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Ein historischer Ort am Rande der Stadt Gliwice: Der "Sender Gleiwitz" ist am 31.8.1939 Schauplatz einer deutschen Inszenierung, die Tags darauf zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs führt.
Was macht man eigentlich, wenn man in eine Stadt verreist ist, die man eigentlich erkunden will - und es regnet in Strömen?
Eine gute Möglichkeit ist es zum Beispiel, dann in ein Museum zu gehen. Dafür gibt es Museen doch überhaupt - oder?
Eine andere, von mir öfters auch gern genutzte Möglichkeit ist es, bei Regen in einer einfach in einen Zug zu springen - und woandershin zu fahren. Während der Fahrt ist es trocken. Und am anderen Ort dann ja auch - vielleicht...
Jedenfalls bin ich derzeit gerade ein paar Tage in Katowice (Kattowitz), es ist ein Samstagmorgen Anfang April 2016 - und es schüttet, wie aus Eimern. Was tun? In das verlockende, neue "Muzeum Śląskie" (das Schlesisches Museum - ein großes, modernes Kunstmuseum) gehen?
Oder zum Bahnhof gehen und einfach woandershin fahren? Die Entfernung zu beidem ist von meinem Hotel aus inetwa gleich - und ich entscheide mich für den Bahnhof. Ein Ziel habe ich schon im Hinterkopf, wenn ich denn einen einigermaßen zeitnah fahrenden Zug erwische: Ich möchte nach Gliwice, auf deutsch Gleiwitz.
Eine lange Strecke ist dies nicht gerade: In gut 30 Minuten ist man da. Und da Zugverkehr in Polen der Grundversorgung der Bevölkerung dient, fahren die Züge oft und günstig. Also alles kein großes Problem, ruckzuck bin ich in einem angenehm modernen Nahverkehrszug nach Gliwice.
Und ebenso schnell bin ich dann in Gliwice - mitten auf einer Großbaustelle, die dafür sorgen wird, dass die Stadt wohl einen schicken, modernen Bahnhof erhalten wird.
Optisch interessant gestaltet: Blick hinauf zu einem der im Bahnhof Gliwice neu gestalteten Bahnsteig.
Warum denn eigentlich Gliwice? So genau kann ich das gar nicht beschreiben. Nun, Gliwice, oder besser gesagt Gleiwitz, ist natürlich auf tragische Weise ein sehr, sehr historischer Ort! Jeder, aber wirklich jeder hat von Gleiwitz sicherlich mal gehört in diesem Leben: Der fingierte "Überfall auf den Sender Gleiwitz" war einer von mehreren von den Deutschen inszenierte Startpunkten für den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Und davon wohl der markanteste. Von daher hat der Ort ja eine gewisse Bedeutung für jeden Europäer. Und irgendwie frage ich mich: Bemerkt man bei einem Besuch in Gliwice etwas von dieser Bedeutung?
Eine kleine, indirekte Bedeutung hat Gliwice dann auch für mich persönlich: Im Jahr 1985 reiste ein Freund von mir für einige Wochen genau dorthin, um ein Praktikum für sein Studium zu absolvieren. Nicht nur, dass ich dadurch erst von einer solchen Möglichkeit eines Praktikums für "BRD-Bürger" hinter dem "Eisernen Vorhang" erfuhr. Die Schilderungen seiner Erlebnisse haben mich derart interessiert, ja, fasziniert, dass ich beschloss, von einer solchen Möglichkeit auch Gebrauch zu machen - wenn es denn irgendwie geht. Und so landete ich dann 1987 für zwei Monate in Poznań - was mich sehr beeindruckte, mich mit unendlich vielen sehr außergewöhnlichen Eindrücken bereicherte und mein Leben durchaus nachhaltig beeinflusste.
Blick zur ul. Dworcowa, eine große Achse zwischen Altstadt und neueren Stadtgebieten.
Diese beiden Dinge sind aber auch schon alles, was ich mit Gliwice verbinde. Aber das ist eben auch schon deutlich mehr, als ich mit den anderen Städten im Umfeld von Katowice, im Oberschlesischen Bergbaurevier (GOP), verbinde. Städten wie Chorzów, Świętochłowice, Ruda Śląska oder Zabrze. Kurz: Gliwice ist mir schlicht seit Jahrzehnten ein Begriff...
