Reisebericht Poznań/Posen -
  Zwei sehr unterschiedliche Besuche in
  Poznań/Posen in Polen:
  Zwei Monate 1987 - und zwei Tage 2008

Ein Reisebericht aus Poznań/Posen in Polen.
   mit 42 Bildern



Poznan Posen - Rathaus, Ratusz

Abendliches Sonnenlicht-Spiel rund um das Rathaus auf dem Altstadtmarkt in Poznań (auf deutsch: Posen) in Polen.

Es war wirklich etwas aufregend für mich, als ich im Juli 2008 in Berlin in den Zug stieg, um eine alte Liebe zu besuchen. So, wie man halt aufgeregt ist, wenn man plant, nach 21 Jahren einer alte Liebe wieder zu begegnen. Es ist wohl menschlich: Nach 21 Jahren hat man das meiste Unschöne vergessen und erinnert sich vornehmlich noch an die tollen, schönen, schillernden Seiten. Verklärt ein wenig die Wahrheit. Und ich wollte endlich einer alten Liebe von mir wieder begegnen! Ihr Name: Poznań.

Und es zeigt sich: Alte Liebe rostet nicht!

Die zwei Monate von Juni bis August 1987 in der früher einmal deutschen Stadt Posen hatten großen Eindruck bei mir hinterlassen, das Leben in dem Studentenwohnheim war großartig gewesen, mit 30-40 Studenten aus allen möglichen europäischen Ländern sowie natürlich zahlreichen polnischen Studenten gab es einen interkulturellen Austausch vom Feinsten - interessant, lustig, lehrreich, spannend, lebendig! Und fantastische Partys... So eine gute Zeit hinterlässt dann natürlich auch ein gutes Gefühl zu der Stadt. Ich liebte dieses große Erlebnis! Und ich liebte diese Stadt! Aber am besten beginne ich die Schilderung mit einem Zeitsprung...

 

Es war einmal eine Reise. Eine Reise, die eigentlich nur ein paar Hundert Kilometer Strecke ging, aber doch von einer Welt in eine völlig andere. Eine Art von Reise, wie sie damals nicht ungewöhnlich war. Heute jedoch unvorstellbar - von dieser Welt verschwunden sind mit dem Eisernen Vorhang auch die absonderlichen Rahmenbedingungen.

Im Juni 1987 jedenfalls kam meine Fahrt von Braunschweig nach Poznań (in Deutschland auch heutzutage immer noch besser unter dem früheren Namen Posen bekannt) nahezu einer Weltreise gleich! Ich war Student, hatte eher durch einen Zufall einen Praktikumsplatz in der Telefonzentrale von Poznań in Polen ergattert und wollte dieses Praktikum nun angehen. Dies war nicht ohne Aufwand möglich: Ich erinnere es nicht im Detail, weiß aber noch, dass ich eine ganze Anzahl an Bescheinigungen zusammentragen musste, die ich für das Visum für Polen benötigte. Und es dauerte Wochen, bis ich eben dieses Visum mit dazugehöriger Arbeitsberechtigung in meinem Pass vorliegen hatte.

 

 

 

Auch die Fahrt selber kam damals einem Abenteuer gleich - Grund genug dieses mal ausführlicher zu schildern. Schließlich führte der Weg mich direkt durch den "Eisernen Vorhang", mitten hinein in den "real existierenden" Sozialismus. Und dieser wusste sich gegen die imperialistische Jugend, in diesem Falle also gegen mich, durchaus zu schützen! Kaum hatte der mit Mensch und Kartons vollgestopfte Zug (der Name "Paris-Moskau-Express" klang gewaltiger, als es der Zug dann war, man hatte lediglich ein paar wenige, uralte Waggons zusammengehängt) zu nächtlicher Stunde Braunschweig verlassen, da kam - rumpel, polter: Abteiltür auf - die erste Kontrolle durch den Bundesgrenzschutz. Das Ganze ging ziemlich zügig und unkompliziert durch einen kurzen Blick in die Pässe vor sich. Tür zu! Rumpel, polter, Tür auf: Fahrkartenkontrolle, Tür zu! Der Zoll kam nicht einmal in alle Zugabteile hinein, ging durch die Waggons und lugte auf die großen Kartons, die von den meisten Reisenden im Gang platziert waren. Fertig.

