Meine Empfehlungen
im Internet:
Abendlicher Blick über die Promenade und den Yachthafen zum modernen Stadtzentrum von Bodø.
Traurig sieht er aus, der Mann vor mir - richtig traurig! Fast habe ich den Eindruck, er fängt gleich an zu weinen. Und ich stehe ihm gegenüber und weiß nicht so recht, was ich ihm sagen soll.
Gerade hat er mich gefragt, ob ich denn das alte Haus am Hafen gesehen habe. Welches alte Haus er wohl meinen würde? Na, das alte Steinhaus am Hafen. Das kann ich bejahen. Ja: Es ist mir in der Tat aufgefallen und ich habe beim Anblick gedacht - aha, das ist also das bekannte alte Zollhaus. Es ist in der Tat auffällig und fällt im Vergleich zu den anderen Gebäuden sehr aus dem Rahmen der ansonsten neuen Bauten! Gleichzeitig zu meiner Antwort bin gerade sehr erleichtert, dass ich gestern Abend etwas über die Geschichte von Bodø im Internet gelesen habe.
Er redet weiter: Ja - es gäbe in Bodø ja fast keine alten Gebäude mehr. Das sei eines der ganz wenigen "echten" alten Häuser, eigentlich gäbe es nur zwei. Fast alle anderen Häuser seien ja alle kaputt gegangen, damals, als die Deutschen die ganze Stadt zerstört haben.
Ich betrachte ihn aufmerksam - will er mir als Deutschem da jetzt einen Vorwurf machen? Aber, nein, das scheint ihm ganz fern zu sein. Eher scheint er schlicht betrübt zu sein. Und auf der anderen Seite auch so komisch stolz auf dieses eine alte Haus.
Der seinerzeit gerade mal 6.000 Einwohner kleine, weitgehend unbedeutende Fischerort Bodø ist am 27. Mai 1940 von der deutschen Luftwaffe nahezu komplett in Schutt und Asche gelegt worden, kaum ein Stein ist auf dem anderen geblieben (hier wird der 80. Jahrestag auf einer isländischen Seite gewürdigt). Lediglich zwei Gebäude der Stadt überstanden das massive Bombardement komplett - und eines davon ist eben besagtes Zollgebäude. Im Vergleich zu den gewaltigen Zerstörungen an den Bauten hielt sich die Anzahl der Toten in fast übersichtlichem Rahmen - 13 Menschenleben kostete der Angriff.
Eines von nur sehr wenigen historischen Gebäuden in Bodø: Das alte Zollhaus am Hafen - wunderbarer Jugendstil.
Dass die Städte an der norwegischen Atlantikküste von der Deutschen Wehrmacht seinerzeit als wichtige strategische Punkte angesehen wurden, das ist bekannt und in dieser Kriegsszenerie irgendwie logisch. Warum man jedoch Bodø als so zentral ansah, dass man die gesamte Stadt so vollkommen zerstört hat, ist mir schleierhaft. Eine Weile verbringe ich damit, im Internet nach Informationen danach zu suchen. Im (stark militärisch geprägten) Luftfahrtmuseum finde ich einige Hinweise auf den vernichtenden Angriff der Deutschen - aber keine Hinweise auf den Grund dessen. Andere Museen vor Ort habe ich allerdings auch nicht besucht.
Es ist allein meine Vermutung, aber so bleibt der Gedanke, dass es sich ja wohl um einen Terrorangriff und eine reine Machtdemonstration gehandelt haben könnte. Das Deutsche Reich war in Sachen Terror verbreiten damals ja weltführend.
Aber eigentlich bin ich ja im Moment erst auf meiner ersten kleinen Erkundungstour durch Bodø, bin gerade vor zwei Stunden angekommen. Ganz gegen meine sonstigen Gewohnheiten, habe ich mich auf dem eigentlich sehr kurzen Weg vom Bahnhof zum Hotel gründlich verlaufen und bin so schon einen unnötigen, sonderbaren Bogen durch das Stadtzentrum gelaufen.
Auf der Mole am Yachthafen von Bodø.
Jetzt stehe ich bei traumhaftem, nordischem Sommerwetter auf der Mole vor dem Hafen vor Bodø, bin dort mit dem freundlichen Herren ins Gespräch gekommen. Er ist etwa eine Handvoll Jahre jünger, als ich. Und er hat mich angesprochen, gleich auf Englisch. Ganz untypisch allerdings in ziemlich schlechtem Englisch - was in Norwegen schon sehr selten ist (aber eigentlich auch gut zu meinen nicht sehr weltmännischen Englisch-Fähigkeiten passt). Zweimal muss ich zu Beginn nachfragen, was er denn meine - bis ich verstehe, dass er eigentlich nur gesagt habe, die Aussicht sei wunderschön. Ja, stimmt, das kann ich nur bestätigen. Trotz der sprachlichen Schwierigkeiten radebrechen wir eine ganze Weile, über Bodø und ob er aus der Stadt käme (ja), über den Hafen, über die grandiose Umgebung und das wunderschöne Licht an diesem Abend.
Die Stimmung kippt dann, als er mich fragt, woher ich denn käme - und ich wahrheitsgemäß antworte, dass ich aus Deutschland käme, aus Hamburg. "Aah - beautiful town", meint er (ja, naja - ich lege meine Stirn schweigend in Falten: Wie jede Stadt hat Hamburg gute Seiten, aber auch schlechte). Er hat damals noch nicht gelebt, aber dann ist da trotzdem eben doch sofort seine Assoziation dieser sinnlose Totalzerstörung seiner Stadt, damals im Zweiten Weltkrieg. Die fast nur das steinerne Gebäude des Zoll überstanden habe.
Ja - ich wisse von dem furchtbaren Luftangriff der Deutschen auf die Stadt und fände das ganz furchtbar und könne das gar nicht verstehen! kann ich da nur anmerken. Und fühle trotzdem eine Scham in mir aufsteigen, auch, wenn auch ich zur Nachkriegs-Generation gehöre. Es fällt uns leicht, uns darauf zu einigen, dass Krieg etwas furchtbares ist und man einfach alles dafür tun solle, zu verhindern, dass sich Solches wiederholt: Nie wieder Krieg!
Aber doch wissen wir beide mit unserem Gespräch dann nicht mehr so recht weiter. Auch, wenn ich bei ihm keinerlei Vorwurf spüre, sondern nur echte Trauer - unser Gespräch versickert bei diesem Thema im mäßigem Englisch. Wir verabschieden uns sehr freundlich und wünschen uns alles Gute.
Ein Bild im Luftfahrtmuseum vom deutschen Luftangriff am 27. Mai 1940: "Bodø i Brann" - "Bodø in Flammen".
Ich bleibe allerdings noch eine Weile recht nach-denklich auf der Mole. Bis gestern, da bin ich noch in Trondheim gewesen, habe ich noch überhaupt keine Ahnung von dem Verbrechen, das hier in deutschen Namen begangen worden ist, gehabt - und ich bin niemand, der solche Dinge ausblendet. Doch nun bin ich irgendwie sehr direkt damit in Kontakt gekommen. Selbst in der Nachkriegsgeneration gibt es also Menschen, deren erster Gedanke, wenn sie Deutschland hören, die Bomben des Zweiten Weltkriegs sind. Dafür können diese Leute ja nichts - es ist einfach so. Aber wie sehr es mich zuweilen entsetzt, an allen möglichen Ecken und Enden Europas immer wieder auf die Schneise der Verwüstung des deutschen Wahnsinns zu stoßen! Wie furchtbar! Manchmal würde ich mir wünschen, doch eher Däne, Niederländer, Isländer oder sonstwas für ein Landmann zu sein...
Aber, was um alles in der Welt - was hat mich denn nun eigentlich in diese kleine Stadt am Europäischen Nordmeer geführt?