Also sitze ich dann am Samstag morgen in einem Nahverkehrszug nach Gliwice. Draußen regnet es beharrlich. Es geht auf der Fahrt übrigens durch die genannten Städte hindurch, sie sehen allesamt durchaus interessant aus - auch, wenn die Kohle- und Stahlregion von Polen sich in einem sichtbaren Umbruch befindet.
Also wirklich! Habe ich denn tatsächlich erwartet, dem Sauwetter durch eine solch kurze Zugfahrt über 27 km zu entgehen?
Nun, natürlich lande ich in Gliwice auch im prasselnden Regen, zunächst. Glücklicherweise lässt dieser jedoch mit der Zeit ziemlich nach, ein Nieseln bleibt jedoch beharrlich.
Und nun stellen Sie sich mal vor, wie eine Stadt am Samstagmorgen gegen 9:30 Uhr im prasselnden Regen so wirkt. Genau: Trübe, grau, nass, wenig einladend. Ein paar Leute huschen regenschirmbewaffnet durch die Straßen. Einige Autos ziehen ihre Spur über den gewässerten Asphalt. Schwer, eine Stadt bei den Bedingungen spontan ins Herz zu schließen.
Offenbar neu gestaltet, also noch ein wenig kahl sieht diese Fläche auf dem Weg ins das Zentrum der Stadt aus.
Nicht nur der Bahnhof selber wird offenbar komplett umgebaut - auch auf dem Weg in Richtung Stadtzentrum hat es offenbar einen Kahlschlag gegeben, man hat ganz frisch einen Park angelegt: Bänke, moderne Lichtelemente, noch kleine und kahle Bäume. Nun, in einigen Jahren ist das vielleicht ein netter Grünstreifen. Nebenan gibt es noch ein paar alte Bergbau-Gebäude.
Früher, als Kind in der Schule, fand ich es ja total komisch: Wieso hat es da eigentlich einen Überfall auf einen "deutschen Sender" gegeben, der mitten in Polen steht? Was macht denn da ein deutscher Sender? Und wie hat man das denn, mitten in einem fremden Land, inszeniert.
Nun, es hat eine (viel zu) lange Weile gebraucht, bis ich wirklich verinnerlichte, dass damals Oberschlesien zu Deutschland gehörte, seit 1922 zumindest Teile davon - und das hier ist Oberschlesien. Heute mitten in Polen. Das deutsche Gleiwitz war damals direkt in der Grenzregion zu Polen gelegen, die Bevölkerung war seinerzeit gemischt deutsch-polnisch, ähnlich, wie in Kattowitz. Was zu nicht unerheblichen Spannungen führte in der damaligen Zeit. Bei der Volksabstimmung über die Zugehörigkeit von Gleiwitz im Jahr 1921 entschieden sich rund 79 Prozent der Bewohner der Stadt für einen Verbleib im Deutschen Reich.
Das Kohle- und auch Eisenhaltige Revier in Oberschlesien bietet auch heute noch die Grundlage für die Energieversorgung von Polen - dort baut man bei der Stromversorgung vor allem auf die heimische Kohle. Aber auch viel chemische Industrie findet man in der Region. Demzufolge ist die Luftverschmutzung durch sehr gesundheitsschädlichen Feinstaub hier in diesem Gebiet weitaus höher, als sonstwo im Gebiet der Europäischen Region. Auch ein Preis, den man dort gerne in Kauf nimmt für die Nutzung der eigenen Kohle.
Heute leben in Gliwice rund 185.000 Einwohner - immerhin! Vor dem Zweiten Weltkrieg, als die Stadt noch deutsch war, waren dies 117.000, am meisten Einwohner hatte die Stadt 1988 mit 223.000, seitdem gibt es einen kontinuierlichen Rückgang.
An einigen Orten im Stadtzentrum kann man noch Überbleibsel der Bergbau- und Schwerindustrie sehen.