Nach nicht einmal einer halben Stunde Fahrt war man dann in der DDR - und es begann in Marienborn ein neuer, nun ernsthafter Kontrollreigen. Die Grenzsoldaten polterten durch den Zug, - Tür auf/Tür zu - kontrollierten penibel Pässe und Personen, stempelten auf ihrem "Bauchladen" eifrig Transitvisa in die Pässe und kassierten, wenn es nicht nur nach West-Berlin ging, dafür ein paar Mark Gebühren. Es folgte ein weiteres Organ der DDR-Staatsmacht: der Zoll - rumpel, polter, Tür auf. Gepäckstücke wurden kritisch gemustert und gerne auch mal penibel durchgesucht, von der Abneigung gegen die zahlreichen polnischen Reisenden im Zug wurde kein Hehl gemacht. Tür zu!

Dann, wieder unterwegs, kam die nächste nächtliche Störung: eine uniformierte Dame, ich wusste auch damals nicht, welcher Institution, fragte gestrenge nach, ob man denn Geld in Mark der DDR tauschen wolle. Rundum müdes, verständnisloses Kopfschütteln - warum DDR-Mark? Obwohl es schon Ende Juni war, war es draußen schließlich noch dunkel und man war zumeist doch ruhebedürftig. Recht gemütlich rumpelte der Ost-West-Express durch die DDR. Rumpel, Tür auf: Fahrkartenkontrolle! Tür zu!

Ein Stück vor Berlin - es wurde mittlerweile langsam hell - kam der Zug dann wieder zum Stehen. Erneute Kontrollen: Zoll, andere Grenzer, Abteiltür auf, Tür zu, Tür auf, Tür zu. Als ich das Fenster öffnete und hinausschaute, konnte ich beobachten, wie zwei DDR-Grenzer mit einem Schäferhund und mit Spiegeln den ganzen Zug abgingen und penibel von außen kontrollierten, ob sich irgendwo (vielleicht auf den Achsen, wie in alten Western?) jemand versteckt hielt. Sicher wurde der Zug auch von anderen Kontrollposten von oben beobachtet. Schließlich musste der "antifaschistische Schutzwall" wieder überwunden werden - für einen kurzen Stopp im Bahnhof Zoologischer Garten in West-Berlin.

Immerhin: Auf den paar Kilometern in West-Berlin ersparten sich die Westmächte weitere Kontrollen und ließen den Zug einfach so durch...

Poznan / Posen - Bibliothek Raczynski

Die Bibliothek Raczyński, 1829 die erste öffentliche Bibliothek von Poznań. Tags wie nachts schön anzuschauen!

 

 

 

Dann jedoch war die Freiheit schon wieder überwunden, im Bahnhof Berlin-Friedrichstraße (man konnte sehen, dass unter dem Dach des Bahnhofs ein Rundgang installiert worden war, auf dem schwer-bewaffnete Grenzsoldaten langsam patrouillierten) stiegen wieder DDR-Grenzkontrollorgane ein und begannen stoisch aber korrekt ihre Kontrollen - Tür auf, Tür zu! Der Zug fuhr während dessen weiter - bis zum Bahnhof Berlin-Ostbahnhof, damals hieß er Hauptbahnhof. Dort gab es wieder eine ausgedehnte Pause: Der Zug hielt auf einem offenbar extra hierfür vorgesehenen Bahnsteig, wohl dem südlichsten der zahlreichen Bahnsteige. Über Lautsprecher wurde darauf hingewiesen, dass der Zug im Transitverkehr fahre und den Transitreisenden jegliches Aussteigen strengstens untersagt sei! Dieser Ansage wurde Nachdruck verliehen durch die zahllosen Grenzsoldaten, die sich außen vor dem Zug jeweils in ca. vier bis fünf Meter Abstand voneinander aufgestellt hatten. Mit geschultertem, sicherlich scharf geladenem Gewehr, versteht sich. Bedrohlich!

Wie gefährliche Schwerverbrecher wurden die Reisenden ins "Bruderland" Polen behandelt, alles wurde strengstens bewacht, kein Platz für Freundlichkeit. Es bestand nicht der leiseste Zweifel daran, dass man hier auf der Stelle zumindest verhaftet, wenn nicht gar erschossen werden würde, wenn man etwas so unbedachtes machen würde, wie einen für etwa eine knappe Stunde im Bahnhof stehenden Zug verlassen.