Nun, in diesem Sommer 2016 bringt mich eine kleine, selbst zusammengestellte "Rundreise" - nein, eher: "Streckenreise" - in mehrere Städte Skandinaviens. Per Zug. Kopenhagen und Malmö stehen am Anfang dieser Reise, vier mittelalte deutsche Herren in Oslo haben die Initialzündung für die Idee und Planungen dieser gesamten Reise gegeben, auf Trondheim bin ich schon lange neugierig gewesen. Na, und von dort aus also bin ich mit dem Zug einfach so lange nach Norden gefahren, bis es nicht mehr weitergeht.
Und so lande ich dann also in Bodø - dem nördlichen Ende der norwegischen Bahnstrecken. Ja, ja, ich weiß - grundsätzlich kann man mit dem Zug in Norwegen auch noch ein Stück weiter nach Norden fahren: Nach Narvik. Dann fährt man allerdings durch Schweden gen Norden, durch Kiruna - um dann letztlich nach ein paar Kilometern durch Norwegen im Bahnhof von Narvik zu landen, von wo vor allem Eisenerz-Transporte stattfinden.
Aber ich komme ja aus Oslo und Trondheim - und dann ist in Bodø einfach Schluss mit Bahnfahren! Weiter gen Norden geht es von hier aus nur per Auto, Bus, Flugzeug, Schiff, Fahrrad oder zu Fuß.
Eigentlich sagt der Ort Bodø mir während meiner Reiseplanung überhaupt nichts. Er ist halt Endpunkt der "Nordlandbahn" und Fährpunkt zu den Lofoten. Aber sonst - fahre ich halt einfach hin. Und ich staune schon vorher, bei der Planung der Reise. Zum einen darüber, wie günstig das Zugfahren in Norwegen ist, wenn man die Fahrkarte früh bucht. Und zum anderen staune ich darüber, dass es so ungeheuer schwer ist, in Bodø ein Hotelzimmer zu bekommen. Und wenn, dann nur zu unverschämten Preisen - die ich mir dann halt gönne, denn ich will ja nach Norden. Aber diese Knappheit hat auch einen speziellen Grund - den ich erst jetzt vor Ort erfahren werde...
Aber, wie schon erwähnt: Auf dieser Reise ist auch sehr stark der Weg das Ziel. Und die Zugfahrten durch Norwegen sind für einen Mitteleuropäer durchaus etwas Außergewöhnliches. Üblicherweise verzichte ich bei meinen Berichten ja auf die Beschreibungen meiner Anreisen. Das soll hier (wie auch schon bei meinem Reisebericht über Trondheim) etwas anders sein, denn die Anreise nach Bodø mit einer zehnstündigen Zugfahrt ab Trondheim empfinde ich schon als etwas Erwähnenswertes.
Früh geht's los an diesem Freitagmorgen, an dem ich in Trondheim gen Norden starte: Die "Nordlandsbanen", auf deutsch also die "Nordlandbahn", fährt üblicherweise zweimal am Tag - und startet in Trondheim um 7:30 Uhr (die zweite Fahrt geht über Nacht). Zehn Stunden Zugfahrt stehen mir bevor. Die Streckenlänge der Nordlandbahn beträgt 729 km, mit einer etwas unüberschaubaren Menge an Zwischenstopps. Man ist hier oben also nicht gerade im ICE-Tempo unterwegs. Aber das ist mir durchaus ganz lieb, denn die Fahrt selber ist ja Teil meiner Reise - ich will ja auf dem Weg auch etwas sehen.
Also sitze ich auf dem bequemen Sitz und lasse die norwegische Landschaft gemütlich an mir vorbei gleiten. Der Zug ist gut gefüllt, wohl irgendwo zwischen 80 und 90 Prozent Auslastung. Der größte Teil der Reisenden sind wohl Einheimische, die so ihren Wegen folgen - hier und da wird fleißig ein- und ausgestiegen. Aber es sind außer mir auch durchaus einige weitere Touristen unterwegs, die immer mal wieder die Hälse recken und Kameras zücken. Das Zugpersonal redet souverän Englisch und ist ungeheuer gelassen freundlich - wie fast alle hier im Norden wohl so sind.
Ich brauche ein wenig Zeit um aus meinem Bahnfahr-Genuss und dem morgendlichen Dämmerzustand mal dazu zu kommen, auch mal meine Kamera zu zücken und aus dem fahren Zug heraus ein paar Fotos zu machen. Vieles ist dabei so "typisch norwegisch", dass es einem fast den Atem verschlagen könnte: Riesige, weite Naturlandschaft mit großen, rund geschliffenen Bergen, viel Wald, immer wieder Wasser, Flüsse, Seen, Fjorde. Und dann geht es andauernd an kleinen Ortschaften, Siedlungen, Einzelhäusern vorbei, meist aus Holzhäusern bestehend, die aussehen, als stünden sie in Bullerbü (aber das ist ja in Schweden...). In den größeren Orten auf der Strecke fällt mir die sehr nüchterne, moderne Bauweise der neuen Häuser auf: Kein Hauch von Bullerbü.
Der Himmel spielt eine besondere Rolle auf meiner Fahrt. Ständig ändert sich das Wetter. Mal ist es sonnig, mal wolkig, mal komplett bedeckt, mal regnet es, diverse Regenbögen ziehen am Zug vorbei - verschiedenste Wetterzustände, auf 730 km verteilt. Kurz: Es ist sehr, sehr wechselhaftes Wetter - fast eine Fahrt durch verschiedene Jahreszeiten.
Eine Zugfahrt als Erlebnis! Nicht eine Sekunde während der zehn Stunden wird es mir langweilig. Aber ich fahre eh sehr gerne Zug - wenn es denn einigermaßen und ohne Probleme und Störungen klappt. Und das ist hier heute der Fall.
Ein paar von durchaus typischen Eindrücken der Fahrt hänge ich an dieser Stelle an.
Wolken- und Lichtspiele an der Nordlandbahn kurz vor Snåsa.
Die Nordlandbahn kurz hinter Trofors mit einem dusteren Himmel.
In Dalsgrenda kurz vor Mo i Rana, am Weg der Berg Hauknestinden mit 799 m.
Im Bahnhof von Mo i Rana - mit knapp 19.000 Einwohnern die größte Stadt auf der 729 km langen Strecke der Nordlandbahn.
Ein besonderer Moment für mich ist dann aber das Überqueren des Polarkreises!
Eigentlich ist es ein lang, seeehr lang gehegter Wunsch von mir, einmal in polare Regionen der Erde zu kommen - heute nun wird dieser alte Gedanke für mich endlich wahr werden. Aber: Werde ich es denn überhaupt merken, wenn dieser "große Moment" passiert - denke ich zuvor bei mir.
Alles kein Problem! Der Zugführer macht rechtzeitig vorher eine Durchsage, ganz lakonisch, auch in Englisch. Durch einen Steinhaufen auf der rechten Seite sei der Polarkreis markiert, kündigt er noch an. Das macht das Ganze recht leicht - zumal ich auf der rechten Seite des Zuges am Fenster sitze.
Wie auch immer: Es wird ganz still im Zug, Hälse recken sich wieder, alle halten Ausschau nach dem Steinhaufen. Er ist leicht auszumachen: Schon allein, weil in der Kargheit vor dem Fenster ansonsten nicht viel Auffälliges ist, der Zug gemächlich vor sich hin zuckelt und zudem an der Straße in ein paar hundert Metern Entfernung ein großer, auffälliger Haltepunkt eingerichtet ist.
Der "Steinhügel" fällt also auf. Nach 579 km, um Punkt 15:30 Uhr, ist dieser, nun ja: Für mich fast magische Moment erreicht. Ich bin im Polargebiet. Und freue mich darüber. Ich mag so etwas einfach, solche markanten Punkte auf der Welt. Der Polarkreis - das ist wirklich schon ganz schön weit im Norden dieser Erde!
Obwohl - die Magie ist so groß dann auch wieder nicht. Es passiert weiter nichts großartiges, natürlich. Was sollte auch geschehen? Letztlich markiert der Polarkreis ja nichts anderes, als die Grenze, an der am 21. Juni die Sonne nicht mehr unter den Horizont geht, und am 21. Dezember nicht über den Horizont hinaus geht. Jetzt ist es Mitte August - die Grenze der durchgehenden Tage ohne jegliche Nacht hat sich mittlerweile also schon längst wieder weit, weit nach Norden verschoben.