Industrie hat die Entwicklung der Stadt entschieden vorangetrieben - keine Überraschung in dieser Region, die auch heute noch vor allem noch von Bergbau und Industrie lebt. Der erste kohle-betriebene Hochofen auf dem Europäischen Kontinent - er stand Ende des 18. Jahrhunderts im damaligen Gleiwitz. Hüttenwerke und Maschinenindustrie sorgten damals für eine breite Industrialisierung der Stadt und der Region.
Bei der Teilung Oberschlesiens entschied man sich in Gleiwitz zum Verbleib im Deutschen Reich, ein Weg, den eher wenige Städte der Region wählten. Im Zweiten Weltkrieg blieb Gleiwitz weitgehend unzerstört, als die Rote Armee jedoch die Stadt eingenommen hatte, kam es zu erheblichen Zerstörungen und zu schlimmen Verbrechen an der Bevölkerung.
"Gliwice - The furture is here" ist das Motto der Stadt - hier zu sehen auf einer Tafel vor dem Gebäude der Stadtverwaltung. Auffällig das Logo von Gliwice mit dem stilisierten Turm des Sendemastes der Radiostation.
Als modernes Stadtlogo hat hat den Turm des Senders Gleiwitz verwendet - was ja ein wenig überraschend sein mag.
Fast erstaunlich, dass Gliwice mit dem Verein Piast Gliwice einen Spitzen-Fußballverein hat, der zum Zeitpunkt meines Besuchs sogar gerade um die polnische Meisterschaft ringt und in der Folge auch an europäischen Wettbewerben teilnimmt. Eine Begegnung mit Fußball-Fans habe ich in Bahnhofsnähe auch - fast. Diese ist nicht sonderlich erfreulich, allerdings kann ich einen genügend weiten Bogen schlagen, um es nicht zu einer Begegnung der sehr unangenehmen Art werden zu lassen.
Aber damit bin ich ja schon wieder mitten in der Schilderung meiner Eindrücke aus Gliwice!
Die allererste größere Straße in Richtung Stadtzentrum, in die ich komme (die ul. Zwycięstwa) finde ich ganz großartig: Eine Anreihung von sehr großzügigen Bürgerhäusern aus der Gründerzeit, zumeist recht ansehnlich erhalten. In der Erdgeschossen sind viele kleine Läden zu finden. Es lässt sich also ganz wunderbar an hier in Gliwice! Ich bin direkt in die Prachtstraße der Stadt geraten.
Blick entlang der ulica Zwycięstwa - die Prachtstraße der Stadt Gliwice, in die ich als allererstes auf meinem Weg in das Stadtzentrum gerate.
Allerdings macht sich schnell bemerkbar, dass ich völlig unvorbereitet in der Stadt bin: Völlig ahnungslos bin ich hier unterwegs. Habe ja erst am Morgen entschieden, diesen Ausflug zu machen. Ich weiß überhaupt nicht, was es in Gliwice überhaupt zu sehen gibt - außer eben dem historischen Radiosender. Und wo der zu finden ist, weiß ich momentan auch überhaupt nicht.
So etwas, wie eine Touristen-Information, finde ich nicht - den ganzen Tag über nicht. Darauf hatte ich eigentlich gehofft, als ich heute morgen herfuhr. Vielleicht hat die Großbaustelle am Bahnhof diese ja verschluckt? Irgendwo stoße ich nach einiger Zeit allerdings auf eine größere Tafel mit einem Stadtplan, der mir zu ein wenig grober Orientierung verhilft. Handy-Displays schaffen es kaum, einen allgemeinen Überblick zu verschaffen, finde ich jedenfalls. Auf dem Stadtplan erkenne ich jedenfalls auch, dass es zu der Radiostacja Gliwice (also dem früheren Sender Gleiwitz) ein ganzes Ende zu laufen ist - er ist ein Stück abseits des Stadtzentrums. Da will ich hin, aber später am Tag.
So bleibt mir zunächst einmal gar nicht viel anderes übrig, als es so zu machen, wie ich es in fremden Städten eigentlich oft ganz gerne tue: Ich laufe meiner Nase nach. Entscheide an jeder oder zumindest jeder zweiten Ecke, wie es für mich weitergeht. Hin und wieder hilft mir hier in Gliwice ein Richtungsschild, zum Beispiel zur Altstadt.
