen eigentlich gar nicht mehr gebräuchlich. Wie schon erwähnt heißt die Übersetzung des grönländischen Namens "Eisberge". Eine treffende Bezeichnung, denn: Wenn Ilulissat etwas zu bieten hat, dann sind es die Eisberge in den Gewässern vor der Stadt.
Und genau diese sind es, die Ilulissat zu der großen Touristenhochburg von Grönland machen. Gerade in den letzten Jahren hat Ilulissat eine enorme Zugkraft auf Touristen entwickelt: So hat z.B. die Zahl der Übernachtungen in Ilulissat von knapp 29.000 im Jahr 2000 auf 73.200 im Jahr 2017 zugelegt - was für ein enormes Wachstum! Gut die Hälfte dieser Übernachtungen werden von Grönländern gemacht, aber auch der Rest der Welt legt gewaltig zu. Die meiste Zugkraft auf die Touristen hat der ein Stück südlich von Ilulissat gelegene Kangia-Icefjord. Und wenn ich selber hier Tourist bin, dann habe ich natürlich auch Verständnis für alle, die dies auch sehen wollen...
Die 1741 gegründete Stadt Ilulissat ist die drittgrößte Stadt Grönlands mit derzeit knapp 4.600 Einwohnern. Fischerei und Tourismus sind die Hauptwirtschaftszweige der Stadt. Verwaltung und Dienstleistung bieten darüber hinaus die meisten Arbeitsplätze.
Die Lage an der Stadt an der großen Disko-Bucht, etwas südlich der Mitte der Westküste Grönlands, ist ca. 300 Kilometer nördlich des Polarkreises. Und das bedeutet: Im Winter herrscht hier die Polarnacht - die Sonne geht über einige Wochen gar nicht auf. Im Sommer jedoch gibt es Mitternachtssonne: Es gibt über Wochen keine (dunkle) Nacht. Meine Ankunft hier ist am 8. Juli, also recht kurz nach der Sommersonnenwende. Und neben den Eisbergen ist eben auch die Mitternachtssonne eines meiner Reiseziele. Sonne in der Nacht - das möchte ich gerne mal sehen und erleben und erfühlen.
Und noch etwas: Die Stadt hat einen meiner geliebten Superlative zu bieten. Sie ist Hauptstadt der - halten Sie sich fest! - GRÖSSTEN GEMEINDE DER ERDE! Gerade rechtzeitig zu meiner Reise hat man am 1. Januar 2018 durch eine Kommunalreform die " Avannaata Kommunia" gegründet. Keine Gemeinde auf der Welt ist so groß: 522.700 km². Das heißt: Das von Ilulissat aus verwaltete Gebiet ist rund 1,5mal so groß wie Deutschland. Die Einwohnerzahl der gesamten Gemeinde mit rund 10.600 unterscheidet sich dann aber doch etwas.
Das Wappen der größten Gemeinde der Erde, der Avannaata-Kommunia in Grönland.
Und wenn man dann durch diese Hauptstadt der größten Gemeinde der Welt spaziert, dann ist das nett. Mit seinen 4.600 Einwohnern ist Ilulissat nicht allzu groß und gut zu Fuß zu erkunden. Wenn man sich schon ein wenig in grönländischen Städten umgeschaut hat, so wie ich zuvor in Nuuk und leider nur kurz in Sisimiut, dann fällt schnell auf, dass Ilulissat bei weitem nicht so viele große Plattenbauten hat, wie die anderen Städte. Ein paar wenige gibt es zwar auch - aber bei weitem nicht so viele, wie in anderen grönländischen Städten. Und, vor allen Dingen: Nicht in so trostlosen Zustand, wie ich es vor allem in Nuuk zuweilen gesehen habe.
Insgesamt hat man in Ilulissat offenbar mehr Raum zum Bauen, als in anderen grönländischen Orten. Die Stadt ist recht großzügig angelegt worden. Das sorgt auch dafür, dass die Wege dann doch etwas länger, als man es zunächst mal erwartet.
Das Stadtzentrum von Ilulissat.
Aber diese Wege lohnen sich durchaus. Das locker und weitläufig bebaute Stadtzentrum muss man erstmal als solches erkennen - aber das eine oder andere größere Geschäft helfen bei der Erkenntnis. Auch gibt es locker verstreut ein paar Cafés und Restaurants. Ansonsten gibt es viele verstreute, meist schön gestaltete und bemalte Holz-Wohnhäuser: Eine angenehme Stadt! Autoverkehr gibt es einigen, mit auffallend vielen Taxis. Radfahrer sind auch etliche unterwegs in Ilulissat, in dem hügeligen Gelände ausnahmslos mit Mountainbikes. Und einige schwere LKW brausen durch die Stadt - dies verblüfft mich dann in Grönland doch immer wieder. Schließlich können diese LKW nicht über die Grenzen der Stadt hinaus fahren - Straßen gibt es in Grönland nur innerhalb der Städte und Siedlungen. Keine zwei Städte sind in Grönland per Straße verbunden - bislang jedenfalls (man überlegt wohl schon seit geraumer Zeit, zwischen der Großflughafen-Stadt Kangerlussuaq und der zweitgrößten grönländischen Stadt Sisimiut eine Straße zu bauen).
Ein typisches Wohngebiet in Ilulissat.
Der in Ilulissat jährliche Jedermann-Laufwettbewerb "Cecilialøbet" mit Läufen für Groß und Klein und mit Strecken bis 22,5 km findet dieses Jahr leider bei sehr schlechtem Wetter statt.
Als ich später, gesundheitlich noch ziemlich angeschlagen, etwas mühsam durch den Ort schleiche, gönne ich mir oft lange Pausen auf irgendwelchen Bänken. Das zumeist zwar kühle, aber doch großartige sonnenschein-reiche Wetter lädt oft dazu ein. Als ich dann auf einer der Bänke zwischen Sporthalle und Fußballplatz an der Straße sitze (vor mir umfassende Werbung für einen an meinem Abreisetag stattfindenden öffentlichen Laufwettbewerb - auch so etwas findet im modernen Grönland statt), entwickelt sich nebenan so etwas wie ein kleiner, spontaner privater Flohmarkt. Alles mögliche wird dort verkauft, zudem wird auch amerikanisch-religiös missioniert. Besonders beliebt und schnell verkauft sind große, grüne Büschel einer mir nicht bekannten, salatartigen Pflanze. Als ich dann einige Minuten später an den paar Ständen entlang bummle, trifft mich fast der Schlag. Andere Länder, andere Sitten: Zu den angebotenen Flohmarktstücken gehören auch Gewehre - Jagdgewehre. Gerne auch originalverpackt, aus tschechischer Produktion. Es finden sich durchaus fachkundige Interessenten. Es juckt mich sehr im Finger - nein, nicht, um den Abzug der Waffe zu betätigen, sondern den Auslöser der Kamera. Aber ich sehe davon ab, traue mich nicht einmal, zu fragen, ob ich fotografieren dürfe. Der fast schon vermummte junge Verkäufer hätte das womöglich nicht so richtig lustig gefunden - wer weiß.
Auf dem kleinen, privaten Flohmarkt in Ilulissat findet frisches Grün schnellen Absatz.