Bei einem Blick in die Runde der durchaus beeindruckenden Landschaft denke ich auch bei mir, dass so dann wohl polare Regionen aussehen: Es ist nur ein sehr karges Grün zu sehen. Außer ein paar fast krüppeligen, kleinen Birken gibt es keine Bäume mehr zu sehen. Erst deutlich später erfahre ich erst, dass der Zug hier auf rund 600 Metern über dem Meeresspiegel unterwegs ist. Da ist man dann in diesen Breitengraden in der Tat schon an oder über der Baumgrenze.
Der Zug fährt auf den nächsten Kilometern noch etwas weiter bergauf, bis auf 680 Meter Höhe. Danach geht es wieder bergab - und der Baumbewuchs wird wieder ganz "normal norwegisch". Es ist also keineswegs so, dass es nördlich des Polarkreises nur noch krüppelige Bäume gäbe...
Die Fahrt bleibt danach auch die verbleibenden zwei Stunden lang geradezu magisch schön.
Um Punkt 17:30 Uhr kommt die Nordlandbahn dann, nach zehn Stunden Fahrt pünktlich auf die Minute, in Bodø an - und die schöne Zugfahrt endet. Ein wenig bedaure ich es ja.
Auf der Nordlandbahn, am Polarkreis. Die Landschaft ist karg und die kleine Steinpyramide rechts markiert den Polarkreis.
Ein Stück hinter der Ortschaft Lønsdal am Junkerdal-Nationalpark.
Ein See kurz vor Fauske.
Blick aus der Nordlandbahn bei der Ortschaft Valnesfjord.
Wolken und Sonne ein Stück vor Bodø.
Die Nordlandbahn ist angekommen im Bahnhof von Bodø - der nördlichen Endstation der norwegischen Eisenbahn.
Wer möchte, kann die Zugfahrt von Trondheim nach Bodø übrigens auf youtube anschauen - in voller Länge, also die gesamten zehn Stunden, und das immerhin aus der privilegierten Perspektive des Lokführers. Auf youtube findet man auch vollständige Aufnahmen von Fahrten im Winter. Da ist am heimischen Schreibtisch aber doch wohl erhebliches Sitzfleisch vonnöten:
Ebenso pünktlich um 17:30 Uhr beginnt dann meine sonderbare 20minütige Odyssee auf der Suche nach meinem Hotel. Vielleicht sollte ich mir angewöhnen, doch mal auf einen Stadtplan zu gucken? Nach einer kurzen Ruhepause zieht es mich dann doch umgehend vor Neugierde hinaus in die neue Umgebung.
Gemessen an deutschen Maßstäben ist Bodø eine Kleinstadt: Gut 50.000 Einwohner leben heute in der Stadt. Aber: Norwegen ist halt deutlich anders besiedelt als Deutschland - und somit ist Bodø die mit Abstand größte Stadt der norwegischen Provinz "Nordland". Also ist Bodø natürlich die Hauptstadt und das Verwaltungszentrum dieser Provinz, die immerhin um einiges größer ist als z.B. Baden-Württemberg, zusammengenommen aber nur inetwa so viele Einwohner hat, wie die Stadt Braunschweig.
Aus einem früheren Handelsplatz als Konkurrenz zur deutlich südlicher gelegenen Stadt Bergen gegründet, erhielt Bodø, trotz seinerzeit nur gut 200 Einwohnern, 1816 das Stadtrecht. Zum Zeitpunkt meines Besuches feiert die Stadt also gerade das 200jährige Jubiläum ihres Bestehens. Das "o" im Namen wird übrigens eher wie im deutschen ein langes "u" ausgesprochen, Bodø wird also eher "Buudö" gesprochen.
Fischfang spielt lange Zeit die Hauptrolle im Wirtschaftsleben, heute sind eher öffentliche Verwaltung, Groß- und Einzelhandel und das Dienstleistungsgewerbe die Hauptträger der Wirtschaft. Auch das Militär und das Gesundheits- und Sozialwesen spielen eine wichtige Rolle, ebenso der Hauptsitz der norwegischen Fluggesellschaft Widerøe. Der Tourismus fängt erst an, zunehmend wichtig zu werden.
Acht Universitäten gibt es in Norwegen - eine davon in Bodø: Die Nord-Universität mit immerhin 12.000 Studierenden.
Ein Blick auf das im August zu erwartende Klima in Bodø im Vergleich zum heimatlichen Hamburg: Die bisher höchste ermittelte Durchschnittstemperatur in Bodø im August beträgt 15,7°C - in Hamburg 22,2 °C, die geringste Durchschnittstemperatur in Bodø im August ist 10,0°C - in Hamburg 12,5°C. Zumindest bei den unteren Temperaturen ist der Unterschied also gar nicht sonderlich groß. In Hamburg fällt im August im Schnitt 73 mm Regen an üblicherweise 10 Tagen, in Bodø sind es 88 mm Regen an 12 Tagen - kein allzu großer Unterschied. In Hamburg kann man im August laut Statistik pro Tag 6,7 Stunden Sonnenschein pro Tag erwarten, in Bodø 5,4 Stunden.
Vom 2. Juni bis zum 10. Juli gibt es in Bodø die Mitternachtssonne, vom 15. bis zum 29. Dezember die Polarnacht. Tja: In Hamburg - gibt es beides natürlich gar nicht.
Bodø nennt sich selbst die "Stadt der Seeadler". Und in der Tat: Man findet einige Seeadler in Bodø...
Eine Statue mit einem Seeadler direkt vor dem Rathaus ...
... ein großes Seeadler-Denkmal in der Fußgängerzone am Torget ...
... ein Seeadler-Wandbild an einem Gebäude direkt neben der Touristinformation ...
... und ein Seeadler in der Luft am "Keiservarden".
Die Totalzerstörung der Stadt durch den deutschen Luftangriff am 27. Mai 1940 habe ich schon vorher erwähnt. Das hat natürlich starke Auswirkungen auf das Stadtbild. Altes sucht man vergeblich - zumeist.
Im Jahr 2024 allerdings kommt Großes auf Bodø zu: Man wird Europäische Kulturhauptstadt. Unter dem Titel "ARTICULATION" wird Bodø die erste Europäische Kulturhauptstadt nördlich des Polarkreises sein. Schon jetzt bin ich gespannt, was die Stadt und die Region sich hierzu einfallen lassen werden - und werde es genau im Blick behalten.
Und so bin ich dann nach der zehnstündigen Zugfahrt angekommen in Bodø - und sowohl bei meiner gesamten Reiseplanung, als auch auf der Fahrt dorthin habe ich, offengestanden, für mich gedacht: Bodø, vier Tage lang in dieser kleinen Stadt!? Was willst Du dort eigentlich? So richtig weiß ich das selber gar nicht. Und, zugegeben: Als ich in Bodø ankomme, bin ich etwas erschreckt über das erstmal sehr nüchtern und fast gesichtslose Stadtbild. Erster Gedanke:
Vier Tage - hier??
Das Stadtbild im Stadtzentrum von Bodø. Das Grand-Hotel vorne links wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört - ist immerhin weitgehend originalgetreu wieder errichtet worden.
Aber immerhin bin ich hier jetzt tatsächlich mal nördlich des Polarkreises. Für die meisten Reisenden ist Bodø sowieso wohl nur eine kurze Zwischenstation - wenn überhaupt. Vielleicht mal für eine Nacht bleibt man hier - meist wohl auf dem weiteren Weg nach Norden (oder auf dem Weg wieder zurück gen Süden). Oder auf dem Weg zu den sagenhaften Lofoten-Inseln. Für letzteres ist Bodø dann der übliche Fährhafen. Oder Bodø ist eine Station, wenn man mit den Hurtigruten eine Fahrt an der Küste Norwegens entlang macht, hinauf zum Nordkap, bis nach Kirkenes - dann macht man üblicherweise zweieinhalb Stunden lang Station in Bodø (auf der Fahrt nach Norden tagsüber, bei der Fahrt nach Süden üblicherweise mitten in der Nacht).