Am Rande der ul. Zwycięstwa - das nenne ich doch mal einen schönen Brunnen, direkt vor dem Gebäude der Stadtverwaltung: "Trzy Tańczące Fauny" - "Brunnen mit tanzenden Faunen".
Nicht gerade beflügelt durch den Regen bin ich von dem Gesehenem insgesamt aber durchaus beeindruckt. Wie die Städte im oberschlesischen Kohlerevier noch gut zwei Jahrzehnte zuvor aussahen, weiß ich noch von früher. Und auch, ohne Gliwice von früher zu kennen, ist mir ganz klar, dass man hier seit der Wende in Polen eine enorme Aufbau- und Sanierungsleistung vollbracht hat.
Weitgehend allein bin ich hier unterwegs. Kein Wunder bei dem Wetter. Und andere Touristen sind hier jetzt schon gar nicht unterwegs. Wahrscheinlich bin ich der einzige Neugierige heute hier in der Stadt. Hin und wieder bemerke ich jedenfalls, dass meine Neugierde und mein trotz des tragisch-trüben Lichts unverdrossenes Fotografieren ein paar Einheimische wiederum neugierig macht. Man beäugt mich etwas, ist offensichtlich mit Touristen nicht ständig konfrontiert (so, wie noch vor ein paar Tagen in Krakow/Krakau ganz sicher der Fall ist).
Eigentlich finde ich es ja ganz angenehm, wenn ich mehr in der Pfaden der Einheimischen unterwegs bin, und nicht so sehr in touristischen Pfaden. Hierfür ist Gliwice offenbar bestens geeignet - zumal Anfang April, an einem Regentag.
Blick auf das Rathaus von Gliwice auf dem zentralen, historischen Platz, dem "Rynek".
Irgendwann lande ich nach gar nicht allzu langem Weg am "Rynek", also dem "Ring" - dem Zentrum der Altstadt von Gliwice, dem Altstadtmarkt. Wunderbar restauriert hat man diesen Platz, in dessen Mitte das alte Rathaus steht. In Seitenstraßen sind mir schon einige entsetzlich graue Häuser über den Weg gelaufen - noch die Originalfarbe des Kohlereviers. Aber hier am Markt hat man mit viel Farbe alles frisch aussehen lassen. In vielen Städten von Polen sind die zentralen, historischen Plätze der Altstädte wahre, wunderschöne Perlen, oft schon habe ich diese sehr bewundert (gerade vor ein paar Tagen in Krakow/Krakau, früher in Warszawa/Warschau, in Wrocław/Breslau und natürlich in "meinem guten, alten" Poznań/Posen.
Hier in Gliwice nun laufe ich ein wenig ratlos auf dem Rynek herum. Es ist alles durchaus recht hübsch gemacht - aber auf sehr merkwürdige Weise völlig unbelebt. Außer ein paar Fußgängern, die über den Platz ihres Weges gehen, passiert hier gar nichts. Keines der anliegenden Geschäfte hat geöffnet, keines der Lokalitäten. Dass der Business-Pub am Samstagvormittag nicht geöffnet hat, kann ich ja noch verstehen -aber zumindest die "Apteka" könnte ja geöffnet haben. Fast wirkt der Altstadtmarkt unter diesen Wetterbedingungen etwas trostlos - im Sonnenschein wäre dies sicherlich ein anderer Eindruck.
Der Rynek in Gliwice - an einem regnerischen Samstag Vormittag nahezu menschenleer. Erst nach dem Einmarsch der Roten Armee im damaligen deutschen Gleiwitz wurden die Original-Gebäude rund um den Platz ohne direkte kriegerische Auseinandersetzungen zerstört - und später wieder aufgebaut, wie ja in vielen polnischen Städten.
Eine deutsch Fahne nehme ich an einem Gebäude wahr, in der Nähe dann auch ein offizielles deutsches Wappen: Immerhin wird Gliwice offenbar als wichtig genug angesehen, um hier am Altstadtmarkt ein deutsches Konsulat einzurichten - ausgerechnet im "Dom Plastyków", dem "Plastikhaus".
