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Der Bug des grönländischen Küstenschiffes "Sarfaq Ittuk" im strahlenden Sonnenschein im Hafen von Nuuk - kurz vor Beginn der Fahrt.
Eisberge!
Eisberge will ich sehen - zumindest einmal im Leben! Und das aus der Nähe, nicht aus dem Flugzeug. Grund genug, an Bord des grönländischen Passagierschiffs "Sarfaq Ittuk" zu gehen.
Die schöne Grönländerin bei der Ticketausgabe, ein, zwei Hände jünger als ich, wühlt schon eine ganze Weile lang in den vor ihr ausgelegten Unterlagen herum. Langsam werde ich etwas kribbelig und nervös: "Is something missing or anything wrong?", möchte ich wissen - sie wehrt ab: "no no no - nooo!" und sucht doch noch weiter herum, jetzt auch mal in dem kleinen Haufen ganz am Rande des Tischs. Und dort dann, endlich, hat sie mein Ticket gefunden. Sagt nichts, schaut mir gleich ein paar Sekunden mit großen Augen direkt ins Gesicht und sagt einen kurzen Satz, der mir noch einige Zeit in den Ohren klingelt: "You're travelling alone!?" - mit einem Ausdruck im Gesicht, den ich nicht interpretieren kann: Ist es Unverständnis, Überraschung, Verachtung, Irritation, Mitleid, Verblüffung, Hochachtung? Oder einfach nur eine Frage? Keine Ahnung - auch, als mir das später noch durch den Sinn geht, ist es mir nicht klar. Tue ich der Dame etwa leid?
Ja, ich reise allein - manchmal sehr gerne, manchmal nicht so gern. Manchmal genieße ich es, meine eigenen Wege ohne "Verhandlungen" komplett so gehen zu können, wie ich es gerade möchte. Manchmal allerdings habe ich dann das Gefühl, dass ich fast platze, weil ich meine ganzen Eindrücke überhaupt nicht teilen und loswerden kann. Und schließlich ist geteilte Freude über schöne Dinge doppelte Freude. Mein Hauptkommunikationsmittel ist dann meistens meine Kamera. Sie muss es dann aushalten, dass ich viele Dinge interessant finde und irgendwie verarbeiten will...
Gerade ist der 6. Juli 2018, es ist kurz vor acht Uhr abends, und ich bin in der Hauptstadt von Grönland, in Nuuk. Zweieinhalb Tage habe ich Zeit gehabt, Nuuk zu entdecken - und jetzt soll meine Reise weiter gehen. Auf das Küstenschiff von Grönland, die "Sarfaq Ittuk", checke ich ein und dann soll es für mich von Nuuk aus nach Norden bis in die "große" grönländische Touristenhochburg Ilulissat gehen. Die Dame drückt mir mein Ticket in die Hand, lächelt mir liebenswürdig ins Gesicht (meine Güte, was für ein Lächeln! Aber, das habe ich in den paar Tagen hier schnell gelernt: Ein Lächeln gehört in Grönland zum guten Ton), wünscht eine gute Fahrt - und ich gehe an Bord der Sarfaq Ittuk. Einen echten Luxus habe ich mir hier geleistet: Eine komplette Kabine, ganz für mich allein! Und das ist ein richtig teures Unternehmen, eigentlich zahlt man die Vierbett-Kabine fast schon komplett - für sich allein, eben. Ein Grönländer würde das wahrscheinlich niemals machen, die Einheimischen teilen sich Kabinen, selbstverständlich! Auch mit Fremden, bis zu acht Betten pro Kabine gibt es - und alles sieht sauber und gepflegt aus.
Ja - Einheimische! Viele gibt es hier am und auf dem Schiff. Dies hier ist nämlich keinesfalls eine Touristen-Tour, sondern in allererster Linie ein Transportmittel für die Grönländer: DER Personenverkehr für die "Normalos" in Grönland. Das funktioniert ähnlich, wie mit der ungleich berühmteren Hurtigroute in Norwegen. In Grönland allerdings gibt es nur ein einziges Schiff, das hin und her pendelt - eben die "Sarfaq Ittuk". Binnen einer Woche geht es von Narsaq ganz im Süden von Grönland ein Stück die Westküste hoch, bis in die Disko-Bucht hinauf - und die gleiche Route wieder zurück. Jede Woche die gleiche Strecke, im Winter nicht ganz in den Norden hinauf. Früher einmal gab es zwei weitere Schiffe (die "Sarpik Ittuk" und die "Saqqit Ittuk", die zum einen von der Disko-Bucht noch weiter nach Norden fuhren, zum anderen den Süden Grönlands erschlossen) - aber die hat man mittlerweile stillgelegt bzw. verkauft. Wenn die Sarfaq Ittuk jetzt hier in Nuuk startet, hat sie schon rund eineinhalb Tage Fahrt hinter sich, ganz vom Süden Grönlands kommend.
Blick auf die "Sarfaq Ittuk" im Hafen von Nuuk.
Die Fahrt hat also nichts gemein mit einer Kreuzfahrt. Denen gegenüber bin ich skeptisch gestimmt - für mich zuviel Rummel und viel zuviel Drumherum. Und oft schon habe ich es "von der anderen Seite" erlebt (nicht zuletzt im heimatlichen Hamburg), wie es so ist, wenn ein Kreuzfahrtschiff irgendwo anlegt und sich tausend oder tausende Menschen schlagartig über Ortschaften ergießen. Nein, nein - nicht mein Ding, ganz und gar nicht. Aber das ist mit diesem grönländischen Küstenschiff eben auch völlig anders.
Die Sarfaq Ittuk ist kein sonderlich großes Schiff: 73 m lang, 11 m breit. Es gibt bei 22 Personen Besatzung Platz für immerhin 238 Passagiere, die meisten hiervon in Couchette-Plätzen. Das Schiff ist ein reines Passagierschiff, es gibt keinen Autotransport oder ähnliches. Kein Luxus, nur rudimentäres Video-Unterhaltungsprogramm, eine einfache, übersichtliche aber gemütliche Cafeteria, eine Mini-Lounge - kein Saus und Braus, kein TV, keine Handy-Verbindung, Satelliten-Internet nur extrem teuer - das ist Personen-Schifffahrt pur. Und, es ist keine Überraschung: Die Sarfaq Ittuk ist besonders auf Eisgang ausgelegt, ist mit besonderem Stahl versehen und hat entsprechende Klassifizierungen. Gut drei Monate vor meiner Fahrt steckte das Schiff mal für gut eine Woche im Eis fest. Das ist allerdings jetzt im Sommer glücklicherweise nicht zu erwarten.
Meine Kabine - ist schlicht prima. Wahrscheinlich der größte Luxus, den die Sarfaq Ittuk bietet. Ein schön großes Fenster, relativ weit vorne im Schiff: Alles gut, ich fühle mich sofort wohl. Ist ja auch die teuerste Variante. Na, und es ist ja auch meine "once-in-a-lifetime"-Reise. Doch, puh, der Tag war ganz schön lang und auch anstrengend - da ist erstmal eine halbe Stunde Pause angesagt, um neun Uhr wird das Schiff ablegen. Da will ich ja wieder an Deck sein.
Rundgang an Deck der Sarfaq Ittuk vor der Abfahrt in Nuuk.
Und prompt geht die Schifffahrt auch schon fast los. Zeit, das Schiff ein wenig zu erkunden - es laufen kaum noch neue Gäste mit ihrem teilweise voluminösen Gepäck herum, da stört man jetzt als Spaziergänger nicht und hat Platz zum Gucken. Aber vor allem schaue ich mir an, was sich denn so auf der Landseite tut. Schon im Vorfeld der Reise fand ich auf der Internetseite eines Veranstalters den Hinweis darauf, dass man auf der Schiffsreise keinesfalls die Ankünfte und Abfahrten des Schiffes verpassen solle - die Abschiede und Begrüßungen der Einheimischen seien besonders und ergreifend. Selbst im Schiffsprospekt, den ich gerade gelesen habe, weist man ausdrücklich darauf hin.
Ja, meine Güte, denke ich bei mir... Das klingt ja schon etwas kitschig! Bestimmt ziemlich dick aufgetragen! Oder?
Nein - ist es nicht im geringsten! Prompt sehe ich einige Szenen, die mir tatsächlich zu Herzen gehen. Das fing schon an, als ich noch eincheckte, mit dem kleinen Mädchen, vielleicht sieben/acht Jahre alt, das mit der Familie auf der Gangway schon fast auf dem Schiff ist, sich dann wortlos von den Eltern losreißt, die Gangway wieder entschieden herunter läuft, um die in 20/30 Meter Entfernung stehende Oma noch einmal ausgiebig und inniglich zu herzen und zu küssen - der bisherige Abschied schien einfach nicht zu reichen. Alle, auch die Besatzung, lächeln milde, als das Mädchen dann zurück stürmt...