Die Wohnsiedlungen in Ilulissat sind recht schön, haben so etwas wie "typisch grönländisches" Flair. Im Lauf meines Urlaubs habe ich mir eine gewisse gemütliche Gangart angewöhnt. Das führt nicht nur dazu, dass man selber alles in Ruhe betrachten kann, sondern dass man selber auch in Ruhe betrachtet werden kann. Schätzen würde ich mal, dass etwa 95 Prozent der Einwohner von Ilulissat indigenen Ursprungs sind, es gibt hier nicht allzu viele Mitteleuropäer. Nun ist es zwar so, dass man hier Touristen durchaus gewohnt ist - aber die meisten huschen wohl in Booten und Minibussen vorbei. Oder stratzen hier als stramme Wandersleute entlang. Touristen als gemütliche Spaziergänger sind offenbar ein etwas selteneres, ungewohntes Bild. Alle Einheimischen, die mir entgegen kommen, schauen mich an. Also - bei mir: Alle Männer! Und alle, ohne jede Ausnahme alle, grüßen freundlich, wenn man den Blick erwidert. Also - alle Männer. Einen Blickkontakt mit Frauen habe ich auf der Straße nicht ein einziges Mal. Vielleicht mal im Supermarkt an der Kasse - aber niemals auf der Straße. Was mit dem gleichen Geschlecht eine absolute Selbstverständlichkeit ist, ist mit dem anderen Geschlecht ein totales No-Go. Auch eine interessante Beobachtung.
Die Wege durch die Stadt Ilulissat bieten einen atemberaubenden Ausblick auf die Eisberge auf dem Wasser.
Wenn dies alles aber schon ganz schön ist, dann hat Ilulissat obendrein allerdings grandiose, wunderschöne Aussichten zu bieten. Atemberaubende Schönheiten - wenn man an die Küste kommt, mit dem Blick auf die große Disko-Bucht. Die für mich gewaltige "Magie der Eisberge" habe ich auf der Fahrt nach Ilulissat mit dem grönländischen Passagierschiff Sarfaq Ittuk ja bereits kennengelernt, allerdings viel zu kurz. Aber hier in Ilulissat reicht ein kurzer Gang an die Küste - und dann hat man alle Zeit der Welt, um sich an diesen schönen Gebilden satt zu sehen. Hier dann allerdings ohne den pausenlosen Perspektiv-Wechsel einer Schifffahrt.
Ilulissat heißt "Eisberge" - und genau diese bietet die Stadt. Ohne Ende. Massenhaft. Traumhaft schöne Blicke! Vor allen Dingen im Sonnenschein, wie an meinem ersten Tag hier jetzt gerade.
Die Zionskirche in der Küste von Ilulissat, direkt neben den großen Eisbergen, die in der Disko-Bucht treiben.
Bei gutem Wetter erfordert es etwas Glück, auf der auch bei den Einheimischen sehr beliebten Sitzbank direkt neben der Zionskirche an der Küste der Disko-Bucht mit sensationellem Blick auf die treibenden Eisberge einen freien Platz zu ergattern.
Die (1779 erbaute) hölzerne, dunkelbraune Zionskirche direkt an der felsigen Küste steht so, als sei sie für besonders schöne Fotos extra so platziert worden. Keine Frage: Die Einheimischen haben einen Sinn für Schönheit! Ein Stück daneben steht das Geburtshaus des berühmten Polarforschers Knut Rasmussen - einem Stolz Grönlands. Heute ist in dem Gebäude das "Ilulissani Katersugaasivik", das Ilulissat-Museum zu finden (das ich am Morgen meines Abreise-Tages besuche, an einem extrem trüben, nebligen Vormittag - es gibt interessante Einblicke vor allem in das frühere Leben in Grönland).
Das Geburtshaus von Knud Rasmussen beherbergt heute das Ilulissat-Museum, ein sehenswertes Heimatmuseum.
Im Eingang zum Kunstmuseum zeigt das Plakat, was für eine Sonderausstellung die Besucher derzeit erwartet: Zur Zeit meines Besuchs stellt die Gruppe "Dorset Fine Arts" aus Cape Dorset in Kanada ihre farbenfrohe, arktische Kunst aus.
Auch dem Kunstmuseum statte ich am Abreisetag einen Besuch ab. In der unteren Etage des Museums findet man als Dauerausstellung Bilder des Künstlers Emanuel A. Petersen, der zum Ende des 19./Anfang 20. Jahrhunderts Eindrücke aus Grönland gesammelt hat. Schließlich gab es seinerzeit keine farbigen Fotos und den dänischer Kolonialherren sollte ja gezeigt werden, was für ein Land das beherrschte Grönland eigentlich ist. Die obere Etage des Kunstmuseums ist zur Zeit meines Besuchs der Kunst-Kooperative "Dorset Fine Arts" aus Cape Dorset - und da ist sie wieder, die Baffin-Insel in Kanada, die mir schon bei meiner Schifffahrt mit der Sarfaq Ittuk hierher durch den Sinn ging (und der ich dabei bis gerade mal 314 km nahe gekommen bin). Cape Dorset ist ganz im Südwesten der Baffin-Insel gelegen, ein 1.300 Einwohner-Ort, der sich ganz unbescheiden "Inuit Art Capital" nennt: Hauptstadt der Inuit-Kunst. Und Teile dieser farbenfrohen Kunst kann ich hier heute in Ilulissat gerade bewundern - ein glücklicher Zeitpunkt für einen Besuch.
Aber die Schönheit mit dem Blick auf die Disko-Bucht lässt sich in Ilulissat relativ leicht noch steigern - und das ganz erheblich. Man läuft vom Stadtzentrum ein Stück gen Süden aus der Stadt hinaus, vorbei an einem sehr großen Feld mit Schlittenhunden (die zumeist nur bräsig herum liegen, aber die man nicht unterschätzen sollte, bei Schlittentouren traditioneller Jäger im Winter sind die Hunde auch die "Waffe" gegen Eisbären - und wenn man sie hin und wieder heulen hört, geht es einem ohne Zweifel durch Mark und Bein), vorbei an dem alten Heliport (also dem früheren Hubschrauber-Landeplatz, dem "Vorgänger" des heutigen Flughafens), geht insgesamt rund eineinhalb Kilometer weiter auf einem zum Schutz der empfindlichen Tundra angelegten Holzsteg. Keine Sorge: Man ist hier nicht "auf dem Holzweg", sondern kommt ganz genau zum richtigen Ort.
Irgendwann passiert man auf diesem Holzsteg mehr oder minder feierlich ein ziemlich abgetretenes Schild mit der Aufschrift: "You are now entering der UNESCO World Heritage Site Ilulissat Icefjord". Und genau dann wird es allerhöchste Zeit, sich auf einiges gefasst zu machen! Nämlich auf eines der ganz, ganz großen Naturwunder dieser Erde: Den "Kangia" - den Ilulissat-Icefjord. Der "produktivste" Gletscher der nördlichen Hemisphäre versorgt den gut 50 km langen Fjord kontinuierlich mit unvorstellbaren Massen an Eis. Pro Tag werden rund 40 m Eis in den Fjord geschoben. Je später es dann abbricht, desto größer der Eisberg. In den letzten Jahren bricht das Eis eher immer schneller - höre ich später.
Etwas abgelaufen kommt es daher, das Hinweisschild zum Weltnaturerbe Ilulissat Icefjord. An dem angrenzenden Matsch kann man prima erkennen, dass der Holzsteg eine tolle Einrichtung ist.
Ein magischer Weg - hin, zum "Kangia", dem Ilulissat Icefjord.
Die Eismassen haben in den Jahrmillionen ganze Arbeit geleistet: Der Fjord ist über 1.000 m tief - über die meiste Strecke des Fjords. Am Ausgang des Fjords in die Disko-Bucht gibt es eine "Untiefe": Dort ist das Wasser gerade mal "nur" rund 250 m tief. Zu flach für die ganz großen Eisberge - sie bleiben an der Untiefe hängen, es entsteht häufig ein Rückstau der Eisberge in den Fjord hinein. Diese ganz großen Eisriesen gibt es in letzter Zeit allerdings immer seltener, die insgesamt 600 km lange Zunge des Gletschers vom Grönländischen Inlandeis bis zu diesem Fjord zieht sich langsam aber stetig zurück, die abbrechenden Stücke werden kleiner, der Eisfjord hat derzeit keinen großen Rückstau mehr. Die in den Fjord geschobene Masse an Eis bleibt gleich, die "Brocken" werden in den letzten Jahren kleiner aber zahlreicher. Und: Es "stauen" sich nicht mehr so viele Eisberge in dem Fjord, er wirkt nicht mehr so "voll", wie wohl noch vor wenigen Jahren, lasse ich mir später erläutern. Um vom Ende des Gletschers und dem Abbrechen des Eises bis zum Ausgang des 50 km langen Kangia-Icefjords zu gelangen, brauchen die Eisberge 12 bis 15 Monate.