Ca. 10-12 Meter vor mir, gerade mal einen Bahnsteig weiter, standen, kamen und gingen die Ost-Berliner, auf dem Weg zu ihrer Arbeit - sichtlich müde zumeist. Ich hingegen bin ob dieser sonderbaren Situation hellwach! Sie lugten zu dem martialisch bewachten Zug herüber, beobachteten gelassen die Szenerie, manchmal gab es ein kurzes Lächeln, Kopfnicken oder gar ein schnelles Winken. Egal ob das Ziel dieses Zuges nun im Osten oder im Westen lag: für die weitaus meisten DDR-Bürger war das Ziel meines Zuges in jedem Fall absolut unerreichbar, schließlich konnte man ja auch nicht ohne weiteres in die östlichen Nachbarstaaten reisen.

Sehr lustig fand ich, aus dem offenen Zugfenster heraus die DDR-Grenzer zu beobachten. Sie mochten es überhaupt nicht, wenn man ihnen freundlich und frei ins Gesicht schaute. Man merkte, wie sie dann verunsichert versuchten, jeden Blickkontakt zu vermeiden und unruhig hin und her guckten. Junge Burschen eben, die mit militärischem Drill, aber auch viel spürbarer menschlicher Unsicherheit, in einer doch höchst sonderbaren Situation Kontrolle standen - und sich nicht wirklich wohl dabei fühlten.

Insgesamt hat sich auch gerade diese Situation als eine der absurdesten und bizarrsten in meinem ganzen Leben in meine Erinnerung eingeprägt. Heutzutage, in der Rückschau, erscheint sie mir noch merkwürdiger - erst recht, wenn ich mir die völlige Normalität auf dem Berliner Ostbahnhof in der jetzigen Zeit anschaue.

Nachdem der Zug auf die gleiche Weise, wie schon in Marienborn, durchkontrolliert worden war, ging die Fahrt nach ca. einer Stunde weiter, ohne Stopp bis nach Frankfurt/Oder. Nur mit der üblichen Fahrkartenkontrolle, Tür auf, Tür zu. Der zahlreichen Kontrollen müde geworden erinnere ich mich nicht mehr an den genauen Ablauf der ausgiebigen Kontrollen in Frankfurt - nur an die pausenlosen und übertrieben freundlichen Lautsprecherdurchsagen auf dem Bahnhof erinnere ich mich noch, man wünschte eine gute Weiterfahrt und würde sich freuen, einen bald wieder in der DDR begrüßen zu können. Ja, verdammt nochmal: Dieser Freude hätte man doch auch vorher schon mal Ausdruck verleihen können! Über die Oder ging es dann nach der erneuten Kontrollorgie endlich ab nach Polen, genauer: In die Volksrepublik Polen.

Kurz darauf der nächste Stopp: in dem Dorf Kunowice, der polnischen Grenzstation, betraten die polnischen Grenzautoritäten den Zug. Diese kontrollierten jedoch immerhin während der Fahrt. Zwar auch gestrenge, aber doch weitaus entspannter, als dies die DDR-Kollegen getan hatten:  Tür auf, Tür zu, Tür auf, Tür zu, Tür auf, Tür zu. Komplizierte Zollformulare sind auszufüllen, um für die Rückfahrt zu dokumentieren, was man an Wertgegenständen alles einführt und also wieder ausführen darf.

Nach weiteren drei Stunden Fahrt, zumeist durch endlos scheinende polnische Kiefernwälder, und nur einer weiteren Fahrkartenkontrolle hatte ich endlich mein Ziel erreicht: Poznań. Lange Zeit war das die deutsche, bzw. preußische Stadt Posen, liegt seit Ende des Ersten Weltkrieges nun in Polen - als Folge des weit nach Westen verschobenen polnischen Staatgebiets des wieder unabhängigen Staates.