Überall verabschiedet man sich herzlich. Insgesamt steht für das Einchecken auf dem Schiff in Nuuk eine Stunde zur Verfügung.
Überall wird anhaltend gewunken, viel auch geweint. Als ich an Bord gehe, liegt ein paar Meter neben der Gangway ein vielleicht zwölfjähriges Mädchen wohl bei ihrer Mutter im Arm und weint dermaßen bitterlich und herzzerreißend, dass selbst Mitarbeiter der Besatzung sich sorgen und vorsichtig-zurückhaltend erkundigen, ob sie helfen können.
Wenige Minuten vor Abfahrt des Schiffes gesellt sich wenige Meter neben mir ein junger Mann an die Reling, vielleicht 16-17-18 Jahre alt. Unten an Land, ein paar Meter vor dem Schiff steht seine hübsche Freundin und weint die gesamte Zeit. Nun ja, allerdings: Schiffsabfahrten haben auch etwas sehr theatralisches. Beide können es kaum ertragen sich bei der Abfahrt überhaupt noch anzuschauen. Den Abschiedsschmerz von beiden kann ich fast mit Händen greifen. Erst, als die hübsche junge Frau nach dem Ablegen außer Sichtweite ist (was ziemlich schnell geht, weil das Schiff einen Bogen fährt), fängt auch er an, zu weinen. Ich kenne keinen jungen Mann mit 17 Jahren, der sich nicht zügig verkrümelt hätte und sich seiner Tränen geschämt hätte. Aber auch, als er sie schon lange, lange nicht mehr sehen kann: Er bleibt hier noch minutenlang weinend und auch winkend stehen - so, dass ich ja fast mitweinen muss.
In der Tat: Es ist ergreifend und herzerwärmend, was ich hier erlebe. Und wenn man ein wenig darüber nach-denkt, dann ist es ja einfach so, dass die Menschen sich hier ihre Zuneigung und Liebe zeigen, ganz inniglich, öffentlich und mit völliger Normalität. Das kenne ich in dieser Weise von Zuhause kaum - aber das mag auch daran liegen, dass ich daheim solche Schiffsabfahrten eher nicht erlebe. Und Abschiede am Zug oder am Flughafen sind schon von der Situation her etwas völlig anderes.
Für mich gibt es hier ja lediglich einen Abschied von der Stadt Nuuk - der Hauptstadt von Grönland. Heute erst, am letzten Tag meines Aufenthalts, im prallen Sonnenschein, habe ich diese Stadt erst so richtig in mein Herz geschlossen. Also: Tschüß, Nuuk! Tschüß, Godhåb - wie der dänische Name der Stadt lautet. Herzlichen Dank für viele, viele neue Eindrücke. Eine Stadt, in und auf den Fels gehauen - und durchaus beeindruckend.
Tränen muss ich allerdings nicht vergießen bei diesem Abschied. So innig ist mein Verhältnis zu dieser Stadt dann doch nicht gleich geworden. Und viel zu neugierig bin ich auf das, was nun wohl kommen mag. Mein alter Wunsch, mein alter Traum, schwimmende Eisberge aus der Nähe zu erleben, wird auf dieser Fahrt wahr werden - irgendwie, irgendwo, irgendwann. Nur: Wann und wo und vor allen Dingen wie das wohl sein wird?
Jedenfalls nehme ich mein GPS-Gerät dauerhaft in Betrieb, der Stromversorgung in der Kabine sei Dank - und verabschiede mich von jeglichem TV und Internet. Letzteres könnte man für viel Geld auf dem Schiff nutzen - aber, herzlichen Dank, ich bin erstmal einfach offline. Fast fühle ich mich, wie in einer anderen Welt. Aber... wieso eigentlich fast? Es ist ja in der Tat eine andere Welt hier.
Eine halbe Stunde nach dem Ablegen in Nuuk werfe ich einen Blick zurück zu der Hauptstadt von Grönland. Sie verschwindet eigentlich in der Umgebung - da wird einem schnell klar, wie winzig die menschlichen Siedlungen auf dieser riesigen Insel sind: Die Natur ist gigantisch!
Mein GPS-Gerät zeigt in Nuuk den Sonnen-untergang für 23:48 Uhr an, den Sonnenaufgang für 3:15 Uhr. Es geht auf der Schifffahrt beständig nach Norden. Der Polarkreis ist ein paar hundert Kilometer entfernt und der Sonnen-höchststand ist gerade mal zwei Wochen her - aber ich habe Lust, diese präzise Anzeige ein wenig zu verfolgen und zu schauen, wie der Sonnenstand sich auf dem Weg nach Norden ändert.
Eine Zeitlang schlendere ich auf dem Schiff noch hin und her, stelle schnell fest: Das machen nicht viele. Und wohl nur ein paar von den Touristen und einzelne Raucher. Insgesamt schätze ich gegen Ende der Reise den Anteil der Touristen an den Fahrgästen auf allerhöchstens 20 Prozent - das Schiff gehört in der Tat vor allen den Einheimischen. Natürlich! Es ist eben neben Flugzeug und Hubschrauber das einzig mögliche Fortbewegungsmittel an der Westküste.
Abends um 23:13 Uhr an Deck der Sarfaq Ittuk: Nebel und trübes Licht. Von wegen Mitternachtssonne.
Der Blick auf die Küste von Grönland wird jetzt ziemlich schnell ernüchternd bis enttäuschend: Das Schiff hat sich ziemlich zügig von der Küste entfernt, Wolken ziehen auf, es wird diesig-neblig. Immerhin gibt's keinen Seegang. Und ich merke schnell: Auf See ist es hier richtig kalt, man muss sich richtig dick "einpacken", fünf Schichten trage ich. Als ich gegen elf Uhr noch eine längere Runde auf Deck drehe, bin ich der Einzige, der auf diese Idee kommt. Kein Wunder: Es ist nichts zu sehen, es ist kalt und trübes Dämmerlicht. Zeit, sich schlafen zu legen. Mitternachs"sonne"? Pustekuchen!
Irgendwie bin ich aber doch etwas unruhig-neugierig. Was sich wohl da draußen so tut? Also rappele ich mich um etwa 2:30 Uhr mal auf - gibt es vielleicht inzwischen Eisberge zu sehen? Nein, keineswegs. Das Dämmerlicht ist das gleiche, wie vor dreieinhalb Stunden. Der Nebel ist eher noch etwas dichter. Also: Weiterschlafen...
Blick aus dem Fenster um 2:28 Uhr: Es ist zwar nicht ganz dunkel, aber der dichte Nebel macht nur fahles Licht. Und von Eisbergen keine Spur.
Der gleiche Blick, wie darüber, morgens um 5:29 Uhr: Der Nebel hat sich zwar gelichtet, aber der Himmel über dem grönländischen Meer bleibt weiterhin trübe.
Gegen 5:30 Uhr die gleiche Prozedur: Keine Eisberg zu sehen, immerhin kein Nebel zu sehen, aber der Himmel ist total bedeckt. Also: Weiterschlafen...
Um 6:20 Uhr heißt es dann aber doch aufstehen - schließlich steht um 7:00 Uhr die Ankunft im ersten Hafen nach meinem Zustieg an. Und das möchte ich natürlich miterleben.
Wir kommen zur ersten Station, seit ich mitfahre: Nach Maniitsoq - auf dänisch "Sukkertoppen". Eigentlich ist es das "neue Sukkertoppen". Es gab den Ort Sukkertoppen an anderer Stelle zuvor schon einmal. Die Bewohner wurden in das heutige Maniitsoq umgesiedelt. Ein paar blieben dann doch am Ursprungsort wohnen - und dort kommen wir im Laufe das Tages auch noch hin.
Keine Eisberge weit und breit. Aber in Maniitsoq haben wir Glück: Der Himmel ist zwar bedeckt, aber es gibt keinen Nebel. Und der Blick auf die Küste ist extrem spektakulär. Schroffe Felsen, wilde Berge, soweit das Auge reicht, vielleicht so um die 1.000 Meter hoch (im etwas weiteren Umfeld geht's bis auf 2.000 Meter hinauf). Teilweise noch von großen Schneefeldern bedeckt ("Sukkertoppen" - "Zuckerhut", ein passender Name). Bestimmt 100 Berggipfel kann ich hier vom Schiff aus auf einen Blick sehen. Vielleicht sind es aber auch viel mehr. Ein unvergesslicher Blick - auch ohne Sonnenschein. Gigantisch!
Anfahrt auf die Stadt Maniitsoq, zwanzig Minuten vor dem Anlegen: Die alpine Umgebung der Stadt beeindruckt sehr.