Wenn man abseits der Prachtstraße durch die teilweise autobefreite Altstadt von Gliwice läuft, sieht man an zahlreichen Häusern dringenden Sanierungsbedarf (wie hier in der ul. Średnia) ...
... oder auch einen verrußten Ruf nach frischer Farbe (wie hier in der ul. Kaczyniec) ...
... während in dieses Gebäude in der ul. Raciborska immerhin schon ein schickes Geschäft eingezogen ist.
Nun ja: Allzu lang hält mich der Rynek nicht im Bann. Eine angrenzende Kirche erweckt da schon eher meine Neugierde. Der Turm ragt über die Gebäude am Rynek hinaus und sieht mit geraden Linien und Kanten fast nach grauem Stahlbeton aus. Oder wie ein Aussichtsturm. Das muss ich mir mal anschauen! Der Weg dorthin ist schnell und leicht gefunden - und ein wenig deprimierend: Ein wenig abseits des Rynek sehe ich doch recht viele Häuser, die noch einen enormen Sanierungsbedarf aufweisen: Rußgraue Fassaden, bröckelnder oder gänzlich abgefallener Putz. Hui - das kommt ziemlich unvermittelt. Die Stadt scheint sich in verschiedene Bereiche aufzugliedern. Einige Straßenzüge auf dieser Seite der Stadt wirken fast schon ärmlich...
Die Allerheiligenkirche ist mit ihrem markanten, wuchtigen Turm weithin sichtbar im Stadtzentrum von Gliwice.
Die vermeintliche "Stahlbeton-Kirche" erweist erheblich verrußter Backsteinbau: Die historische "Kościół Wszystkich Świętych w Gliwicach", die "Allerheiligen-kirche". Immerhin geht diese Kirche auf das Jahr 1250 zurück. Mehrfach wurde die umgebaut, ihr jetziges Gesicht erhielt sie 1942, der Kirchturm wurde auf immerhin 62 m aufgemauert. Das alles erfahre ich erst später. Vor Ort stehe ich ein wenig staunend vor dem markanten, recht eng von anderen gebäuden umbauten Bauwerk.
Dass ich an dem früheren, etwas unscheinbaren Gleiwitzer Schloss entlang komme, verstehe ich erst später. Ein Foto mache ich eher beiläufig - vor allen Dingen, weil ich die angrenzende, wuchtige Mauer beeindruckend finde.
Blick zum Anfang des 20. Jahrhundert erbauten Gebäude der früheren Hauptpost. Fans von schöner Backsteingotik kommen hier voll auf ihre Kosten.
Deutsche Beschriftung in Gliwice ist noch zu entdecken am Turm des heutigen "Roten Chemiegebäudes" der Technischen Universität.
Einigen Schildern folgend laufe ich in Richtung der "Politechnika Śląska", der "Schlesischen Technischen Universität". Unterwegs begegne ich einigen wunderschönen Bauten mit großartiger Backsteingotik: Dem alten Postgebäude - an der man deutsche Beschriften gewissenhaft entfernt hat. Oder einem Teil der heutigen Universität, der früheren "Maschinenbau- und Hüttenschule", heute das "Rote Chemiegebäude" - an der man eine deutsche Beschriftung fein säuberlich saniert hat. Das Verhältnis zum deutschen Vermächtnis scheint also nach wie vor zwiespältig.
Insgesamt 32.000 Studierende gibt es an der Politechnika, nicht nur in Gliwice, aber die meisten hiervon schon. Hatte ich hier an diesem Tag etwa quirliges studentisches Leben erwartet? Jedenfalls - als ich auf dem Campus der Politechnika ankomme, bei leichtem Regen, und weit und breit keine Menschenseele ausmache, drehe ich um in Richtung Stadtzentrum. Wohl ein Fehler - wie ich später im Internet sehe: Der Campus ist insgesamt durchaus interessant und großzügig gestaltet.
Der Campus der "Politechnika Śląska", der "Schlesischen Technischen Universität", ist großzügig und weitläufig angelegt.