Trotzdem - wenn man auf dem Weg zum Kangia die Hälfte der Strecke auf diesem Holzsteg bereits zurückgelegt hat, dann sieht man bereits Dinge, die der mitteleuropäische Verstand nicht wirklich begreifen kann: Berge erheben sich über die hügelige Landschaft - Eisberge. In einer Größe und Anzahl und Menge und Formenvielfalt, die jede Vorstellung sprengen.
Sehr schön: Fast die gesamt Wegstrecke über ist der Weg zum Kangia-Icefjord barrierefrei zu bewältigen - erst ganz am Ende des Pfades sind Treppen zu bewältigen.
Die "Bank meiner Sehnsucht" (eigentlich sind es drei Sitzbänke) direkt am Kangia. Auch an einem warmen, sonnigen Tag findet man dort Ruhe, um den sensationellen Ausblick genießen zu können. Das freut dann auch die Millionen von Mücken!
Und dann sitze ich - endlich! - auf der "Bank meiner Sehnsucht". Vor über einem halben Jahr, kurz nach Buchen meiner Grönland-Reise, sehe ich diese Bank schon auf einem Foto im Internet - und denke mir sofort: Genau da - da willst du sitzen und dir das spektakuläre Panorama in aller Ruhe ansehen! Sie steht auf Felsen direkt am Ausgang des Kangia-Icefjords. Als ich sie im Internet sehe, denke ich auch, es müsse ein wahrlich magisches Gefühl sein, dort zu sitzen. Und nun sitze ich hier, es ist ein grauer Tag, bedeckter Himmel und ganz schön kalt, und die Magie, sie kommt zunächst nicht so richtig bei mir an. Das liegt allerdings vor allem an der etwa zehn Personen starken Gruppe, die ihrer Begeisterung lautstark auf französisch freien Lauf lassen. Wenn dies hier ein Ort ist, der mich total verstummen lässt, so geht es anderen offenbar anders - ganz anders.
Erst, als diese Gruppe nach einiger Zeit außer Sicht- und dann vor allem auch Hörweite ist, kommt die ganze Magie des Ortes bei mir so richtig an. Was für ein Ort! Was für ein Blick! Was für Geräusche!
Ja - Geräusche! Fast habe ich das Gefühl, das Eis spricht zu mir. Fast habe ich das Gefühl, es sagt "schön, dass Du endlich da bist - wurde ja auch Zeit!" Und es sagt mir noch etwas anderes: "Pass nur gut auf mich auf!" Die Sprache des Eises - es gibt sie hier. Sie sind kurz und dumpf - aber ein Erlebnis, sie zu hören. Immer wieder knacken diese Eisgiganten, die hier vor mir liegen und einen totalen Frieden ausstrahlen. Über die Geräusche hatte ich gelesen - und doch klingt es ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe und anders, als ich es von vereisten Seen daheim mit einem sehr kurzen, klaren, scharfen Ton kenne. Hier ist es ein sehr tiefer, dumpfer Klang, den das Eis abgibt, und der sich mir sehr einprägt. Ach, wie schade: Die französische Familie hat dieses Erlebnis wohl verpasst...
Blick über Eisberge am Ilulissat-Icefjord. Um die Struktur der Eisberge bei diesem trüben Licht auf dem Foto erkennen zu können, muss an Kontrast und Helligkeit des Bildes ganz schön kräftig "gedreht" werden. Das menschliche Auge in der Natur macht so etwas ganz automatisch.
Vor Ort macht es überhaupt nichts, dass es so grau ist. Die Szenerie ist auch so total grandios. Meine Fotos von diesem Tag hingegen wirken flau und matt. Der Wirklichkeit entspricht das nicht im Geringsten. Fotogen ist ist die Szenerie in dem Grau nicht - zum Betrachten ist sie jedoch auch so fantastisch.
Eigentlich muss man gar nicht viele Worte verlieren: Ja, der Kangia-Icefjord ist ein Wunder dieser Welt! Wäre ich während meines Aufenthalts in Ilulissat nicht krank geworden, dann wäre ich trotz des kilometerlangen Wegs ohne Zweifel jeden Tag hierher gekommen. Und hätte mich auf dieser Bank niedergelassen, oder ich wäre dem Wanderweg ein Stück entlang des Fjordes gefolgt. Wäre vielleicht mal zu mitternächtlicher Stunde im Licht der Mitternachtssonne hierher gelaufen.
Blick von einem Hügel auf der "gelben" Wanderroute zu Holzweg zum Kangia sowie über den Icefjord mit den treibenden Eisgiganten.
Der Blick zu den riesigen Eisbergen direkt vor der Küste ist immer wieder beeindruckend.
So aber reicht es während meines Aufenthalts gerade mal zu drei Besuchen des Kangia-Icefjords, einmal im grauen, trüben Licht, einmal im prallen Sonnenschein, einmal bei leicht bewölktem Himmel. Da ich mit den Tagen etwas "klapperig" werde, wird der Weg über die rund viereinhalb Kilometer von meinem Hotel aus hierher schon eine kleine Herausforderung und ich schleppe mich eher hierhin, brauche kürzere und längere Pausen auf dem Weg. Auf der Bank. Oder auf irgendwelchen Felsen.
Und doch kann es kaum ausbleiben, hier das Gefühl zu bekommen: Wir kleinen Menschen! Ich kleiner, kleiner - winziger Mensch! Und diese große, große, gewaltige, mächtige Natur! Atemberaubend! Große Natur und gewaltige Naturkräfte, wie auch schon in den Alpen, auf Lanzarote oder auf der Azoreninsel São Miguel haben mich schon immer fasziniert und ziehen mich mit zunehmenden Alter immer stärker in ihren Bann - und berühren mich ganz tief im Inneren. Aber noch nichts hat mich so tief berührt wie dieses Eis in Grönland.
Und je älter ich werde und es überall sehen kann, um so klarer und um so bitterer ist die Erkenntnis: Wir alle gemeinsam schaffen es schon - wir kriegen diese gewaltige, große Natur schon klein. Hier jedenfalls schmilzt das Eis gewaltig.
Allein der Kangia-Icefjord ist ein Musterbeispiel dafür und seine Erhaltung ist einfach jede Mühe wert! Er ist traumhaft! Er ist ein phantastisches Erlebnis! Ein phantastisches Stück Erde!
Pardon, das muss ich gerade noch einmal deutlich betonen: Der KANGIA-ICEFJORD IST PHANTASTISCH!
Der Eisfjord bleibt auch dann phantastisch, wenn man sich in praller Sonne dick mit Sonnencreme einschmieren muss. Und sich zusätzlich noch dicker einschmiert mit Insektenschutzcreme, oder wenn man sich dann doch mit dem nicht gerade kleidsamen Mückennetz vor den Myriaden von Mücken schützen muss.
Denn die Mücken sind zu dieser Jahreszeit durchaus eine echte Plage in Grönland. Wenn der Sommer kommt, die Sonne scheint und es warm wird, dann sind sie da, die Mücken. Und am allerliebsten sind die grönländischen Mücken offenbar auch dort, wo es besonders schön ist: Z.B. am Kangia-Icefjord.
Da freut sich die grönländische Mücke: Schön wärmender Sonnenschein, viele kleine Tümpel in der Umgebung. Nur die Nahrung... die scheint knapp zu sein.