Und auch, wie schon bei der Abfahrt aus Nuuk, habe ich das Gefühl, dass die Stadt Maniitsoq nur ein winziger Flecken in dieser gigantischen Umgebung ist. Und - hatte ich in Nuuk schon den Eindruck, dass die Stadt in Fels gehauen ist, dann ist es hier in Maniitsoq erst recht so, in einem unfassbaren Mass. Ein spektakulärer, in schroffen Felsen verankerter Ort. Mit gewaltiger Baukunst. Hohe, nackte Felsen umrahmen Maniitsoq mit seinen gut 2.500 Einwohnern. Überall bunte Holzhäuser auf den Anhöhen. Auf über 4.000 Jahre Siedlungsgeschichte kann der Ort zurückschauen: Wow! Eine Stunde wird das Schiff hier liegen - und ich beschließe: Nein, ich gehe nicht von Bord. Es ist viel zuwenig Zeit, um den bergigen Ort kennenzulernen. Was mir dabei entgeht: Einer meiner geliebten Superlative. Die "längste Brücke Grönlands" direkt am Hafen und vielleicht 80 m lang - ich quere sie nicht.
Pünktlich morgens um sieben Uhr erreicht das Schiff die Stadt Maniitsoq - und überall gibt es herzliche Begrüßungen.
Aber ich erlebe zum ersten Mal auch die Ankunft des Schiffes mit vielen wartenden Leuten, minutenlangem, freudigen Winken, überaus herzlichen Begrüßungen, Blumensträußen zum Empfang (ja, Blumen! Auf Grönland!). Wieder herzerwärmend, diese Grönländer...
Mein GPS sagt für Maniitsoq für den 7. Juli: Sonnenuntergang 0:20 Uhr, Sonnenaufgang 2:52 Uhr.
Und ich gehe, anstatt über die längste Brücke Grönlands zu gehen, zum Frühstück in die Cafeteria. Um dann rechtzeitig zur Abfahrt wieder an Deck sein zu können. Das Frühstück bietet alles, was man so braucht - und dafür, dass man es hier auf einen Schiff kurz vorm Ende der Welt bekommt, kostet es mit umgerechnet rund 10 Euro nicht eben viel.
Blick in das Stadtzentrum von Maniitsoq. Im Vordergrund: Die längste Brücke Grönlands.
Stadt auf den Felsen: Die Bauweise in Maniitsoq ist atemberaubend. Und das sicherlich nicht nur beim Treppensteigen im Ort.
Als ich dann um kurz vor acht Uhr wieder in der Kälte an Deck stehe, mir die letzten Abschiede anschaue, stelle ich schnell fest, dass der Himmel ein wenig aufgeklart ist. Wie wunderbar! Es bleibt noch ein wenig Zeit, zu bewundern, wie der Ort auf den felsigen Untergrund gebaut wurde - und das ist einfach Wahnsinn. Doch dann hat die Umgebung den Ort Maniitsoq auch schon wieder komplett verschluckt. Keine Frage: Siedlungen und Menschen sind hier in Grönland nur absolute Randerscheinungen. Die Schifffahrt gibt davon einen guten Eindruck.
Auf Wiedersehen, Maniitsoq: Minutenlanges Winken zum Abschied von der Stadt.
Die folgenden gut zwei Stunden gehören zu dem Spannendsten und Schönsten, was die Schiffsfahrt auf der Sarfaq Ittuk zu bieten hat: Es geht durch den Hamborger Sund. Ein Sund, eine schmale Meerenge - das heißt: Links und rechts des Schiffes hat man beständig und nah die grönländische Landschaft im Blick. Links und rechts beständig gewaltige Berge. Nicht gerade zum Greifen nah, aber doch in perfekter "Beobachtungs-Entfernung".
Blick auf die Küstenlinie zwanzig Minuten außerhalb von Maniitsoq.
Der Blick aus dem Kabinenfenster zeigt, wie nah die großartige Landschaft im Hamborger Sund an der Sarfaq Ittuk vorbei zieht. Ach nein - es ist ja umgekehrt.
Eine dramatische Landschaft zieht da vorbei. Eine halbe Stunde beobachte ich sie von dem Fenster meiner Kabine aus: Manchmal ist es ganz schön, sich etwas aufzuwärmen, denn auf dem Wasser bleibt es beharrlich, pardon: saukalt! Schroffe Felsen, wohin das Auge auch schaut - bedeckt mit großen Schneefeldern. Kahl und karg ist alles um uns herum, öd und leer - und doch so beeindruckend. Vielleicht ja gerade darum? Ein grandioser Ausblick - man blickt auf totale, völlig unangetastete Ursprünglichkeit. Auf einer Karte erkenne ich, dass diese Fahrt durch den Hamborger Sund nicht die Standard-Strecke der Sarfaq Ittuk ist, und auch ein wenig länger, als die übliche Route durch das offene Meer. Vielleicht ist es wetterabhängig, hier durchzufahren? Im Winter ist der Sund sicherlich komplett zugefroren. Jedenfalls ist es ein Schmankerl, das ich gerade gerne mitnehme und genieße.
Alles karg, alles leer, kein Leben weit und breit, auch keine Spuren von irgendwelchem Leben - denke ich bei mir. Bis ich, es ist 9:57 Uhr, ein paar hundert Meter hinter dem Schiff eine kleine Fontäne sehe: Der erste Wal meines Lebens in freier Natur. Viel zeigt er nicht von sich: Ein wenig von seinem Buckel darf man mal sehen, die eine oder andere Fontäne - und das eben weit entfernt: Er hält Abstand zu dem für sein Gehör lärmenden Objekt. Um ehrlich zu sein: Es rührt mich nicht sonderlich an. Und ziemlich schnell verkrümelt sich der Wal dann auch wieder und macht sich unsichtbar. Eigentlich hatte ich vermutet, dass man hier von dem Schiff aus alle halbe Stunde mal Walsichtungen hat. Dem ist aber nicht so, keinesfalls! Da hatte ich ein ziemlich falsches (Wunsch-)Bild mit an Bord genommen. Aber, wie es so ist in der freien Natur: Es lässt sich nichts planen und erwarten. Zu Fahrten an anderen Terminen mag dies ja völlig anders sein.
Spektakuläre Berge direkt neben der Sarfaq Ittuk bei der Durchfahrt durch den Hamborger Sund.
Blick vom Heck des Schiffs zu der gerade durchfahrenen Passage.
Bei der Durchfahrt durch den Hamborger Sund treibt es vereinzelt auch ein paar Einheimische an Deck. Diese sieht man ansonsten dort eher nicht, vielleicht mal in der kleinen Raucherecke. Aber in der Cafeteria halten sich viele gerne auf.
Per Schiff an Grönlands Küste entlang: Der Himmel klart immer weiter auf, die Grönland-Fahne am Heck des Schiffs flattert leicht, die Umgebung ist wunderschön.
Wie schön, dass der Himmel weiter aufklart. Gegen 10:15 Uhr haben wir den Hamborger Sund verlassen und sind wieder auf dem offenen Meer - allerdings mit guter Sicht auf die grönländische Küste. Gipfel an Gipfel reiht sich dort weiterhin, mal schroff und spitz, mal glatt und rund - trotzdem gönne ich mir eine halbe Stunde Aufwärmpause in meiner Kabine. Die war ja schließlich teuer genug. Und Eisberge gibt es ja eh noch nicht in Sichtweite. Finde ich ja schon etwas komisch und hatte mir das eigentlich so vorgestellt.
Dann wird's aber schon wieder Zeit, an Deck zu gehen: Ein paar winzige Sprenkel an den Felsen am Horizont zeigen an, dass die nächste Ortschaft nicht mehr fern ist. Wir kommen nach Kangaamiut - auf dänisch Gamle Sukkertoppen, also Alt-Sukkertoppen. Von hier aus siedelten die meisten Bewohner ab dem Jahr 1781 nach Maniitsoq über, wo wir heute Morgen ja waren. In Kangaamiut leben heute noch gut 300 Einwohner. Genug offenbar, um für einen Stopp der Sarfaq Ittuk zu sorgen.
Die Siedlung Kangaamiut kündigt sich in atemberaubend schöner Umgebung bei ebensolchem Wetter an.
Eine Gruppe Wale wagt sich leider nur bis auf ein paar hundert Meter an das Schiff heran - und ist auch eher fotoscheu.
Bevor wir den Ort erreichen, geben ein paar Wale das Empfangs-komitee ab: Wieder in sicherer Entfernung, wieder mit Buckel und Fontäne - mehr zeigt man nicht von sich. Tja - Wale leben halt im Wasser, das sie nur selten verlassen... Immerhin wird über Bordlautsprecher auf die Wale hingewiesen - was dazu führt, dass sich die etwa 30 Touristen augenblicklich an Bord zeigen.
Der Hafen von Kangaamiut ist zu klein geraten, und die Einfahrt ist zu eng: Die Sarfaq Ittuk legt hier nicht an. Statt dessen wird in einer recht aufwändigen Prozedur ein ziemlich kleines Boot zu Wasser gelassen, in das vom Kinderwagen bis zu den mit Rettungswesten versehenen Passagieren alles hinein verfrachtet wird, was in Kangaamiut landen soll. Fast wirkt das Boot überladen.