Es ist durchaus interessant, sich ein paar Stunden in der Innenstadt von Gliwice herumzutreiben. Und je weniger der Regen wird, um so besser gefällt mir mein zumeist völlig zielloser Weg durch das Stadtzentrum. Einerseits.
Andererseits: Es ist auch komisch, hier herumzulaufen. Eigentlich schaue ich hier fast nur Steine an. Nur wenig Menschen huschen vor meinen Augen entlang. Das Stadtzentrum von Gliwice wirkt an diesem Samstag fast wie ausgestorben. Anfänglich bei zwar kräftigen Regen, später bei leichtem Nieseln aber immer noch. Eine schöne Möglichkeit, mal einen Kaffee zu trinken - ich finde hier nichts dergleichen auf meinem Weg. Vielleicht bin ich ja auch nur zufällig hieran vorbei gelaufen. Aber, mein Verdacht ist: Es gibt hier im Zentrum von Gliwice so gut wie keine netten Cafés. Ein paar Restaurants gibt es durchaus - aber der große Hunger ist bei mir eh noch lange nicht da. Irgendwie ist hier alles sonderbar menschenleer. Es wirkt etwas tragisch-verlassen hier im Zentrum.
Also beschließe ich, mich auf den Weg in Richtung Radiostation zu machen. Hierfür muss ich zurück zum Bahnhof, die Bahngleise queren, und dann einer größeren Straße etwa eineinhalb, vielleicht zwei Kilometer folgen. So habe ich es aus dem Stadtplan heute morgen gesehen.
Kurz hinter dem Bahnhof geht mir dann ein Licht auf: Dort stehen dann plötzlich Autos Schlange - für die Einfahrt in das Parkhaus eines riesigen Shopping-Centers, stadtauswärts direkt neben dem Bahnhof: Das "Forum". Dort zieht es die Menschenmengen aus Gliwice offenbar hin. Wenn es so anhält, wie die Innenstadt von Gliwice wohl nach und nach aussterben, die künstliche Glitzerglanz-Welt des "Forum" wohl weiter gedeihen. Was für eine bedauerliche Entwicklung! Auch hier, in Gliwice...
Mir allerdings fällt es ausgesprochen leicht, mich nicht in die Menschenmassen dort hinein zu zwängen. Einerseits ist die Shopping-Welt nichts, was mich irgendwie interessieren könnte. Aber andererseits unterläuft mir da wohl ein kleiner Fehler, denn hier hätte ich wohl gefunden, was ich zuletzt im Zentrum doch etwas angestrengt suchte: Ein Café. Das hätte dieser Konsum-Palast sicherlich zu bieten. Aber das fiel mir erst später ein, als ich weiterhin ohne jegliche Pause zur Radiostation laufe.
Der Weg zur Radiostation entlang der Straße "ul. Tarnokórska" ist unspektakulär - und doch auch interessant, weil völlig anders, als das Stadtzentrum. Erst etwas Gewerbe, später einige Reihen von Plattenbauten der typisch sozialistischen Art und dann auch sehr einfache Wohnbauten - meist mit modernen Farben aufgefrischt. Bald schon säumen Einfamilienhäuser den stark von Autos befahrenen Weg. Ich gehe zügig voran, es bringt mir nicht viel Spaß, hier an der Straße entlang zu laufen.
Entlang der ul. Tarnokórska verlasse ich das Stadtzentrum in Richtung Radiostation...
... nach einiger Zeit wird die Straße gesäumt von schmucken Einfamilienhäusern.
Erst recht kurz, bevor ich ihn erreiche, sehe ich den markanten Turm der Radiostation, freue mich, als ich ihn erreiche - nach gerade mal 20 Minuten Weg, die sich allerdings länger anfühlen.
Das Gelände der Radiostation kommt dann völlig unprätentiös daher, an der ul. Tarnogórska 129. An der Straße ein paar ältere Häuser - wohl die original erhaltenen Sendegebäude der Radiostation. Ein wenig von der Straße entfernt der historische Sendemast. Die markante Form des Turms erinnere ich irgendwoher. Wohl von Fotos aus dem Geschichtsunterricht?