 

 

 

Direkt nach meiner Ankunft 1987 durfte ich damals übrigens ein erstes mal in den Genuss der sehr großherzigen polnischen Fürsorge und Gastfreundschaft kommen: Mitreisende aus dem Zug, die auch hier ausstiegen, sorgten ohne viel Aufhebens und einfach so ohne Gegenleistung dafür, dass Ihre Verwandten, die sie abholten, mich auch noch mit ins Auto aufnahmen und mich kurzerhand ein paar Kilometer bis vor die Tür des Studentenwohnheims brachten, in dem ich die meiste Zeit meines Aufenthalts leben würde. Welch ein großartiger erster Eindruck von einer Stadt ist ein solches Ankommen!

Die meisten seiner rund 560.000 Einwohner leben in den um den Stadtkern herum gebauten, gewaltigen Plattenbausiedlungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Stadt nahezu komplett in Schutt und Asche. Wie in vielen polnischen Städten wurden Teile der Altstadt jedoch weitgehend originalgetreu wieder aufgebaut - der Altstadtmarkt mit dem Rathaus präsentiert sich sehr schön, 1987 wie auch 2008! Bekannt war schon zur damaligen Zeit die Industriemesse in Poznań, zu der auch damals schon regelmäßig auch zahlreiche westliche Firmen erschienen. Von daher hatte man in Poznań seit vielen Jahren auch schon ein Stück der "großen weiten Welt" zu Gast. Ein Unterschied zu fast allen anderen polnischen Städten, damals. Die zahlreichen westlichen Plastiktüten, mit denen man 1987 viele Einheimische im Alltag sah (sehr häufig vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung), zeugten davon. Plastiktüten aus dem Westen - sie waren leicht erkennbar ein Statussymbol der Einheimischen!

Poznan / Posen - Messegelände

Das Messegelände direkt am Hauptbahnhof machte Poznań schon zu sozialistischen Zeiten zu einer internationalen Stadt, vor allem mit seiner Industriemesse. Der charakteristische Turm kam mir noch bekannt vor - alles andere aber top-modernisiert.

 

 

 

Warum ich jedoch die mühsame und ca. 12 Stunden dauernde Anreise von 1987 so ausführlich geschildert habe, möchten Sie wissen? Nun, dieser komplizierte Akt der Einreise nach Polen in meiner Erinnerung erklärt, warum ich eine heutige Fahrt nach Polen fast als ein Weltwunder empfinde.

Und Sie möchten auch wissen, warum ich zu dieser Stadt ein solch inniges Gefühl habe? Nun, das hat mit einigen schönen Orten der Stadt zu tun, aber viel mehr mit den Menschen, die ich dort getroffen habe. Ich konnte, wie schon kurz geschildert, die polnische Gastfreundschaft ausgiebig genießen. Die freundliche Gelassenheit der Polen, der hintersinnige Humor mit der feinen Selbstironie und dem manchmal bissigem Sarkasmus der Obrigkeit gegenüber gefielen mir. Man ließ sich einfach nicht wirklich unterkriegen - auch, wenn man manchmal doch etwas müde ob diesen Ringens wirkte. Aber dieses gewisse störrische der Menschen beeindruckte mich, und kaum irgendwo ist dies besser dokumentiert, als in der polnischen Nationalhymne, sie beginnt mit den Worten "Noch ist Polen nicht verloren!".

Auch die Umstände damals, mit der internationalen Gruppe in diesem Land, alles ebenso interessierte wie interessante Menschen, sorgte natürlich dafür, dort, in Poznań einfach eine fantastische Zeit erlebt zu haben. Grund genug, zu sagen: Diesen Ort liebe ich!

Aber jetzt schnell ein Zeitsprung zurück, in die Gegenwart. 21 Jahre später, Juli 2008. Diesmal geht die Fahrt zwar nicht von Braunschweig aus, es reicht, irgendwo in Berlin in den jetzigen "Berlin-Warschau-Express" einzusteigen. Man kauft sich "einfach so" am Schalter (oder auch im Internet) ein Ticket nach Poznań, steigt in den Zug und lediglich den Schaffner interessiert es, ob man einen Fahrschein hat - alles weitere ist mittlerweile uninteressant geworden, keine Stempel, keine Pässe, keine Zollformulare, nichts dergleichen. In Frankfurt/Oder: Keine Lautsprecher beschallen einen dort heutzutage. Den peniblen Kontrollwahn hat die Zeit einfach hinweggespült... Der Wende in den osteuropäischen Staaten, der EU, dem Schengener Abkommen sei Dank!