Schließlich ist Bodø eine der größeren Städte auf dem Weg nach Norden. Den Passagieren der Hurtigruten wird dann allerdings möglichst gar nicht unbedingt der Aufenthalt in der Stadt empfohlen, sondern in den paar Stunden Pause zu einer Tour zum Saltstraumen geraten - man fährt von Bodø aus mit dem Bus 30 km zu einem Welt-Superlativ: Dem stärksten Gezeitenstrom der Welt. Die Stadt Bodø selber mit ihren gut 50.000 Einwohnern werden die meisten wohl als eher uninteressant und gesichtslos schnell wieder vergessen.
Und, in der Tat: Besondere architektonische Perlen hat die Stadt nur wenige zu bieten. Vieles wirkt in der Tat etwas gesichtslos, nordisch-nüchtern. Richtig charmante oder gar historische Winkel findet man kaum. Wie ja schon ausgeführt: Schuld daran sind auch, wie ja so oft in Europa, wir Deutschen.
An diesem Freitagabend wirkt die Stadt auf mich also in der Tat vor allem modern und funktional. Viel ist in der Stadt nicht mehr los an diesem Abend, schnell merke ich: Hier schlägt ein ganz eigener, ein ganz ruhiger Takt.
Die Sonne scheint prall von einem knallblauem Himmel herab und es sind angenehme Temperaturen. Vielen ist es warm genug, um in kurzärmligen T-Shirts unterwegs zu sein - mir ist das aber doch etwas zu frisch. Aber immerhin: Nördlich des Polarkreises ist der Sommer als solcher spürbar und bietet am späten Abend noch Temperaturen, etwa wie an einem schönen Frühlingsabend in Norddeutschland.
An der Hafenpromenade in Bodø.
In der Nähe des Hafens und auf der dortigen Promenade sind durchaus noch viele Leute unterwegs. Die Restaurants dort sind gut gefüllt, besonders in den großen Außenbereichen ist kein freier Tisch zu sehen. "Pulsierendes Leben" würde ich das zwar nicht gerade nennen, alles geht in Ruhe seinen Gang. Aber es herrscht eine ausgesprochen angenehme Atmosphäre.
Das fällt mir auch im Stadtzentrum auf. Die Straßen sind nahezu frei von Autos, selbst parkende Fahrzeuge sehe ich nur ganz wenige. Was ist denn das - ob das wohl immer so ist? Nein, bemerke ich recht bald. In zahlreichen Straßen ist das Parken durch Schilder an diesem gesamten Wochenende ausdrücklich verboten. Nanu?
Kurz danach entdecke ich in diversen Schaufenstern den Grund hierfür: Es findet ein Radrennen statt! Die letzte Etappe des diesjährigen "Arctic Race of Norway" endet in diesem Jahr, übermorgen, also am Sonntag, hier in Bodø! Prompt fällt mir ein, dass ich vor zwei, drei Jahren mal dieses Radrennen im TV verfolgt habe - und ganz angetan von der gezeigten Landschaft war (damals fuhren die Fahrer auf den Lofoten herum, aber die Route wechselt jedes Jahr). Daher weiß ich, dass es nicht nur irgendein Radrennen ist, sondern ein Mehrtages-Etappen-Rennen, bei dem durchaus etliche Fahrer der Weltspitze mit dabei sind. Veranstaltet immerhin vom Veranstalter der Tour de France.
Nein - das ist nicht das Schaufenster eines Fahrradladens, sondern von einem Brillengeschäft. Aber wie viele anderen Geschäfte der Stadt widmet man sich voll und ganz dem anstehenden Großereignis: Dem Radrennen "Arctic Race of Norway" und dem damit verbundenen "Store Folkefest" - "Großem Volksfest".
Na sowas! Ich bin zwar nicht gerade ein ausgeprägter Fan des Profi-Radsports, habe aber durchaus ein Faible für den Radsport allgemein und schon auch ein gewisses allgemeines Interesse hieran. Also ist das für mich natürlich ein tolles Ereignis! Davon hatte ich bis zu meinem Ankommen hier gar keine Ahnung. Sicherlich ist es deswegen so schwierig und teuer gewesen, hier einen Hotelplatz zu ergattern. Na - da ist der Sonntag hier in Bodø ja schon zu großen Teilen verplant und ich schaue mir dann mal an, was dieses besondere Ereignis in Bodø so in Bewegung bringt und was hier so passiert. Im heimischen Hamburg wird im Sommer von Schlagermove über Harley Days bis zu Marathon und Cyclassics ja pausenlos ein Großevent nach dem anderen durch die Stadt gejagt und routiniert abgewickelt (wobei ich bei dem Jedermann-Radrennen Cyclassics ja immer gerne dabei bin, wenn es nur irgendwie geht). Aber - wie das hier im hohen Norden wohl so ist? Da freue ich mich sehr, die Stadt unter solchen Bedingungen, die es hier sicherlich nur sehr selten gibt, erleben zu können. Es ist dann mit der Zeit auch kaum zu übersehen, dass die Stadt diesem Ereignis geradezu entgegen fiebert: Überall sehe ich Fahnen vom "Arctic Race of Norway", die Schaufenster zahlreicher Geschäfte sind mit Plakaten, Fahrrädern, Fähnchen und sonstigen Utensilien ausgestattet. Dort wird das Ereignis als "Store Folkefest" angekündigt, also als "Großes Volksfest". Und in der ganzen Stadt verstreut sind (ausgemusterte) Fahrräder installiert, die auffällig und komplett mit grellen Farben bemalt sind. Ganz eindeutig: Die Stadt ist stolz darauf, Gastgeber und der diesjährige Endpunkt für dieses im Weltradsport durchaus beachtenswerten Ereignis zu sein! Bodø nennt sich selber in diesem Jahr "Sykkelbyen 2016" - "Fahrradstadt 2016".
Meinen ursprünglichen Gedanken, mir am Samstag möglicherweise ein Spiel des in Bodø ansässigen Fußball-Vereins der ersten norwegischen Liga, dem FK Bodø Glimt, anzusehen, verwerfe ich dann allerdings umgehend: So viel Zuschauer-Sport brauche ich hier dann doch nicht. Der Verein ist eh gerade auf dem Weg, sang- und klanglos in die zweite Norwegische Liga abzusteigen und der große Held der gerade vergangenen Fußball-Europameisterschaft 2016, der Nationaltorwart von Island, Hannes Þór Halldórsson, hat den Verein gerade vor wenigen Wochen in Richtung Dänemark verlassen.
Am späten Abend, wieder im Hotel, lese ich im Internet, dass es am folgenden Samstag im Rahmenprogramm eine Art Jedermannrennen gibt: Die "ARN Challenge" - "ARN" steht für "Arctic Race of Norway". Na, Mensch, dafür gäbe ich ja einiges, daran teilnehmen zu können - das wäre ja ganz genau mein Ding! Und meine Fitness reicht locker aus, um jederzeit solch eine 60 km-Strecke abreißen zu können - keine Frage. Das wird mir hier geradezu direkt vor die Füße gelegt. Allerdings: Es gelingt mir leider nicht, so kurzfristig in Bodø ein halbwegs taugliches Fahrrad aufzutreiben (den offenbar einzigen Fahrradverleih der Stadt findet man in der Touristeninformation - die erst wieder öffnen wird, wenn das Jedermannrennen fast schon vorbei ist). Schade - das wäre ja toll gewesen! Am Folgetag, als ich mir dies alles mal anschauen möchte, stellt sich das Jedermannrennen dann eher als eine Radtouren-Fahrt (RTF) heraus, ohne Zeitnahme, im normal fließenden Straßenverkehr und ohne weiteren Wettkampf-Charakter. Und als ich mir das mal anschauen möchte, kommt dabei eine Wanderung heraus - oder, na ja, eher ein ausgedehnter Spaziergang, den ich auf einer externen Wander-Seite beschreibe.