Während es in heimischen Gefilden in den letzten Jahrzehnten ja immer insektenärmer wird, kann man in Grönland noch in vollen Zügen wahrnehmen, wie es so ist, wenn Insekten sich ausbreiten. Wehe demjenigen, der mal eine Balkontür über längere Zeit geöffnet lässt, ohne das Mückennetz zu nutzen (ist mir selber glücklicherweise nur mal für wenige Minuten passiert - beschäftigte mich dann aber doch eine ganze Weile)!
Von daheim mitgebrachte Cremes schrecken die grönländischen Mücken übrigens nicht sonderlich ab. Man berichtet mir, dass das Mittel der Einheimischen weniger schonend ist - sowohl mit den Mücken, als auch mit der eigenen Haut. Ich teste dies nicht, verlasse mich auf mein extra beschafftes Mückennetz. Und das mit Erfolg. Ein paar Stiche sammle ich trotzdem ein, staune darüber, dass diese mich nach wenigen Stunden wieder in Ruhe lassen. Erwischt mich daheim mal eine Mücke, dann habe ich oft "Freude" über tagelanges Jucken.
Die Mücken werden während meines Aufenthalts mit den Tagen immer zahlreicher, ich sehe auch Einheimische mit Mückennetzen mitten durch den Ort laufen - soll sagen: Mückennetze sind dort nichts Besonderes. Man muss sich halt nur zu helfen wissen. Auch, wenn diese Plagegeister lästig sind: Sie würden mich nicht davon abhalten, nach Grönland zu reisen. Im späten Sommer, wohl so ab Ende August, wenn es die ersten Nachtfröste gibt, werden die Mücken angeblich wieder deutlich weniger - dies habe ich aber nicht mehr mit eigener Erfahrung ausgetestet.
Steigerungen der Faszination sind in Ilulissat allerdings jederzeit möglich. Neben dem Erleben von Eisbergen ist ja ein weiterer Grund, der mich nach Grönland gezogen hat (eben gerade im Hochsommer), dass ich Mitternachtssonne erleben will.
Na klar - das Beste also ist: Man verknüpft beides miteinander! Schon beim Buchen meiner Reise habe ich eine abendliche Bootstour vom Hafen Ilulissat zu "den Eisbergen" zu nächtlicher Stunde mitgebucht. Eine gute Entscheidung - ein traumhaftes Erlebnis!
Drei Stunden vor Beginn der Bootstour zu den Eisbergen in der Disko-Bucht: Trübes Licht macht nicht so viel Hoffnung auf einen erlebnisreichen Abend. Aber das wechselhafte Wetter in Grönland ändert sich noch rechtzeitig - zum Glück.
Ein wenig bin ich gesundheitlich zwar schon angeschlagen, als es an meinem zweiten Tag abends um 21:45 Uhr auf die Tour geht - aber es reicht noch, um die Tour in vollen Zügen genießen zu können. Drei Stunden zuvor ist der Himmel noch bedeckt, es sieht grau und trübe aus. Als es dann auf die Fahrt geht, ist der Himmel komplett wolkenlos, die Sonne scheint prall - welch ein Glück!
Nun habe ich auf der Fahrt mit der Sarfaq Ittuk nach Ilulissat ja schon etliche Eisberge gesehen. Aber das hier ist anders.
Mit dem relativ kleinen Boot geht es mit flotter Fahrt hinaus. Die Kabine ist groß genug für die etwa zwölf Mitfahrenden. Draußen auf dem Wasser, an Deck, ist es kalt, so richtig kalt. Als der Guide nach etwa einer Viertelstunde Geschwindigkeit raus nimmt und das Boot dann in ein gemütliches Tuckern übergeht, hält es niemanden mehr drinnen im Boot.
Mit dem kleinen Boot "Maya" geht es zu nächtlicher Stunde in die Nähe der Eisberge.
Zuweilen sehen die Abbruchkanten der Eisgiganten aus der Nähe aus, wie zerknittertes und wieder aufgefaltetes Papier.
Nicht immer sind es nur die Eisgiganten, die faszinieren - auch die zusammengeschmolzenen kleinen und filigranen Eisbrocken verdienen Aufmerksamkeit. Bald schon werden diese kleinen Schönheiten verschwunden sein.
Ganz nah heran geht es an die Eisgiganten - nun, nicht gerade auf Tuchfühlung. Aber doch: Ganz gemütlich tuckert man ganz nah an den Riesen entlang. In einem wunderschönen, leicht abendlichen Licht, das mit der Zeit eine leicht gold-orangene Farbe annimmt. Der Guide nimmt zwischendurch hin und wieder mal die Fahrt ganz heraus - in totaler Stille treibt das Boot dann zwischen den Eisbergen entlang. Man hat Zeit und Muße, die Schönheit in aller Ruhe zu erfassen. Strahlende Gesichter um mich herum, niemand friert - trotz eisiger Kälte hier auf dem Wasser.
Es ist dies ja keine "Whale-Watching-Tour", aber als der Guide mal wieder den Motor abgeschaltet hat, gesellt er sich kurz zu den draußen in der Kälte stehenden: Wir müssten uns mit unserer Aufmerksamkeit nun entscheiden - dort oben auf dem ca. 40 m hohen Eisberg könne man einen seltenen polaren Falken sehen, dort links vor uns einen Buckelwal (die meisten haben diesen wohl schon entdeckt). Alle begeistern sich für den Wal. Das wohl deutlich seltenere Tier (es ist wohl, wie ich später daheim erkunde, ein in polaren Gebieten lebender Gerfalke) bekommt nicht die gebührende Aufmerksamkeit.
Vor einer Wand aus Eis zeigt der Buckelwal beim abtauchen einmal kurz seine eindrucksvolle Fluke...
... um kurz danach das Boot mal der Nähe zu betrachten. Nicht, ohne bei der Atmung ordentliche Fontänen in die Luft zu blasen.
Der Wal allerdings weiß offenbar genau, wie man sich als Touristenattraktion zu verhalten hat: Er zeigt erstmal seine Fluke pittoresk direkt vor einem Eisberg, macht selber so eine Art "Boat-Watching", schwimmt drei, vier Meter am Boot vorbei, schnauft einige ansehnliche Fontänen in die Höhe, zeigt brav seinen Buckel - erst nach fast zehn Minuten taucht er förmlich ab. Alle sind begeistert! Und ich staune ein wenig über mich selber - wie sehr diese Begegnung mich anrührt. Von Walen verstehe ich nichts, aber es ist für mich völlig außer Zweifel, dass dieser Wal etwa genauso neugierig gewesen ist, wie wir alle.
Den Falken habe auch ich nur als kleinen weißen Fleck auf dem weißen Eisberg wahrgenommen - der Zauber des Walbesuchs ist einfach zu groß. Aber umgehend stehen die Eisberge wieder im Mittelpunkt des Geschehens. Die tief stehende Sonne sorgt für tolle Schattenwürfe - eine Zauberwelt. Die Fotografen und Knipser an Deck kommen voll auf ihre Kosten. Schöner geht es nun wirklich nicht mehr mit den Eisbergen! Man weiß gar nicht so richtig, wohin man überall schauen soll.
Grönland ist durchaus ein High-Tech-Land. Natürlich hat man hier, knapp zehn Kilometer vor der Stadt Ilulissat Handy-Empfang! Eine der Mitfahrenden schickt ein Foto an eine Bekannte (wohl in Deutschland). Und sie bekommt eine etwas pampige Antwort: Warum sie denn dafür nach Grönland gefahren sei? Solche Eisberge könne man doch auch in Kanada sehen, da brauche man doch nicht extra nach Grönland! Bei uns hinterlässt die Antwort eher Fragezeichen. Kanada ist ja schließlich die viel längere Reise. Vielleicht kommt so eine pampsige Antwort aber ja auch dadurch zustande, wenn nicht daran gedacht hat, dass es daheim nachts um drei ist, wenn man hier abends um elf im schönsten Sonnenschein steht?