In Kangaamiut wird Mensch und Material in ein kleines Boot verfrachtet, um dort an Land gebracht zu werden.
Blick auf einen Teil der Siedlung Kangaamiut.
Auch der Ort Kangaamiut selber ist wieder sehr spektakulär gelegen. Nur einige wenige Häuser bilden den zentralen Ortskern, danach ist an einem Hang steil in die Höhe gebaut worden. Ich sehe so etwas, wie eine Straße, kann aber keine Autos entdecken, nirgendwo. Mein alter Traum vom autofreien oder zumindest autoarmen Wohnen - muss ich dafür in ein Dorf nach Grönland ziehen? Was ich sehe, ist jedoch ein riesiges, aber leeres Gerüst zum Aufhängen und Trocknen von Fischen, direkt neben einer kleinen Fabrikhalle.
Abschieds- und Begrüßungsszenen bleiben mir diesmal verborgen - sie finden im durch Felsen geschützten kleinen Hafen statt. Aber etwas anderes wird mir bewusst: Was macht denn eigentlich die etwa halbstarke Dorfjugend in so einem Ort, um Eindruck zu schinden? Vor allem, wenn gerade so viele Gäste hier sind?
Die Ortsjugend gibt eine Kostprobe ihres fahrerischen Könnens mit dem Motorboot.
Nach zwei Touren von der Sarfaq Ittuk nach Kangaamiut wird das Boot wieder an Bord gehievt.
Na - ganz einfach: Sie braust, wie von Sinnen, mit dem Motorboot herum, dreht einige Runden um die Sarfaq Ittuk herum und durch die vorgelagerten Felsen hindurch. Jaja, die jungen Leute sind doch überall ähnlich - auch, wenn die Mittel andere sind.
Das erste, vollgestopfte Boot hatte noch nicht gereicht, es muss von der Sarfaq Ittuk noch ein zweites Mal ausgeschifft werden. Insgesamt dauert der Aufenthalt vor Kangaamiut so rund eine Stunde. Sonnenuntergang ist hier heute an diesem 7. Juli um 0:36 Uhr, Sonnenaufgang um 2:40 Uhr.
Eine Zeitlang geht es danach direkt an der Küste entlang, den Himmel zieren nur noch Schleierwolken. Aber bald schon rückt die Küste fast außer Sichtweite, was ich ja eigentlich doof finde. Eigentlich hatte ich auf mehr spektakuläre Blicke auf die Küste gehofft. Und das Meer wird noch immer nicht von Eisbergen geschmückt. Langsam kommen wir immerhin auf Höhe des Polarkreises.
Auch wird das Meer immer kabbeliger, das Schiff fängt an, zu rollen. Dabei wird immer wieder jede Menge Gischt hoch geschleudert. Wer da an Deck ist, muss schon richtig aufpassen, um nicht von dem wohl etwa zwei bis drei Grad kaltem Wasser gehörig geduscht zu werden. Wie ich erst später höre, werden viele hierbei heute auch richtig seekrank. Ein Schicksal, das mir hier erspart bleibt - irgendwie komme ich gerade gar nicht auf diese Idee.
Kurzzeitig ziehen Wolken durch - und längere Zeit fährt die Sarfaq Ittuk weit entfernt von der grönländischen Küste. Schade!
Bei dem aufkommenden Seegang ist die Cafeteria "Café Sarfaq" auf der Sarfaq Ittuk am Nachmittag nur sehr dünn besetzt.
Die Cafeteria ist fast wie leergefegt, trotzdem mache ich es mir eine Weile hier gemütlich. Verziehe mich auch noch eine ganze Weile in meine Kabine - nutze aber auch das tolle Wetter, um zwischendurch mal eine ausgiebige Pause auf einem Stuhl an Deck in einer windgeschützten Ecke im wieder erschienenen, prallen grönländischen Sonnenschein zu machen.
Dort höre ich zwischendurch ganz kurz und nüchtern die Lautsprecher-Durchsage, dass man gerade den Polarkreis überquert. Aber niemand steckt mir Eiswürfel in den Nacken - keine Spur von albernen Ritualen, wie auf Kreuzfahrtschiffen oder bei den Hurtigrouten. Und "Polarkreis" bedeutet letztlich ja nicht mehr, als dass von hier ab nördlich am Tag der Sommersonnenwende am 21. Juni die Sonne nicht mehr untergeht - mehr nicht. Jetzt haben wir ja bereits den 7. Juli, die Sonne ist also schon wieder ein Stück gen Süden "abgewandert".
Es steht Wasser auf dem Deck und wer nicht aufpasst, wird nass: Das Schiff rollt im wieder erschienen prallen Sonnenschein der Länge nach auf dem Meer.
Windgeschützt in Grönland am Polarkreis auf den gemütlichen Stühlen an Deck der Sarfaq Ittuk in die Sonne blinzeln: Ein Genuss - ohne Reue...
... mit schönem Ausblick am Rettungsring am Heck vorbei aufs offene Meer.
Aber, immerhin, ich merke es ganz praktisch: Der arktische Sommer ist da, die Sonne scheint prall, es gibt enorme Sonnenbrand-Gefahr - zumal es hier auf dem Wasser doch immer noch ziemlich kalt ist.
Circa 318 km westlich von uns liegt die zu Kanada gehörende Insel Baffin Island, von der ich später auf meiner Reise, in Ilulissat, noch etwas hören und (indirekt) sehen werde. Immerhin die fünftgrößte Insel der Erde, gut 1,4mal so groß wie Deutschland - mit rund 13.800 Einwohnern aber doch etwas dünner besiedelt. Vielleicht ja auch mal ein lohnendes Reiseziel? Aber... unter uns gesagt: Das würde ein mehrfaches von dem kosten, was ich für diese, für mich extrem teure Grönland-Reise aufzubringen hatte. Also kein Thema. Näher kommen wir Kanada auf dieser Seereise jedenfalls nicht, als gerade jetzt und hier.
Pünktlich gegen 18:30 Uhr kündigt sich die nächste Ortschaft an - ach, was schreibe ich: Mit Sisimiut (auf dänisch "Holsteinsborg") kommen wir in eine Metropole, die nach Nuuk zweitgrößte Stadt Grönlands. Okay, auch die zweitgrößte Stadt Grönlands muss man bei der Anfahrt mit dem Schiff zunächst in der spektakulären Landschaft suchen. Aber 5.400 Einwohner sind schon eine echte Hausnummer für Grönland!
So ist hier in Sisimiut zum Beispiel das "Arctic Technology Center" ansässig, ein Dänisch-Grönländisches Technologie-Zentrum, in dem speziell arktische Technologien entwickelt und erforscht werden. Die "Knud Rasmussenip Højskolia" beschäftigt sich vor allem mit grönländischer Kultur und Geschichte - in Sisimiut, nicht in der Hauptstadt Nuuk. An der Bauingenieurs-Schule "Sanaartornermik Ilinniarfik" sind gleich 200 Studierende aktiv. Sisimiut ist eine junge Stadt. Der supermoderne Trawler Akamalik, dem selbst im deutschen TV schon ganze Fernsehsendungen gewidmet wurden, ist zwar offenbar gerade nicht da - hat aber Sisimiut als Heimathafen.
Die Anfahrt auf Sisimiut. Wieder eine Stadt, die in grandioser Umgebung liegt - das geht in Grönland wohl auch gar nicht anders.
Eine ganze Gruppe Einheimscher hat sich wie ein "Begrüßungskomitee" gesammelt und mit grönländischen Nationalfahnen ausgestattet.
Zwei Stunden Pause sind hier in Sisimiut vorgesehen, von 19:00 bis 21:00 Uhr. Wir sind pünktlich da, das Wetter ist phantastisch - das bedeutet für mich, dass ich die Zeit für einen Landgang nutzen werde, natürlich! Ein klein wenig in den Ort hinein schnuppern - das ist eine schöne Möglichkeit. Vorher gibt es wieder Begrüßungsszenen, mir fällt eine an Land stehende Gruppe von Leuten mittleren Alters auf, die allesamt mit Grönland-Fahnen ausgestattet sind und schon von weitem jemandem auf dem Schiff zujubeln. Viele Autos stehen zur Abholung bereit, es wird viel gewunken und gerufen. Ach, diese Grönländer! :-)
Bevor ich an Land gehe, werfe ich noch einen Blick auf mein GPS-Gerät, es zeigt mir hier plötzlich leicht absurde Zeiten an: Sonnenuntergang 1:38 Uhr, Sonnenaufgang 1:40 Uhr. Und so, wie die Sonne heute scheint, habe ich ja vielleicht tatsächlich mal die Chance auf Mitternachtssonne - also tatsächlich Sonne zu Mitternacht. Bisher habe ich auf meiner Reise im Norden, sowohl zuvor in Island, als auch jetzt in Grönland, eigentlich immer nur "Mitternachtsgrau" erlebt.