Ein paar Stunden lasse ich mich am ersten Abend durch die Stadt Bodø treiben, finde die Stadt sehr freundlich, sehr gelassen, sehr gemütlich. Auch, wenn Bodø selber wohl nicht für seine Schönheit berühmt werden wird, nehme ich doch recht bald wahr: Ich fühle mich hier einfach wohl! Mit ihrer ruhigen Ausstrahlung entspricht die Stadt mir sehr.
Die neugotische Domkirche von Bodø.
Nach dem Krieg wiedererrichtet: Das Nordlandmuseum.
Nicht unbedingt architektonische Sensationen, aber doch einige Blickfänger entdecke ich dann nach und nach durchaus doch in Bodø. Die neugotische Domkirche mit ihrem separaten Turm ist einen Blick von außen und auch von innen wert (Baujahr 1956). Das Nordlandmuseum sieht nach einem schönen Vorkriegs-Gebäude aus - es zu besichtigen passt nicht so recht in meine Zeitgestaltung (und in der Tat: Es stammt ursprünglich von 1903, wurde im Jahr 1947 nach direkten Bombentreffern beim deutschen Angriff zügig wieder errichtet).
Ein markantes Gebäude direkt am Hafen: Die Bibliothek von Bodø.
Die moderne Stormen-Bibliotek ist nicht nur ein schicker Blickfänger, sondern steht auch an einem der prominentesten Orte der Stadt, direkt am Hafen, direkt am Beginn der Promenade - und die enorme Größe der Bibliothek will einerseits nicht so recht in mein Bild einer 50.000-Einwohner-Stadt passen, drückt andererseits aber sicherlich aus, wie wichtig die Rolle Bibliotheken und damit der Bildung hier genommen wird (etwas, was ich einige Tage zuvor in Malmö auch schon so wahrgenommen habe).
Die historische, rekonstruierte Festung "Nyholms skandse" auf der anderen, von der jetzigen Stadt abgewandten Hafenseite ist sicherlich auch einen Blick wert - ich werde dann auch im Rahmen eines ausgedehnten Spaziergangs am folgenden Tag dort landen.
Das tragische Geschehen um den deutschen Luftangriff am 27. Mai 1940 habe ich schon vorher erwähnt, von der kleinen Stadt blieb damals nahezu nichts übrig.
Die Not war sehr groß, damals in Bodø - vor allem, als der Winter heranzog. Also gab es eine große, humanitäre Geste des skandinavischen Nachbarn Schweden: Man baute für die Bewohner der Stadt am damaligen Stadtrand eine Siedlung aus relativ einfachen, zweigeschossigen Holzhäusern - um ein wenig Unterkunft bieten zu können. "Svenskebyen" wurde und wird die Siedlung genannt: "Schwedenstadt".
Svenskebyen, das Viertel in Bodø, das vom Schweden Roten Kreuz in der größten Not im Zweiten Weltkrieg für die Einwohner der Stadt errichtet worden ist.
Es gibt die Siedlung noch heute - mittlerweile liegt sie mitten in der Stadt, fast schon zentral. Die einfachen Häuser sind zum Teil durch Anbauten ergänzt und erweitert worden. Aber man kann die zur Verfügung gestellte Struktur noch gut erkennen. Es ist heute eine schöne, ruhige, grüne Siedlung in Bodø. Eine Weile treibe ich mich heute, am ersten Abend, auch in Svenskebyen herum. Die mittlerweile 75 Jahre alten Holzhäuser sind top in Schuss, alles Drumherum ist sehr norwegisch-ordentlich. Ohne Frage heutzutage ein bevorzugtes Wohnviertel in der Stadt! Und ganz besonders "hyggelig" - also gemütlich.
So kommt es dann, dass sich in dieser kleinen Stadt in Nord-Norwegen unselige deutsche und wohlwollende schwedische Vergangenheit auch heute noch - friedlich - treffen.
Ebenfalls ein bevorzugtes Wohnviertel ist ohne jeden Zweifel das, was auf großen Schildern "Bodø Panorama 1" genannt wird. Neue, supermoderne Wohnhäuser, sieben- bis achtgeschossig, direkt am Wasser. Als ich dort entlang schlendere, habe ich einige Gedanken mit Konjunktiven (jaja - Norwegen ist ein extrem teures Land aus unserer Sicht, aber...): HÄTTE ich das nötige Kleingeld und HÄTTE ich in diesem Leben die Möglichkeit - DORT würde ich gerne wohnen und leben wollen! Mensch - ist das toll: Nahezu ohne Autos, direkt am Meer mit sensationeller Aussicht, mit riesigen Fenstern für viel Licht, riesigen Balkonen, neu und schick. Potzblitz!
Mit so einem Blick lässt es sich gut (und privilegiert) wohnen, direkt am Wasser in Bodø.
Denn zu dem Zeitpunkt, als ich zu dem Viertel komme, bin ich schon längst hingerissen von dem, was die Stadt Bodø in ganz besonderem Masse ausmacht: Die grandiose Natur der ganzen Gegend! Die Lage von Bodø ist einfach sensationell: Umgeben von enormen, teilweise schroffen Bergmassiven liegt die Stadt direkt am gewaltigen Vestfjord, eigentlich aber auch direkt am Atlantik. Berge, Stadt und Meer ganz direkt beieinander - so etwas hat Deutschland natürlich nicht zu bieten.
Abendstimmung am Vestfjord - mit einem weiten Blick zu den der Stadt vorgelagerten kleinen Inseln.
Und über allem thront ein, ja, wie soll ich es nennen: Ein nordisches Licht. Es ist gegen halb Acht Uhr abends, als ich hier zum ersten Mal hinkomme - und eine gewisse Abendstimmung hat sich bereits breit gemacht. Der Himmel ist wolkenlos, am Horizont, eigentlich rundherum gibt es ein paar sich bildende Wolken. Diese schöne abendliche Stimmung bleibt der Stadt noch stundenlang erhalten. Als ich gegen 22:50 wieder in meinem Hotelzimmer bin, ist es immer noch nicht dunkel, auch, wenn der Sonnenuntergang schon eine Weile her ist. Mein GPS vermeldet hier heute in Bodø Mitte August den Sonnenaufgang für 4:13 Uhr, den Sonnenuntergang für 22:01 Uhr. Aber es liegt noch lange ein tolles, für mich fast magisches Licht über der Stadt und ihrer wunderschönen Umgebung. Als ich um zehn Minuten nach Mitternacht noch einmal aus dem Fenster luge, gibt es immer noch einen hellen Schimmer am Himmel.
Zehn Minuten nach Mitternacht, aus dem Fenster meines Hotels geschaut: Es ist immer noch nicht so richtig dunkel in Bodø.
Nachdem ich am Samstag "von außen" ein klein wenig Rennradfahrer-Luft geschnuppert habe, als ich mir ein wenig die "Jedermänner" angeschaut habe und einen Teil von deren Strecke entlang gegangen bin, steht am Tag darauf dann das "große" Rennen des "Arctic Race of Norway" an: Das Feld der Profis wird sein vier-Tages-Rennen in Bodø beenden - und die Stadt hat sich längst hierauf eingerichtet. Ich mich auch: Ich habe mir heute einfach Zeit eingeräumt, dieses Ereignis anzuschauen. Mal gucken, was da kommt, wie die Stadt diese Besonderheit zelebriert. So etwas, wie einen Zeitplan für das Ereignis habe ich gar nicht. Weiß also nicht, was wann wo passieren wird. Aber das wird sich sicherlich schon finden, denke ich mir, wenn ich am Vormittag einfach mal die paar hundert Meter in die Innenstadt gehe. Auf einem kurzen Schlenker zum Hafen auf dem Weg dorthin sehe ich nur wenige Menschen, und schon beschleichen mich leise Zweifel: Vielleicht lockt so ein Radrennen hier ja kaum jemanden hinter dem Ofen hervor? Vielleicht interessiert es hier dann doch niemanden so richtig und was ich bisher gesehen habe, ist alles nur leere Werbetrommel gewesen?