Die "Radiostacja Gliwicka", die "Radiostation Gleiwitz" - ein historisch bedeutungsvoller Ort - nicht so sehr der Radiosendungen wegen: Hier hat man von deutscher Seite den Beginn des Zweiten Weltkriegs eingeleitet.
Der 1935 aus Lärchenholz fertig gestellte Sendemast des "Senders Gleiwitz" ist heute der höchste Holzturm der Welt: 111 m Höhe des Turm gibt man vor Ort auf einer Infotafel an.
Ein Hinweisschild auf ein "Muzeum" sehe ich - es hilft mir nicht weiter, leider: Das angrenzende Gebäude ist verschlossen. Sehr schade! Sowohl der enorme geschichtliche Zusammenhang dieses Ortes, oder auch historische Radiotechnik hätte mich sehr interessiert. Eigentlich soll das Museum samstags ab 11 Uhr geöffnet sein - aber da habe ich irgendwie Pech.
Also schaue ich mir den gewaltigen Turm an. Auch der weiß durchaus zu beeindrucken. Einer Infotafel entnehme ich, dass dies mit 111 m Höhe der weltweit höchste Holzbau ist oder, wie es auf der Tafel steht: Der Turm "gilt" als weltweit höchster Holzbau - einer der bei mir immer beliebten Superlative. Er besteht aus Lärchenholz, ist dementsprechend pechschwarz und wurde im Original im Jahr 1935 errichtet. 16.000 Messingschrauben halten ihn zusammen. Auch jetzt noch ist der Turm mit Antennen ausgestattet. Sicherlich tut er aktuell auch gute Dienste als Mobilfunkmast und lokale UKW-Sendestation.
Den Sendemast steil hinaufgeschaut - er besticht durch seine elegante Formgebung. Sicherlich eine Meisterleistung der Ingenieur-Baukunst.
Der Sendemast ist durch einen Zaun abgesperrt, man kommt nicht direkt an ihn heran. Aber er ist auf jeden Fall ein beeindruckendes Bauwerk. Auch das ganze Gelände drumherum, 2009 renoviert, ist schön gestaltet - ja, irgendwie würdig gestaltet, würde ich es heute nennen. Gerne wüsste ich mehr über diesen Ort - das suche ich mir dann später im Internet zusammen.
Und, immerhin: Es läuft hier noch eine weitere Person herum, die Infotafeln liest und Fotos macht. Ich bin also doch nicht der einzige Tourist in Gliwice...
Allzu lange halte ich mich hier aber nicht auf. Finde es bedauerlich, dass ich vor Ort so wenig erfahre über die historische Bedeutung. Aber vielleicht habe auch ich selber irgendetwas übersehen oder falsch gemacht?
Wie auch immer: Die Radiostation ist ein höchst historischer Ort. Genau hier, wo ich jetzt stehe, begann am 31. August 1939 um 20 Uhr, am Vorabend des Beginns des Zweiten Weltkriegs, dramatische Weltgeschichte: Die von Deutschland inszenierte Einleitung zum Beginn des Zweiten Weltkriegs. Nicht die einzige solcher inszenierter Provokationen in den Tagen des August 1939 - aber wohl die bekannteste und bedeutendste. Am nächsten Morgen hieß es dann "...seit 5:45 Uhr wird zurückgeschossen". Hier, auch hier an diesem Ort, wurde -zig millionenfaches Leid rund um den Erdenball in die Wege geleitet, in voller Absicht. Puuh - solche Orte bewegen mich doch immer wieder sehr...
Und doch ist hier vor Ort alles recht nüchtern präsentiert. Nach 20 Minuten breche ich wieder auf, bin ganz froh, dass es hier ein Schild für einen Radweg zum Zentrum gibt - abseits der großen Straße, auf der ich her gegangen bin. Der Rückweg ist also angenehmer. Nach einer gemütlichen guten halben Stunde bin ich dann wieder in der Nähe des Bahnhofs.
Der Rückweg von der Radiostation in Richtung Stadtzentrum gestaltet sich durch die "ul. Lubliniecka" recht angenehm.