Gigantische Eiswände bauen sich vor einem auf auf dieser Tour. Dieser Eisberg hat am Rand eine Höhe von sicherlich mindestens dreißig Metern.
Manchmal weiß ich gar nicht recht, was ich schöner finde: Der Eisberg selber - oder die Spiegelung in dem tiefblauen, stillen Wasser.
Gegen elf gibt es eine Pause - der Guide, der solche Touren seit 28 Jahren durchführt und einen reichen Erfahrungsschatz angesammelt hat, lädt alle Interessenten zu einigen Informationen und warmen Getränken ins geheizte Innere des Bootes ein. Bis auf zwei chinesische Teilnehmer der Tour nehmen alle das Angebot an. Diese beiden nutzen die Zeit des still liegenden Bootes dazu, einige Flüge mit einer Foto-Drohne zu machen - und, ja: Zum ersten Mal überhaupt beneide ich Nutzer dieser Technik.
Aber auch die halbe Stunde Information aus allererster Hand ist sehr interessant und rundet die gesamte Fahrt wunderbar ab. Schon allein die erste Information - unangemeldete Drohnenflüge seien in Grönland zwar verboten, aber, nun ja, es sei ja sonst niemand hier und so genau nehme man es in Grönland ja eh nicht, was könne hier schon passieren? - zeigt schon gut die übliche entspannte Haltung der Grönland an. Anschaulich erfahre ich viel über den Kangia-Icefjord und dessen Veränderung im Laufe der Zeit, über die Farbe des Eises, über die Größe von Eisbergen. Und besonders ausführlich und anschaulich wird über die enormen Gefahren durch Eisberge berichtet, durch zerbrechende Berge, abbrechende Eisbrocken, durch sich ohne jede Ankündigung plötzlich drehende Eisberge - und dadurch womöglich entstehende enorme Tsunami-Wellen. Man sieht die wunderschönen Giganten nach diesen eindringlichen Schilderungen mit etwas anderen Augen.
Eine andere Information des Guides sorgt für eine Menge Amüsement: Die hier am Kangia und allgemein in Grönland produzierten Eisberge treiben normalerweise in der Baffin Bay nach Norden, um dann ab der Höhe von Thule entlang der Kanadischen Küste wieder nach Süden zu treiben. Dieser Ablauf sei seit jeher sehr konstant und stabil! Die Eisberge, die man vor Kanada sähe, kämen nahezu alle aus Grönland. Und davon wiederum die allermeisten hier aus dem Kangia-Icefjord. Das sorgt für schallendes Gelächter bei denjenigen, die den Nachrichten-Austausch vor einer halben Stunden mitbekommen haben. Und Worte, wie "Zweitverwertung" der hiesigen Eisberge, oder "Eisberg-Recycling" machen die Runde. Das hier in Ilulissat ist eben das Original! Und die allergrößten Eisberge aus Grönland würden nach einer tausende Kilometer langen Reise übrigens zuweilen erst auf der Höhe von New York gänzlich schmelzen.
Danach bleibt noch eine Dreiviertel Stunde Zeit, die Eisberge in der heute tatsächlich strahlenden Mitternachtssonne zu bewundern. Keine Wolke trübt den Himmel - es ist wie ein Geschenk. Das milde, leicht orange Licht der Sonne ist traumhaft schön. Schon wieder Momente, die ich am liebsten einfach festhalten möchte - und das nicht nur auf Fotos.
Es ist sechs Minuten nach Mitternacht, als ich dieses Foto mache: Das Licht der Sonne ist wunderbar golden.
Und ich weiß auch genau: Meine Fotos sind einmalig! Alle meine Eindrücke sind einmalig! Denn schon morgen sieht diese Eiswelt hier ganz anders aus, die Eisberge treiben weiter, auseinander, zerbrechen vielleicht, drehen sich - sehen völlig anders aus. Nie wieder wird es hier so aussehen, genau so aussehen, wie heute. Es sind also sozusagen "Exklusiv-Eindrücke", "Exklusiv-Fotos", die ich da gemacht habe. Natürlich: Man wird hier immer extrem eindrucksvolle Fotos machen können - immer! Aber sie werden auch immer anders sein. Niemals wird es hier die gleichen Fotos geben. Grund genug, in meiner externen Bilderserie über Ilulissat einfach noch einen Schwung dieser einmaligen Fotos zu zeigen - von der unfassbar, unbegreiflich schönen Eiswelt vor Ilulissat, einem Wunder dieser Welt. Und diesem Wunder kommt man bei einer solchen Boottour beeindruckend nahe.
Kurz nach 0:30 Uhr ist die Bootsfahrt beendet - und für den Guide geht es nach Hause.
Als ich um 0:30 Uhr das Ausflugsboot, die "Maya" aus dem 80 km nördlich gelegenen Ort Saqqaq, verlasse, sehe ich um mich herum nur strahlende Gesichter - glückselig strahlende Gesichter. Eine Tour in eine Zauberwelt, wie sie schöner kaum sein kann - ein Abend wie gemalt. Freundlich unterstützt vom Wettergott. Ein wahr gewordener arktischer Traum.
Wieder in meinem Hotelzimmer angekommen, finde ich nach diesem großen Erlebnis lange Zeit keine Ruhe, bin richtig aufgewühlt, voll mit Bildern im Kopf. Immerhin: Gelegenheit, mal ein wenig den Verlauf der "arktischen Sommernacht" zu beobachten. Das simple Ergebnis: Es gibt zwar lange Schatten durch die tief stehende Sonne - aber von Dunkelheit in der Nacht keine Spur. Auch das ein Naturphänomen, für das ich mich wahrlich begeistern kann. Das Protokoll meiner Fotos der Mitternachtssonne als Blick von meinem Hotel-Balkon, große Unterschiede hat die Nacht da nicht zu bieten:
Keine Spur von Nacht in dieser Nacht: Der Blick vom Hotel um 0:38 Uhr...
... um 1:06 Uhr...
... um 2:02 Uhr ...
... und das grelle Morgenlicht um 8:08 Uhr.
Ja, ja, ich hatte ja schon darüber lamentiert, wie traurig ich darüber bin, einige geplante Programmpunkte wegen meiner Erkrankung nicht durchführen zu können. Einfach sehr schade! Gerade die ausgefallene Wanderung von der kleinen Siedlung Oqaatsut zurück nach Ilulissat bedaure ich besonders.
Lange habe ich mich damit beschäftigt, ob ich eine solche Wanderung allein durchführen kann - und soll. Die Planung ist gut durchdacht. Eine Wanderkarte habe ich mir sofort in Ilulissat besorgt. Ganz klar zudem: Vor der Wanderung muss ich in meiner Unterkunft möglichst präzise über mein Vorhaben Bescheid geben - damit man mich finden kann im Fall der Fälle, wie immer dieser auch aussehen mag.
Für das täglich verkehrende Linienboot habe ich mir schon vor fünfeinhalb Monaten ein Ticket gekauft - und das gleich sowohl für die Hin- und auch Rückfahrt, für jeweils ca. 50 Euro. Warum auch gleich für die Rückfahrt, wenn ich doch wandern will? Nun - man kann sich in Grönland nie so richtig sicher sein, was die Witterung anbelangt. Vielleicht ist die geplante Wanderung nicht möglich, weil es dann doch überraschend einen Schnee- und Eissturm gibt, möglicherweise ist der kleine zu überwindende Fluss durch irgendetwas derart angeschwollen, dass man ihn als Alleinwanderer besser nicht durchquert. Oder - was auch immer... Vorstellbare Gründe gibt es einige, also halte ich es für eine gute Idee, mir auch gleich ein Rückfahrtticket zu kaufen. Vor Ort geht das kurzfristig übrigens eher nicht - als ich ein Vierteljahr vor meiner Reise mal nachschaue, sind alle Boote in diese Fahrtrichtung komplett ausgebucht. Zwischen Ankunft in und Rückfahrt von Oqaatsut liegen elf Stunden Zeit - eigentlich Zeit genug, um zu wissen, ob man die Wanderung nach Ilulissat nun durchführt, oder nicht. Aber: Elf Stunden Zeit in einer Siedlung mit 27 Einwohnern könnte schon recht lang werden. Vielleicht wäre dann ja ein ausgiebiger Aufenthalt in dem Restaurant, das von einem Paar aus Thüringen betrieben wird, gewinnend?