Eine fast schon gespenstische Leere erwartet mich am Sonntag Vormittag auf dem kurzen Weg in das Stadtzentrum von Bodø: Kein Auto ist unterwegs, nahezu keine Fußgänger zu sehen.
Um mich mit Energie ausreichend für den Tag zu wappnen, habe ich zuvor in meinem Hotel gemütlich und sehr ausgiebig gefrühstückt - das ist dort zwar nicht unbedingt hochwertig, aber halt sehr umfangreich. Ein Fehler, wie ich bald schon merke.
Nachdem es am Vortag grau bedeckter Himmel gewesen ist, ist es heute wieder ein strahlender Sommertag in Bodø, ganz wundervolles Wetter - traumhaft. Zügig orientiere ich mich ins Stadtzentrum. Und als ich gegen 10:30 Uhr dort ankomme, staune ich nicht schlecht! Das, was in den vielen Schaufenstern als "Store Volkefest" angekündigt wurde, findet da gerade statt. Und wie!
Und was tut man also, wenn man die Menschen "hinter dem Ofen hervorlocken" will? Man lädt sie ein - alle! Und genau das passiert hier gerade: Alle Sponsoren des Rennens zusammen haben die gesamte Bevölkerung von Bodø zum Frühstück eingeladen. Verbunden wird das Ganze mit dem Versuch, einen Guinness-Rekord aufzustellen, wie mir eine Dame erläutert, als ich ungläubig vor der Frühstücktafel stehe: Man wolle hier "die längste Frühstückstafel der Welt" errichten - was man dann auch schafft: Die "Kongens gate", die Königsstraße", direkt neben der Domkirke entlang ist auf 450 m Länge komplett mit einer einzigen, durchgehenden Frühstückstafel belegt. Alle, die bei diesem strahlenden Sonnenschein Lust dazu haben, kommen, suchen sich einen freien Platz, und - frühstücken.
Eine 450 m lange Frühstückstafel lockt wohl fast die halbe Stadt in das Stadtzentrum. Die Sponsoren des Radrennens haben kurzerhand eingeladen. Und die Frühstückstafel geht noch an dem Rathaus im Hintergrund (mit dem kleinen Turm) vorbei.
Und das vom allerfeinsten! Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie viele Zentner Lachs ich dort auf den Tischen gesehen habe (ein Hauptsponsor der Rennens ist die Lachs-Industrie, die unter dem Slogan "Laks er vigtig for Norge" - "Lachs ist wichtig für Norwegen" - in Erscheinung tritt, und die auch dem Gesamtsieger des Rennens, ja, wirklich: 500 kg Lachs zusätzlich zum Preisgeld spendiert...). Und über 715 kg Obst (plus ganze Berge an Erdbeeren - hier, nördlich des Polarkreises), 10.500 Scheiben Käse und Wurst, Omeletts aus 7.500 Eiern, Massen frisch geschnittenen Gemüses, 10.000 Brötchen liegen bereit - alles vom Feinsten. Für alle möglichen Getränke ist gesorgt, alles steht bereit, überall wuseln hilfreiche Geister herum und sorgen für stetigen Nachschub. Und: Überall sitzen fröhliche, entspannte Leute, alle plaudern miteinander - keine Spur von nordischer Zurückhaltung. Kennen die sich hier denn wirklich alle? Kaum habe ich die Situation erfasst, bedaure ich schon sehr, in meinem Hotel so üppig zugelangt zu haben... Naja - für eine Handvoll Erdbeeren reicht es dann doch noch: Bei Erdbeeren kann ich einfach nicht widerstehen!
Von dieser Aktion bin ich ja völlig überrascht, fast etwas überwältigt! Denn: Die halbe Stadt scheint da zu sein - und was für eine tolle, freundliche Atmosphäre! Wenn man, wie ich zu Beginn, etwas ratlos und unschlüssig herumsteht, wird man selbstverständlich von aufmerksamen Einheimischen angesprochen. Aber ich denke auch: Was für ein wohlhabendes Land! In dem einfach mal die gesamte Einwohnerschaft einer Stadt völlig unterschiedslos eingeladen wird, von den Sponsoren des Rennens. Und ebenso: Was für ein prima Trick, die Leute zu dem Ereignis in das Stadtzentrum zu locken! Und dann denke ich auch, als ich mir die vielen, vielen edlen Reste anschaue, etwas beschämt die Frage: Ist das nicht schon beinahe übertrieben, fast schon dekadent?
Wer da nicht satt geworden ist, hat selber Schuld: Nach einiger Zeit liegen auf der riesigen Tafel überall nur noch enorme Mengen an Resten herum - ohne viele Gäste.
Als sich gegen 11:30 Uhr die Tische allgemein leeren, schlendere auch ich mal hinüber zur nächsten Parallelstraße am Rathaus, wo sich die Rennstrecke und der Zielbogen befindet. Es ist schon erstaunlich, was hier über Nacht alles entstanden ist. Die Straße komplett abgesperrt und kilometerlang mit Banden gesichert, Container-Gebäude im Zielbereich, zwei riesige Bildschirme für die Zuschauer mit großem Sitzbereich davor, verblüffend wenige Merchandising-Stände, einige Mitmach-Stände, auch für die Kleinen, und, natürlich, ein Stand von "Laks er viktig for Norge", wo man sich ein frisch gegrilltes Stück Lachs abholen kann - natürlich kostenlos. Über die kurze Nacht ist hier eine Art Radrenn-Rummelplatz aus dem Boden gewachsen, gestern am späten Abend ist hiervon noch nichts zu ahnen gewesen.
Es sind noch einige Stunden, bevor die Profis nach Bodø kommen und hier dann noch drei längere Schleifen durch die Stadt drehen werden. Auf den großen Bildschirmen wird das aktuell Spiel der ganz großen norwegischen Sport-Heldinnen, der Damen-Handball-Nationalmannschaft, vom Vortag bei den Olympischen Spielen gezeigt (die Portraits der Handball-Damen zieren z.B. landesweit die Milchtüten in den Geschäften). Durch den Zielraum rauscht das Fahrerfeld eines Rennens für ambitionierte Jugendliche, die "Arctic Heroes of Tomorrow", die mehrere Schleifen durch die Stadt fahren.
Über Nacht völlig verwandelt kommt das Stadtzentrum von Bodø beim Arctic Race of Norway daher - hier die Zielgerade in der "Prinsens gate", der "Prinzenstraße", direkt neben der Domkirke.
Für mich gibt's hier aber aktuell nicht mehr viel zu schauen. Also entscheide ich mich für eine kleine Wanderung - und Wanderwege gibt es um Bodø jede Menge, habe ich inzwischen festgestellt. Ohne nun wirklich zu wissen, ob ich mich da auf etwas Schwieriges einlasse, entscheide ich mich nur nach dem Klang des Ziegs: Ich laufe in Richtung "Keiservarden". Eine Schilderung dieser kleinen Wanderung ist zu finden im zweiten Teil der Extra-Seite zu Wanderungen in Bodø.
Als ich nachmittags gegen vier Uhr wieder im Stadtzentrum bin, direkt im Zielbereich des Rennens, haben sich hier viele Leute versammelt. Viele verfolgen das Rennen auf der Großbildleinwand. Eine kleine Spitzengruppe fährt im Rennen aktuell eineinhalb Minuten vor dem Hauptfeld, als ich mal genauer hinschaue fahren die Herren gerade über die enorme Brücke am Saltstraumen. Ich weiß: Von dort sind es rund 30 km bis Bodø - also habe ich noch eine knappe dreiviertel Stunde Zeit, bis es für die Profis zum ersten Mal hier durch den Zielbereich geht und dann auf drei Runden à 11 km durch Bodø.
Zeit, mich noch ein wenig umzuschauen. Auch Zeit, um mich mal in die kleine Warteschlange vor dem Lachs-Stand anzustellen. Und Zeit, mir, ganz gegen meine üblichen Gewohnheiten, ein Souvenir zu kaufen: Ein schönes, langärmliges und etwas gefüttertes Fahrradtrikot vom Arctic Race of Norway. Das wird unter anderem perfekt für meine winterlichen Fahrten zur Arbeit sein - und wenn "Souvenirs", bzw. ja eher Mitbringsel, in meinen Alltag einfließen, dann mag ich das ganz besonders.