Die Fahrt von Berlin nach Poznań dauert heutzutage mit dem Intercity knapp drei Stunden, dann steige ich in Poznań Główny, dem Hauptbahnhof, aus dem Zug. Völlig entspannt, die ganze Fahrt. Was für eine Änderung! Vor zwanzig Jahren unvorstellbar!

Sofort bemerke ich: Der Bahnhof von Poznań hat sich nur wenig verändert, ein paar mehr bunte Verkaufsstände sind in seiner Halle, viel mehr Werbeflächen gibt es. Kaum mehr Leute als früher wuseln dort herum, aber eigentlich bin ich verblüfft, dass doch alles genau so ist, wie ich es erinnere.

 

 

 

Den Weg in die Innenstadt finde ich problemlos wieder - und muss schnell erkennen: die 21 Jahre Zeitunterschied haben die Stadt um einiges bunter gemacht, anderes aber auch abgenutzt. Die Autos auf den Straßen sehen größer und bunter aus und es sind mehr geworden - aber das hat sich im Westen wohl auch etwas verändert in den Jahren, nur für meine Wahrnehmung schleichender.

In der Innenstadt finde ich natürlich massenhaft neue Geschäfte - viele sind die gleichen Kaufhausketten, die ich auch von Zuhause so kenne. Ein großes, schickes und topmodernes Einkaufszentrum zeigt, dass es offenbar etlichen Leuten auch gut geht. Aber ich muss auch erkennen, dass sich die Grundstruktur der Stadt gar nicht wesentlich verändert hat - natürlich! Die Wunderdinge, die ich mir irgendwie insgeheim ausgemalt hatte, es hat sie nicht gegeben. Warum auch? Und wodurch?

Insgesamt ist es der Stadt gelungen, den Charme, den sie schon damals hatte, noch etwas auszubauen. Die Häuser am repräsentativen Alten Markt, schon damals in durchaus ansehnlichem Zustand, sind neu renoviert und erscheinen mit den erneuerten Farben etwas frischer. Das Gebäude meiner alten Arbeitstelle, der Telefonzentrale von Poznań, erscheint nicht mehr in einem, durch ein Gemisch aus Farbe, Russ und Staub erzeugtes, dunkelbraungraugelbschwarz, sondern es strahlt in einem frischen, freundlichem beige. Die Baustelle von damals, direkt nebenan, die 1987 schon seit Jahren bestand und die aufgrund des Mangels von Baumaterial binnen der zwei Monate meines Aufenthaltes um keinen Handgriff vorankam (obwohl immer mindestens um die zehn Arbeiter dort waren), sie ist tatsächlich beendet worden und beherbergt ein Museum - wenn auch nicht das Naturkundemuseum, das man damals errichten wollte. Das Studentenwohnheim, in dem ich die Wochen 1987 verbrachte, steht auch noch - auch dieses ist augenscheinlich runderneuert worden, der Außenwandputz besteht nicht mehr aus dieser dicken, merkwürdigen, aufgespritzten Schicht aus Pappe-Fasern, die man einfach so abpulen konnte. Am Eingang sitzt jedoch immer noch ein "Concierge" und wacht über die Schlüssel zu den Zimmern.

Poznan / Posen - Kaufhaus Okraglak

Das charakteristische Kaufhaus Okrąglak ("Rundling"). 1987 zuweilen Ausgangspunkt von enormen Warteschlangen. Vor allem, als mal Kochtöpfe verkauft wurden.

 

 

 