Die Wanderung ist für meinen vierten kompletten Tag in Ilulissat geplant - aber gleich am Tag der Ankunft besuche ich die Touristeninformation, kaufe mir die passende Wanderkarte. Erkundige mich, wie groß denn die Gefahr von Eisbären auf einer solchen Wanderung wohl ist? Die junge Dame schaut an mir herab, auf meine Hände, meint grinsend: "Well.... If you meet an Icebear, you grab him with your bear-hands..." (ich schaue verblüfft auf meine Hände) "... at his shoulder and tell him to go home! At once!". Dann erzählt sie noch, dass der letzte Eisbär in der Region vor elf Jahren aufgetaucht sei. Na - dann sei es ja höchste Zeit, dass mal wieder einer käme, und der sei dann sicherlich sehr, sehr, sehr hungrig, meine ich. Die Rückfrage bringt sie ein wenig aus dem Konzept ihrer Standard-Antwort für ängstliche Touristen. Also, davor der letzte Eisbär sei in den 1980er Jahren hier gewesen - und eigentlich brauche man sich hierüber keine Sorgen machen, schon gar nicht im Sommer. Nun, das hatten meine Recherchen im Internet zuvor auch schon ergeben und ist mir eigentlich klar - aber man sollte vor Ort mal nach aktuellen Infos fragen. Jedenfalls ist mir völlig klar, dass mein täglicher Arbeitsweg mit dem Fahrrad quer durch die Hamburger Innenstadt viel mehr Gefahren hat, als die Gefahr, hier in Westgrönland auf einer Wanderung von einem Eisbären zerfleischt zu werden.
Übrigens ist diese äußerst geringe Gefahr durch Eisbären in dieser Region Grönlands (in anderen Gebieten und zu anderen Jahreszeiten kann das ganz anders sein!) auch ein Grund für mich gewesen, nach Grönland fahren zu wollen - und nicht nach Spitzbergen. Eigentlich ist eine Reise nach Spitzbergen ein noch viel älterer Traum von mir. Nur - dort ist die Gefahr durch Eisbären so groß und so präsent, dass man Ortschaften gar nicht verlassen darf, ohne ein Gewehr mitzuführen. Und das ist dann doch nicht so ganz nach meinem Geschmack.
Nichts desto trotz: Die Grönländische Regierung stellt ein Hinweis-Papier für Begegnungen mit Eisbären bereit, das man hier herunterladen kann. Einen Hinweis wert ist in dem Zusammenhang auf jeden Fall auch die vorzügliche Seite mit zahlreichen Tipps zum Wandern in Grönland von der Internetseite VisitGreenland.com.
Nun - wie schon erwähnt, kommt es für mich aus besagten Gründen leider nicht zu der Wanderung von Oqaatsut nach Ilulissat. Diese wäre für mich wohl das einzige ernsthafte Verlassen der Komfortzone in Grönland gewesen. Und ich habe den Verdacht, dass vieles von Grönland erst auf diese Weise so richtig authentisch und hautnah erlebbar wird. Aber an dem geplanten Tag lässt mein Zustand ein solches Vorhaben einfach nicht zu. Als ein wenig bitter empfinde ich, dass an dem Tag das perfekte Wetter für eine solche Wanderung ist. Immerhin reicht es dazu, an dem Tag zum Kangia-Icefjord zu spazieren. Wo ich an dem Tag ja auch grandiose Eindrücke sammle.
Aber doch: Ein klein wenig von dem Wanderweg nach Oqaatsut habe ich zuvor kennengelernt. Gleich am ersten Morgen nach meiner Ankunft in Ilulissat. Der Morgen ist sehr trübe, tragisch trübe geradezu - und wie der Zufall es geplant hat, ist der Einstieg in diesen Wanderweg (oder, je nach Richtung eben, dessen Ende) direkt auf der anderen Straßenseite gegenüber von meiner Unterkunft. Von Neugierde angetrieben gehe ich an diesem Morgen einfach mal los, ohne viel Vorbereitung und Ausstattung.
Einen anderen Wanderversuch hatte ich ja schon während meines Aufenthalt in der grönländischen Hauptstadt Nuuk unternommen - nicht sehr erfolgreich. Das Wetter dort war ähnlich trübe, wie jetzt gerade hier. Aber in Nuuk brauche ich über eine Stunde, um überhaupt den Einstieg in den Wanderweg zu finden - und die Markierungen des Weges dort sind nahezu desolat.
Der Beginn des Wanderwegs nach Oqaatsut in Ilulissat: Der orange bemalte Steinberg ist kaum zu übersehen. Die orange Markierungen entlang des Weges sind sehr gut zu finden.
Anders hier! Es gibt zwar keine Infotafel oder ähnliche Hinweise, dass hier der Wanderweg beginnt. Als Zeichen dient ein gut sichtbarer Steinhaufen, den man in leuchtendem Orange bemalt hat - kaum zu übersehen. Überhaupt sind die Markierungen des Weges gut bis nahezu perfekt: Fast überall findet man ohne große Probleme die orange Flecken auf Steinen. Die Orientierung ist auf dem Weg kein Problem - und auch der Pfad selber ist oft gut zu erkennen.
Eine Erfahrung, die ich in Nuuk auch schon gemacht habe, nehme ich hier auch so wahr: Kaum hat man den Ort verlassen, ist man in arktischer Wildnis unterwegs. Okay - es gibt hier diesen Trampelpfad, aber ansonsten ist hier eigentlich nichts außer Steinen, Pfützen, Matsch, Tundra und einigen wenigen kleinen, alpin anmutenden Blumen. Die Landschaft hat ihre ganz eigene, schlichte und karge Schönheit.
Hin und wieder begegnen einem auf dem Weg ein paar Blumen - schließlich ist ja auch Hochsommer in Grönland.
Blick in einen kleinen Fjord - mit einigen kleinen Eisbergen und einem Motorboot.
Fast bin ich überrascht, als ich nach einer halben Stunde gemütlichen Gehens auf eine Asphaltstraße treffe - die Straße zum Flughafen. Also doch keine "Wildnis". Zur Linken taucht ein kleiner, mit Eisbergen gefüllter Fjord auf, ein Motorboot liegt dort auch. Dort kraxele ich eine Weile auf den Felsen herum, für einen guten Blickwinkel für Fotos - aber letztlich erlaubt schon allein das trübe Licht nicht wirklich beeindruckende Bilder.
Der Wanderweg folgt der Straße dann eine Weile bis zum Flughafen. Über besonders viel Autoverkehr muss man sich hier nicht viele Sorgen machen. Der Wanderweg schlängelt sich danach rechts am Flughafen vorbei, zeitweilig direkt am Zaun des Flughafens entlang. Die Markierungen bleiben gut, es gibt sogar mal einen Wegweiser. Zuweilen muss man durch tiefes Gelände waten. Immerhin: An einer sehr wässrig-matschigen Stelle hat man einfach einige Euro-Paletten in die Matsche gelegt, damit man nicht im Morast versinkt. Typisch Grönland: Hier ist drei Meter neben dem Flughafen-Zaun schon wieder "Natur pur" angesagt.