Aber jetzt, nachdem die etwas ungeduldigen Einheimischen von Bord sind, geht es ab in die zweitgrößte grönländische Stadt - Sisimiut. Ein ganzer Strom von etwa 25-30 Touristen ergießt sich in die an diesem Samstag Abend doch sehr in sich ruhende Stadt. Diesen Touristenstrom lasse ich ein wenig voran preschen, suche mir meinen eigenen Weg. Die (männliche) Dorfjugend, äh, pardon: Metropolenjugend, ist hier mit Fahrrädern unterwegs, zieht neugierig glotzend und Faxen machend an den Fremdlingen vorbei.
Wohl von Neugierde getrieben schauen die Jungs der Stadt mit ihren Fahrrädern mal nach den ankommenden Schiffstouristen. Und wer kein eigenes Rad hat, fährt halt bei jemand anderem mit: Bis zu drei Jungs sind auf einem Rad unterwegs.
Einen Moment lang warte ich den "Strom der Touristen" ab, der sich über die zweitgrößte Stadt Grönlands, Sisimiut, ergießt.
Die Stadt liegt schön, ist zumindest hier im Zentrum zwar hügelig, aber nicht so extrem bergig, wie am Morgen Maniitsoq. Umgeben ist sie, es ist ja nicht anders zu erwarten, von gewaltigen, kahlen Felsen. Auf denen natürlich überall noch Schneereste liegen. Schnell bin ich im alten Kolonialzentrum mit seinen beiden wunderschönen Kirchen und ansprechenden Holzhäuschen. Ziemlich schnell habe ich die Kolonialbauten auch wieder hinter mir gelassen - anders, als die meisten anderen Touristen.
Ein Parkplatz für Hundeschlitten im Stadtzentrum: Teilweise ganz schön große Gefährte kann man hier bewundern.
Einen kleinen Parkplatz für Hundeschlitten bewundere ich - und da fällt mir wieder ein: Ach ja, Sisimiut ist der südlichste Ort Grönlands, in dem Schlittenhunde im Ort gehalten werden dürfen. Prompt begegne ich den ersten von ihnen. Eher apathisch und bräsig liegen die meisten von ihnen in der Sonne, blinzeln nur manchmal kurz in die Umgebung.
Wahrscheinlich ist es ihnen gerade viel zu warm. Auch ich komme ins Schwitzen, habe bereits zwei meiner fünf Lagen abgelegt und in den Rucksack verstaut. Auf einer im Weg stehenden Bank setze ich mich eine Weile hin - eigentlich einfach nur, um mir das Leben hier einen Moment anzuschauen. Andere Personen vom Schiff sehe ich nicht mehr. Einige wenige Einheimische kommen mit ihren Samstags-Einkäufen vorbei, gucken neugierig, lächeln (der gute Ton in Grönland!), grüßen. Aber zumeist brausen Autos vorbei, vor allem LKW (wo wollen die denn an diesem Samstag Abend nur alle hin?). Dazu habe ich hier gar nicht viel Lust - also noch ein Stück weiter in den Ort hinein.
Ein wenig staune ich über den Verkehr in Sisimiut: Dies ist längst nicht der einzige schwere LKW, der an diesem Samstag Abend an mir vorbei braust.
Das historische Zentrum von Sisimiut ist heute ein Museum. Charakteristisch die Walknochen am Durchgang in den Museumsbereich.
Eine viel schönere Bank zum Verweilen für einen Moment finde ich umgehend - mit wahrlich traumhaften Panorama: Ein großer See mitten im Ort, mitten auf dem See eine kleine Fontäne. Ganz links ein paar moderne und größere Bauten, dahinter Berge - zur Linken und auch noch zur Rechten einige in die Landschaft gestreute Wohnhäuser, dahinter ein schroffes Gebirgsmassiv. Ganz genau so, wie man es sich in Grönland so vorstellt. Ein wirklich schöner Platz!
Nachdem ich einige Minuten versonnen hier sitze (eine Stunde Landgang ist dann doch schon vorbei), kommt ein Einheimischer des Weges, spricht mich auf dänisch an - was ich leider nicht spreche, was ich ihm auf Englisch mitteile. Er stellt sich etwas mühevoll auf Englisch um, die Verständigung, dass er sich zu mir auf die Bank gesellt, geschieht noch mit Handgesten. Sofort denke ich noch, oh wei, dem Herrn geht es sicherlich nicht sonderlich gut. Seine Kleidung sieht alt und reichlich abgetragen aus, er macht einen etwas ungepflegten Eindruck, seine verschmutzte Brille hat er notdürftig mit Tesafilm-Streifen repariert, damit sie zusammen hält (was ihm allerdings wiederum auch einen spontanen Sympathie-Punkt einbringt, denn, ganz unter uns: Eine so geflickte Brille habe ich auch, trage sie aber lieber nicht in der Öffentlichkeit, sondern nur daheim am Bildschirm).
Einen Moment lang denke ich, was nun wohl kommen wird? Daheim müsste ich mich, dem Äußeren nach zu urteilen, womöglich auf eine Begegnung der unangenehmen Art einstellen. Also lobe ich erstmal die Schönheit dieses Ortes hier. Er muss immer einen Moment nachdenken, um einen englischen Satz zusammen zu bringen - aber diese sind dann geschliffen und zuweilen von Tiefe.
Der absolute Lieblingsplatz meines einheimischen Gesprächspartners: Der See "Nalunnguarfik" im Stadtzentrum mit Blick auf Wohngebäude links und rechts und den 784 m hohen Berg "Nasaasaaq" ("Frauenkapuze") im Hintergrund.
Ja, genau: Er findet - mit leuchtenden Augen - genau diesen Ort hier den allerschönsten Ort überhaupt. Die Sprachbarriere zwischen macht es etwas mühsam, aber es entspinnt sich trotzdem ein ebenso nettes, wie dann doch kurzes Gespräch. Über Sommer und Sonne und über Dunkelheit und Schnee und Kälte. Und was man denn schön findet im Leben. So richtig scheint er meine wiederholte Nachfrage, wie hier das Leben im Winter so ist, bei der Kälte und der Dunkelheit, nicht zu begreifen. Erst später wird mir klar: Was für eine dumme Frage! Etwa so, als würde man einen Hamburger fragen, wie das Leben bei Regen so ist: Es ist eben völlige Normalität. Bei Regen dort ist es nass - bei Kälte und Dunkelheit hier ist es eben kalt und dunkel...
Wenn er gerade mal nichts zu sagen weiß, dann betont er einfach noch einmal, wie schön er diesen Ort hier findet, fünf- oder sechsmal erklärt er mir, dass er es genau hier am schönsten überhaupt findet. Er ist sich dessen einfach ganz sicher (und sucht offenbar nicht, wie ich, nach immer neuen, anderen schönen Orten...). Mit gefällt seine Art, zu formulieren und schnell gehört ihm zwar meine ganze Sympathie, aber ebenso schnell begreife ich auch: Hier treffen Welten aufeinander. Nicht sonderlich oft habe ich mich mit Menschen unterhalten, die so völlig anders sind und leben, wie ich. Und eigentlich werde ich neugierig, mehr zu erfahren.
Aber doch: Nach etwa 20 Minuten werde ich etwas kribbelig - ich kann ja mein Schiff nicht verpassen. Und verlaufen sollte ich mich nun auch nicht mehr auf dem Weg dorthin. Also verabschieden wir uns mit einem ausgiebigen Händedruck und einem langen, wohlwollenden Blick in die Augen. Und unsere Namen teilen wir uns noch mit, wie bei einem Ritual. Eine schöne Begegnung - und ich schäme mich sehr für meine von Daheim mitgebrachten Vorurteile, die bei mir aufkamen, als er sich zu mir gesellte...
Blick in das moderne Zentrum von Sisimiut - mit einigen Geschäften und Supermärkten.
Nachdem ich durch das historische Stadtzentrum hierher gelaufen bin, geht es jetzt durch das moderne Stadtzentrum zurück zum Schiff. Recht große Geschäfte von mir bereits bekannten Ketten finde ich auch hier, so wie die Supermarktketten Brugseni oder Pisiffik (auf deutsch heißt "Pisiffik" schlicht: "wo man etwas kauft", ein prima Beispiel für die beschreibende grönländische Sprache). Auch ein enormes Sport-Center fällt mir auf - offenbar sind die Einwohner der zweitgrößten Stadt Grönlands sportliche Menschen. Ähnlich, wie in Nuuk, gibt es auch hier etliche große Wohnblocks - allerdings nicht so trostlos, aber enger zusammen gebaut. Auch hier ist die Stadt in den Fels gehauen worden, auch hier wird Baugrund Mangelware sein. Also baut man mehr in die Höhe, als man es als Unwissender für Grönland wohl vermutet: Daheim gibt es sicherlich nicht viele Städte mit gut 5.000 Einwohnern, die über so viele große Wohnblocks verfügen.