Eine beeindruckende Kirche - eine, von vielen in Gliwice - säumt in etwas Entfernung den Weg in Richtung Zentrum: Die "Kościół św. Bartłomieja w Gliwicach" - die "Bartholomäuskirche".
Wieder im Zentrum angekommen, verschlägt es mich noch eine ganze Weile lang in einen der Parks, den "Park Chopina", den "Frederic-Chopin-Park". Auf ein merkwürdiges Gebäude stoße ich dort. Es sieht aus der Ferne betrachtet aus, wie komplett eingerüstet. Und doch: Das Design ist beabsichtigt und gehört so - das Palmenhaus von Gliwice. Warum ich es nicht besichtige, kann ich im Nachhinein gar nicht mehr so recht sagen - wahrscheinlich bin ich nach dem vielen pausenlosen Laufen einfach schon zu müde hierfür...
Im Park Chopina steht ein großzügig und etwas futuristisch gestaltetes Palmenhaus.
Wirklich?
So lautet jedenfalls das offizielle Motto der Stadt.
Ist die Stadt Gliwice selber tatsächlich ein schlafender Löwe - eines der Symbole der Stadt?
Wird der schlafende Löwe Gliwice irgendwann wieder erwachen?
Ich könnte da ein paar leichte Zweifel anmelden, wenn ich an die fast menschenleere Innenstadt denke. Okay- die Bedingungen sind bei meinem Stadtrundgang sehr mies gewesen. Und außerdem bin ich ja nur einige Stunden in der Stadt. Aber selten nur bin ich in einer so unlebendigen Stadt unterwegs gewesen, wie im Stadtzentrum von Gliwice. Ob ein Konsumtempel neben dem Bahnhof eine Stadt wie Gliwice lebendig erhalten kann, wird sich ja zeigen.
Schnell ist jedoch zu bemerken, dass der Charakter der Stadt ein völlig anderer ist, als in Katowice, wo ich mich ja die letzten beiden Tage aufgehalten habe. Es gibt ein historisches Zentrum, eine Altstadt. Es gibt eine richtige Prachtstraße. Es gibt einige wunderschön renovierte Backsteinbauten in Gliwice, die sicherlich einen genaueren Blick wert sind: Freunde von Backsteingotik werden in Gliwice reich fündig. Die schöne Prachtstraße ul. Zwycięstwa hat eine wunderschöne und bestens restaurierte Bausubstanz. Andererseits: An vielen Ecken und Enden im Stadtzentrum ist offenbar aber auch noch richtig viel zu tun, um die Innenstadt weiter lebendig zu halten.
Gliwice, Stadt der Backsteingotik: Ein kleines zur Universität gehörendes Gebäude als Beispiel dafür.
Der historische Sendeturm von der Radiostation beeindruckt natürlich auch durchaus.
Von der massiven Industrialisierung der Stadt selber und der gesamten Region merkt man im Zentrum nicht (mehr) allzu viel.
Wenn man sich ein wenig im Internet umschaut, hat die Stadt durchaus einiges zu bieten. Ein Tagesausflug, so wie ich es durchgeführt habe, ist da für einen Aufenthalt durchaus knapp bemessen. Und erst recht, wenn man völlig planlos durch die Stadt läuft. Dafür ist Gliwice dann doch einfach zu groß! Wenn das Konzept, so ohne große Planung in einer Stadt unterwegs zu sein, bei mir früher in anderen Städten schon mal ganz gut geklappt hat, dann ist das hier in Gliwice nur mit mäßigem Erfolg der Fall. Das mag auch daran liegen, dass die Stadt mit gut 180.000 Einwohnern deutlich größer ist, als ich zuvor vermutet hatte.
Mit anderen Worten: Es ist also doch keine schlechte Idee, sich vor einer Reise in eine Stadt zumindest ein wenig zu informieren, wohin man kommt. Unglücklich allerdings auch, dass es mir vor Ort überhaupt nicht gelang, mir irgendwelche Touristen-Informationen zu beschaffen. Woran auch immer das lag: Dies wird einem in Gliwice zumindest nicht leicht gemacht...
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