Ein Hinweisschild auf den Wanderweg nach Oqaatsut in der Nähe des Flughafens Ilulissat.
Eine längere nasse Zone auf dem Weg ist durch Auslegen von Paletten für den Wanderer angenehmer gestaltet worden.
Auch solche Eindrücke gehören dann wohl zum sehr naturnahen Erleben in Grönland: Ein toter Polarfuchs.
Als ich den Flughafen einen guten Kilometer hinter mir gelassen habe, kehre ich um - eine große Wanderung habe ich ja heute gar nicht geplant, bin auch gar nicht entsprechend ausgestattet. Auch das feuchte, neblig-trübe, aussichtsarme Wetter verlockt nicht wirklich dazu, noch weiter zu laufen. Für das viele, viele Wasser (zu meinen Füßen und in der Luft, in Form von dem Nebel) bin ich heute nicht wirklich ausgestattet - ich wollte heute morgen ja eh nur mal einen kurzen Blick auf den Weg werfen. Wie steht doch so treffend in meinem Reiseführer: "Für eine Wanderung in Grönland ist die beste Ausrüstung gerade gut genug". Und diese Ausstattung habe ich heute für mein kurzes Kennenlernen des Weges nicht gewählt.
Aber so habe ich mir mal einen Eindruck von dem Wanderweg zwischen Ilulissat und Oqaatsut verschafft - dass dies mein einziger Eindruck hiervon bleiben wird, ahne ich in diesem Moment noch nicht. Und eine rechte Vorstellung, wie eindrucksvoll die Landschaft im Sonnenschein wohl ist, habe ich auch nicht gewonnen. Aber insgesamt ist dies sicherlich ein toller und nicht sonderlich schwieriger Wanderweg.
Ein Abschnitt in typischer Umgebung auf dem Wanderweg unweit von Ilulissat.
Es ist Mitte Juli - und doch geht es an einer Menge Schneefeldern und deren Folgen, große Pfützen, entlang.
Wandern in Grönland ist etwas anderes, als Wandern auf den Azoren, auf Wolin oder im Allgäu: Man ist schnell in einer menschenleeren Wildnis, unter Umständen in einer menschenfeindlichen Wildnis (was auf diesem Wanderweg zwischen Oqaatsut und Ilulissat allerdings sicher nicht der Fall ist). Und, ich gestehe: Ab und zu schaue ich doch intensiv in die Runde - ist da ein weißer Fleck? Bewegt der sich, kommt der zähnefletschend auf mich zu? Ja, es gibt weiße Punkte, jede Menge. Und nein, keiner bewegt sich. Es sind alles Schneereste. Glaube ich.
Mit dem Hin- und Rückweg auf der gleichen Strecke habe ich hier 8,4 Kilometer in 3 Stunden, 25 Minuten gelaufen. Höhenmeter sammelt man hierbei nicht viele, der Weg ist auf diesem Stück eben: Gerade mal 135 Meter ging es in den knapp dreieinhalb Stunden insgesamt bergauf.
Zehn Tage bin ich insgesamt in Grönland unterwegs, und das mit einem ziemlich einfachen Konzept: Eine Zeitlang bin ich in der Hauptstadt Nuuk, fahre dann mit dem grönländischen Linienschiff Sarfaq Ittuk zur Touristenhochburg Ilulissat, bleibe dort einige Tage - und fahre dann wieder heim.
Schon vor der Reise ist mir klar: Das große, wilde, menschenleere Grönland werde ich dabei nur wenig, nur am Rande kennenlernen. Und das traditionelle Grönland, das von der Jagd auf Robben auf Rentiere lebt, das mit Hundeschlitten auf das Eis hinausfährt, dieses Grönland, das es ja durchaus noch gibt - das werde ich auf meiner Reise schon gar nicht kennenlernen.
Nur im modernen Grönland habe ich mich herumgetrieben - und dieses "moderne Grönland" ist moderner, als ich es zuvor vermutet habe. In den Städten, besonders in der Hauptstadt Nuuk, lebt man ein weitgehend "normales" mitteleuropäisches Leben. Man findet in den Supermärkten alles, was man in Dänemark auch so findet - erweitert um sauber abgepacktes lokales Angebot. Moderner Straßenverkehr, überall Funknetze, überall Kreditkartenzahlung - technisch ist man auf dem weltweiten Stand der Zeit. Grönland, ein "High-Tech-Land".
Auch die Komfortzone habe ich auf meiner Reise nicht verlassen, nicht wirklich. Das heißt ja auch: Man kann Grönland recht komfortabel bereisen - man muss keinesfalls ein mutiger Abenteurer sein, um Grönland zu bereisen. Meine eher zaghaften Versuche, diese Komfortzone zu verlassen, scheitern eher jämmerlich. Umfassende Wanderungen bringe ich auf dieser Reise nicht zustande. Und das, wo man doch eigentlich zum Wandern nach Grönland reist - oder?
Insgesamt sechs Tage habe ich mich in Ilulissat aufgehalten. Ein Gedanke bei dieser recht langen Aufenthaltsdauer: Ich will durch den längeren Aufenthalt einfach die Chance vergrößern, die Eisberge mal in der Sonne zu sehen, im strahlenden Sonnenlicht. Dieses großartige Erlebnis hatte ich dann schon bei meiner Anreise mit dem Schiff - dieser Wunsch war also sehr schnell erfüllt. Von den sechs Tagen gab es letztlich an vier Tagen traumhaft schönes arktisches Wetter mit Sonnenschein - dann strahlt nicht nur das Eis, es strahlt die gesamte Gegend vor Schönheit. An zwei Tagen war es aber auch trübes Wetter - und selten einmal habe ich trübes Wetter als so trübe empfunden, wie hier in Grönland. Es schwankt zwischen Extremen. Aber insgesamt sind sechs Tage Aufenthalt in Ilulissat keineswegs zuviel, auch, wenn man gesund und voller Energie ist. Es gibt hier in der Natur ungeheuer viel zu entdecken und zu unternehmen - in einer für einen Mitteleuropäer in vielerlei Hinsicht sehr fremden Welt.
Beeindruckt haben mich zudem die freundlichen Einheimischen. Die Menschen in Grönland sind keine verschrobenen Hinterwäldler. Auch, wenn viele in meinem Umfeld sich dies vor meiner Reise so vorgestellt haben.
Und doch sind es andere Menschen dort oben in Grönland. Sie leben in einem anderen Takt, in anderer, gemächlicherer Geschwindigkeit. Ob dies an dem völlig anderen, viel extremeren Rhythmus von Tag und Nacht sowie von Sommer und Winter herrührt? Diesen anderen Rhythmus können Mitteleuropäer sich nicht wirklich vorstellen. Ob es daran liegt, dass trotz des gigantisch großen Landes das Leben doch recht übersichtlich ist? Ich weiß es nicht. Mir als mitteleuropäischem Großstädter ist jedenfalls die entspannte, freundliche, oft warmherzige Art der Einheimischen oftmals sehr angenehm aufgefallen. Ein Lächeln gehört allgemein zum guten Ton in Grönland, habe ich zuvor gelesen - und häufiger bestätigt gefunden. Allein das hat unübertreffbaren Charme.
Nach meiner Rückkehr fragt eine Freundin mich, wie es eigentlich sein könne, dass diese Menschen dort bleiben - wo es doch so unwirtlich und unerträglich kalt dort ist. Warum gehen diese Leute nicht einfach von dort fort? Jeder der wolle, könne doch nach Dänemark gehen. Die eher mitleidig gestellten Fragen beschäftigen mich längere Zeit. Ich selber habe vor Ort nicht eine Sekunde solche mitleidigen Gedanken gehabt. Und nach einigem Nach-denken glaube ich, dass die einfachste Antwort die beste ist: Grönland ist ein besonderes Land. Mit besonderen Anforderungen. Und es sind besondere Menschen, die dort leben und mit den besonderen Anforderungen vertraut sind. Das gehört einfach zusammen! Und dieses Land ist die außergewöhnliche, anspruchsvolle und ebenso wunderschöne Heimat für genau diese Menschen - und es gibt wahrlich viele Gründe, diese Heimat aller Widrigkeiten zum Trotz zu lieben.