Ein markanter Unterschied ist augenscheinlich, dass die allgegen-wärtigen Warte-schlangen aus dem Stadtbild verschwunden sind - aber das ist ja auch klar! Man lebt ja jetzt im Kapitalismus. Damals stand ich täglich im Schnitt eine Viertelstunde für das frische Weißbrot an, dass es nur an einer einzigen Stelle in der Stadt gab (ansonsten überall eher muffiges, industrielles Graubrot) und das einem für umgerechnet ein paar Pfennige kochend heiß und frisch aus dem Backofen in die Hand gedrückt wurde. Einmal während meiner zwei Monate Aufenthalt 1987 wurde Toilettenpapier verkauft, in einzelnen Rollen, in Papierwarengeschäften - es gab enorme Warteschlangen hierfür. Auch wenn, was ich ebenfalls einmal erlebte, die "besten" Zigaretten des Landes verkauft wurden, bildeten sich lange Warteschlangen vor den Kiosken (für mich als "Westler" kostete eine solche Schachtel dann immerhin umgerechnet rund 40 Pfennige. Die einfachen, immer erhältlichen "Standardzigaretten" Popularne, ohne Filter und extrem stark, kosteten dagegen für mich nur 4,5 Pfennige - pro Schachtel, wohlgemerkt!). Die längste Warteschlange, die ich im Sommer 1987 in Poznań überhaupt erlebt hatte, war ca. 300 Meter lang, bildete sich vor dem immer noch stehenden runden Kaufhaus unweit des heutigen Platz Wolności, nah an meiner damaligen Arbeitsstelle. Dort hatte man sich seinerzeit gar nicht die Mühe gemacht, die Ware in das Kaufhaus hinein zu transportieren. Man verkaufte sie direkt aus großen Pappkartons von den Stufen der Zugänge zum Kaufhaus. Die Besonderheit im Angebot waren - Kochtöpfe... Man stand offenbar stundenlang dafür an. Wahrscheinlich wurden zum Schluss auch noch die leeren Pappkartons verkauft.

Im Reisebüro "Orbis" in der Innenstadt musste ich damals eine sehr komplizierte und merkwürdige, komplett in polnischer Sprache durchgeführte Prozedur sowie fünf Stunden Wartezeit über mich ergehen lassen, um dann die Möglichkeit zu haben, mir für ein paar Mark die Zugfahrkarte für die 10-stündige Rückfahrt kaufen zu können (man musste sich beispielsweise dort morgens um sieben Uhr eine verbindliche Nummer sagen lassen, um bei der großen Menschenmenge überhaupt die Chance zu haben, an dem Tag an einen Schalter vorgelassen zu werden - meine Nummer wurde dann irgendwann mittags aufgerufen und ich musste schon sehr genau hinhören, um sie zu identifizieren). Immerhin: Das Reisebüro existiert auch heute noch, unter dem gleichen Namen, am gleichen Ort, aber ohne Menschenmengen darin und davor.

 

 

 

Wenn man mit solchen Bildern im Kopf in das heutige Poznań kommt, so muss man notgedrungen staunen. All das ist natürlich längst verschwunden - und wahrscheinlich zumeist längst vergessen bzw. den jungen Menschen überhaupt nicht mehr bekannt. Dafür wird man heutzutage in den viel zahlreicher gewordenen Restaurants und Cafés sehr freundlich und zuvorkommend behandelt - damals war eine nette Behandlung eher die glückliche Ausnahme. Man war früher eher gelangweilt und genervt von den Gästen - heute zeigt man sich allgemein aufmerksam und so gastfreundlich, wie ich es damals nur im privaten Bereich kennengelernt hatte.

Wie weiter oben ja schon einmal kurz geschildert: Im privaten Umgang war man mir gegenüber 1987 dermaßen gastfreundlich, wie ich es weder zuvor noch danach jemals irgendwo wieder erlebt habe! Ich schätze mich glücklich, polnische Gastfreundschaft durch andere Studenten sowie meine damaligen Arbeitskollegen kennengelernt zu haben. Ach, würden wir uns in Deutschland doch nur ein Stückchen hiervon abschauen!

Auch das Angebot in den Restaurants hat sich sehr gewandelt: heute bekommt man alles, was das Herz begehrt, und noch viel mehr. Damals gab es zumeist nur eine Speise: Sznizel - worunter man damals eine Frikadelle aus viel Brot und ein wenig Fleisch verstand, mit Kartoffeln und brauner Soße. Als Vorspeise gab es meist auch nur eine Speise: Barszcz, Rote-Bete-Suppe. Allerdings als klare, würzige Brühe - aber immer sehr, sehr wohlschmeckend!

Ganz allgemein hat die Vielfalt in den 21 Jahren in Poznań dramatisch zugenommen, alles erscheint mir bunter, geschäftiger, lebendiger - wie aufgeweckt. Das Treiben in der Innenstadt und den Einkaufszonen am Samstagvormittag unterscheidet sich nicht von dem, was man so von Zuhause kennt. Alles ganz normal!