Da lässt sich das "Arctic Race of Norway" bestens beobachten: Auf einer Großbildleinwand im Park direkt neben dem Ziel haben sich viele Leute versammelt. Die Spitzengruppe des Radrennens fährt gerade auf die Brücke am Saltstraumen zu (die ich am Folgetag gleich mehrfach zu Fuß überqueren werden).
An der Rennstrecke bei einer der Runden durch die Stadt: Ein Vorab-Fahrzeug kündigt das Feld der Profis an.
Es ist aber auch Zeit, mal ein wenig zu beobachten, was sich sonst so tut. Überall sind norwegische Fahnen an den Gebäuden an der Rennstrecke. Auf den Balkonen drum herum warten viele Leute. Ist es Stolz, was aus vielen Gesichtern spricht? Es erscheint mir so... Fast schon rührende Szenen beobachte ich: Besonders in Erinnerung geblieben ist die wirklich sehr alte Dame, die gebeugt und nur sehr mühsam über die Straße gehend, doch in beiden Händen je eine der verteilten Papierfahnen vom Arctic Race of Norway hält. Eigentlich kann ich mir kaum vorstellen, dass diese Dame sich besonders für Radrennen interessiert - aber offenbar lässt sie sich, wie viele andere hier, ganz unabhängig von ihrem Alter, einfach von der Stimmung anstecken. Natürlich ziert auch schon längst eine solche Papierfahne meinen Rucksack (und später, nach meiner Rückkehr nach Hause, eine meiner Zimmerpflanzen).
Bei der ersten Durchfahrt der Profis sehe ich, dass das kleine Führungsfeld es bis hierhin geschafft hat, die Führung zu behalten - aber der Vorsprung wird kaum halten, um ihn ins Ziel zu bringen. Ansonsten ist es so, wie es als Zuschauer bei einem Radrennen so ist: Binnen weniger Sekunden rauscht das Fahrerfeld vorbei - man erkennt niemanden, man staunt über die enorme Geschwindigkeit, die enge Dichte des Feldes und den Fahrtwind, den diese Menschen auf Rädern erzeugen.
Zurückgeeilt zum Großbildschirm, erkenne ich, dass ein deutscher Fahrer in der Spitzengruppe dabei ist: Fabian Wegmann aus Münster - auch mir, als nicht gerade Experte im Profi-Radsport, schon lange ein Begriff. Es ist hier sozusagen auf seiner "Abschiedstour" - zum Ende des Jahres wird er nach 14 Jahren seine Profikarriere beenden. Als ich mir vornehme, ihm abseits von der Menschenmenge in der nächsten Runde eine persönliche Anfeuerung zuzurufen - kann ich sein markantes weiß-blaues Trikot in der verkleinerten Spitzengruppe nicht mehr finden. Schade!
Viele tausende Zuschauer haben sich in der Endphase des Rennens an der Strecke versammelt.
Den Rennverlauf verfolge ich durchaus neugierig auf der Großbild-leinwand. Die kleine Ausreißergruppe hat keine Chance, es kommt zu einem großen Massenspurt. Gewinnen tut nicht, wie sicherlich von fast allen hier gewünscht, der norwegische Sprintstar Alexander Kristoff, sondern um Haaresbreite vor ihm der Deutsche John Degenkolb. Trotzdem: Applaus, Applaus allerorten. Es ist dem deutschen Radstar sehr zu gönnen, er hatte ein "Seuchenjahr": Nach einem schweren Zusammenstoß mit einem Auto bei einem Training in Spanien im Januar des Jahres war zunächst gar nicht klar, ob er seine Karriere wegen Verletzungen an der Hand überhaupt wird fortsetzen können - und dies ist der erste Sieg des Berufsfahrers nach diesem kapitalen Unfall.
Ehre, wem Ehre gebührt: Der deutsche Tagessieger der vierten Etappe, John Degenkolb. Er durfte kurz danach noch einmal auf's Treppchen - als Gesamtsieger der Punktewertung des Rennens.
Es ist Viertel nach sechs Uhr, als das Spektakel zu Ende geht und Bodø wieder zur Ruhe kommt. Und auch, wenn ich ein solches Ereignis nicht erwartet und eingeplant habe: Ein schönes und beeindruckendes Erlebnis ist dieses Radrennen hier, nördlich des Polarkreises, allemal gewesen!
Abends zieht es mich aber wieder zum Hafen: Der unfassbar schöne Sonnenuntergang des Vorabends (s. Wanderreisebericht) lockt mich an. Heute allerdings gibt es nicht ein solch hinreißendes Naturspektakel - ein schönes Abendlicht bleibt aber trotzdem wieder für Stunden erhalten. Toll ist es am Wasser in Bodø immer!
Und dann ist es wieder grau in Bodø, am Tag, als das große Ereignis vorbei ist - der schöne Sonnenschein des Vortags ist wieder weg. Meine Idee für heute: Ein Ausflug zum Saltstraumen, dem stärksten Gezeitenstrom der Welt. Eine Sehenswürdigkeit rund 30 Straßenkilometer südöstlich von Bodø. Dorthin zu kommen ist leicht, auch, wenn man nicht per Auto unterwegs ist: Linienbusse fahren recht häufig dorthin. Ich entscheide mich, am Flughafen in den Bus einzusteigen. Das hat den Vorteil, dass ich mir auch noch das Luftfahrtmuseum anschauen kann, das dort angesiedelt ist.
Und der Flughafen, das ist sicherlich eine Besonderheit in Bodø, ist nur einen bequemen Spaziergang vom Stadtzentrum entfernt. Er wird sowohl zivil, als auch militärisch genutzt. Letzteres wird mir auch meinem Weg dort schnell und unangenehm bewusst, als zwei Militärjets lärmend starten. Diesen infernalischen Lärm habe ich in meiner Kind in einem Tiefflug-Gebiet alltäglich erleiden müssen - aber in der letzten Jahrzehnten in der Großstadt fast schon vergessen. Bis zu diesem Moment hier... Die armen Leute, die in der Nähe des Flughafens leben! Immerhin plant man, den Flughafen von Bodø ein paar Kilometer zu verlagern.
Vor dem Luftfahrtmuseum kann man bereits den kleinen Tower sehen, der zur Ausstellung dazugehört. Die aufgesockelte Original-Spitfire der britischen Streitkräfte des Zweiten Weltkriegs zeigt schon einiges von dem, was man im Museum erwarten kann.
Blick durch einen Teil des Halle mit der militärischen Ausstellung im Luftfahrtmuseums.
Das "Norwegische Luftfahrtmuseum Bodø" erfüllt meine Erwartungen nur halbwegs, zumal ich eh nicht ausgesprochener Fan von Flugzeugen bin und hier gerade nur eine Gelegenheit nutze. Etwas ärgerlich ist es aber schon: Erst nachdem man bezahlt hat (wohl den vollen Preis), erfährt man, dass die Hälfte der Ausstellung geschlossen ist. Der gesamte zivile Bereich - geschlossen. Ärgerlich! So bleibt mir nur, die durchaus umfangreiche militärische Abteilung des Museums in einer großen Halle zu besichtigen. Nun ja - Kriegsgerät ist ja nun nicht unbedingt mein Lieblingsinteresse. Aber es ist doch insgesamt recht interessant, viel, ja, sehr viel Raum nimmt der Zweite Weltkrieg ein. Es gibt insgesamt aber durchaus eine beeindruckende Sammlung an Original-Flugzeugen zu sehen, auch aus der Nachkriegszeit mit etlichen Randinformationen.
Blick vom nachgebildeten "Tower" des Luftfahrtmuseums in Bodø.
Rund zwei Stunden treibe ich mich hier herum, verpasse dabei einen offenbar enormen Regenschauer - der einzige während meines Aufenthalts in Bodø. Dann wird es auch Zeit, zur Bushaltestelle am Flughafen zu gehen. Eine Stunde später verlasse ich den spärlich besetzten Linienbus direkt vor der Brücke am Saltstraumen. Als erstes fotografiere ich in solchen Situationen immer den Fahrplan ab: Bis zum Abend fast stündlich kann ich mit dem Linienbus zurück fahren, kein Problem.