Auch fällt mir auf, dass ich hier auffalle - neugierige Blicke treffen mich. Der weitaus größte Teil der Bevölkerung hier ist indigenen Ursprungs, da fällt man mit weißer Haut schon auf. Und sicherlich kennen sich die 5.400 Einwohner von Sisimiut sowieso alle untereinander, und sonderlich viele Touristen sind hier wohl auch nicht unterwegs, schon gar nicht außerhalb des musealen, alten Zentrums. Man schaut mich also unverhohlen an, nickt mir zum Gruß zu, grüßt vielleicht noch mit "hej!".
Mein Gefühl, dass ich auf diesem mir zuvor unbekannten Weg durch das neue Zentrum von Sisimiut auch zum Hafen gelangen werde, trügt mich glücklicherweise nicht. Eine Viertelstunde vor Abfahrt bin ich wieder an Bord. Zeit genug, um noch ein paar der Abschiedsprozeduren zu beobachten. Pünktlich auf die Minute geht es weiter gen Norden. Nach 22 Minuten Fahrt zeigt mein GPS: Sonnenuntergang 1:40 Uhr, Sonnenaufgang 1:40 Uhr. Ziemlich schnell entfernt sich das Schiff von der Küste und fängt wieder an, in der Dünung zu rollen. Eisberge sind immer noch nicht zu sehen. Ich bin doch in Grönland - wo verstecken sich nur diese verdammten Eisberge? Zugegeben: Langsam werde ich richtig ungeduldig!
Nachts um (wiederum) 23:13 Uhr an Deck der Sarfaq Ittuk vor Grönland: Unterwegs bei lausiger Kälte im Land der Mitternachtssonne.
Gegen elf Uhr nachts drehe ich noch mal die "traditionelle" Runde an Deck. Die Sonne scheint, es ist taghell, mit leichter Abendstimmung. Leider ist die Küste Grönlands nur schemenhaft zu sehen. Das finde ich gerade wieder ein wenig enttäuschend - ich würde gern einfach mehr von der Küste Grönlands sehen. Außer mir treibt sich wiederum niemand sonst hier an Deck herum. Es ist auch wirklich fiese kalt. Aber dieser schöne nächtliche Sonnenschein hat ohne Zweifel etwas magisches und verbreitet dauerhaft abendliche Stimmung. Eine Zeitlang beobachte ich weit vor uns einen Fleck am Horizont. Ist das endlich der erste Eisberg? Nein - es erweist sich als ein Schiff. Das dritte Mal, dass ich ein anderes Schiff sichte, entfernt von Ortschaften hier von Bord der Sarfaq Ittuk. Viel Verkehr scheint es vor der Küste Grönlands nicht zu geben.
Nach 20 Minuten wird's mir dann doch zu kühl - also schwanke ich (wegen des Seegangs) ab in die Kabine und in die Koje. Gute Nacht - im Sonnenschein! Aber es gibt ja ein gutes Rollo vorm Fenster. Mit dem Schlaf habe ich hier kein Problem.
Und morgen geht's ja in die Disko-Bucht - da wird es auf jeden Fall Eisberge geben. Endlich: Eisberge!
Um kurz vor sieben Uhr bin ich schon wieder an Deck - und ebenso schon wieder enttäuscht: Wir fahren durch dichten Nebel. Weit und breit keine Eisberge in Sicht, immer noch nicht. Ach, Mensch!
Morgens, 6:55 Uhr an Deck der Sarfaq Ittuk und ein Stück vor Aasiaat: Wir versinken im trüben Morgennebel.
Also gehe ich erstmal in die Cafeteria zum Frühstück. Schließlich ist dann um acht ja auch schon der nächste Stopp in einer Ortschaft angesagt: In Aasiaat.
Mein GPS zeigt: Sonnenaufgang --:-- Uhr, Sonnenuntergang --:-- Uhr.
Und dann sind sie endlich da - ENDLICH! Eisberge! Eher noch große Eisbrocken. Schon während des Frühstücks sehe ich den ersten gemächlich in einiger Entfernung vorm Fenster vorbei ziehen. Mein Frühstück beschleunigt sich dadurch. Und mein Herz bubbert etwas - mein "arktischer Traum" wird gerade wahr.
Erste Eisberge zeigen sich im Dunst des Morgens ein Stück vor Aasiaat - allerdings noch ziemlich fotoscheu in einiger Entfernung.
Der erste Eisberg, den ich aus nächster Nähe betrachten kann - und auch wie ein Weltwunder bewundere. Wir fahren in etwa 30 m Entfernung an ihm vorbei. Das Türkis unterhalb der Wasserlinie strahlt so, als wären dort Lampen installiert. Phantastisch!
Der Nebel hat sich auch etwas gelichtet. Es ist aber weiter sehr grauer Himmel. Als ich an Deck bin, sehe ich einige der schwimmenden Brocken in der Gegend herumdümpeln. Ein paar Minuten später fahren wir direkt an einem solchen Eisbrocken vorbei. Er hat etwa die Größe eines großzügigen Einfamilienhauses - über Wasser. Vor allem unter Wasser zeigt er eine kräftige blau-türkise Farbe - so intensiv, als würde die Farbe leuchten oder als wären geheime Lampen im Eisberg installiert (später auf meiner Reise wird mir erläutert, dass diese blaue Farbe der Eisberge wesentlich intensiver ist, wenn das Licht indirekt ist, wenn also der Himmel bedeckt ist - wie im Moment gerade. Im direkten Sonnenschein ist das Weiß des Eises viel zu grell, dann kommt die blaue Färbung des alten Eises nicht so sehr zum tragen). Ich finde diesen ersten großen Eisberg in meiner direkten Nachbarschaft allerdings phantastisch, bestaune ihn wie ein Weltwunder. Noch hat der Klimawandel also nicht alle Eisberge weggeschmolzen. Der eine oder andere Eisberg dümpelt hier noch herum, einer auch direkt vor dem (sehr großen) Hafen von Aasiaat. Im nebligen Dunst am Horizont kann ich schemenhaft noch den einen oder anderen Eisberg ausmachen, meine ich jedenfalls. Aber irgendwie ist das alles dann doch noch nicht so beeindruckend und prachtvoll, wie ich es mir in meinen Träumen zuvor vorgestellt habe - welche mich ja letztendlich hierher gezogen haben.
Wir sind am südlichen Rand der Disko-Bucht und eine Viertelstunde später legt die Sarfaq Ittuk in Aasiaat (auf dänisch Egedesminde) an, immerhin 3080 Einwohner. Wieder wird viel gewunken und gerufen und es kommt eine gewissen Karnevals-Stimmung auf: Neben mir wirft eine Frau Händevoll Kamellen zu den an Land Wartenden - und nicht nur die Kinder bücken sich, um diese fleißig einzusammeln.
Die Anfahrt an Aasiaat. Viele enorm große Mietskasernen prägen das Stadtbild - und ein Eisberg, der vor dem Hafen dümpelt.
Typisch bei jeder Ankunft der Sarfaq Ittuk: Es wird schon von Weitem heftig gewunken. Überall kann man große Wiedersehensfreude wahrnehmen.
Eine gute Viertelstunde dauert der Stopp der Sarfaq Ittuk in Aasiaat - viel zu wenig, um von Bord zu gehen. Vom Schiff aus sehe ich die fast schon übliche Mischung aus kleineren, bunten Einfamilien-Holzhäusern - wohl der ursprüngliche Kolonialbereich. Und dann gibt es auch einen auffällig ausgedehnten Stadtbereich mit, ja: Großen Mietskasernen. Diese stammen sicherlich aus der Zeit, als die Dänen ihre Kolonialherrschaft über Grönland rigoros durchgesetzt hat und die auf viele kleine Siedlungen verteilten und sehr ursprünglich lebenden Jäger und Sammler Grönlands zwangsweise in größere Städte umsiedelte - letztlich um Kosten für den Unterhalt von Infrastruktur zu sparen. "G-60" wurde dieses Umsiedlungsprogramm genannt. Dass es nach diesen Zwangsumsiedlungen zu massiven sozialen Spannungen in diesen Wohngegenden kommt, finde ich ja fast schon selbstverständlich. Auch heute noch hat man in Grönland mit enormen sozialen Problemen zu kämpfen: Die Selbstmordrate ist eine der höchsten, wenn nicht gar die höchste der Welt. Alkoholismus ist ein verbreitetes Problem (wovon ich während meines Aufenthalts nicht viel bemerke) wie auch sexueller Missbrauch Minderjähriger. Dies alles sind wohl Tatsachen und erschreckend - und es passt für mich ganz und gar nicht mit der herzlichen Warmherzigkeit der Menschen zusammen, die ich überall wahrnehme. Ein für mich ungelöstes Rätsel, vielleicht auch ein unlösbares für mich Fremdling in dieser Welt. Vielleicht ist es dann doch die Kälte und Dunkelheit im Winter, die solche Folgen hat?