Poznan / Posen - Stary Rynek Abendstimmung

Abendstimmung am Stary Rynek - dem Altstadtmarkt (hier links die südliche Seite des Marktes, der Blick geht Richtung Westen). Heute ist der ganze Platz fast randvoll mit ausgedehnten Gaststätten - das war 1987 noch bei weitem nicht so! Ich bin mir nicht sicher, ob der Platz dadurch gewinnt, oder verliert. Aber so oder so: er hat eine wunderbare Atmosphäre!

 

 

 

Sehr schön ist auch, wie sich die Stadt abends verändert hat - sie hat sich mit Leben gefüllt. War es 1987 eher so, dass abends ab 19 Uhr, vielleicht 20 Uhr kaum noch Leben auf den Straßen war, so durfte ich nun erleben, wie sich heute die Innenstadt auch abends dem schönen Leben hingibt: auf dem Alten Markt mit dem Rathaus in der Mitte, rundum mit Restaurants unter freiem Himmel schon fast zugepflastert, ist es hier heute voller Menschen, sehr lebendig und angenehm. Es wirkt tatsächlich, als sei die Stadt aus einem Dornröschenschlaf geweckt worden. Dies nimmt man natürlich mit einem dermaßen großen "Zeitsprung" erst so richtig wahr.

Klar: Bilder, die man über 20 Jahre mit sich im Kopf herum trägt, geben vielleicht nicht die ganze Wahrheit wider, einige Erinnerungen mögen heute nur noch ein Zerrbild der damaligen Wirklichkeit sein. Aber doch: die damaligen zwei Monate waren viel zu spannend, aufregend und somit intensiv, als dass ich mich nur wie durch einen Dunstschleier erinnern kann. Auch, wenn eine heutige Reise nicht mehr so aufregend ist und nicht mehr dem Sprung in eine andere Welt nahekommt: Ziemlich präzise habe ich viele Änderungen in Poznań, zum Teil auch in kleinen Details, wahrgenommen. Und auch schnell bemerkt: Ich habe zwar schon "schönere" Städte als Poznań gesehen, aber ich mochte diese Stadt mit ihren Menschen damals sehr, und ich mag sie immer noch!

Wie sich die freundliche Stadt Poznań wohl in weiteren 20 Jahren präsentieren wird?

Tja, mal schauen... Neugierig, wie ich nun einmal bin, werde ich bestimmt einmal nachsehen. Ganz sicher ist Poznań dann immer noch liebenswert. Ich weiß ja jetzt: Die Grundstruktur bleibt, verändert sich kaum. Als Hauptsache bleibt für mich, dass sich in den nächsten 20 Jahren nicht neue Grenzen auftun, man nicht wieder von einer Welt in eine andere reisen muss, um nach Poznań zu gelangen.

Und wenn Sie irgendwann, als Einheimischer oder als Besucher, mal einen Herren mittleren Alters durch Poznań spazieren sehen, etwas abwesend-verträumt, mit leicht verklärtem Blick und entrücktem Lächeln, dann haben sie bitte Nachsicht! Vielleicht entdeckt er ja gerade eine Alte Liebe wieder...

 

 

Einige Eindrücke aus der Innenstadt von Poznań

 

Poznan / Posen - Abendstimmung in der Innenstadt

Abendstimmung in der Innenstadt - Blick die ulica Ignacego Paderewskiego hinab in Richtung Altstadtmarkt.

Poznan / Posen - Altbauten

Glücklicherweise haben durchaus viele Altbauten und ganze Stadtviertel den Zweiten Weltkrieg überstanden.

Poznan / Posen - Straßenzug

Eindruck aus der Innenstadt.

Poznan / Posen - Denkmal "Stary Marych"

Als passioniertem Radfahrer geht mir bei einem solchen Denkmal ja förmlich das Herz auf! Es ist gewidmet der literarischen Gestalt des "Alten Marych" des Schriftstellers Juliusz Kubel aus Poznań.