Von dem kleinen Flughafen Ilulissat geht es für mich dann zurück nach Island, dort diesmal zum großen internationalen Flughafen Keflavik (meine Anreise startete auf dem kleinen Inlandsflughafen Reykjavik). Diesmal fliege ich mit einer der feuerroten Maschinen von Air Greenland.
Das Terminal des Flughafens Ilulissat.
Sämtliche Check-In-Schalter des Flughafens Ilulissat - der immerhin internationale Flüge abwickelt. Der "Ansturm" der an diesem Nachmittag abfliegenden 20-25 Passagiere ist blitzschnell abgewickelt.
Fast rührend ist die Abwicklung des Fluges beim winzigen Check-In am Flughafen. Meinen Wunsch nach einem Fensterplatz erfüllt man nicht - es würden keine festen Plätze vergeben. Der Flughafen hat weiter nichts zu bieten, als einen Getränkeautomaten und einen geschlossenen Kiosk. Personal sieht man kaum, zwei, drei Leute huschen mal in die geschlossenen Räumlichkeiten. Immerhin steht eine Maschine schon die ganze Zeit auf dem Vorfeld herum. Und meine Wartezeit wird verblüffend lang: Es ist ein internationaler Flug und als sich 20 Minuten vor dem Abflug noch weiter nichts tut, werde ich langsam etwas kribbelig - geht gerade irgendetwas schief?
Nein, es ist wieder mal nur die übliche grönländische Gelassenheit. Eine Viertelstunde vor dem Abflug startet der Sicherheitscheck - den man mit dem üblichen Pragmatismus abhandelt. Man stellt drei, vier Tische unter ein Vordach auf das Rollfeld, platziert die wichtigen Geräte darauf, hat Platz, um das Handgepäck zu kontrollieren, die Metalldetektoren sind Handgeräte. Man solle aber bitte nicht glauben, dass das Ganze so locker abgehandelt wird, wie der Aufbau erscheint! Nein - man schaut schon genau hin und erfüllt die internationalen Anforderungen pingelig.
Diese "Dash 8-200" von Air Greenland bringt mich dann quer über Grönland nach Keflavik in Island - eigentlich ja sogar ein Interkontinentalflug.
Trotz des späten Beginns der Kontrolle startet die kleine Propellermaschine mit etwa 20-25 Passagieren fast pünktlich nach Island. Einen Fensterplatz kann ich mir ohne besondere Mühe ergattern. Habe so immerhin nochmal einen Blick auf die Küste nördlich von Ilulissat mit den vielen Eisbergen im Wasser. Und irgendwo da unten ist ja auch die kleine Siedlung Oqaatsut - ich kann sie allerdings nicht erkennen. Nach einigen Minuten Flug schafft es die kleine Maschine tatsächlich über die Wolken. Wie schon auf dem Hinflug sehe ich von dem Inlandeis erstmal nichts.
Kurz nach dem Start habe ich noch einen schönen Blick auf die Küste der Disko-Bucht in der Nähe von Ilulissat, gespickt mit den vielen Eisbergen. Schnell jedoch ist die Propellermaschine über den tief hängenden Wolken.
Immerhin: Man hat Zeit, sich mal ein paar Gedanken darüber zu machen, ob es eigentlich eine so gute Idee ist, hier mit dem Flugzeug herumzufliegen. Hier, unter mir, schmilzt das Eis. Immer mehr und immer schneller. Auswirkungen habe ich mir hier erläutern lassen und selber gesehen - waren nicht die Eisberge im Kangia-Icefjord durch Veränderungen des Gletschers viel kleiner, als es lange Zeit normal war? Natürlich ist es billig und jämmerlich, gegen Ende einer solchen Reise festzustellen, dass es mit dem Fliegen für das Klima ja nun wirklich keine gute Idee ist - gerade hier in den nördlichen Breiten ist unsere Atmosphäre ganz besonders empfindlich. Es tröstet mich wenig, dass diese Propellermaschinen nicht in den besonders klimaschädlichen Höhen verkehren, so, wie die Langstrecken-Düsenmaschinen. Aber doch: Ich will weniger fliegen! Das magische Grönlandeis soll es mir wert sein. Ob ich es bei meiner ständig steigenden Neugierde durchhalte, nur noch einmal im Jahr eine Flugreise zu machen? Der Ansatz ist doch schon mal gut.
Erst, als die Maschine Grönland fast schon komplett überquert hat, habe ich das Glück, dass die Wolkendecke ein paar kleine Lücken hat. Ich sehe für ein paar Minuten ein paar schwarze Spitzen aus weißer Umgebung. Nicht unbedingt sehr eindrucksvoll. Wolkenlos ist es dann erst über dem Meer, eine Weile lang - der Blick aus dem Flieger fällt dabei noch auf einige prachtvolle Eisberge in Nordmeer. Sie werden schnell weniger. Sind aber ein wunderschöner Abschied von meiner endlich durchgeführten Traumreise nach Grönland.
Ein kurzer Blick auf das Inlandeis von Grönland wird mir auf diesem Rückflug gestattet: Ein paar Spitzen ragen aus dem gleichförmigen Weiß heraus.
Einer der letzten sichtbaren grönländischen Eisberge auf dem Flug nach Island. Aus der Höhe lässt sich prima erahnen, wie groß der Teil des Eisbergs unter Wasser noch ist.
Aber ich habe fast schon das Gefühl, dass mein Kopf vor Bildern und Eindrücken fast platzt. Froh und glücklich bin ich vor allen Dingen mit den gesammelten Bildern in meinem Kopf. Trotz ein paar Minuspunkten: Eine wirklich großartige Reise! Fast habe ich das Gefühl, dass ich gar nichts mehr aufnehmen kann. Das allerdings stimmt nicht wirklich: Als ich abends in Keflavik in Island bin, kann ich von dem mir unendlich erscheinenden, prachtvollen Sonnenuntergang kaum genug kriegen. Und staune ihn an: Ein Sonnenuntergang! Da, wo ich gerade her komme, ist an Sonnenuntergänge gar nicht zu denken gewesen - dort war der Sonnenschein auch nachts um zwei prall. Und ich habe mich verblüffend schnell daran gewöhnt.
Die Grönland-Reise ist zu Ende - aber Keflavik in Island empfängt mich mit einem ewig langen, wunderschönen Sonnenuntergang (das Foto ist im 23:33 Uhr aufgenommen).
Ich bin froh und dankbar für diese Reise. Großartige, ja, traumhafte Eindrücke habe ich in Ilulissat gesammelt, trotz meiner "Ausfallerscheinungen". Doch erst, als ich dann schon wieder einige Zeit daheim bin, die vielen Eindrücke und Bilder langsam sacken und sich sortieren - da kommt er wieder, der Schmerz. Das enorme Bedauern, einige ganz besondere und große, gewaltige Erlebnisse in Grönland durch unglückliche Umstände verpasst zu haben. Wie verdammt schade! Irgendwo in meinem Kopf hätte ich auch dafür doch immer noch ein Kämmerchen gefunden - kein Zweifel!
Kein Zweifel aber auch: Ilulissat - da fehlt noch etwas...
Der Eqi-Gletscher!
Die Disko-Insel mit Qeqertarsuaq!
Die Wanderung von Oqaatsut nach Ilulissat!
Ein grönländisches Buffet!
Ilulissat - wir haben noch eine Rechnung offen...
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