Eine Dame wirft von Bord des Schiffes Hände voll Kamellen - wie beim Karneval. Diese werden von Groß und Klein fleißig eingesammelt.
Blick von Bord der Sarfaq Ittuk durch den Hafen in den Kolonialbereich von Aasiaat.
Aber ich schweife beim Anblick der enormen Mietskasernen von Aasiaat hier im morgendlichen Dunst gedanklich ab. Eigentlich ist die Sarfaq Ittuk schon wieder auf Fahrt. Die letzte Etappe steht bereits an: Hinein in die Disko-Bucht, vorbei am UNESCO-Weltnaturerbe Kangia-Eisfjord und dann zur Endstation der Schiffsfahrt: Ilulissat. DEM touristischen Highlight von Grönland. Bis dahin sind es noch rund fünf Stunden Fahrt. Nur noch.
Der Ort Aasiaat verschwindet ziemlich schnell im trüben Licht des Morgens. Ein hellerer Streifen am Horizont, etwa in Fahrtrichtung, nährt die Hoffnung auf etwas klareres Wetter. Glitzert dort etwa das Wasser etwas?
Lauert da vorne etwa etwas Sonnenschein durch den diesigen Morgen und den Hochnebel?
Aber auch so ziehen die ruhig daliegenden Eisberge die Aufmerksamkeit auf sich - einige skurrile Formen zeigen sich da. Auch, wenn mich diese eisigen Schönheiten nicht in dem Maß begeistern, wie erträumt, so merke ich doch, wie sie mich in den Bann ziehen. Trotzdem: Nach eineinhalb Stunden an Deck ist es auch mal eine gute Idee, sich in der Kabine mal einen Moment lang aufzuwärmen, mal schnell einen Tee zu kochen, vor dem anstehenden, großen Finale der Fahrt mal kurz die Beine etwas ausstrecken.
Gut 20 Minuten später habe ich dann plötzlich das Gefühl, als leuchte jemand mit einer Lampe in mein Fenster hinein. Es ist ein Eisberg, etwa in der Größe eines Mehrfamilienhauses, vielleicht so 25-30 m hoch, recht nah am Schiff - von prallen Sonnenstrahlen beschienen strahlt er gleißend hell. Potzblitz! Die Sonne hat sich offenbar ziemlich schlagartig durchgesetzt. Wie toll ist das denn? Da gibt es dann natürlich kein Halten mehr: Wieder raus - und rauf aufs Deck!
Das strahlend weiße Licht genau dieses Eisbergs in vielleicht 100 m Entfernung wirkt wie ein Leuchten mit der Taschenlampe in mein Kabinenfenster hinein.
An Deck habe ich dann das Gefühl, dass irgendjemand die Wolken wie einen Vorhang beiseite gezogen hat. Vorhang auf also für das magische Spektakel "Eisberge vor Grönland im Sonnenschein"!
Mehr und mehr Passagiere sammeln sich an Deck der Sarfaq Ittuk - die schwimmenden Eisberge ziehen alle in ihren Bann.
Grönland, wie aus dem Bilderbuch: Immer wieder faszinieren Form und Farbe der Eisberge in der Nähe und Ferne.
Die Sonne bahnt sich mehr und mehr ihren Weg durch die Wolken, da spielt die Kälte an Deck gar keine Rolle mehr. Fast alle in größerer Entfernung, aber rund herum ums Schiff kann ich jetzt Eisberge in allen vorstellbaren Größen und Formen sehen. An einigen größeren Exemplaren kommen wir immer wieder verblüffend nah vorbei - was heißt, so fünfzig bis dreihundert Meter entfernt. Es ist, als würden die Eisberge Spalier stehen für unsere Fahrt nach Ilulissat. Mehr und mehr sammeln sich die Touristen an Deck.
Plötzlich trübt der Himmel wieder ein...
... aber schnell zeigt sich wieder Hoffnung am Himmel auf Eisberg im Sonnenschein.
Und die Sonne setzt sich immer wieder durch - und verschwindet bald wieder im Dunst. Der Blick auf die treibenden Giganten wird immer spektakulärer. Ja - so, genau so habe ich mir das vorgestellt mit der Schiffsfahrt durch die Diskobucht! Es ist traumhaft - ein traumhaft schönes, stilles Spektakel! Ich bin glücklich, genau so etwas habe ich mir gewünscht von dieser Reise. Mein Mut, diese Reise tatsächlich in Angriff zu nehmen, wird gerade im Moment belohnt. So richtig! Und üppig!
Eisige Schönheiten...
... in den verschiedensten Formen werden vom Schiff passiert.
Aber - ich ahne ja gar nicht, dass dies hier eigentlich erst das "Vorgeplänkel" ist und die Magie des Eises hier eigentlich erst so richtig beginnt...
Eine Zeitlang bleiben die großen Eisberge aus, rund um uns herum schwimmen Eisbrocken, zwischen faustgroß und vielleicht PKW-Größe. Auch der Wettergott gönnt uns und sich eine Pause, der Vorhang fällt mal wieder, es wird grau um uns herum. Das Wetter ist wechselhaft. Mal dominiert Hochnebel, mal der Sonnenschein - das hat durchaus seinen Reiz.
Plötzlich bleiben die großen Eisberge komplett aus, nur noch kleine Brocken schwimmen neben dem Schiff. Aber dafür zeigt sich am Horizont ein durchgehender, weißer Streifen aus Eis. Und da muss die Sarfaq Ittuk nachher durch - irgendwie.
Aber bei dem, was sich derweil am Horizont tut, mache ich mir beinahe schon Sorgen: Einen zwar schmalen, aber komplett durchgehenden, geschlossenen, gezackten weißen Streifen sehe ich dort. Und weiß: Das alles ist Eis. Und das muss dort alles eng und dicht beieinander liegen. Na, was das wohl wird, dort hindurch zu fahren?
Alles wohl kein Problem für die erfahrenen Schiffsführer, hoffe ich. Je näher wir an den weißen Streifen am Horizont kommen, um so klarer zeigen sich dort die Konturen - natürlich. Einen Weg dort hindurch zu finden, scheint kein Problem für die Sarfaq Ittuk. Aus den längere Zeit kleinen Eisbrocken werden wieder Berge - Eisberge. Zuweilen kommen wir ihnen sehr nahe.
Die ganze Szenerie ist phantastisch! Unvorstellbar, unglaublich, dass diese fremde Welt, dass dies alles hier, der Alltag für die Einheimischen ist!
Unvergleichlich!
Unvergesslich!
Was für eine Aussicht! Die Sarfaq Ittuk steuert auf ein fast geschlossenes Eisfeld zu.
Das reißt auch den Letzten vom Stuhl: Die Touristen auf dem Schiff sind wie auf Zuschauerrängen...
... in der allerersten Reihe vor den riesigen Eisbergen.
Und auch der Wettergott kommt wieder in Laune. Binnen Minuten reißt er seinen Vorhang wieder auf, teilweise und wechselhaft. Gleißendes Sonnenlicht fällt auf die weißen Berge auf und in dem eisigen Wasser (gegen Ende des Sommers erreicht die Wassertemperatur hier zuweilen drei bis fünf Grad). Und: Ja - das Eis ist hier zum größten Teil weiß. Das Eis fließt hier vom Gletscher auf dem Festland so schnell ins Meer, dass es nicht so alt ist und sich kaum sauerstoffarmes altes, blaues Eis bilden kann.
Trotz der Kälte draußen husche ich nur noch kurz in die warme Kabine - um den Akku meiner Kamera schnell zu tauschen. Aber auch die Aussicht aus dem Kabinenfenster ist grandios.
Fährt die Sarfaq Ittuk mal über einen kleinen Eisberg drüber, wummert es kräftig - und es bleiben im Wasser einige Brocken und eine Art "Eisbrei".
Mal versteckt sich das Land hinter dichten Nebelbänken, mal hat man Blick auf das Festland zur rechten, mal auf die vulkanische Disko-Insel zur linken. Die Eisberge werden immer mehr und immer mehr und immer dichter. Das Schiff findet jedoch sicher seinen Weg durch das Eisberg-Dickicht. Manchmal lässt sich offenbar nicht vermeiden, dass die Sarfaq Ittuk in langsamer Fahrt über einen der kleineren Eisberg fährt. Es wummert und kracht und zittert dann durch das gesamte Schiff. Zurück bleibt dann ein wie Brei aussehendes Gemisch aus kleinen Eisbrocken.
Es geht bereits gegen zwölf Uhr - das heißt, dass in gut einer Stunde die Seefahrt endet. Wie schade, auch, wenn es hier auf dem buchstäblich eisgekühlten Wasser wirklich richtig kalt ist: Meinetwegen könnten wir noch stunden- und tagelang hier durch die stillen Eisgiganten schippern.