Als erstes fällt mir allerdings die schöne Holzkirche des Ortes auf. Als ich dann auf die hohe Brücke schlendere, gilt mein Blick zunächst mal gar nicht so sehr dem Geschehen unten in dem engen Sund. Viel mehr geht mein Blick in die Runde. Und da sehe ich wieder mal viel von dem, was ich an Norwegen so spannend finde: Eine wilde, weitgehend ungezähmte Landschaft, in der sich die Menschen an den möglichen Orten einfädeln und niederlassen. Hinter tief hängenden Wolken zeichnen sich schroffe, spitze Berge ab: Das nahe gelegene Gebirge Børvasstindan mit Gipfeln bis 1.177 m wird auch von Wolken umschlungen.
Die Holzkirche am Saltstraumen.
Blick in die großartige Umgebung vom Saltstraumen: Ein Teil der Gebirgskette Børvasstindan beeindruckt mich zunächst mehr, als der Gezeitenstrom.
Was für eine rundum beeindruckende Szenerie! Die Strudel in dem Sund unter mir faszinieren mich einstweilen gar nicht so sehr. Aber: Ich habe auch gar nicht weiter darauf geachtet, wie die Gezeiten jetzt denn eigentlich sind. Und da dies ja ein Gezeitenstrom ist, gibt es da Zeiten, zu denen es weniger stark strömt, und es gibt Zeiten, zu denen es stärker durch die kleine Meerenge strömt. Momentan ist zwar nicht gerade Flaute - aber auch kein besonders wildes Rauschen.
Also nehme ich mir hier einfach Zeit, mir die Umgebung anzuschauen. Und auch, wenn die Strudel im Wasser von der Brücke aus zunächst gar nicht so spektakulär aussehen: Wenn man direkt am Rande des Gewässers steht, dann hat man schon das Gefühl, dass man in diese Fluten, in diesen Sog nicht unbedingt hinein geraten möchte. Aus der Nähe betrachtet, rauscht das Wasser doch mit enormer Energie in Richtung Meer. Irgendwo lese ich, dass sich hier mit jedem Wechsel der Gezeiten insgesamt 400 Millionen Kubikmeter Wasser durch den 150 m breiten Sund hindurch zwängen.
Die geschwungene Brücke über den Gezeitenstrom Saltstraumen. Im Vordergrund kann man den enormen Sog in Richtung Meer schon etwas erahnen.
Bei dem enormen Sog des Wassers entstehen mit der Zeit, je länger ich hier bin, immer beeindruckendere Strudel - die man von der hohen Brücke wunderbar beobachten kann.
Hm - das klingt nach viel Wasser! Aber so eine rechte Vorstellung davon, wie viel 400 Millionen Kubikmeter eigentlich sind, habe ich erstmal gar nicht. Ich weiß zwar, dass das dann 400 Millionen Tonnen an Gewicht entspricht. Ein großes, modernes Auto wiegt knapp zwei Tonnen. Also rauschen hier bei jedem Gezeitenwechsel, binnen sechseinhalb Stunden also, die Masse von 200 Millionen Autos durch. Oder auch 4 Millionen Lokomotiven (wobei ich gar nicht weiß, ob es so viele Lokomotiven auf der ganzen Erde überhaupt gibt)... Potzblitz! Das ist ja mal eine Ansage!
Mit der Zeit wird das Naturereignis auch immer sichtbarer, eindrucksvoller. Ich erwische mich dabei, wie ich eine ganze Weile lang auf der Brücke stehe und etwas versunken diese sich bildenden Strudel starre. Der Effekt ist ähnlich, wie am Meer zu stehen und die Wellen zu beobachten: Man kommt in einen gewissen kontemplativen Zustand.
Mit der Zeit sammeln sich mehr und mehr Zuschauer, die das Naturereignis am Saltstraumen aus der Nähe betrachten.
Es gefällt mir gut hier - es ist ein beeindruckender Ort. Schön, dass der Himmel nach und nach etwas auflockert - langsam finden sich auch ein paar Leute ein, nachdem ich den Strom eine gute Stunde lang fast ganz für mich allein hatte. Was darauf hindeutet, dass ich nicht die "optimale Zeit" erwischt habe.
Ein guter Ausflug! Und meine Aufenthaltszeit von zweieinhalb Stunden hat mir letztlich völlig gereicht. Ob ich dabei nun auch den Höhepunkt des Gezeitenstroms mitbekommen habe, weiß ich gar nicht - aber das spielt auch gar keine große Rolle. Das Naturschauspiel an sich ist auch so beeindruckend genug.
Um es kurz zu machen: Ich habe mich einfach wohl gefühlt in Bodø! Die Stadt ist viel toller, als ich zuvor vermutet habe.
Ja, ist es wirklich so gewesen, dass ich bei Ankunft ist Grübeln kam, was ich denn hier vier Tage lang machen solle? Nach vier Tagen in Bodø ist mir völlig klar: Die Zeit ist viel zu knapp bemessen gewesen. Hier könnte ich auch zehn Tage oder auch zwei Wochen verbringen, ohne jede Probleme. Dabei ist es nicht nur die Stadt Bodø selber, die so anziehend ist - die Stadt ist ein angenehmer, ruhiger Pol. Und an einigen Punkten auch einen zweiten Blick wert.
Bodø ist allerdings perfekt geeignet, um die grandiose Umgebung mit tollen Wanderungen zu erkunden. Ohne Zweifel sind auch großartige Radtouren an der Küste möglich. Mit den Fähren lassen sich Touren zu den zahlreichen Inseln machen und diese kennenlernen. Ob es möglich ist, eine Tagestour zu den Lofoten zu unternehmen, habe ich gar nicht weiter versucht, herauszufinden. Aber: Die Umgebung hat ungeheuer viel zu bieten. Z.B. ist in meinen vier Tagen nicht wirklich daran zu denken, das Hamsun Center, das mir meine Osloer Freundin ein paar Tage zuvor empfohlen hat, zu besuchen - viel zu wenig Zeit...
Und dann hat Kommissar Zufall bei meinem Besuch ja noch eine erhebliche Rolle gespielt und mir mit dem besonderen Großereignis in Bodø, der letzten Etappe des internationalen Radrennens "Arctic Race of Norway" und einem sensationellen Frühstück für die ganze Stadt, etwas sehr Außergewöhnliches beschert. Als Radsport-Freund ist das so etwas wie ein Volltreffer für mich und einen kompletten Tag wert.
Bodø, die Stadt der Seeadler - 2016 zur attraktivsten Stadt Norwegens gekürt - ist sicherlich noch so etwas wie ein Geheimtipp. Aber die Stadt ist eine Reise wert! Das entstehende Programm zum Jahr der Europäische Kulturhauptstadt im Jahr 2024 werde ich jedenfalls genau im Blick behalten...
Ach - dieses nordische, abendliche Licht! Dieses Foto ist zwanzig Minuten vor elf Uhr in der Nacht entstanden und der Blick geht vor dem Bahnhof von Bodø entlang über den Hafen in die bergige Umgebung der Insel Landegode.
Ein Wandbild im Zentrum von Bodø: Was für eine (augenzwinkernde) Zerstörung einer Illusion über die Entstehung von Polarlichtern - und ich dachte hier schon beinahe, ich hätte echtes Nordlicht gesehen...
Mit dem Zug geht es aus Bodø nun nicht mehr weiter nach Norden. Warum ich jedoch für meine letzte Etappe nach Norden, der Reise nach Tromsø, nun das Flugzeug gewählt habe, kann ich im Nachhinein gar nicht mehr recht nachvollziehen. Eigentlich ist mir die Möglichkeit, mit dem Bus dorthin zu fahren, gar nicht recht durch den Sinn gegangen. Schade! Die Möglichkeit wäre sicherlich interessant gewesen...
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