Poznan / Posen - Stary Browar / Alte Brauerei

In dem Gebäude einer alten Brauerei ("Stary Browar"), direkt an der ul. Półwiejska, ist ein gewaltiges und super-modernes Kultur- und Einkaufszentrum eingezogen. Insgesamt ein gewaltiges Projekt, das weit mehr als nur die üblichen Geschäfte umfasst. Nicht umsonst wurde es im Dezember 2005 in den USA als bestes mittelgroßes Handelszentrum der Welt ausgezeichnet - nur eine von vielen internationalen Auszeichnungen.

Poznan / Posen - Polnisches Theater

Blick zum "Polnischen Theater", auch am Plac Wolności.

Poznan / Posen - Parc Mickiewicza

Fontäne im Parc Mickiewicza direkt vor dem Gebäude des Stadttheaters Poznań.

 

 

Hier wird es persönlich!
Erinnerungsorte von 1987, 2008 wiederbesucht.
  Ein visueller Vergleich (links: 1987, rechts: 2008).

 

Poznan / Posen - Hauptpost 2008

Das Gebäude gibt es auch 2008 noch, gar nicht soo sehr verändert. Immer noch Sitz der Post. Vor allem dadurch, dass man es gründlich restauriert hat, macht es halt einen viel freundlicheren Eindruck.

Poznan / Posen - Rathaus 2008

Das Rathaus im Jahr 2008, wenn auch aus völlig anderer Perspektive. Es hat sich gar nicht viel verändert!

Poznan / Posen - Details am Rathaus 2008

... hat sich im Jahr 2008 sehr verändert! Warum dies so ist, entzieht sich meiner Kenntnis - und ich bemerkte dies erst beim Vergleich der Bilder zu Hause.

Poznan / Posen - Denkmal polnische Aufstände 2008

Der gleiche Ort im Jahr 2008. Weitgehend ohne große Änderungen steht dies Denkmal an gleicher Stelle. Einige Details wurden aber doch verändert: man hat die Pflanzen vor dem Denkmal, die die Zugänglichkeit und auch die Sicht etwas beschränkten, entfernt. Der Sockel wurde verändert: Das Denkmal scheint heute aus dem Boden "herausgewachsen" zu sein, und es werden Blumen niedergelegt. Und, die bedeutendste Änderung: Es wurde zu den Jahren polnischer Aufstände 1956 (in Poznań, einige Monate vor den Budapester Aufständen), 1968, 1970, 1976 und 1980 das Jahr 1981 hinzugefügt - das Jahr, im dem das Kriegsrecht in Polen verhängt wurde. Was für unruhige Zeiten! Was für ein mutiges, immer wieder gegen ungerechte Zustände aufbegehrendes Volk!

Poznan / Posen - Studentenwohnheime 2008

Sie stehen noch! Das Foto ist aus gänzlich anderer Perspektive aufgenommen. Frische Farben und frischer Putz lassen sie aus der Nähe viel freundlicher erscheinen.

Poznan, Posen - Stary Rynek, Altstadtmarkt 2008

Dies hat sich kaum geändert... Die nach dem Krieg alle wieder aufgebauten Häuser sehen heute dank neuer Farbe halt neuer, frischer aus. Die verschiedenen Fotos hier auf der Seite zeigen alle Eindrücke des Marktes, jedoch alle aus unterschiedlichen Perspektiven und verschiedene Seiten des Marktes (hier die Ostseite, Blick Richtung Süden). Trotzdem kann man die Eindrücke aus 1987 und 2008 gut vergleichen.

Poznan, Posen - Stary Rynek, Altstadtmarkt 2008

Blick von der Westseite in Richtung zur Nordseite 2008: Heute ist alles voller Gastronomie. Aber die gibt sich durchaus stilvoll.

Poznan, Posen - Stary Rynek, Altstadtmarkt 2008

Sehr schön renoviert sind die kleinen Häuser in der Mitte des Marktes!

Poznan, Posen - Technische Universität 2008

Nein, nicht etwa dieselben Gebäude wie im Bild darüber!

Aber eben auch Beton: Einige Gebäude "meiner Technischen Universität Poznań". Von außen, teilweise, mit frischer Farbe. Aber die gewaltige, meterhohe digitale Zeitanzeige, die einem auch in Zweifelsfällen immer den Weg "nach Hause" wies, gibt es immer noch unverändert.

 

 


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Dirk Matzen

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