Mittlerweile sind es wirklich Giganten, die wir passieren. Irgendwo hier passieren wir wahrscheinlich gerade den Eisfjord - er ist jedoch nicht zu erkennen, das Eis um uns herum ist zu dicht und zu groß. Die Sonne scheint prall auf uns und das Eis. Wer diesem Schauspiel und dieser sonderbaren, einmaligen und unfassbaren Schönheit hier nicht erliegt, dem ist wahrlich nicht zu helfen.
Die vielen, vielen Eisberge sorgen auch dafür, dass das Wasser total ruhig ist - und sich schöne Spiegelungen im Wasser zeigen.
Eisberge vor der grönländischen Küste.
All die Eisberge stammen aus dem Kangia-Eisfjord, dessen Gletscher pro Tag 40 m Eis in das Wasser des über 50 km langen Fjords schiebt.
Auch so kann es sein, wenn man die Umsetzung eines alten Traumes in Angriff nimmt: Es klingt fast kitschig, aber das, was sich hier meinen Augen bietet, übertrifft meine lang gehegte Vorstellung und meine alt erträumten Wunschbilder - und das bei weitem. Die Eisberge strahlen eine ganz eigene, besondere Schönheit in dieser ruhigen, stillen Umgebung aus - und doch haben die Eindrücke eine enorme Wucht. Wie wunderschön diese Welt doch ist!
Die Ausmaße der allergrößten Eisberge kann ich gar nicht mehr schätzen. Vielleicht haben sie Stadion-Größe, vielleicht Stadtteil-Größe - es ist nicht wirklich erkennbar. Vielleicht habe ich mir in meinen Wunschbildern im Kopf einzelne, große Eisberge vorgestellt - aber dieses gesamte Panorama rund um mich herum, das ist nicht vorstellbar gewesen. Da bin ich völlig ahnungslos gewesen, aber woher hätte ich auch eine solche Idee haben sollen?
Zwangsläufig macht man sich hier Gedanken über die Schönheit dieser Erde - und über deren Zerbrechlichkeit. Es ist so wunderschön hier zwischen diesen stillen Eisgiganten, zum Träumen und Weinen schön. Habe ich in meinem Leben schon etwas vergleichbar schönes gesehen? Eine magisch-unwirkliche Umgebung! Völlig unmöglich, sich hieran satt zu sehen in der kurzen Zeit dieser Schiffsfahrt!
Es sind nicht immer nur die großen Eisriesen, die faszinieren - auch die schon weit geschmolzenen kleinen Eisbrocken bringen erstaunliche Formen und Farben zustande.
Das Ausflugsschiff vor dem Eis gibt einen guten Eindruck von den Größenverhältnissen. Die Menschen auf dem Dach des kleinen Schiffes sind fast nur als Punkte zu erkennen.
Und was für ein ungeheures Glück, dass das Wetter so besonders gut mitspielt. Und wie praktisch, dass dort von an dem einen Giganten gerade ein kleines Ausflugsschiff vorbei fährt - das gibt die Chance, hochzurechnen, das der Eisberg dort vorne rund 54 m Höhe hat. 54 m hohes Eis - allein über Wasser. Potzblitz!
Aber ich weiß auch genau: Es ist nicht möglich, dieses gesamte Panorama auch nur andeutungsweise per Foto zu erfassen. Trotzdem fotografiere ich wie von Sinnen und wie ferngesteuert. Wie die anderen Touristen an Deck auch. Selbst ein paar Grönländer sind inzwischen an Deck der Sarfaq Ittuk gekommen und machen auch noch das eine oder andere Foto!
Ein gewaltiger Eisbrocken dümpelt vor der vulkanischen Disko-Insel.
Da ist Steuermann-Kunst und -Wissen um das Eis gefragt: Zuweilen kommt die Sarfaq Ittuk den Eisbergen ganz, ganz nah.
Kaum kann ich mir eine schönere, friedlichere Umgebung auf dieser Erde vorstellen. Eigentlich fehlt in dieser Umgebung gerade nur der Besuch eines Wals... Der kommt hier allerdings nicht zu Besuch.
Auch, wenn ich mir zuvor immer selbst sagte, meine Wunschvorstellungen für diese Schiffspassage sollten besser nicht allzu riesig sein - meine Hoffnungen, Wünsche und Erwartungen waren doch trotzdem gewaltig. Und das, was ich hier sehe, übertrifft diese Wünsche in der Tat ganz locker bei weitem. Aber: Einen Mangel hat das Ganze eben doch - die kurze Zeit. Unweigerlich sehe ich hinter den Eisbergen langsam das Land wieder näher heran rücken. Bald schon sehe ich die ersten Gebäude von Ilulissat und direkt an der Hafeneinfahrt die charakteristischen Eröltanks einer jeden grönländischen Stadt. Meine Freude darüber hält sich in engen Grenzen: Ach, bitte - lass doch diese Schifffahrt nicht jetzt schon zu Ende gehen! denke ich bei mir. Ich habe noch lange nicht genug gesehen! Drehe doch bitte eine Extra-Runde, Herr Steuermann! Und noch eine, und noch eine! Das hier hat den Träumer in mir noch lange, lange nicht satt gemacht - aller Kälte zum Trotz...
Aber es hilft nichts: Zielsicher geht es auf Ilulissat zu - wieder so ein winziger Klecks in dieser gewaltigen Landschaft, der von einigen wenigen, besonderen Menschen bewohnt wird. Ilulissat, drittgrößte Stadt Grönlands. Mit rund 4.600 Einwohnern aber auch schon eine Metropole Grönlands. Der dänische Name lautet Jakobshavn.
Kurz vor Ilulissat herrscht zwischen den Eisbergen dichter Verkehr mit kleinen Booten.
Die Anlegestelle in Ilulissat liegt direkt vor uns - die Schifffahrt mit der Sarfaq Ittuk geht zu Ende.
Auch auf der Einfahrt in den geschützt liegenden Hafen geht es noch auf Tuchfühlung mit Eisbergen, die sich ganz keck vor die Einfahrt gesammelt haben. In fast schon wilder Geschwindigkeit rasen Fischer mit ihren Boot an uns dahertuckernden Schiff vorbei. Dann legen wir langsam und vorsichtig an. Die Seefahrt, die während der letzten Stunden von unvergleichlicher Schönheit gewesen ist, endet hier. Ich nehme mein Gepäck auf, stelle mich in die Schlange der Personen, die das Schiff jetzt verlassen. Alles ist während der Fahrt perfekt gelaufen. Vielen Dank den 22 Besatzungsmitgliedern! Wenn es ginge - ich würde ohne zu zögern wieder mit dem Schiff fahren...
Insgesamt hat mein GPS-Gerät für die Fahrt mit der Sarfaq Ittuk von Nuuk nach Ilulissat eine Strecke von 714 km gemessen in einer reinen Fahrzeit von 39 Stunden, 48 Minuten. Dass immerhin auch eine "Steigung" von 468 m gemessen wurde, liegt sicherlich nicht an dem Wellengang allein (so gewaltig war er dann doch nicht!), sondern schlicht an Luftruckänderungen. Die Fahrtroute lässt sich in der Google-Karte unten sehr exakt verfolgen.
Das Ende einer gar nicht soo langen, aber zeitweilig extrem eindrucksvollen Seefahrt mit der Sarfaq Ittuk. Ich habe mich wohl und sicher gefühlt auf dem Schiff.
Hier in Ilulissat stehen wieder viele, um die Reisenden in Empfang zu nehmen. Diesmal steht auch ein Kleinbus dabei, der mich aufnimmt: Mein sechstägiger Aufenthalt in Ilulissat beginnt. Ein neues, ganz anderes Kapitel meiner Grönland-Reise - hier geht es zu meinem Reisebericht über Ilulissat. Immerhin - es tröstet mich im Moment gerade ein wenig: Auch während des Aufenthalts in Ilulissat geht es auch noch mindestens einmal in das Eis, das ich gerade eben noch so schön und eindrucksvoll fand - dann aber per Ausflugsboot.
Eine Fahrt auf der Sarfaq Ittuk kann sehr leicht sehr glücklich machen. Das zeigen nicht zuletzt die vielen glücklichen Gesichter der Passagiere, die ein Crew-Mitglied im Jahr 2017 eingefangen hat (auf dem Video bin ich also nicht zu sehen - aber in der Tat erkenne ich zwei bekannte Gesichter der Besatzung wieder).
Der Zufall will es, dass ich bei meinem ersten Rundgang durch Ilulissat noch einen Blick auf die Sarfaq Ittuk werfen kann - eine Weile nach ihrer Abfahrt zurück nach Süden. Und obwohl ich mich hier in einer anderen, wunderschönen Umgebung aufhalte, bin ich doch voller Sehnsucht, als ich die Sarfaq Ittuk noch eine Weile beobachte, wie sie durch das Eis davon fährt...
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